Protokoll der Sitzung vom 11.12.2019

(Beifall SPD und vereinzelt CDU)

Sicherlich wären Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit und Jubiläen wie Grundgesetz und Mauerfall auch so begangen worden. Wir haben jetzt noch 20 Tage vor uns. Für das nächste Jahr ist eine neue Sau angekündigt, die durchs Dorf getrieben wird. Das wird das Jahr der Bildung für nachhaltige Entwicklung werden.

(Tobias von der Heide)

(Zuruf Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist nicht so richtig nachhaltig, wenn man jedes Jahr einen neuen Schwerpunkt zum wichtigsten erklärt, weil dann alles wichtig ist, und am wichtigsten ist dann eben nichts mehr.

(Zuruf Dr. Frank Brodehl [AfD])

Zum Abschluss des Jahres der politischen Bildung müssen wir feststellen, dass die Oberstufenreform das Fach WiPo schwächt und nicht stärkt. Herr Kollege von der Heide, wenn Sie sich die Oberstufenreform noch einmal angucken, dann gucken Sie sich das noch einmal ganz genau an. Wenn Sie sagen, Sie wollten Leistungskurse wieder einführen, dann gucken Sie noch ein zweites Mal hinein und führen Leistungskurse wirklich wieder ein, statt dies nur zu behaupten.

(Beifall SPD)

Wir müssen außerdem feststellen, dass diese Landesregierung in ihrer Amtszeit schon 274 potenziellen WiPo-Referendarinnen und -Referendaren gesagt hat, dass sie in Schleswig-Holstein nicht ausgebildet werden. 88 davon wurde das im Jahr der politischen Bildung mitgeteilt.

Wir müssen auch feststellen, dass der WiPo-Unterricht an unseren Gymnasien rückläufig ist. 40 % der Gymnasien in Schleswig-Holstein unterrichten WiPo null- bis zweistündig. Der Rahmenplan sieht Inhalte für vier Stunden vor. Deswegen finde ich den Gedanken naheliegend, dass man sagt, man findet das erstrebenswert. Wenn man Ministerin wäre, könnte man das auch per Erlass regeln; das würde dann passieren. Aber vier sind schon mal besser als das, was jetzt der Fall ist. Sechs fänden wir noch besser, vor allem deshalb, weil das Fach Religion mit sechs Stunden garantiert wird.

Und das auch noch im Jahr 2019. Man bezieht sich auf Konkordat und Staatskirchenvertrag und dergleichen. Ich finde, auch da sollten wir genauer hinsehen, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD und SSW)

WiPo und politische Bildung sind nicht nur in der Schule wichtig. Es gibt an der Fachhochschule in Kiel seit vielen Jahren ein grandioses Projekt zur Demokratiebildung an Kindergärten. In allen AWO-Kindertagesstätten kann man das beobachten. Aber auch im Landtag ist politische Bildung wichtig. Sie haben heute einen Antrag beschlossen, meine Damen und Herren, bei dem Sie als Landtag begrüßen, dass die Landesregierung Haushaltsmittel

für das Landesarchiv und Stellen zur Verfügung stellt. - Überlegen Sie einmal: Sie als Landtag haben zuerst den Haushalt beschlossen und dann begrüßt, dass die Landesregierung Mittel bereitstellt. Schauen Sie doch in Zukunft einmal genauer hin.

(Anita Klahn [FDP]: Einmal richtig lesen!)

Ich bin nicht nur WiPo-Lehrer, sondern auch Geschichtslehrer, und als solcher möchte ich auch noch einmal auf den Wert historischer Bildung zu sprechen kommen, vor allem, wenn mit Geschichtsklitterung Politik betrieben werden soll.

(Anita Klahn [FDP]: Ah!)

Da beklagt der CDU-Fraktionsvorsitzende, die SPD habe in der Weimarer Republik für instabile Verhältnisse gesorgt, weil sie sich einer Großen Koalition verweigert und damit das Ende der Demokratie verursacht habe. Meine Güte, Herr Koch.

(Beifall SPD - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Aller- dings!)

