Protokoll der Sitzung vom 17.05.2019

gieren, wenn mit der Floskel: „Das wird man ja noch sagen dürfen“ Aussagen aus der Mitte der Gesellschaft kommen, die noch vor wenigen Jahren politische Wege schneller beendet haben. Sätze, mit denen sich ein Martin Hohmann noch vor wenigen Jahren ins politische Aus geschossen hat, werden heute von Gauland und Höcke in den Parlamenten, aber auch in den Medien und bei Veranstaltungen geäußert, ohne dass dies Konsequenzen hat.

Den Worten folgen leider auch Taten. Ich stelle nicht deswegen regelmäßig Fragen zur Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität von rechts außen, weil ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Innenministeriums Mehrarbeit bereiten möchte, sondern weil dieses Datenmaterial ebenso wie die Antworten auf meine Kleinen Anfragen zur Soziokultur von rechts und Musikveranstaltungen Informationen sind, die für die Zivilgesellschaft von Bedeutung sind, die rechtsextremes Gedankengut nicht unwidersprochen stehenlassen wollen.

Mein Dank gilt nicht nur dem Innenminister und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, sondern in erster Linie den vielen Menschen in Schleswig-Holstein und im restlichen Land, die sich tagtäglich ehrenamtlich und hauptamtlich in unterschiedlichster Form gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit einsetzen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Demokratie ist eben nichts Selbstverständliches. Sie muss jeden Tag neu gelebt, erkämpft und erstritten werden.

(Beifall SPD und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Burkhard Peters.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Grote! Ich schließe mich dem Dank für den Bericht und die Tätigkeit des Verfassungsschutzes in SchleswigHolstein in vollem Umfang an.

„Mit islamistischem Anschlag muss jederzeit gerechnet werden“, stand in der „Bild“. „Islamistischer Extremismus bleibt Hauptproblem in Schleswig-Holstein“, so der NDR. Das sind die Schlagzei

len zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2018.

Richtig ist, die gestiegene Zahl von Salafistinnen und Salafisten, die missionierende und sympathisierende Kreise erschließen, ist in der Tat beunruhigend. Wer dabei aber nicht berücksichtigt, dass der Verfassungsschutz in den letzten Jahren für diesen Phänomenbereich deutlich aufgestockt worden ist, blendet leicht eine wichtige Information aus. Das ist ein Effekt, den wir auch aus der Interpretation von Zahlen aus der Kriminalstatistik kennen, aber auch beim Phänomen der Reichsbürgerbewegung: Je intensiver hingeschaut wird, umso mehr hellt sich das bisherige Dunkelfeld auf. Der Bericht weist dankenswerterweise selber auf dieses Phänomen hin.

Die Aufhellung erfährt allerdings dort ihre Grenzen, wo sich die salafistische Szene mit ihrer Missionierungstätigkeit zunehmend in den privaten Bereich zurückzieht, um einer Ausspähung zu entgehen. Das stellt der Bericht eben auch fest. Das begünstigt Radikalisierungsprozesse im Verborgenen und ist in dieser Weise besonders gefährlich. Ich meine, dass es gerade in diesem Bereich gilt, in Bildungseinrichtungen und anderen Institutionen die Präventionstätigkeit zu stärken und die Antennen der dort arbeitenden Menschen zu sensibilisieren, damit sie zum Beispiel erkennen, welche jungen Leute abdriften, sodass früh auf sie zugegangen wird. Das ist für mich ein ausgesprochen wichtiger Ansatz.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sensibel müssen wir auch auf die zunehmende Anzahl von Rückkehrerinnen und Rückkehrern aus den IS-Gebieten reagieren. Das legt der Bericht in aller Deutlichkeit dar. Soweit es sich um deutsche Staatsangehörige handelt, hat die Bundesrepublik die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diese Menschen hier wieder aufzunehmen - mit allen Konsequenzen, die daraus erwachsen. Es geht nämlich nicht an, dass deutsche Behörden die fehlende Rücknahmebereitschaft anderer Staaten bei Abschiebungen aus unserem Land dorthin beklagen, gleichzeitig aber bei eigenen, terrorverdächtigten Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern versuchen, die Rückkehr in irgendeiner Weise zu umgehen oder zu verhindern.

Kurzum, es gibt nichts daran kleinzureden: Islamismus und Salafismus sind nach wie vor eine Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und unsere Gesellschaft.

