Protokoll der Sitzung vom 20.06.2019

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Das ist eine bemerkenswerte Debatte, die wir hier führen. Wir sprechen uns für höhere Bußgelder aus, und die CDU sagt, die Bußgelder reichten, man sehe ja, dass die Probleme gelöst würden. Wir stellen fest, dass sie nicht gelöst wurden. Es hat angeblich über 40 Fälle gegeben. Ich gebe zu, dass ich das den Medien entnommen habe; in den Videos sah man weniger. Es hat über 40 Fälle gegeben, in denen gewendet wurde. Dann kann man doch nicht davon sprechen, dass das Problem gelöst sei.

Genauso ist die Argumentation von Herrn Claussen, Fahrverbote machten keinen Sinn, weil die bestehenden Regelungen weit genug gingen. Augenscheinlich tun sie das nicht, sonst hätten sich die Menschen nicht haufenweise nicht an die bestehenden Regelungen gehalten.

(Beifall SPD - Wortmeldung Claus Christian Claussen [CDU] - Anhaltende Unruhe)

- Herr Claussen, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Wir haben ja die Möglichkeit, uns im Ausschuss ausführlich darüber zu unterhalten.

Bemerkenswert fand ich im Übrigen, dass die CDU weiteren Regelungen ausnahmslos ablehnend gegenübersteht, die FDP zumindest sagt: „Wir sehen ein Problem, aber“, und uns die Grünen am nächsten kommen, indem sie sagen: „Wir sehen durchaus Gesprächsbedarf, man kann sich über höhere Bußgelder unterhalten, man kann sich auch über mehr Fahrverbote unterhalten“. Sie haben selbst gesagt, die Ein-Monat-Regelung mache keinen Sinn - es sei denn, ich habe Sie da völlig missverstanden. Sie stehen uns von der Argumentation her deutlich am nächsten.

(Claus Christian Claussen [CDU]: Sie be- haupten in Ihrem Antrag etwas, was nicht stimmt! - weitere Zurufe)

Das Wort hat der Abgeordnete Kai Vogel.

Auch wenn man auf Medienechos nicht zwingend etwas geben muss - das Medienecho ging in diesem Fall ausnahmslos in eine Richtung. Haufenweise Kommentatoren in allen Zeitungen haben sich dafür ausgesprochen, mehr Fahrverbote zu verhängen und deutlich höhere Bußgelder auszusprechen. Die

Polizei ist uns beigesprungen, der ADAC ist uns beigesprungen, viele andere Verbände und Vereine haben die Argumentation in ähnlicher Weise aufgegriffen.

(Beifall SPD)

Werter Herr Claussen, wenn Sie sich hier hinstellen und behaupten, das Problem existiere überhaupt nicht, dann ist das alles Fake, was in den Nachrichten gezeigt wurde, und das stimmt definitiv nicht. Es ist nachgewiesen worden, dass über 40 Autos gewendet haben. Diese 40 Fahrer sind mit 400 € Bußgeld bestraft worden. Da die Betroffenen mit einem Fahrzeug unterwegs waren, das viel mehr als 400 € kostet, haben sie darüber nur gelächelt. Ein Fahrverbot hätte sie zu besserem Handeln gezwungen. Deswegen fordern wir das. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und Doris Fürstin von Sayn- Wittgenstein [fraktionslos])

Für die Landesregierung hat der Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus, Dr. Bernd Buchholz, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seien Sie mir nicht böse, ich finde, dass die politische Kontroverse dem Thema unangemessen ist. In Wahrheit sind wir uns doch alle einig: Es gibt auf den Straßen das Phänomen zu beobachten, dass Leute in Rettungsgassen wenden. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass das nicht nur unverantwortlich, sondern gefährlich ist - nicht nur für Rettungskräfte, sondern auch für sich selbst und andere Verkehrsteilnehmer. Wir müssen dafür sorgen, dass so etwas auf den Straßen Deutschlands nicht mehr stattfindet. Da sind wir uns doch alle einig.

