Protokoll der Sitzung vom 28.08.2019

(Lukas Kilian [CDU]: Von der Heide! Upda- ten!)

- Entschuldigung. Kollege von der Heide hat sich dazu geäußert. - Wir sollten allerdings, wenn wir über solchen Unterricht sprechen, nicht unterschätzen, dass Herkunftssprache nicht gleich Muttersprache ist. Die Muttersprache ist die vorrangig in der Familie verwendete Sprache, während die Herkunftssprache die Staatssprache des Landes ist, aus dem die betreffende Familie zugewandert ist. Das hat in Deutschland durchaus schon zu Schwierigkeiten geführt, zum Beispiel bei dem lange Zeit übersehenen Problem, dass ein großer Teil der aus Jugoslawien stammenden Gastarbeiter Albaner waren, deren Muttersprache eben nicht das war, was man damals als Serbokroatisch bezeichnete. Dasselbe Problem haben wir heute mit vielen Tausend Familien, deren staatliche Herkunftssprache das Türkische, deren Muttersprache aber das Kurdische in einer seiner Varianten ist.

Die politische Eiszeit, die in Ankara von Präsident Erdogan ausgelöst wurde, hat auch für den Ergänzungsunterricht Auswirkungen gehabt, der über die Konsulate der Türkei organisiert wird. Es gab Auseinandersetzungen - auch in Nordrhein-Westfalen über mitunter gewöhnungsbedürftige Inhalte bei diesem Unterricht. Deswegen war es richtig, Gespräche mit dem Konsulat aufzunehmen. Im Koalitionsvertrag waren Sie allerdings schon einen ganzen Schritt weiter. Da war nicht von wolkigen Recherchen die Rede, sondern von staatlichen Angeboten und von Schwerpunktschulen, die das Modell des Konsulatsunterrichts überwinden sollten. Da hätte ich gedacht: Jetzt kommen Sie einmal mit den ersten Schwerpunktschulen. Vielleicht beim nächsten Mal.

Nun sagen Sie: Die Ministerin hat im ersten Gespräch das Recht erstritten oder erbeten, Hospitationen durchzuführen, und jetzt sollen wir die Ministerin per Beschluss auffordern, dass sie von diesem Recht Gebrauch macht. - Okay, es ist Ihre Einschätzung, dass man das heute beschließen muss. Ich entnehme Ihrem Antrag, dass Sie den herkunftssprachlichen und hoffentlich auch muttersprachlichen Unterricht nicht auf Dauer von ausländischen Lehrkräften erteilen lassen wollen, sondern wir sind uns in dem Ziel einig, diesen Unterricht mittelfris

(Tobias von der Heide)

tig durch Lehrkräfte erteilen zu lassen, die wie alle anderen im öffentlichen Dienst Deutschlands stehen, von Deutschland bezahlt werden und insofern nicht im Zwiespalt doppelter Loyalitäten stehen.

Wie immer bei zusätzlichen Unterrichtsangeboten wird sich die Frage stellen, woher wir diese Lehrkräfte nehmen. Insofern geht zumindest der dritte Absatz des Koalitionsantrags in die richtige Richtung.

Wir werden uns bei diesem Antrag enthalten, weil wir uns gewünscht hätten, erst den Bedarf zu kennen und dann zu beschließen oder aber erst zu sagen: Wir starten jetzt mit besagten Modellschulen.

Ich habe mich aber gefreut, von Ihnen das Signal zu bekommen, dass Sie unserem Berichtsantrag zustimmen können. Wir sind gern bereit, den Berichtszeitpunkt zu ändern. Um Papier zu sparen, haben wir unseren Antrag nicht noch einmal geändert. Für das Protokoll: Jetzt steht Januar darin; wir ändern die Formulierung im ersten Satz hin zu „im ersten Quartal 2020“ und würden uns freuen, wenn die Daten vorliegen, noch einmal über wirkliche nächste Schritte miteinander ins Gespräch zu kommen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD und Lars Harms [SSW])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Ines Strehlau das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass es eine so große Einmütigkeit bei diesem Thema gibt. Lieber Martin Habersaat, wir fordern die Landesregierung nicht auf, ihre Arbeit zu tun - die macht sie selbstverständlich täglich und mit großem Erfolg -,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

sondern wir geben ein bisschen die Richtung vor. Es ist nun einmal die Rolle des Parlaments, dass es sagt: „Arbeitet, aber arbeitet so, und nehmt diese Themen in den Fokus!“

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Europarat und das Europäische Parlament sagen, dass jeder Mensch, der in Europa lebt, drei Sprachen sprechen sollte: die jeweilige Landessprache, Englisch als sogenannte Verkehrssprache sowie eine weitere Fremdsprache. Menschen mit Migrationshintergrund bringen bereits eine weitere

Sprache mit. Es wäre also geradezu Verschwendung, diese Sprachenvielfalt in einer pluralistischen Gesellschaft wie in Deutschland nicht zu nutzen. Eine Integration der Herkunftssprache in unser Bildungssystem ist also sinnvoll, alleine schon aus Gründen der europäischen Integration und der Völkerverständigung im Allgemeinen.

