Protokoll der Sitzung vom 29.08.2019

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Der Titel „Gesetz zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung im ländlichen Raum“ greift auch in Bezug auf die inhaltlichen Forderungen völlig zu kurz. Selbst wenn man es schaffen würde - das wäre sehr sportlich -, das Gesetz in zweiter Lesung so zu verabschieden, dass man diese Plätze - rechtlich gesehen - zum Wintersemester 2020 schaffen könnte, so müssen diese Medizinerinnen und Mediziner erst einmal gänzlich ihr Studium abgeschlossen haben und sich noch einige Jahre weiterbilden. Vor vermutlich 2032 - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - wäre keine einzige dieser angehenden Landärztinnen oder Landärzte wirklich am Praktizieren.

(Jörg Nobis [AfD]: Nicht auf die lange Bank schieben!)

- Auf die lange Bank schieben tun Sie noch ganz andere Dinge, zum Beispiel Ihre Vorstandsgeschichten.

Eine Landarztquote im Studium sowie eine anschließende Verpflichtung, im ländlichen Raum zu praktizieren, draufzusetzen, kann ein Teil zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung im Land sein. Ich sehe auch eine etwaige Finanzbeteiligung nicht per se sofort kritisch. Es gibt auch andere Möglichkeiten, jemanden finanziell an der Ausbildung zu beteiligen. Das wird man sicherlich noch im Ausschuss besprechen. Es braucht aber deutlich andere Maßnahmen, um die unterschiedlichen Lebens- und Familienmodelle der Ärztinnen und Ärzte zu berücksichtigen. Es braucht klare Delegationsregeln in Bezug auf das, was zwingend ärztlich gemacht werden muss und was nicht.

Vor allem braucht es Maßnahmen, die das Versorgungsgefüge in Schleswig-Holstein als Ganzes begreifen und die nicht nur ein Teilstückchen vorlegen. Daher sehe ich den Gesetzentwurf der AfD etwas kritisch in Hinsicht auf die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat die Abgeordnete Jette Waldinger-Thiering.

Sehr geehrte Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Sicherstellung der medizinischen Versorgung in der Fläche ist eine der größten Herausforderungen, die wir in Schleswig-Holstein haben. Das ist völlig klar und beschränkt sich leider längst nicht nur auf hausärztliche Versorgung. Noch dazu beschäftigt uns dieses Problem schon lange. Das liegt an den vielen unterschiedlichen Ursachen und sicher auch daran, dass Bundes- und Landespolitik nicht entschlossen genug gegensteuern. Wenn wir also hier und heute über einen vergleichsweisen neuen Lösungsweg diskutieren, ist das grundsätzlich erst einmal zu begrüßen.

In anderen Bundesländern wird die Idee einer Landarztquote schon umgesetzt. Nordrhein-Westfalen führt sie zum kommenden Semester ein. In Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz gibt es derartige Gesetze. In Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wird darüber diskutiert, und auch hier in Schleswig-Holstein haben sich die regierungstragenden Fraktionen in ihrem Koalitionsvertrag auf diesen Weg verständigt.

Nun liegt uns dieser Gesetzentwurf der AfD vor, und doch muss ich für den SSW eines klar sagen: Nur weil die Landarztquote in anderen Ländern eingeführt wird, ist sie für uns noch lange keine überzeugende Maßnahme gegen den Ärztemangel.

Wir haben uns mit diesem Thema intensiv beschäftigt. Die Entscheidung für oder gegen eine solche Quote haben wir uns nicht leicht gemacht. So drängend das Problem auch ist - es hat aus unserer Sicht einfach keinen Sinn, hier auf eine Zwangsmaßnahme zu setzen. Wir halten es sogar für grundsätzlich falsch, junge Leute zu der Entscheidung zu zwingen, welchen Job sie 20 Jahre später machen wollen. Das geht an der Lebenswirklichkeit der angehenden Studierenden völlig vorbei. Ich persönlich halte es für ein Armutszeugnis und eine echte Bankrotterklärung, wenn sich die Landespolitik in dieser Frage nicht mehr anders zu helfen weiß.

Sicher, die Altersstruktur unserer Landärzte und Landärztinnen sowie die Versorgungssituation in manchen Orten sind alarmierend. Aber: Der Zweck heiligt deshalb noch lange nicht jedes Mittel. Wir brauchen keine Landärzte und Landärztinnen, die ihre Arbeit nur deshalb machen, weil sie sich vertraglich gebunden haben und ansonsten eine saftige

(Dennys Bornhöft)

Strafe zahlen müssten. Wir brauchen motivierte Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner, die wir durch bessere Rahmenbedingungen aufs Land locken. Wir müssen in Kitas, Schulen und kulturelle Angebote investieren. Wir müssen dafür sorgen, dass der Landarztberuf flexibler und familienfreundlicher wird. Wir müssen auch dem Partner oder der Partnerin eine Perspektive bieten.

