Protokoll der Sitzung vom 11.12.2019

Darum setzen wir mit unserem Antrag auch nicht ausschließlich auf die Oberstufe. Wir sind der Meinung, dass Wirtschaft und Politik in den Kontingentstundentafeln der Sekundarstufe I an Gymnasien und an Gemeinschaftsschulen mit einem verpflichtenden Mindestkontingent von sechs Jahreswochenstunden unterrichtet werden sollte. Es darf nicht dem Zufall überlassen werden, ob unsere Schülerinnen und Schüler, wenn sie nach der 10. Klasse die Schule verlassen, in WiPo unterrichtet worden sind.

Wir haben in Schleswig-Holstein bei Kommunalund Landtagswahlen das Wahlrecht ab 16. Daraus ergibt sich aus unserer Sicht auch eine Pflicht für das Land, denn Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, all diese großen Themen lehren sich nicht von allein oder mal eben so nebenher. Dafür braucht es strukturierten Unterricht, die Möglichkeit zur Diskussion und Nachfrage.

Auch für die Sekundarstufe II haben wir in unserem Antrag keine unerreichbaren Forderungen gestellt, sondern einfach nur, dass WiPo im bisherigen Umfang weiter unterrichtet wird, und das bitte trotz des kreativen Wordings des Ministeriums, das nur noch von Differenzierungsmöglichkeiten, Querschnittsthemen und Flexibilität spricht.

Ich muss auch zugeben, ich störe mich an der Argumentation der sogenannten Querschnittsaufgabe. Ich finde sie unehrlich. Wie viele Querschnittsaufgaben sollen unsere Schulen denn noch erfüllen? Politik schafft so gewitzt eine Arbeitsverdichtung unserer Lehrkräfte, ohne dass sich diese im Stundenkontingent niederschlägt. Sie können aber nicht einfach Fächer schwächen und auf Kritik antwor

ten: Das findet ja sowieso überall ein bisschen statt. Dann können Sie auch den Deutschunterricht kürzen, weil deutschsprachige Kompetenzen in den meisten anderen Fächern vermittelt werden. Uns geht es hier um ein eigenständiges Fach.

Und von diesen eigenständigen Fächern wird leider ausgerechnet WiPo geschwächt. Religion beziehungsweise Philosophie werden gestärkt, denn diese Fächer sollen ab der 11. Klasse durchgehend unterrichtet und somit ausgeweitet werden, wobei es bei diesen Fächern ja noch einmal andere Probleme gibt, wenn wir uns die tatsächliche Durchführung des Philosophieunterrichts anschauen. Aber gegensätzlich dazu steht eben die Situation für den WiPoUnterricht, der nur zulasten der anderen gesellschaftspolitischen Fächer gewählt werden kann. Eine Entscheidung für WiPo ist also immer auch eine Entscheidung gegen ein anderes Fach, und das wird sich einfach bemerkbar machen.

WiPo-Unterricht ist immer noch der Grundpfeiler der politischen Bildung an unseren Schulen. Damit ist er ausschlaggebend für demokratische Teilhabe. Politische Bildung ist und bleibt demokratische Bildung.

Vielen Dank, dass Sie mir trotz meiner Heiserkeit zugehört haben.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Tobias von der Heide.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Vertreter der Landesschülervertretungen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politische Bildung ist wichtiger denn je. Die Shell Jugendstudie 2019, die 12- bis 25-Jährige befragt hat, zeigt Ergebnisse, die uns besorgt machen sollten. Im Schatten von einigen Engagierten, zum Beispiel bei Fridays for Future oder vielleicht bei der Jungen Union oder der Grünen Jugend

(Zuruf SPD)

- ja, vielleicht sogar bei den Jusos,

(Anita Klahn [FDP]: Julis!)

- ja, jetzt ist es gut -, ist die Haupterkenntnis der Studie: Es wächst eine Gruppe heran, die sich von Politik missverstanden, ignoriert und sogar manipuliert fühlt und die in Teilen Denk- und Verhaltens

(Jette Waldinger-Thiering)

muster von Populisten übernommen hat, so die Autoren dieser Studie. Und das ist das Entscheidende. Wir haben also tatsächlich eine negative Entwicklung bei dem Thema, wie man mit Politik umgeht, wie Jugendliche das sehen.

Kürzlich ist durch das Demokratiezentrum unseres Landes eine Regionalanalyse zu Rechtsextremismus vorgestellt worden. 2.800 Schüler aus den siebten und neunten Klassen sind in Schleswig-Holstein befragt worden.