Jetzt geht es um die Frage, mit welchem Instrumentarium wir das erreichen. Kollege Vogel, Kollege Claussen hat vorhin ausgeführt - das kommt bei Ihnen ein bisschen kurz -, dass wir den Bußgeldkatalog im Herbst des Jahres 2017, vor eineinhalb Jahren, massiv verschärft haben.

(Claus Christian Claussen [CDU]: So ist es!)

Ein Verstoß gegen das Bilden der Rettungsgasse wurde bis zum Herbst 2017 mit einer Ordnungswidrigkeit von 20 € belegt. Dass das unangemessen und unrichtig war, hat der Gesetzgeber erkannt, und

er hat entsprechend nachgesteuert und für die Behinderung von Rettungsgassen ganz andere Ordnungswidrigkeiten vorgesehen. Der Kollege Claussen hat es zitiert, das ist die berühmte Nummer 50 aus dem Bußgeldkatalog: Das nicht rechtzeitige Bilden einer Rettungsgasse kostet jetzt 200 € und zwei Punkte.

Eine Behinderung ist automatisch mit einem Fahrverbot versehen; Gefährdung und Sachbeschädigung und so weiter macht zwei Punkte in Flensburg, einen Monat Fahrverbot und kostet 320 €. Das ist eine deutliche Veränderung. Die ist offenbar in so manchem Kopf bis heute nicht angekommen. Es ist unsere Aufgabe, das stärker klarzumachen.

Das Zweite ist, dass in der Tat - das hat der Kollege Peters zu Recht ausgeführt -, das Wenden auf der Autobahn zu den berühmten Todsünden gehört, die nach § 315 c Strafgesetzbuch zu einer Straftat werden, wenn es zu einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder Sachwerte von einigermaßen großen Wert kommt. Die Botschaft, die in die Bevölkerung gesendet werden muss ist: Jeder, der auf einer Autobahn wendet, läuft Gefahr, sich strafbar zu machen, und zwar nicht unerheblich.

(Beifall CDU - Zuruf CDU: So ist es!)

Es ist kein Kavaliersdelikt, in einer Rettungsgasse zu wenden.

(Vereinzelter Beifall CDU, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und FDP)

Es ist kein Kavaliersdelikt - auch heute nicht -, so zu tun, als dürfe man das wegen eiliger Telefonate oder sonstiger Dinge. Nein, man riskiert bei § 315 c Strafgesetzbuch den Entzug der Fahrerlaubnis für mindestens zwölf Monate, wenn eine entsprechende Gefährdung stattfindet. Man riskiert, hinterher als Straftäter dazustehen.

(Wortmeldung Dr. Ralf Stegner [SPD])

Meine Damen und Herren, das mag man in einer bestimmten Art und Weise -

Herr Minister!

Ich lasse Herrn Stegner gleich seine Frage stellen, aber lassen Sie mich den Satz zu Ende führen, bitte. - Das mag man immer noch zu gering finden; darüber können wir sicherlich im Ausschuss diskutieren. In der Sache muss doch aber klar sein: Bei dieser Debatte darf nicht, weil die Sozialdemokraten jetzt noch höhere Bußgelder fordern, die Botschaft an die Menschen herauskommen - nach dem Motto -, dass das etwas sei, was lapidar sei. Ganz im Gegenteil: Es handelt sich auch heute schon um schwere Eingriffe, die wir nicht einfach hinnehmen, sondern sanktionieren.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner?

Bitte, gern.

Sehr geehrter Herr Minister, es ist Aufgabe des Parlaments, streitig zu debattieren. Insofern ist der Hinweis, wir seien uns alle einig, und die Frage, warum wir denn darüber debattieren müssten, nicht richtig. Wir sind uns nämlich nicht einig, welches die Konsequenz ist.

Die Frage zum Beispiel, ob man ein Fahrverbot bekommt, hängt offenkundig von der Tatsache der Gefährdung ab. Fakt ist aber: Wenn die Gefährdung nicht stattfindet, ist das reine Glückssache. Es ist reine Glückssache bezogen auf das, was der Autofahrer oder die Autofahrerin tut. Er oder sie kann gar nicht wissen, ob es eine Gefährdung ist, sondern es ist reine Glückssache, wenn es keine ist. Bei so gravierenden Folgen, die das haben kann, sollte Glück nicht das Kriterium sein.