Das wird für die heutige Auseinandersetzung genutzt, indem geschrieben wird, es sei traurig und erschütternd zugleich, dass die SPD wieder nichts aus ihren Fehlern gelernt habe und dabei Bezug auf den Bundesparteitag der SPD vom letzten Wochenende genommen wird.

Noch einmal in Kurzform für alle, die es interessiert: Die Große Koalition aus SPD, Zentrum, Bayrischer Volkspartei, Deutscher Volkspartei und Deutscher Demokratischer Partei unter dem Sozialdemokraten Hermann Müller zerbrach 1930, nachdem die bürgerlichen Koalitionspartner gegen die SPD einen in dieser Schärfe in dieser Republik unbekannten Sozialabbau durchgesetzt haben, indem sie die Lasten der Wirtschaftskrise einseitig auf Beschäftigte und Arbeitslose abwälzten. So kann man sich als Konservativer hinstellen und sagen, die SPD hätte allem zustimmen müssen, nur um diese Koalition zu erhalten. - Aber die Historiker sind völlig einer Meinung, dass es dieser Sozialabbau war, der im Jahr 1932 dazu führte, dass der Reichstag von Parteien besetzt war, die in ihrer Mehrheit nicht mehr demokratisch waren. Nur noch 40 % der Stimmen brachten die Demokraten im Jahr 1932 zusammen.

Es ist sicher genauso richtig, dass sich niemand, auch nicht die Mitglieder der NSDAP, ernsthaft vorstellen konnten, was die Machtübernahme für Deutschland, Europa und die Welt bedeuten würde. Es war aber keine sonderlich zielführende Entscheidung des Zentrums, also dem Vorläufer der Unionsparteien, Herr Kollege Koch, zwischen 1930 und

(Martin Habersaat)

1932 immer wieder Koalitionsverhandlungen mit den Nazis auf Reichs- und Landesebene zu führen.

(Beifall SPD - Dr. Ralf Stegner [SPD]: So ist es!)

Dafür kann die Union heute überhaupt nichts, meine Damen und Herren, und das beklatschen wir jetzt bitte einmal.

(Beifall SPD und SSW)

Aber die Union sollte sich umso mehr hüten, Parallelen zwischen 1930 und 2019 zu ziehen, die an den Haaren herbeigezogen sind und für die eine Entschuldigung, Herr Kollege, immer noch aussteht.

(Beifall SPD - Dr. Ralf Stegner [SPD]: Aller- dings! - Weitere Zurufe SPD: Sehr richtig!)

Ich bin an dieser Stelle etwas ausführlicher geworden, weil ich es wichtig finde, dass Geschichte nicht in so einer Form instrumentalisiert wird, und weil ich es nicht gewöhnt bin, dass dies vonseiten der CDU passiert. Auch wir sind hier für politische Bildung zuständig, meine Damen und Herren. Für uns sollte jedes Jahr „Jahr der politischen Bildung“ sein. - Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD und SSW)

Begrüßen Sie mit mir auf der Tribüne den Beauftragten für politische Bildung, Dr. Christian MeyerHeidemann.

(Beifall)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Ines Strehlau.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Lieber Martin Habersaat! Ich denke, du hast dich mit deiner Aussage „Sau durchs Dorf treiben“ deutlich vergaloppiert.

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

- Nein, nein. - Wir stehen dazu, dass es wichtig ist, Nachhaltigkeit auch an der Schule zu lehren, und das passiert noch viel zu wenig. Deshalb ist es richtig, dass wir im nächsten Jahr darauf einen Fokus legen. Das heißt nicht, dass wir das eine gegen das andere ausspielen, beides ist wichtig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Ich will mit etwas Positivem anfangen, Tobias hat mit etwas Negativem begonnen. Zur Shell-Studie: 77 % der Jugendlichen sind mit der Demokratie, so wie sie in Deutschland besteht, zufrieden. Diese Werte steigen sogar seit vielen Jahren an, so steht es in der aktuellen Shell-Jugendstudie. Das ist ja schon einmal positiv, das ist eine große Mehrheit. Aber, die Studie besagt auch, dass 24 % der Jugendlichen populistischen Aussagen zugeneigt sind und 9 % sogar als Nationalpopulisten bezeichnet werden können. Die Shell-Studie schreibt:

„Sie stimmen allen populistisch aufgeladenen Statements durchgängig zu, distanzieren sich von der Aufnahme von Flüchtlingen und betonen darüber hinaus auch ihre generell ablehnende Haltung gegenüber Vielfalt.“

Das muss uns besorgt stimmen.