„Wie in der Natur sollte sich auch in der Gesellschaft immer der Stärkere durchsetzen.“

Diese Aussage teilen 24,1 % der befragten Jugendlichen.

„Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die das deutsche Volk insgesamt verkörpert.“

Diese Aussage teilen 33,5 % der befragten Jugendlichen.

„Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann sehen.“

Dem stimmen erschreckenderweise 19,1 % der befragten Jugendlichen zu.

Ich glaube, diese Erkenntnisse sollten uns Sorgen machen. Sie machen noch einmal klar, dass wir in Sachen politische Bildung noch einiges zu tun haben. Ich freue mich deshalb sehr, dass wir hier diese Debatte führen. Wir haben noch Luft nach oben.

(Beifall CDU, SPD, FDP und SSW)

Das haben auch der Landtag und die Landesregierung erkannt. Nicht ohne Grund haben wir im Jahr 2019 das Jahr der politischen Bildung ausgerufen. Viele Aktionen - die Ministerin hat das eben in ihrem Bericht erläutert - haben wir umgesetzt. Ich will das gar nicht alles noch einmal auflisten. Aber ich glaube, gerade das Thema dialogP hat noch einmal anschaulich gemacht, wie man Politik erlebbar machen kann, weil viele von uns ja auch in den Schulen vor Ort waren, tatsächlich auf Augenhöhe, wie die Ministerin das gesagt hat, mit Jugendlichen dort in Kontakt kommen, damit Politik eben auch anfassbar wird. Ich glaube, das ist der richtige Weg neben dem, wie wir auch über WiPo oder andere Themen streiten, dass man eben viele Projekte schafft, bei denen Politik am Ende erlebbar wird. Das macht den Kern von politischer Bildung aus.

Ich freue mich sehr, dass diese Themen verstetigt werden und wir weiter daran arbeiten, dass es diese Themen auch zukünftig geben wird, und wir uns

hoffentlich dann auch engagieren werden, wenn dialogP fortgesetzt wird, auch außerhalb von Wahlkämpfen, wie ich an dieser Stelle anmerken möchte.

Richtig ist auch, dass wir uns um politische Bildung in der Schule kümmern müssen, auch im Unterricht. Allerdings will ich auch betonen, nicht nur, weil die Landesschülervertretungen hier sind, dass politische Bildung eben nicht nur im Unterricht stattfindet. Wir haben ein hervorragendes System der Schülervertretung, Drittelparität der Schulkonferenzen, wo man sehr früh auch als junger Mensch mit Demokratie in Kontakt kommt und selber erlebt, wie Demokratie funktioniert, wobei man auch selber aktiv teilnehmen kann.

Auch ich - der eine oder andere hat es hier schon häufiger gehört - bin ja über diesen Weg politisiert worden. Liebe Jette, auch damals hatte ich schon gegenüber der Landesregierung das eine oder andere Thema vertreten, das ich ganz anders gesehen habe. Ich glaube, gerade diese Organisation macht es dann auch möglich, bei solchen Themen mitzuwirken. Es war übrigens ein SPD-geführtes Bildungsministerium, das damals in der Oberstufe die Leistungskurse abschaffen wollte. Ich freue mich, dass wir diese jetzt wieder einführen werden. Irgendwann schließt sich also der Kreis wieder.

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

Aber ich will am Ende sagen: Entscheidend ist, dass man sich auch aktiv in das politische Leben einbringt, wenn wir schon solche Strukturen haben.

Trotzdem muss politische Bildung, Frau Raudies, im Unterricht auch seinen festen Platz haben. SPD und SSW fordern sechs Jahreswochenstunden für das Fach WiPo in der Sekundarstufe I. Wir werden über diesen Antrag noch im Bildungsausschuss sprechen. Die Ministerin hat bereits deutlich gemacht, dass sich die Landesregierung wünscht, vier Jahreswochenstunden verpflichtend festzuhalten. Ich finde, das ist ein richtiger Weg, weil es mehr ist als das, was wir vorher hatten. Ich möchte dazu aber noch zwei weitere Punkte festhalten.

Erstens glaube ich, dass politische Bildung eben nicht nur in WiPo stattfindet. Die Anfrage von Jette Waldinger-Thiering hat deutlich gemacht, dass es auch andere Fächer gibt: Geschichte, Religion, Philosophie, Geografie; man kann auch Kunst nehmen, man kann auch Musik nehmen, man kann auch Deutsch nehmen, wo am Ende auch politische Bildung stattfinden kann.