Ich will nicht missverstanden werden: Wenn es um die Sicherstellung der medizinischen Versorgung geht, können wir uns keine Denkverbote leisten. Wir müssen durchaus auch mal neue Wege gehen. Vor allem aber gilt es, keine Zeit zu verlieren. Wir brauchen Maßnahmen, die jetzt helfen und nicht erst in 15 oder 20 Jahren.

(Volker Schnurrbusch [AfD]: Dann fangen wir an!)

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, auch über finanzielle Anreize nachzudenken. Was für Lehrkräfte in Form einer sogenannten Buschzulage möglich ist, muss auch für Hausärzte und Hausärztinnen möglich sein.

(Beifall Lars Harms [SSW] und Bernd Hei- nemann [SPD])

Entsprechende Initiativen wird der SSW gern mittragen.

Neben diesen Ansätzen muss es aber endlich auch bei dem Thema Planungsräume für Kassensitze und bei der Frage nach Anreizen für die Ansiedlung von Medizinischen Versorgungszentren Fortschritte geben. Außerdem müssen die Potenziale der Telemedizin noch viel konsequenter genutzt werden.

(Beifall Lars Harms [SSW])

Deshalb muss die Landesregierung dringend mehr Tempo machen, wenn es um den Breitbandausbau als Voraussetzung hierfür geht.

Als Begleitmaßnahme ist und bleibt es wichtig, das Berufsbild der Medizinischen Fachangestellten und der Arzthelferin aufzuwerten. Das Modell der Nichtärztlichen Praxisassistenten ist ein gelungenes Beispiel. Auch hier sollten wir gemeinsam dranbleiben und dafür sorgen, dass wir wirklich zeitnah zu besseren Versorgungsangeboten kommen.

(Beifall Lars Harms [SSW] und Bernd Hei- nemann [SPD])

Das Wort für die Landesregierung hat Minister Dr. Heiner Garg.

Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Gestatten Sie mir erstens eine Vorbemerkung, die durchaus ernst gemeint ist: Ich finde es legitim, als Oppositionsfraktion die Koalition an den Koalitionsvertrag zu erinnern.

Zweitens finde ich es völlig legitim, das Rad nicht neu zu erfinden, sondern sich im Zweifel eines Gesetzes aus einem anderen Bundesland zu bedienen. Wenn man das allerdings tut, meine sehr geehrten Herren von der AfD-Fraktion, dann sollte man diesen Gesetzentwurf zumindest dahin gehend überarbeiten, dass er für Schleswig-Holstein passt. Ich erläutere es Ihnen gern: Schleswig-Holstein hat keine Kassenärztlichen Vereinigungen, sondern nur eine Kassenärztliche Vereinigung. Schauen Sie einmal in § 1 Ihres Gesetzentwurfs! In Nordrhein-Westfalen - als einzigem Bundesland - gibt es wegen des Vorhandenseins zweier Landschaftsverbände auch zwei Kassenärztliche Vereinigungen.

Drittens. Was mir besonders aufgefallen ist, Herr Schaffer, ist die viele Arbeit, die Sie sich gemacht haben, aus dem Gesetzentwurf die weiblichen Formen, die das Gesetz in Nordrhein-Westfalen kennt, konsequent zu tilgen. Sie haben überall „Bewerberinnen“ durch „Bewerber“ ersetzt - herzlichen Glückwunsch dazu! -, und das bei 70 % Frauen, die derzeit an einer Universität Medizin studieren und dieses Studium erfolgreich durchlaufen.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt SPD)

Meine sehr geehrten Herren der AfD-Fraktion, darüber würde ich vielleicht noch einmal nachdenken. Sie hätten die 20 Stunden, die Sie darüber sinniert haben, wie Sie sämtliche weiblichen Formen aus dem Gesetz tilgen können, vielleicht doch für etwas anderes verwenden sollen.

Zu dem Gesetzentwurf beziehungsweise dessen Zielsetzung selbst: Sie wollen die Landarztquote bereits zum Wintersemester 2020 einführen. - Ich gehe zu Ihren Gunsten davon aus, dass auch Sie wissen, dass dies zeitlich nicht machbar ist. Zum Trost will ich Ihnen aber sagen, dass es auch völlig unsinnig wäre, eine solche Maßnahme, die ich für durchaus diskutabel, aber nicht für unproblematisch halte, jetzt umzusetzen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken wurden hier mehrmals angesprochen, insbesondere von der Frau Abgeordneten Bohn. Diese Bedenken gibt es, und sie sind ernst zu neh

(Jette Waldinger-Thiering)

men. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Auch mein Haus wird sie sehr ernst nehmen.