(Tobias von Pein)

Setzt man die genannten Zahlen in Relation, irritieren mich die eingangs genannten Schlagzeilen, denn das rechtsextreme Spektrum ist doppelt so groß wie das islamistische. Davon sind mehr als ein Drittel gewaltbereit. Ich gebe eine Anregung. Es wäre gut, wenn wir auch im Bereich des Salafismus eine Darstellung bekämen, welcher Teil dieses Spektrums als gewaltbereit eingestuft wird. Das ist in den Berichten bisher noch nicht erfolgt. Ich weiß nicht, wie man das machen kann. Es wäre sinnvoll, wenn man dort differenzierter betrachten könnte.

Rechnet man die Zuwächse in der Reichsbürgerszene zum rechten Spektrum hinzu und berücksichtigt die erhebliche Gewaltbereitschaft und Waffenaffinität dieser Szene, erhöht sich das rechte Potenzial noch einmal auf knapp 1.400 Menschen, mit einem hohen Anteil gewaltbereiter Menschen. Die Statistik der politisch motivierten Kriminalität bestätigt dieses Bild. Die erschreckenden Zahlen, die Bundesinnenminister Seehofer kürzlich veröffentlicht hat, sprechen Bände.

Ich spreche noch ein weiteres Problem an. Der Bereich „antifaschistische Arbeit“ wird nonchalant dem Linksextremismus zugerechnet. Ich bin - wie viele hier im Raum - bekennender Antifaschist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich lasse mich aber ungern in eine linksextremistische Ecke stellen. Der Bericht unterstellt insoweit, das antifaschistisch und antirassistisch denkende bürgerliche Spektrum lasse sich durch latente Anschlussbereitschaft gleichsam als nützliche Idioten des Linksextremismus missbrauchen. Ich halte diese Betrachtung für etwas holzschnittartig. Darüber könnten wir uns noch einmal unterhalten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Auch dass die Beteiligung an Protesten gegen die Militäroffensive in Afrin umstandslos unter Beobachtung gestellt wird, wirft Fragen auf. Das wurde heute Morgen schon angesprochen. Es ergibt sich ein widersprüchliches Bild. Kurdische Milizen und Verbände in Syrien werden auch von der Bundesrepublik militärisch und finanziell unterstützt. So haben wir es heute Morgen gehört.

(Beifall Lars Harms [SSW])

Solange diese kurdischen Verbände in Syrien und im Irak die Kohlen aus dem Feuer holen - zum Beispiel bei der Rettung der Jesiden, im Irak, durch die Peschmerga -, sind sie also unterstützungswürdige Kombattanten. Gleichzeitig stehen Protestdemonst

rationen in Schleswig-Holstein gegen die völkerrechtswidrige türkische Besetzung des kurdischen Afrins ohne weiteres unter verschärfter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Das sollte man differenzierter betrachten. Da passt einiges nicht so ganz zusammen.

(Beifall Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Aminata Touré [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Kurz und gut: Auch dieser Verfassungsschutzbericht enthält für uns alle die Herausforderung, sich weiter intensiv und kritisch mit dem Zustand und der Gefährdung unseres demokratischen Rechtsstaates auseinanderzusetzen. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort für die Fraktion der FDP hat der Abgeordnete Jan Marcus Rossa.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verkündung unseres Grundgesetzes jährt sich am nächsten Donnerstag zum 70. Mal. Um dieses in der deutschen Geschichte einzigartige Dokument und den Schutz seines Geistes und seiner Ordnung muss es gehen, wenn wir uns über den Verfassungsschutz unterhalten und uns mit ihm auseinandersetzen.

(Beifall FDP und vereinzelt SPD)

Schon einmal hatten die Feinde der Demokratie gewonnen und das Land und den ganzen europäischen Kontinent an den Abgrund geführt. Die Mütter und Väter unserer Verfassung hatten das allzu gut vor Augen, als sie das Grundgesetz erarbeiteten, und sie haben mit dem Prinzip der wehrhaften Demokratie die richtigen Schlüsse daraus gezogen. Dafür können wir ihnen heute noch dankbar sein.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Es ist deshalb umso wichtiger, dass wir mit unseren Verfassungsschutzbehörden ein Schlaglicht auf die Feinde unserer Demokratie werfen. Wir schauen nicht weg, und sie sollen wissen, dass wir nicht wegschauen. Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, die zuständigen Stellen im Staat über potenzielle Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu unterrichten. Dem sind Sie, Herr

(Burkhard Peters)

Minister Grote, auch in diesem Jahr durch Ihren Bericht nachgekommen. Ihnen und Ihren zuständigen Mitarbeitern herzlichen Dank dafür von allen demokratischen Parteien.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Gefahren, die Sie in Ihrem Bericht dargelegt haben, sind natürlich nicht neu. Aber in Ihrem Bericht wurden diese wieder einmal klar benannt und eingeordnet. Ob Rechtsextremismus, Linksextremismus, religiöser Extremismus, ausländischer oder sonstiger Extremismus - wir wollen auf keinem Auge blind sein, wenn es um diejenigen geht, die sich gegen unsere Demokratie stellen.

