Protokoll der Sitzung vom 11.12.2019

Aber auch andere Informationen habe ich vermisst, vor allem vor dem Hintergrund dessen, was Sie im September 2018 angekündigt haben, als wir hier zum ersten Mal über das Jahr der politischen Bildung gesprochen haben. Im Unterrichtsfach Deutsch als Zweitsprache sollte, so sagten Sie damals, künftig über unsere Regeln gesprochen werden, über Verständnis und Toleranz, über das friedliche Zusammenleben in unserem Land.

(Ministerin Karin Prien: Das haben wir doch gemacht!)

- Sie sagen jetzt, es werde gemacht. Aber in Ihrem Bericht haben Sie dazu nichts gesagt. Was hat sich denn im DaZ-Unterricht seit 2018 konkret geändert? Ich würde mich freuen, wenn Sie im Ausschuss darüber berichten würden.

Sie wollten die Feiern zu 70 Jahre Frieden und Freiheit, 70 Jahre Grundgesetz in unsere Schulen tragen. An eine feierliche Zeremonie oder Vergleichbares konnte sich keiner der von mir dazu befragten Schüler erinnern. Das liegt daran, dass es zwar durchaus Feiern gab, aber leider nur an sehr wenigen Schulen im Land. Schade, dass diese Chance ungenutzt geblieben ist.

Sie hatten weiterhin angekündigt zu überprüfen, wie groß für junge Menschen die Chancen seien, in der Schulzeit positive Grunderfahrungen mit Mitbestimmung und Demokratie zu machen. Wir erinnern uns: Damals gab es für Ihre Ankündigung zu Recht großen Beifall. Mich hätte aber das Ergebnis dieser Bemühungen schon interessiert. Vielleicht vertagen wir das in den Ausschuss.

Gerade Folgendes wiegt vor dem Hintergrund der letzten Umfragen zum Thema Meinungsfreiheit besonders schwer: Zwei Drittel aller Jugendlichen geben an, dass es einen unsichtbaren, unbewussten Zwang gibt, sich nur noch politisch korrekt zu äußern. Auch das besagt die Shell-Studie.

Von SPD und SSW kommt ein Antrag, der mehr Politik im Unterricht fordert. Von der Intention bin ich ganz bei Ihnen. Aber für zustimmungsfähig halte ich Ihren Antrag in der jetzt vorliegenden Form auf keinen Fall. Denn Sie beziehen sich in der Begründung vor allem auf aktuelle Herausforderungen des Rechtspopulismus. So einfach, wie Sie denken, ist die Welt nicht.

Ich frage mich ernsthaft, ob Sie nicht realisieren wollen oder nicht realisieren können, warum politische Bildung wirklich wichtig ist. Bekommen Sie nicht mit, dass nicht nur immer mehr junge Menschen nicken, wenn allen ernsten vorgeschlagen wir, Demokratie und demokratische Prozesse einzuschränken und dass dann der starke Staat gefordert wird? Die Schüler tun dies nicht, weil sie es nicht besser wissen. Viele haben Sorge um die Zukunft.

Abgesehen von der populistischen Begründung sollte im Bildungsausschuss tatsächlich darüber gesprochen werden, wie man den Politikunterricht gerade in der Gemeinschaftsschule zukünftig sichern kann. Dazu hat die Ministerin Prien eben einen Vorschlag gemacht. Dieser bildet eine gute Grundlage.

Bei aller Kritik, die ich über die vertanen Chancen 2019 geäußert habe, möchte ich aber auch mit etwas Positivem schließen. Auch ich lobe die dialogP-Veranstaltungen, die Diskussionen zwischen Schülern und Landespolitikern. Diese haben in der Tat den Nerv der Jugendlichen getroffen. Genau darum geht es: Jungen Menschen authentisch, als Vor

(Dr. Frank Brodehl)

bild, zu vermitteln, was Pluralität, Toleranz und Kompromissfähigkeit heißt, und dass es sich lohnt, sich politisch einzubringen, egal ob es sich um Vereine, Verbände oder Parteien handelt. Das muss das Ziel politischer Bildung bleiben. - Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihren Bericht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beate Raudies [SPD]: Das war anstrengend! - Dr. Frank Brodehl [AfD]: Dann haben Sie mir nicht folgen konnten!)