Gleichzeitig glauben 71 % der Jugendlichen, dass sich Politiker nicht darum kümmern, was die Jugendlichen denken. Wir haben also ein unterschiedliches Bild: Einerseits gibt es eine große Demokratieakzeptanz, andererseits eine hohe Politikverdrossenheit. Deshalb ist es genau richtig, dass das Bildungsministerium das Jahr 2019 zum „Jahr der politischen Bildung“ gemacht hat.

Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihren Bericht. Sie haben es dargestellt. Es gab ein buntes Spektrum an Veranstaltungen verschiedener Formate. Auch der Landesbeauftragte für politische Bildung hat mit vielen Projekten und Veranstaltungen unterschiedlichster Art Kinder und Jugendliche für die Demokratie und Politik begeistert. Vielen Dank auch dafür.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Auch ich finde das Format dialogP sehr gelungen. Ich war an mehreren Schulen und habe mit den Schülerinnen und Schülern ihre Fragen diskutiert: Kostenloser ÖPNV, höhere Preise für Lebensmittel, mehr günstigen Wohnraum, Plastikverbot und vieles mehr waren Themen, auf die sich die Schülerinnen und Schüler in Gruppen sehr gut vorbereitet hatten. Sie hatten Pro- und Kontra-Argumente für ihre Positionen gesammelt. Am Ende zeigte sich oft, dass eine Frage nicht klar mit Ja oder Nein beantwortet werden konnte, weil Themen einfach viel zu komplex und Zwischenschritte oder Kompromisse notwendig sind. Die Schülerinnen und Schüler haben gesehen, dass wir Politikerinnen und Politiker unterschiedliche Meinungen haben, aber auch immer wieder um gute Lösungen ringen. Diese Runden waren für mich spannend, auch die Schü

(Martin Habersaat)

lerinnen und Schüler fanden das Format durchweg gut. Deswegen freue ich mich, dass es auch im nächsten Jahr fortgeführt wird. Wir brauchen mehr solcher Formate. Wir brauchen politische Bildung zum Anfassen in unseren Schulen.

Jugendliche entwickeln Interesse für Politik, wenn sie merken, dass sie damit etwas bewegen können, wenn sie mit entscheiden können, was und wie sie lernen. Derartige Programme machen deutlich, dass populistische Antworten oft zu kurz greifen und dass Aushandlungsprozesse manchmal nicht ganz einfach, aber der einzige Weg sind, um niemanden abzuhängen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, FDP und vereinzelt CDU)

Demokratische Beteiligung ist auf vielen Wegen möglich - SV, Klassenrat wurden schon genannt. Vor einiger Zeit habe ich eine Grundschule besucht, die ein Schülerinnen- und Schülerparlament hatte, was längst nicht an allen Grundschulen der Fall ist. Dort wurde entschieden, welche Fußballtore für den Schulhof angeschafft werden sollten. Der Schulleiter konnte sich mit seiner Meinung nicht durchsetzen. Die Schülerinnen und Schüler haben die großen Tore gewählt.

Offene Diskussionen, Mitbestimmung und die Erfahrung, mitentscheiden zu dürfen, sind wichtig für eine positive Einstellung zur Demokratie. Das müssen wir noch viel mehr an unseren Schulen vermitteln. Neben der Partizipation ist es natürlich auch wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler in WiPo unterrichtet werden und es dafür genügend Lehrkräfte gibt. Es darf nicht sein, dass Schülerinnen und Schüler nach der Klasse 9 oder 10 die Schule verlassen, ohne jemals WiPo-Unterricht gehabt zu haben. Dabei geht es zum einen darum, den Aufbau unseres demokratischen Systems zu kennen, aber noch viel wichtiger ist es, sich mit politischen Themen und den Spielregeln unserer Demokratie auseinanderzusetzen. Deshalb unterstützen wir, dass WiPo an Gemeinschaftsschulen in Zukunft den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern zugeordnet wird und verbindlicher stattfinden soll.