Protokoll der Sitzung vom 17.04.2020

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass wir heute diese Parlamentssitzung durchführen. Ich bin aber nicht ganz so sicher, ob ich mich genauso auf alle Beteiligten gefreut habe wie der Kollege Koch.

(Peer Knöfler [CDU]: Hallo! - Weitere Zuru- fe und Heiterkeit)

- Das war ja fast ein Gefühlsausbruch.

(Heiterkeit)

- Beruhigen Sie sich! - Ich finde es richtig, dass wir an diesem Tag öffentlich darüber debattieren, wie es in den nächsten Wochen und Monaten im Land weitergehen kann und welche Auswirkungen das auf alle Menschen, die in unserem Land leben, hat.

Unsere liberale Demokratie ist auch in einer solchen Jahrhundertkrise keine Schwäche der Gesellschaft, sondern ein großes Glück. Ich sehe das auch so, Frau von Kalben: Das gilt auch für den Föderalismus. Deshalb ist es heute auch ein gutes Signal an alle Menschen in unserem Land, dass wir uns hier im Parlament darüber austauschen, was richtig ist und was im Zweifel nicht richtig ist. Ich glaube, das ist in einer Demokratie sehr wichtig.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke dem Ministerpräsidenten für seine Regierungserklärung. Die Landesregierung macht in dieser tiefgreifenden Krise einen wirklich guten Job. Respekt und Anerkennung, lieber Daniel Günther, für die Arbeit des gesamten Teams. Seit Wochen müssen sehr viele und weitreichende Entscheidungen in kürzester Zeit getroffen und kommuniziert werden. Das ist wahrlich kein Spaziergang. Deshalb gilt mein Dank auch insbesondere - gestatten Sie es mir, auch wenn das mein Parteichef ist - dem Gesundheitsminister, lieber Heiner Garg, natürlich auch Matthias Badenhop als Staatssekretär und dem gesamten Team, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

(Beifall im ganzen Haus und auf der Regie- rungsbank)

Ich möchte an der Stelle natürlich auch die nachgeordneten Behörden einschließen, zum Beispiel auch die Investitionsbank, wo viele Überstunden geleistet werden, damit die Menschen schnellstmöglich die Hilfe bekommen, die sie dringend brauchen. Mein Dank geht natürlich auch an alle Landtagsabgeordnete, an die Kolleginnen und Kollegen. Das ist kein Normalzustand, in dem wir gerade arbeiten. Das verlangt vielen sehr viel ab. Herr Dr. Stegner und Lars Harms, das sage ich gerade mit Blick auf die Opposition. Es ist wichtig, dass wir uns miteinander austauschen.

Ich danke auch den Menschen in der kritischen Infrastruktur - das ist besonders wichtig -, die in dieser Situation einen sehr guten Job machen, und auch den vielen Menschen, die trotz der Einschränkungen im Ehrenamt weiter aktiv sind; sie sind ganz wichtig für das Funktionieren dieser Gesellschaft. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die bisherigen Maßnahmen in Schleswig-Holstein waren drastisch. Aber sie waren eben auch erfolgreich. Katastrophale Zustände, wie wir sie zum Teil in anderen Teilen Europas, aber auch in den USA, beobachten konnten, konnten hier bisher vermieden werden. Das war vor einigen Wochen alles andere als selbstverständlich - mit dem Blick auf einige Gebiete in Deutschland, wo sehr viele Fälle in kürzester Zeit aufgetreten waren, noch viel mehr.

Das liegt an dem entschlossenen Krisenmanagement, aber vor allem auch an der großen Disziplin der Bürgerinnen und Bürger, die die kurzfristig beschlossenen Maßnahmen nachvollziehen konnten, sie akzeptiert und sehr flexibel darauf reagiert ha

(Eka von Kalben)

ben. Sie haben sich in ihrem täglichen Leben umgestellt.

Man ist ja manchmal erstaunt, dass markige Auftritte auch einiges vergessen lassen. Ich möchte das gar nicht gegeneinander aufrechnen. Aber wir waren in Schleswig-Holstein, im Tourismusland, auch sehr schnell mit Einschränkungen und dann auch mit kompletten Schließungen in der Gastronomie dabei - das ist ein sehr schmerzhafter Eingriff in Schleswig-Holstein gewesen -, während in anderen Bundesländern - ich will da gar keins namentlich nennen

(Zuruf SPD: Bayern! - Beate Raudies [SPD]: Die Biergärten!)

- noch die Biergärten offen waren. Ich muss ganz ehrlich sagen, man sollte sich manchmal mit markigen Sprüchen eher zurückhalten.

(Vereinzelter Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

- Mir war klar, dass das auf der einen Seite des Hauses besser ankommt als auf der anderen. Aber das musste mal sein.