Zu einem Kurzbeitrag hat sich der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Ralf Stegner, gemeldet.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eine Anmerkung zur Debatte. Zur politischen Bildung gehört auch, wie wir im Parlament feststellen, dass das Recht auf Meinungsfreiheit auch darin besteht, dass man hier im Landtag großen Unsinn reden kann - wie mein Vorredner, der gerade am Mikrofon gewesen ist.

Den Jugendlichen will ich gern sagen: Wir freuen uns darüber, wenn sich Menschen bei Fridays for Future für den Klimaschutz engagieren. Die müssen sich nicht vor den Vertretern der rechtsradikalen Parteien sagen lassen, sie seien radikalisiert. Das will ich ganz deutlich sagen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt CDU, FDP und SSW)

Politische Bildung heißt, dass man sich um die Belange des Gemeinwesens kümmert, dass man sich mit Demokratiefeinden auseinandersetzt, von denen es leider zu viele gibt.

Ich wollte noch ein Wort an Sie richten, Herr Kollege Koch, weil ich nach der moderaten Rede des Kollegen Habersaat eigentlich erwartet hatte, dass Sie heute ans Mikrofon gehen und sich bei dem Kollegen entschuldigen beziehungsweise das zurücknehmen, was Sie heute gesagt haben. Das wäre meine Erwartung an Sie gewesen.

Es geht nämlich nicht um einen Streit über eine historische Auslegung und darum, was mit der Großen Koalition war oder nicht. Im Kern geht es um eine Sachfrage. Sie haben es der Sozialdemokratie zum Vorwurf gemacht, dass sie sich für den Bestand dieser Republik eingesetzt hat - übrigens auch, als über das Ermächtigungsgesetz abgestimmt worden ist. Unsere Leute sind in den Knast gegangen, wurden umgebracht, weil sie sich für diese Republik einge

setzt haben. Da muss man sich von Ihnen nicht beschimpfen lassen. Ich will es Ihnen ganz deutlich sagen.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Sie haben das in einen bestimmten Zusammenhang gebracht. Das ist unanständig und nicht in Ordnung. Wir müssen über die Sache miteinander streiten. Aber wenn man einen Fehler gemacht hat, muss man auch die Größe haben, hinzugehen und etwas zurückzunehmen, Herr Kollege.

(Beifall SPD)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag hat sich der Fraktionsvorsitzende der CDU, Tobias Koch, gemeldet.

Frau Präsidentin! Ich trete gern ans Rednerpult. Herr Dr. Stegner, Sie haben das gleiche angeführt wie neulich in der Presse. Ich habe mich allerdings nicht zum Ermächtigungsgesetz geäußert, mit keinem einzigen Wort. Ich werde die Leistung der Sozialdemokraten, dass sie dagegen gestimmt haben, immer honorieren. Es war ein grandioses Versagen aller anderen Parteien, diesem Ermächtigungsgesetz jemals zugestimmt zu haben. Ich habe nie einen Vorwurf an die Sozialdemokratie erhoben.

Ebenso habe ich mich nicht entsprechend zur Dolchstoßlegende geäußert. Vor einem Jahr haben wir über den Matrosenaufstand in Kiel diskutiert. Ich habe schon damals unter dem Applaus aller Parteien in diesem Haus die Dolchstoßlegende als die Fake News der Weimarer Republik bezeichnet. Sie unterstellen mir, ich verbreitete eine Dolchstoßlegende. Wenn wir über die Klarstellung historischer Wahrheiten sprechen, dann - finde ich - sollte jeder zunächst bei sich selbst anfangen.

(Beifall CDU)

Der Kollege Habersaat hat vorhin davon gesprochen, das Zentrum sei der Vorläufer der heutigen CDU gewesen. Er hat damit die CDU mit in Haftung genommen für die damaligen Entscheidungen.

(Unruhe)

Die CDU hat keine Vorläuferparteien. Wir sind auch nicht die Rechtsnachfolger von irgendjemandem.

(Dr. Frank Brodehl)

(Martin Habersaat [SPD]: Sie sind aus dem Nichts entstanden!)

Die CDU wurde nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegründet. Insoweit tragen wir keinerlei Verantwortung für das, was andere Parteien in der Weimarer Republik entschieden haben.

