Protokoll der Sitzung vom 21.09.2017

Im Pflegedienst der Krankenhäuser wurden in den Jahren 1996 bis 2007 bundesweit Zehntausende Stellen abgebaut. Gleichzeitig nahm der Anteil pflegeintensiver Patienten zu. Leistungszuwachs auf der einen und Stellenabbau auf der anderen Seite passen irgendwie nicht gut zusammen, erst recht nicht, wenn es um die Versorgung von alten und kranken Menschen geht.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Das Ergebnis ist bekannt: chronische Arbeitsüberlastung, Stress, Krankheit, Frust über das Nicht-Einhalten-Können fachlicher Vorgaben und der ewige

(Minister Hans-Joachim Grote)

Zeitmangel für die menschenzugewandte Pflege. Viele Fachkräfte reduzieren ihre Arbeitszeit. Sie wechseln in andere Bereiche, gehen in ein anderes Land oder verlassen sogar den Beruf - viel zu oft und viel zu früh.

Einer Umfrage der BKK zufolge hatten 38,5 % der befragten Altenpflegerinnen und Altenpfleger Zweifel oder hielten es gar für unwahrscheinlich, ihre Arbeit auch in den nächsten zwei Jahren ausüben zu können. In der Krankenpflege war sich jeder vierte Befragte nicht mehr sicher.

Hinzu kommt ein Bedarf in nächster Zeit von circa 10.000 zusätzlichen Pflegekräften für die Versorgung einer immer älter werdenden Gesellschaft allein in Schleswig-Holstein.

Im UKSH sind zurzeit 150 Vollzeitstellen nicht besetzt. In anderen Klinken sieht es nicht besser aus. Stationen werden geschlossen, Operationen werden verschoben, und die Menschen werden zum Teil nicht versorgt.

Die Pflege rennt wie in einem Hamsterrad, und wenn wir es nicht stoppen, droht der pflegerischen Versorgung in diesem Land und in ganz Deutschland ein Kollaps. Deshalb müssen wir jetzt endlich handeln: weg von mehr oder weniger verständnisvollen Grußworten hin zum politischen Handeln.

(Beifall SPD und SSW)

So begrüßenswert Betriebs-Kitas, Gesundheitsförderprogramme, Zusatzleistungen und mehr Gehalt auch sind, sie verdienen alle mehr, als sie bekommen. Aber eine wirkliche Wertschätzung erfahren Pflegekräfte nur dann, wenn Sie ihren Beruf entsprechend ihrer Berufsethik und Ausbildung ausüben können.

Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht nur mit mehr Personal!

(Beifall SPD, SSW und Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Da Pflege unter einem enormen wirtschaftlichen Druck steht, brauchen wir gesetzliche Vorgaben. Anders scheint es nicht zu gehen. Die vereinbarte Mindestbesetzung in einigen Klinikbereichen reicht nicht aus, weil sie keine Rücksicht auf die wirklichen Bedarfe nimmt. Bedauerlicherweise war mit der CDU auf Bundesebene aber nicht mehr zu machen.

Wir brauchen dringend eine verbindliche Personalbemessung, einen Schlüssel, der den individuellen Anforderungen der jeweiligen Krankheitsbilder fachlich gerecht wird.

Natürlich kenne ich die Argumente der ablehnenden Gruppe: Wer soll das bezahlen? Der Markt ist doch sowieso schon leergefegt! - Andersherum wird ein Schuh draus: Wenn die Rahmenbedingungen wieder stimmen, wenn ein Dienstplan wieder verlässlich und genügend Personal in den Schichten vorhanden ist, sodass die beruflichen Ansprüchen sowie die Würde und die Sicherheit der Patienten und Bewohner gewährleistet werden können, dann kommen und bleiben die Pflegekräfte auch wieder in diesem eigentlich wunderbaren Beruf.