Im Kontext von Schule ist meines Erachtens die damit einhergehende Wertschätzung des Individuums zentral. Nach der Heidelberger Pädagogikprofessorin Havva Engin bestätigen Forschungsergebnisse die positiven Effekte von Kenntnissen in der Herkunftssprache auf die Deutschkompetenz. Dieser Unterricht nützt der Persönlichkeitsentwicklung. Er steigert auch die Lernmotivation.

Wenn die Herkunftssprache zum Unterrichtsfach an unseren Schulen wird, dann wird sie von Schülerinnen und Schülern und deren Eltern wie eine Fremdsprache und somit als Bildungsressource anerkannt. Das hat etwas mit Anerkennungskultur zu tun. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund werden nicht mehr aus der Defizitperspektive betrachtet; sie erfahren mit ihrer Zweisprachigkeit eine positive schulische Aufwertung. Die Möglichkeit, die eigene Herkunftssprache zu lernen, bedeutet außerdem Bewahrung von Identität.

Bei uns in Schleswig-Holstein wird herkunftssprachlicher Unterricht vorwiegend als Konsulatsunterricht eingeführt. Er ist ein außerschulisches Angebot; er steht nicht unter der Aufsicht des Bildungsministeriums. Deshalb kommt immer wieder die Frage auf, wie der Unterricht abläuft und welche Inhalte dort vermittelt werden. Um für Transparenz zu sorgen, hat das Bildungsministerium die Möglichkeit vereinbart, im Konsulatsunterricht verstärkt zu hospitieren. Wir finden, das ist ein richtiger Ansatz.

Besser wäre ein herkunftssprachlicher Unterricht an den Schulen. Es gibt an einigen, wenn auch wenigen Schulen im Land bereits herkunftssprachlichen Schulunterricht in Türkisch: Am Hans-GeigerGymnasium und der Theodor-Storm-Schule in Kiel und auch an der Gotthard-Kühl-Schule in Lübeck ist ein Angebot eingerichtet worden. Das ist immerhin ein Anfang.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Tobias von der Heide [CDU] und Jette Wald- inger-Thiering [SSW])

Der Bedarf der Schulen an herkunftssprachlichem Unterricht ist durchaus gegeben. Unser Ziel ist es deshalb, mehr Lehrkräfte für diesen Unterricht auszubilden. Dafür ist es zuerst einmal wichtig heraus

(Martin Habersaat)

zufinden, welche Sprachen genau in welchem Umfang nachgefragt werden. Es könnte an einigen Schulen durchaus der Bedarf an anderen Sprachen, beispielsweise Arabisch oder Farsi, vorhanden sein. Dann müssen Lehrkräfte entsprechend geschult werden. Hier könnte durch Fortbildungen, zum Beispiel für Lehrkräfte mit Türkisch als Muttersprache, vergleichsweise schnell eine Qualifizierung stattfinden. Am leichtesten ist es bei den Lehrkräften, die eine weitere Fremdsprache studiert haben, weil sie das Feld der Fremdsprachendidaktik schon kennen.

Außerdem muss es möglich werden, Herkunftssprachen bei uns im Land zu studieren. Hier ist es uns wichtig, verstärkt Menschen mit Migrationshintergrund für den Lehrerberuf zu begeistern, damit sich die Vielfalt der Gesellschaft auch im Kollegium widerspiegelt. Dazu gibt es vielversprechende Gespräche mit der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Die Sprachenvielfalt in Deutschland ist eine Bereicherung, und Studien belegen, dass die Pflege der Herkunftssprachen nicht nur die Sprachkompetenz festigt, sondern auch den Erwerb der deutschen Sprache positiv beeinflusst.

Vieles spricht also in einer globalisierten Welt für die Förderung der Muttersprache, denn herkunftssprachlicher Unterricht leistet einen wichtigen Beitrag zu einer weltoffenen Erziehung und zu interkulturell kompetenten Bürgerinnen und Bürgern.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. Wir werden auch dem SPD-Antrag zustimmen. Ich hoffe, dass sich die SPD vielleicht überwinden kann, unserem Antrag zuzustimmen, denn im Grunde genommen sind wir uns einig. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat die Abgeordnete Anita Klahn.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dem herkunftssprachlichen Unterricht kommt aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung eine immer stärkere Bedeutung zu, denn immer mehr Menschen in Schleswig-Holstein haben unterschiedlichste sprachliche und kulturelle Hintergründe. Es ist für die Zukunft zu erwarten, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird. Die wichti

ge Frage ist daher, wie wir damit umgehen sollen und wollen.