Ich habe darauf hingewiesen - daran würde ich auch immer festhalten -, dass es neben der historischen Leistung, dem Ermächtigungsgesetz nicht zuzustimmen, trotzdem eine gewisse Mitverantwortung gibt. Zweimal wurde der Reichskanzler Müller gestürzt. Man hat sich der Bildung einer Großen Koalition in der Weimarer Republik als stärkste Partei mehrfach verweigert und ist lieber in die Opposition gegangen. Ich habe das vor einem Jahr an dieser Stelle schon einmal gesagt. Sie, Herr Dr. Stegner, haben damals dazwischengerufen, die SPD wollte sich in der Opposition erneuern. Das erinnert mich sehr an das, was die SPD im Augenblick auch diskutiert, nämlich ob es nicht sinnvoller ist, sich in der Opposition zu erneuen.

Auch das muss immer kritisch hinterfragt werden: Ist das die richtige Entscheidung, sich in der Opposition zu erneuen? Wäre es nicht sinnvoller, Verantwortung zu übernehmen und Verantwortung zu tragen? In der Weimarer Republik hat sich die SPD anders entschieden. Ich glaube, es hätte zur Stabilität der Weimarer Republik beigetragen. Das ist durchaus eine fundierte diskutierte wissenschaftliche Auffassung. Die habe ich geäußert. Daran gibt es auch nichts zurückzunehmen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stegner?

Immer gern.

Herr Kollege Koch, ich gehöre nicht zu denjenigen, die jetzt dafür sind, aus Regierungsverantwortung zu flüchten. Ich möchte ausdrücklich Frau Merkel in Schutz nehmen vor Vergleichen mit Parteien, die von Brüning geführt wurden und vor Koalitionen, in denen Papen, Schleicher und solche Leute eine Rolle gespielt haben. Das waren nämlich die handelnden Akteure.

Sie haben nicht vom Ermächtigungsgesetz gesprochen, das stimmt. Sie haben aber die SPD für das Scheitern der Weimarer Repub

lik mitverantwortlich gemacht. Das muss sich eine Partei, die sich länger als jede andere Partei für diese Demokratie eingesetzt hat, nicht sagen lassen. Darauf und auf nichts anderes bezog sich mein Punkt.

(Beifall SPD)

- Wir sind dann doch bei einer historischen Auslegungsdebatte. Mein Punkt bezog sich darauf, dass man eben nicht nur auf das Ende schauen darf, sondern auch auf die Jahre davor. Wir können es durchaus historisch ausdiskutieren, wie man sich als Partei in den 20er-Jahren und Anfang der 30er-Jahre verhalten hat.

(Lachen Beate Raudies [SPD])

Das alleinige Scheitern würde ich der SPD nie unterstellen. So weit bin ich auch nicht gegangen. Es gab viele Ursachen für das Scheitern der Weimarer Republik. Dass man aber nicht nur auf das Ende schaut, sondern auch auf die Handlungen der SPD im Vorfeld, gehört dazu. Da kann man dann mit ein bisschen Selbstkritik sagen: Damals war die Entscheidung, in die Opposition zu gehen und die Regierung anderen zu überlassen, falsch. Darauf habe ich hingewiesen, nicht mehr und nicht weniger.

Erlauben Sie eine zweite Zwischenfrage?

Ich will es jetzt nicht zu lange machen. Weil wir aber über politische Bildung reden, möchte ich gern etwas zum Anfang sagen: Es ist die Sozialdemokratie gewesen, die gemeinsam mit anderen dafür gesorgt hat, dass es die Weimarer Republik gegeben hat. Es sind andere Kräfte gewesen, die es zum Beispiel mit Kapp und anderen unternommen haben, die Demokratie schon zu Beginn der Weimarer Republik infrage zu stellen. Auch da standen die Sozialdemokraten auf der Seite der Demokratie. Das Zentrum ist nicht Ihr einziger Vorläufer, sondern es gilt auch für andere konservative Parteien. Es ist nicht Ihr Rechtsnachfolger.

- Es gibt gar keine Vorläufer!

- Natürlich gibt es historische Vorläufer. Dazu bekennen sich auch andere.

(Tobias Koch)