Sie haben sich bei der Erarbeitung Ihres Gesetzentwurfs nicht besonders viel Mühe gemacht, obwohl Nordrhein-Westfalen das Ganze jetzt auf den Weg bringt. Sie hätten sich erkundigen können, warum es dort möglicherweise funktionieren könnte. Nordrhein-Westfalen baut nämlich die Zahl seiner Medizinstudienplätze gerade um 350 aus. Das sind ganz andere strukturelle Voraussetzungen als diejenigen, die wir hier haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, in Schleswig-Holstein gibt es zwei Planungsbereiche - zwei! -, die in Bezug auf die hausärztliche Versorgung einen Versorgungsgrad von weniger als 100 % aufweisen. In Nordrhein-Westfalen hingegen sind es 67 Planungsbereiche. Derzeit haben wir in Schleswig-Holstein bezogen auf die Anzahl der Bürgerinnen und Bürger deutlich mehr Medizinabsolventinnen und -absolventen als in Nordrhein-Westfalen.

Trotzdem kann man sich durchaus mit der Einführung einer Landarztquote als ein sinnvolles Instrument zur langfristigen Sicherstellung der ärztlichen Versorgung auseinandersetzen. Nach Abschluss der Ausbildung, frühestens also nach zwölf Jahren, nehmen die Bewerberinnen und Bewerber ihre Tätigkeit auf dem Land auf, die sie in NordrheinWestfalen mindestens zehn Jahre lang auszuüben haben. Die Einführung einer Quote setzt also eine Versorgungslücke in zehn bis 15 Jahren voraus. Es ist keine Maßnahme, mit der sofort gegen den einen oder anderen Versorgungsmangel, der möglicherweise besteht, angekämpft werden könnte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Schleswig-Holstein hat bundesweit, das heißt im Vergleich zu allen anderen Bundesländern, die mit Abstand beste Nachbesetzungsquote bei Ärztinnen und Ärzten. Dafür kann die Landesregierung wenig. Mein herzlicher Dank gilt hier der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein, die ihren Sicherstellungsauftrag wahrnimmt und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger exzellent arbeitet.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt SPD)

Das ist ihre Aufgabe. Der Sicherstellungsauftrag liegt bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein nimmt diese Aufgabe auf ausgezeichnete Art und Weise wahr.

Es ist ein zentrales Anliegen dieser Landesregierung, die medizinische Versorgung flächendeckend zu sichern und weiter zu verbessern.

Ich bin zusammengezuckt, als es bei Jette Waldinger-Thiering so klang, als ob das unser Gesetzentwurf sei. Davon distanziere ich mich in aller Deutlichkeit. Das ist nicht der Gesetzentwurf der Landesregierung, sondern eine schlechte Kopie des Gesetzes aus Nordrhein-Westfalen.

(Beifall FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ein Baustein sind die Maßnahmen des Versorgungssicherungsfonds, mit dem wir innovative Versorgungsmodelle finanziell unterstützen. Wir fördern damit insbesondere sektorenverbindende Projekte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist doch eine der Hauptursachen, dass in Deutschland anders übrigens als in vielen Ländern um uns herum - Versorgung nicht so funktioniert, wie sie funktionieren könnte. Wir denken und organisieren uns in Sektoren. Dabei ist das sektorenverbindende, professionsübergreifende Zusammenarbeiten eine Grundvoraussetzung für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung. Wir wollen, dass berufsgruppenübergreifend gearbeitet wird. Wir wollen auch die Frage der Delegation beziehungsweise Substitution medizinischer und sonstiger ärztlicher Tätigkeiten anders diskutieren, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Bernd Heinemann [SPD])

Ich sage auch sehr deutlich: Im Rahmen des Versorgungssicherungsfonds planen wir, ausländische Ärztinnen und Ärzte, die während ihres Anerkennungsverfahrens Praxiseinsätze in ländlichen Regionen absolvieren, zu fördern. Damit stünden ausländische Ärztinnen und Ärzte, die bereits fertig ausgebildet und auch geeignet sind, schnell für eine medizinische Tätigkeit zur Verfügung, das heißt, sie würden etwaige Versorgungsengpässe schnell mildern. Erfahrungen zeigen, dass dies ausgezeichnet gelingt.

Gestatten Sie mir noch einen letzten Satz; denn als Liberaler geht mir natürlich das Herz auf, wenn hier von Anreizen gesprochen wird. Ich will Ihnen mal sagen, meine sehr geehrten Damen und Herren, was einer der größten finanziellen Anreize für Ärztinnen und Ärzte wäre: dass sie nicht irgendwelche Niederlassungsprämien, die im Zweifel einmalig gezahlt werden, bekommen. Nein, besser wäre es,

(Minister Dr. Heiner Garg)

wenn man diese Ärztinnen und Ärzte für erbrachte Leistungen endlich auch wieder bezahlen würde. Die Budgetierung ist ein Anachronismus von 1992, meine sehr geehrten Damen und Herren. Die gehört abgeschafft. - Herzlichen Dank.

(Beifall FDP, CDU und Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])