(Tobias von der Heide)

Ich finde auch, dass bestimmte Fragen da besser aufgehoben sind als im Fach WiPo. Ich habe vorhin die Frage aufgeworfen, ob Hitler ein großer Staatsmann ohne die Judenvernichtung gewesen wäre. Das ist am Ende etwas, das natürlich in den Geschichtsunterricht gehört, wo man Themen wie diese auch aufarbeitet und miteinander vergleicht. Ich glaube, auch Klimaschutzpolitik wird sich am Ende viel besser im Geografieunterricht wiederfinden.

Zweitens - auch das sei gesagt - sprechen wir in dieser Plenardebatte auch noch einmal über die Unterrichtsversorgung. Wir haben zwar 100 % erreicht. Aber wir müssen auch ehrlich sein: 100 % reichen noch nicht aus, weil Lehrer krank werden, weil Lehrer an Klassenfahrten teilnehmen und sich bei anderen Themen so engagieren, dass sie nicht immer im Unterricht sein können. Wenn man mehr Stunden haben will, dann muss man sie am Ende eben auch mit Lehrern ausstatten.

Wir haben wirklich über viele Jahre hinweg, auch Sie während Ihrer Regierungszeit, dafür gekämpft, dass wir diese Unterrichtsversorgung erreichen können. Wir müssen aber ehrlich sein: Einfach zwei Stunden zusätzlich zu geben, führt im Ergebnis dazu, dass das bei anderen Fächern weggenommen wird. Das kann keine sinnvolle Lösung sein, wenn man Unterricht stärken will.

(Beifall CDU)

Dann werden wir auch noch einmal über die Oberstufenverordnung reden. Nach meiner Einschätzung ist es nicht so, dass WiPo durch das, was wir jetzt vorschlagen, geschwächt wird. Die Ministerin hat es eben auch noch einmal dargestellt. Es gibt auch das Berufsorientierungsseminar, übrigens Inhalte, die ganz oft, eigentlich fast immer, in Wirtschaft/ Politik stattfinden, für die wir explizit einen eigenen Platz gefunden haben. Man kann insoweit auch anderer Auffassung sein. Aber deshalb wollen wir diesen Antrag auch in den Ausschuss überweisen, um über das Thema noch einmal intensiver diskutieren zu können.

Ich glaube aber, am Ende eint uns das Ziel, auf das wir uns verständigen wollen. Allerdings sind wir uns über den Weg noch nicht ganz sicher. Darüber wollen wir noch sprechen. Eines jedoch ist klar: Politische Bildung muss an den Schulen gestärkt werden.

Danke dafür, dass Sie mir trotz aller Widrigkeiten zugehört haben.

(Beifall CDU und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Martin Habersaat.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich habe mir fest vorgenommen, mit etwas Positivem anzufangen. Auch bei mir sind es die dialogP-Veranstaltungen, die positiv hängengeblieben sind. Ich hoffe, bei möglichst vielen Schulen bleibt diese Methode im Kopf, damit nie wieder Abgeordnete in eine Aula gebracht, auf ein Podium gesetzt und aufeinander losgelassen werden und 200 Schülerinnen und Schüler unbeteiligt davor sitzen und sich fragen, wann es vorbei ist.

(Beifall SPD und SSW)

Ein weiteres Highlight dieses Jahres der politischen Bildung wäre eigentlich fast das Ranking politische Bildung der Universität Bielefeld gewesen. Schleswig-Holstein ist einmal ganz vorne mit dabei, endlich in einem Bildungsranking. Das Bildungsministerium freut sich auf seiner Website heute noch immer darüber: Schleswig-Holsteins Schulen belegen bei der politischen Bildung Spitzenplätze. Jubel! Aber leider zu Unrecht.

Die Autoren der Studie waren davon ausgegangen, dass die Stunden, die für Gesellschaftswissenschaften zur Verfügung stehen, gleichmäßig auf die beteiligten Fächer aufgeteilt werden. Die Anfrage von Jette Waldinger-Thiering hat deutlich zutage gebracht, dass genau das nicht der Fall ist und dass WiPo hinten weit runterfällt. Im Ranking 2019 wird Schleswig-Holstein nun als ein Exempel dafür vorgestellt werden, an dem man das Auseinanderdriften von Anspruch und Wirklichkeit erkennen kann.

Was bleibt nun also vom Jahr der politischen Bildung? - Wir stellen fest, dass viele Veranstaltungen sicherlich auch ohne dieses Label stattgefunden hätten. Zu allererst die gute Arbeit des Landesbeauftragten für politische Bildung und seines Teams.

(Beifall SPD und vereinzelt CDU)