Wir lernen beim Umgang mit diesem tückischen Virus jeden Tag dazu, aber es gibt noch viele, zu viele, Ungewissheiten, die das Management in dieser Krise erheblich erschweren. Vor allem wissen wir nicht, wann es einen Impfstoff geben wird. Auch dazu gibt es verschiedenste Vorhersagen. Ich glaube, ehrlich gesagt, dazu kann man keine Vorhersage machen. Das ist weltweit ein enormer Forschungsaufwand. Ich hoffe, dass das schnellstmöglich gelingen wird. Auch was die Übertragung des Virus zwischen Mensch und Mensch angeht, was die Immunität angeht bei denjenigen, die COVID-19 bereits hatten, gibt es verschiedene Aussagen.

Es wird viel über die sogenannte Heinsberg-Studie diskutiert, darüber, ob das in einem besonders betroffenen Gebiet alles so sinnvoll und nachvollziehbar sei. Grundsätzlich finde ich es richtig, dass man auch Studien in der Fläche durchführt. Ich glaube, man muss in verschiedensten Regionen in Deutschland Studien durchführen, um mehr über dieses Virus zu lernen.

Meine Damen und Herren, wir werden deshalb beim Management mit diesem Virus ein Stück weit auf Sicht fahren und uns immer wieder in der Strategie anpassen müssen. Wir werden unsere Lebensweise nicht nur für einige Wochen, sondern mindestens über Monate stark verändern müssen.

Ich halte auch wenig davon, jetzt von einer neuen Normalität zu sprechen. Denn an nichts, was wir derzeit erleben, wollen wir uns gewöhnen. Das Ziel muss immer sein, zur eigentlichen Normalität zurückzukehren. Es gibt nur ganz, ganz wenige positive Begleiterscheinungen, aber das meiste ist doch negativ. Deshalb müssen wir daran arbeiten, dass wir schnellstmöglich zum Normalzustand zurückkommen können, aber mit verantwortlichen Maßnahmen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Man darf sich nichts vormachen: Die Wiedereröffnung des öffentlichen Lebens wird schwieriger werden als der Knock-down am Anfang der Krise. Die Akzeptanz des weiteren Krisenmanagements wird mit Sicherheit in erster Linie davon abhängen, ob die Menschen die einzelnen Maßnahmen nachvollziehen können. Dafür braucht es klare Kriterien und entsprechende Perspektiven für die Menschen.

(Beifall Lars Harms [SSW])

Das Orientieren an der Reproduktionszahl, also an der Ansteckungsrate, dass man sagt, Ziel ist, unter 1,0 zu bleiben, ergibt Sinn. Man darf die Erfolge jetzt nicht kaputtmachen, muss Schritt für Schritt verantwortbar handeln. Die Weiterentwicklung der Maßnahmenpakete muss verantwortbar, verhältnismäßig, logisch sein und klar kommuniziert werden. Das ist natürlich schwierig. Wir sehen, dass allein die Kommunikation eine große Herausforderung ist, wie wir heute auch an einigen Überschriften in den Zeitungen erkennen konnten. Dort wurde in der Tat nicht das wiedergegeben, was aus meiner Sicht der Kern der gestrigen Beschlüsse war, sondern da wurde schlichtweg ein falscher Eindruck erzeugt. Ich glaube, dafür haben alle Verantwortung, auch die Medien.

(Vereinzelter Beifall FDP und CDU)

Wir merken, es gibt eine gesellschaftliche Debatte. Das ist wichtig und notwendig. Es gibt jetzt aber auch viele Menschen, die sagen: Uns geht alles viel zu langsam, was ihr da macht! Es gibt auch viele Menschen, die sagen: Ich verstehe gar nicht, dass ihr jetzt schon wieder Maßnahmen zurücknehmt! Das ist natürlich an der Stelle eine gesellschaftliche Polarisierung, mit der man sehr vorsichtig umgehen muss.

Wir müssen in Schleswig-Holstein, wie überall, auf die Experten hören.

Wir merken an einem solchen Fall, bei einem Virus, das kaum erforscht ist, dass die Einschätzungen der Experten auseinandergehen. Auch die Experten

(Christopher Vogt)

passen ihre Meinungen an, lernen immer weiter dazu. Deshalb müssen wir den Austausch mit der Wissenschaft führen, und zwar auf allen Ebenen, wo das möglich und sinnvoll ist, aber entscheiden müssen natürlich wir als Verantwortliche in der Politik. Das wird so bleiben, und das muss man auch immer wieder deutlich machen: Wir tun das immer nach dem Kenntnisstand, den wir aktuell haben.