Während die Aufgabe des Verfassungsschutzes aus sehr guten Gründen nur in der Information über diese Vorgänge bestehen kann und darf, ist es die Aufgabe der zuständigen Stellen, die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen und Maßnahmen einzuleiten. Zuständig für die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung muss sich jeder fühlen, und das gilt auch für das Parlament und die Volksvertreter.

So möchte ich in dem hier präsentierten Bericht einmal unterscheiden: Es gibt dort zum einen Hinweise, die für unsere Behörden relevant sein müssen. Ins Auge springt vor allem die besorgniserregende und nach wie vor ansteigende Entwicklung beim Salafismus, eine Herausforderung für unsere Gesellschaft, aber auch für die Sicherheitsbehörden. Die hohe Gewaltaffinität, die sich aus dem Bericht herauslesen lässt, macht die Salafisten zu einer besonders gefährlichen Strömung. Hier müssen wir früh agieren. Wir müssen uns auch die Frage stellen, wo wir in Bildung und Integration versagt haben, dass solche Bewegungen solchen Zulauf haben. Das gilt entsprechend auch für die Entwicklungen am rechten Rand bei Reichsbürgern und Identitärer Bewegung, denn auch da ist der Bericht besorgniserregend. Es ist gut, dass das so herausgestellt worden ist. Wir brauchen Antworten, vor allen Dingen auch auf die Frage, warum wir diese Menschen, die sich für diese Bewegungen starkmachen, verloren haben und wie wir dem künftig entgegenwirken wollen. Prävention ist hier gefordert.

Über die Gefahr durch Cyberattacken haben wir heute Morgen debattiert. Deswegen möchte ich das hier nicht weiter vertiefen. Aber es ist völlig klar, dass auch hier große Gefahren für unseren Staat lauern.

Es muss uns aber doch auch mit besonderer Sorge erfüllen, wenn durch Extremismus welcher Art

auch immer eine Verlagerung der politischen Auseinandersetzung in radikale, unredliche und kriminelle Bahnen stattfindet, egal, ob mit Verleumdungen, dem konzertierten Einsatz von sogenannten Fake News oder gar dem Einsatz von Gewalt gegen Sachen und Personen und hier insbesondere gegen Beamte unseres Staates und Sicherheitsbehörden. Das können wir in unserer Gesellschaft nicht gebrauchen, und dem müssen wir entgegentreten.

Das gesellschaftliche und politische Klima wird bedauerlicherweise rauer in Deutschland. Auch das ist eine Erkenntnis aus Ihrem Verfassungsschutzbericht. Damit - das müssen wir so deutlich sagen haben die Feinde der Verfassung bereits eines ihrer Ziele erreicht.

Natürlich ist politische Auseinandersetzung notwendig und gehört zur DNA einer starken Demokratie. Aber es gibt Regeln, die in einer zivilisierten Gesellschaft von jedermann zu achten sind. Hieran mangelt es an den extremen Rändern in der politischen Landschaft.

Besonders besorgniserregend ist, dass diese extremen Strömungen immer weiter in die sogenannte gesellschaftliche Mitte hineinwirken können. Wir müssen verhindern, dass extremistische Positionen in unserem Land salonfähig werden. Diese Gefahr sehe ich durchaus bei vielen Themen, die heute breit in der Öffentlichkeit diskutiert werden.

(Beifall FDP, vereinzelt CDU, SPD, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Deshalb ist es wichtig, dass wir auch in diesem Parlament extremistischen Tendenzen frühzeitig und energisch entgegenwirken. Tabubrüche, wie wir sie immer wieder erleben, sind eben keine Kavaliersdelikte, sondern ein perfider Angriff auf unsere freiheitliche und demokratische Grundordnung.

Wir werden uns jetzt im Ausschuss mit dem Ergebnis des Verfassungsschutzberichts sicherlich weiter befassen, um Maßnahmen zu entwickeln, wie wir effektiv Gefahren für unseren Rechtsstaat entgegenwirken können. Aber der Bericht hat deutlich gemacht: Wir brauchen den Verfassungsschutz. Und das ist die schlechteste Nachricht am heutigen Tag. - Danke schön.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)