Die Hinweise, unser Antrag sei überflüssig und das sei eigentlich alles schon geregelt von den Tiraden der Rechtsradikalen einmal abgesehen, die da gleich wieder Ausländerfragen reinmengen wollen -,

(Volker Schnurrbusch [AfD]: Rechtsradika- le!)

zeigen doch, dass es notwendig ist, dass wir die Debatte führen und uns vielleicht verstän

(Minister Dr. Bernd Buchholz)

digen können - übrigens gerade weil der Antrag von der SPD kommt, die nicht generell Anträge für Strafverschärfung stellt. Das ist nicht unser Thema. Hier geht es um eine konkrete, massive Gefährdung von Menschenleben. Es gibt viele Vorfälle dieser Art. Deswegen stellen wir diesen Antrag.

- Herr Stegner, das Problem ist, das an einem klitzekleinen Teil Ihrer Fragestellung die Darstellung leider unrichtig ist. Das muss man mit dem Kollegen Claussen konstatieren - er ist als Anwalt nicht unbeschlagen, und auch Herr Peters hat es an der Stelle gesagt -: Wir haben im Bußgeldkatalog in der Nummer 83 für das Wenden auf der - wie heißt es so schön - „durchgehenden Fahrbahn“ regelhaft ein Fahrverbot geregelt.

(Claus Christian Claussen [CDU]: So ist es! - Zuruf Claus Schaffer [AfD])

Das ist regelhaft vorgesehen. Der einzige Unterschied zu Ihrem Antrag ist vielleicht, dass bei Ihnen „zwingend“ steht; insoweit ist der Antrag nicht ganz überflüssig, Herr Claussen.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Sehr großzügig, Herr Minister!)

Regelhaft ist es vorgesehen. Nur, lieber Herr Stegner - da muss man ein bisschen in das Verwaltungsrecht einsteigen -: Im Katalog der Ordnungswidrigkeiten etwas „zwingend“ zu regeln, ist nahezu ausgeschlossen, weil der Behörde immer ein gewisses Ermessen eingeräumt werden muss, damit man auf bestimmte Fälle reagieren kann. Was ist denn in dem Fall, in dem die Polizei selbst anordnet, dass gewendet werden soll, um die Autobahn zu räumen? Das muss möglich sein. Da ist übrigens in dem Lübecker Fall zu einem bestimmten Zeitpunkt so geschehen.

Differenziert zu diskutieren, ist nicht immer ganz einfach. Ich bin dafür, dass wir uns gern den Fall im Ausschuss einmal ansehen, lieber Herr Dolgner. Ich habe gerade mit dem Staatssekretär aus dem Innenministerium gesprochen und darum gebeten, dass wir uns mit der Sache im Ausschuss beschäftigen - dann aber bitte nicht auf der Basis von dpaMeldungen,

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und AfD)

sondern auf der Basis von den Fakten, die die Ordnungswidrigkeitenbehörde dazu veranlasst hat, in diesem Falle kein Fahrverbot auszusprechen. Ehrlich gesagt bin auch ich daran interessiert, Herr Dolgner, denn Sie haben an der Stelle völlig Recht:

Regelhaft wäre in diesem Falle bei diesen Verstößen ein Fahrverbot anzuordnen gewesen. Das ist jedenfalls meine Sicht der Dinge. Wir werden im Ausschuss der Frage nachgehen, warum es dazu nicht gekommen ist.

(Zuruf SPD: Dann machen wir das im Aus- schuss!)

Meine Damen und Herren, ich will noch Folgendes sagen: Herr Dolgner, wir wollen jetzt nicht lange Ausführungen über die Wirkungen von Strafen und Ordnungswidrigkeiten, Generalprävention, repressiver Wirkung und so weiter führen; das würde zu weit führen. Die Formel -

(Zuruf SPD)

- Ja, darüber können wir lange reden.