(Beifall SPD und Dr. Marret Bohn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Nun stellt sich die Frage, wie wir die Versorgung unserer Älteren und Kranken - vor allem der Älteren, die unser Land wieder aufgebaut haben - kostentechnisch gewährleisten können, und das in einem der reichsten Länder der Welt. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das so bleibt.

(Beifall SPD, SSW und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Augenscheinlich herrscht große Einigkeit beim Thema Pflege. Ein Alternativantrag der Koalition liegt uns vor, der inhaltlich allerdings keine Alternative darstellt; es werden lediglich andere Wörter verwendet. Aber Achtung: Hier unterschreiben CDU und FDP etwas, das sie bislang konsequent abgelehnt haben und das auch nicht Teil ihres Wahlprogramms ist.

Es ist nicht wichtig, was wir heute sagen, sondern wichtig ist, was wir bereit sind, ab Montagmorgen zu tun. Daran können Sie uns messen.

(Beifall SPD und SSW)

Oder um es mit den klaren Worten von Martin Schulz zu sagen: Mehr Personal, bessere Bezahlung, mehr Pflegestellen, so geht das mit der SPD. Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Katja Rathje-Hoffmann das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, der Fachkräftemangel in der Pflege ist offenkundig, auch Kandidat Schulz hat das für sich entdeckt. Er ist froh, dass auf den letzten Wahlkampfmetern

(Birte Pauls)

das Thema Pflege thematisiert wird. Herzlichen Glückwunsch, das ist ja sensationell. Er fordert einen Neustart in der Pflege - so gesagt in der Wahlkampfarena.

Der Fachkräftemangel ist offenkundig. Nun erwartet die Landes-SPD von der Jamaika-Koalition, sich für eine bundesweit einheitliche, verbindliche Personalbemessung in allen Bereichen der Krankenund Altenpflege einzusetzen. In den hinter uns liegenden fünf Jahren einer SPD-geführten Landesregierung war es anscheinend nicht möglich, so etwas als SPD vom Bund zu fordern.

(Zurufe CDU: Hört! Hört!)

Anscheinend sind die Personalprobleme in der Pflege wohl eher nicht so aufgefallen, uns als Union schon. Es gibt kaum ein Pflegeheim oder ein Krankenhaus, das keine offenen Stellen in diesem Bereich hat. Der Personalmangel ist ein schwerwiegendes Problem. Es hilft nicht, das Problem zu beklagen; vielmehr müssen gezielte Maßnahmen ergriffen werden.

(Beifall CDU)

Frau Abgeordnete Rathje-Hoffmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Pauls?

Ich weiß, dass das Lesen von Protokollen manches Mal ein bisschen schwierig und müßig ist.

- Was soll das denn heißen?

Aber sollten Sie die Protokolle der letzten Legislaturperiode noch einmal lesen ich weiß nicht mehr genau das Jahr, ich glaube, es war 2013 -, dann werden Sie eine Bundesratsinitiative der Küstenkoalition finden, in der wir genau das gefordert haben, aber das ist an der CDU auf Bundesebene gescheitert. Genau deshalb haben wir jetzt diese Mindeststandards in drei Klinikbereichen.

- Sie hätten Ihren Einfluss im Bundestag geltend machen können. Wir reden hier vom Bundestag: Da gibt es Abgeordnete von der SPD, die eine Koalition mit der CDU eingegangen sind. Da hätten Sie doch etwas tun können, Frau Pauls. Das ist jetzt ein bisschen billig.

(Beifall CDU und FDP)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Nein, jetzt habe ich keine Lust mehr, Frau Pauls.

(Widerspruch SPD)

- Nein, wirklich nicht. Sie beschimpfen mich hier, und dann soll ich auch noch eine Zwischenfrage von Ihnen zulassen? Das ist mir zu blöd. - Entschuldigung, „blöd“ ist nicht parlamentarisch, ich nehme das zurück.