Wenn wir auf andere Bundesländer schauen, so stellen wir fest, dass wir in Schleswig-Holstein bei der Beantwortung der Frage, wie wir diesen Entwicklungen Rechnung tragen wollen, etwas ins Hintertreffen geraten. Der herkunftssprachliche Unterricht hat zum Ziel, die Mehrsprachigkeit zu erhalten und zu fördern, da dies erwiesenermaßen beim weiteren Spracherwerb hilft und auch beim Lernen der deutschen Sprache förderlich ist. Mehrsprachigkeit fördert die Integration in unsere Gesellschaft und baut Brücken zwischen den Kulturen. Es wäre geradezu sträflich, wenn wir dieses Potenzial nicht nutzten.

Damit wir alle davon profitieren, ist es jedoch entscheidend, wie wir den herkunftssprachlichen Unterricht aufstellen. Es kommt darauf an, wer den Unterricht erteilt und was unterrichtet wird. In einem ersten Schritt müssen wir die Bedarfe der am meisten nachgefragten Sprachen ermitteln.

Da gebe ich dem Kollegen Habersaat völlig recht: Nur damit gewinnen wir einen fundierten Überblick über die tatsächliche Nachfrage und können im Anschluss die notwendigen Angebote bereitstellen. Dass wir zurzeit nicht wissen, welche Lehrkräfte an welchen Einrichtungen welche Inhalte vermitteln, ist ein blinder Fleck in unserem Bildungssystem. Viele erinnern sich daran, dass wir dies auch in der letzten Legislaturperiode mehrfach kritisiert haben.

Im zweiten Schritt muss sichergestellt werden, dass der herkunftssprachliche Unterricht in ein schulisches Gesamtkonzept integriert ist und ein fächerübergreifender Mehrwert geschaffen wird. Ein isoliert erteilter Unterricht in der Herkunftssprache, losgelöst vom Deutschunterricht und ohne Anknüpfungspunkte zum restlichen Schulprogramm, ginge eindeutig in die falsche Richtung.

(Beifall FDP)

Herkunftssprachlicher Unterricht darf nicht zu einer parallelen Schulveranstaltung verkommen, bei der an den regulären Lehrplänen vorbei unterrichtet wird und bei der wir nichts über die Inhalte wissen. Das ist versteckte Kritik an der letzten Legislaturperiode, als wir nicht wussten, was im türkischsprachigen Unterricht, der durch DITIB erteilt wurde, tatsächlich passierte.

(Martin Habersaat [SPD]: Das war nicht sehr subtil versteckt, Frau Kollegin!)

- Die Berichterstattung haben alle in Erinnerung, und ich teile ja Ihre Einschätzung, Herr Habersaat,

(Ines Strehlau)

dass man schon damals mehr hätte tun müssen. Wir tun es jetzt endlich.

(Beifall FDP und CDU)

Herkunftssprachlicher Unterricht darf keinesfalls dazu missbraucht werden, politische Haltungen zu vermitteln, die nicht im Einklang mit unserer demokratischen Grundordnung stehen.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Jette Waldinger-Thiering [SSW])

Genauso wenig darf der Unterricht dazu dienen, sich von der hiesigen Gesellschaft und Lebenswelt abzugrenzen. Es kann nicht unser Anspruch sein, es zum Beispiel DITIB zu überlassen, wie die Bildung unserer Kinder aussieht.

Was wollen wir also tun? Wir wollen gern die Kontrolle über die Lerninhalte haben. Ja, das bedeutet, dass das Land Schleswig-Holstein, das Bildungsministerium Kenntnis über die Lehrpläne und Schulbücher haben muss und so sicherstellen kann, dass diese im Einklang mit unserer Verfassung und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Darüber hinaus müssen wir die Lehrkräfte stellen. Mir ist klar, dass dies unter den gegebenen Umständen schwierig zu bewerkstelligen ist. Wir können es uns aber nicht leisten, dass wir die Erteilung herkunftssprachlichen Unterrichts in Schleswig-Holstein Konsulatslehrkräften überlassen, bei denen wir weder etwas über die Qualifikation noch über die politische Ausrichtung wissen.

Ich freue mich auf den Bericht der Ministerin, die sicherlich gleich einiges an Aufklärung dazu beitragen kann. Vielleicht gehen dann die Kolleginnen und Kollegen der SPD in sich und stimmen unserem Antrag zu. Wir werden Ihrem Antrag zustimmen, denn er geht für uns in die richtige Richtung und bietet die notwendigen Hintergrundinformationen. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Dr. Brodehl das Wort.