Meine Damen und Herren, es muss meines Erachtens um die Reduzierung von Kontakten gehen und weniger um das Thema, die Bewegungsfreiheit einzuschränken. Abstand halten und auf Hygiene achten ist extrem wichtig. Wir brauchen noch mehr Tests, möglichst zielgerichtet, mehr Kapazitäten in den Gesundheitsämtern und Krankenhäusern und vor allem ausreichend Schutzbekleidung für das Personal in Medizin und Pflege.

Die Sinnhaftigkeit des Maskentragens - also MundNasen-Schutz, Heiner Garg; ich sehe den Blick schon -, wird in der Öffentlichkeit auch unter Experten teilweise kontrovers diskutiert. Wenn ein Mund-Nasen-Schutz verfügbar ist, wenn es das Gegenüber zumindest ein bisschen stärker schützt, dann ist das etwas, was wir machen sollten, wo es möglich ist. Das ist ein wichtiger Punkt.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lasse Petersdotter [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

In unserem Staat bedarf die Aufrechterhaltung von Grundrechtseingriffen stets der Rechtfertigung und nicht deren Aufhebung. Als Liberaler kann uns jeder abnehmen, dass für uns die Einschränkung der Freiheitsrechte natürlich ein großes Thema und auch extrem schmerzhaft ist. Deshalb werden wir auch nur das tun, was wir für notwendig halten.

(Beifall FDP)

Wir können uns mit Blick auf die verfügbaren Kapazitäten und die Entwicklung der Reproduktionsund Ansteckungsrate auf aktuell 0,7 zum Glück erlauben, das öffentliche Leben in Deutschland behutsam Schritt für Schritt wieder zu öffnen. Dabei kann es natürlich Rückschläge geben. Deshalb ist auch die zunehmende öffentliche Diskussion über das Pro und Kontra von Maßnahmen richtig und notwendig. Die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger steht im Vordergrund. Wir müssen natürlich Zustände wie in anderen Ländern verhindern. Wir befinden uns da auch schon auf einem guten Weg, wir sind allerdings noch lange nicht über den Berg.

Herr Stegner hat das Thema Gesundheitssystem angesprochen. Bei allen Problemen, die wir haben,

auch bei allem Reformbedarf, beispielsweise bei der Krankenhausfinanzierung, bei der Bezahlung von Pflegekräften und so weiter, müssen wir an der Stelle doch auch feststellen: Wir haben ein Gesundheitssystem, um das uns die allermeisten Menschen in dieser Welt beneiden - bei allem Reformbedarf, den es gibt. Ich kenne Großbritannien ganz gut. Wenn man sich das Gesundheitssystem da anschaut, stellt man fest, das ist kein Modell, an dem ich mich orientieren möchte. Das ist in Teilen wirklich katastrophal für ein so starkes Industrieland.

(Beifall FDP, CDU, vereinzelt SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern bleibt tatsächlich das Wichtigste, vor allem ältere und vorerkrankte Menschen zu schützen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Das Thema Heime und auch der Fall in Rümpel wurden schon angesprochen.

Wir müssen aber auch die wirtschaftliche Existenz der Menschen nach Möglichkeit schützen. Gesundheit und Wirtschaft sind ja keine kompletten Gegensätze - wie manchmal so getan wird -, sondern bedingen einander. Wir wollen unbedingt, dass Demokratie, Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft keinen nachhaltigen Schaden nehmen. Wir müssen auch - darüber herrscht auch große Einigkeit - die Spaltung der Gesellschaft verhindern.

Schon jetzt ist klar, und das wird immer deutlicher, dass die Krise die Menschen sehr unterschiedlich trifft. Beispiele wurden schon genannt. Die Kurzarbeit ist ein extrem gutes und wichtiges Instrument in dieser Krise. Aber wir haben schon in der letzten großen Krise gesehen, in der Finanzkrise, dass das in Deutschland unheimlich viel Stabilität gebracht hat. Jetzt wird das in einem noch viel größeren Maßstab ausgeweitet.

Wir sehen aber trotzdem, dass viele Menschen finanzielle Einbußen haben. Bei vielen Familien ist es eng. Wir haben auch viele Menschen, die einsam sind, gerade ältere Menschen. Das ist ein Riesenproblem. Wir haben viele Kinder. Kinder brauchen Kinder, gerade Einzelkinder. Wenn die über Wochen allein zu Hause bleiben, ist das ein Riesenproblem für die Familien.

Wir haben natürlich Unternehmen wie Dräger, auf die wir stolz sein können, auf die Medizintechnik in Schleswig-Holstein insgesamt. Als jemand, der im Lübecker Raum lebt, kenne ich viele Menschen, die bei Dräger arbeiten. Die haben jetzt sehr viel zu tun. Andere sorgen sich, ob sie in einigen Monaten überhaupt wieder in ihre Firma zurückkehren kön

(Christopher Vogt)

nen. Insofern müssen wir sehen, dass die Bevölkerung und die Gesellschaft zusammenbleiben.