Der Personalmangel ist ein schwerwiegendes Problem. Es hilft nicht, ihn zu beklagen, sondern es müssen gezielte Maßnahmen erfolgen, und das geschieht auch. Jetzt hören Sie genau zu: Diese Maßnahmen werden auf der Bundesebene Schritt für Schritt mit den Pflegestärkungsgesetzen I bis III auf den Weg gebracht.

Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz zum Beispiel wurde in der nun zu Ende gehenden Wahlperiode des Deutschen Bundestages ein PflegestellenFörderprogramm mit einem Volumen von 660 Millionen € für die Jahre 2016 bis 2018 auf den Weg gebracht. Hiermit soll die Pflege am Krankenbett gestärkt werden. Zudem gibt es einen Pflegezuschlag, Frau Pauls, von jährlich 500 Millionen € für dauerhaft mehr Pflegepersonal. Es werden neue Pflegedokumentationen auf den Weg gebracht, um zu entbürokratisieren, um mehr Zeit für den Patienten oder die Patientin zu haben. Außerdem soll die Pflege in sensiblen Bereichen der Krankenhäuser mit Personaluntergrenzen gezielt gestärkt werden.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung unter Beteiligung der privaten Krankenversicherung werden damit beauftragt, Personaluntergrenzen in sogenannten pflegesensitiven Bereichen verbindlich festzulegen; damit sind Intensivstationen und Nachtdienste gemeint. Konkrete Regelungen, die auf Empfehlung dieser Vertragsparteien zurückgehen, sollen bis zum 30. Juni 2018 festgelegt werden, andernfalls wird das Ministerium die Personaluntergrenzen selbst festlegen. Die Umsetzung wird zum 1. Januar 2019 wirksam werden. Hält ein Krankenhaus diese Personaluntergrenzen nicht ein, folgen Sanktionen.

Wie sich Personaluntergrenzen in der Pflege praktisch auswirken, soll bis Ende 2022 wissenschaftlich überprüft werden. Zur finanziellen Absicherung der Reformen sollen zum 1. Juni 2019 die Mittel aus dem Pflegestellen-Förderprogramm in

(Katja Rathje-Hoffmann)

den Pflegezuschlag einbezogen werden. Diese Untergrenzen sind erforderlich, weil einige Kliniken in der Vergangenheit sehr gespart haben. Diese Untergrenzen werden dann auch kontrolliert.

Zudem werden am 1. Januar 2019 die Mittel eines Pflegestärkungsförderprogramms in einen Pflegezuschlag überführt. Damit sollen die Krankenhäuser mit 830 Millionen € pro Jahr unterstützt werden, dauerhaft mehr Personal zu beschäftigen. Das sind, nebenbei bemerkt, immerhin 330 Millionen € mehr als bisher. Von Klinik zu Klinik können individuelle Zuschläge vereinbart werden, wenn durch die Einführung der Personaluntergrenzen mehr Kosten entstehen sollten, die nicht anderweitig finanziert werden. Das alles sorgt für eine bessere Pflege durch mehr Personal.

Die Pflegepersonaluntergrenzen stärken die Patientensicherheit und verbessern die Arbeitsbedingungen in der Pflege. Kurz-, mittel- und langfristig müssen wir jedoch zuallererst eines anpacken: den nachhaltigen Personalaufbau in allen Bereichen der Pflege. Jamaika will den Pflegeberuf attraktiver machen durch mehr Anerkennung und mehr Wertschätzung und durch mehr Angebote zum psychischen und physischen Belastungsabbau. Wir brauchen mehr Menschen, die sich heute und auch in Zukunft bewusst für diesen Beruf entscheiden. Außerdem müssen wir uns für bessere Rahmenbedingungen starkmachen, damit die Pflegekräfte langfristig in ihrem Beruf arbeiten. Wir sorgen auch für eine Weiterentwicklung der Pflegeberufe durch eine gemeinsame Grundausbildung mit einer neu geregelten kostenlosen Ausbildungsfinanzierung für die Auszubildenden sowie für mehr Ausbildungsplätze.