Protokoll der Sitzung vom 17.04.2020

Meine Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dieser Dank nicht nur eine Luftbuchung bleibt, sondern sich die Arbeitsbedingungen derer, die jetzt so wichtig sind und endlich in den Blickpunkt genommen werden - in der Pflege, im Handel, im Reinigungsbereich, im Sicherheitsbereich und so weiter -, auch dauerhaft verbessern. Vielen Dank für Ihre Worte dazu, Herr Dr. Stegner. Wir müssen es als Politik im Blick behalten, dass die Menschen nicht nur in der Krise wichtig für uns sind, sondern auf Dauer andere Arbeitsbedingungen brauchen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, viele Menschen engagieren sich und helfen Nachbarinnen und Nachbarn. Das macht Mut. Gleichzeitig ist diese Situation für so viele Menschen sehr belastend. Der Coronafrühling ist eben kein Sommermärchen. Menschen haben Angst. Sie haben Angst, krank zu werden; Angst, ihre wirtschaftliche Existenz zu verlieren; Angst, schulisch oder in der Ausbildung den Abschluss zu verpassen; oder sie haben Angst, mit der verordneten Einsamkeit nicht klarzukommen. Deshalb kann auch dieser wunderschöne Frühling nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir in einer bedrückenden Situation leben.

Wohl dem, der jetzt ein Stück Grün besitzt. Wie schwer ist es für alle diejenigen, die in Wohnungen leben, insbesondere mit kleinen oder auch größeren

Kindern, die einfach einmal ihre Freundinnen und Freunde treffen wollen.

Deshalb haben auch wir sehr intensiv über eine Möglichkeit der Lockerung der Beschränkungen gerade für Kinder gesprochen, über die geschlossenen Kitas und die geschlossenen Spielplätze. Wir haben uns darum für eine Ausweitung der Notbetreuung in Kitas und Grundschulen ausgesprochen, nicht nur für die Eltern, die in sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten, sondern auch für Alleinerziehende, die sich die Betreuung eben nicht mit einem Partner oder einer Partnerin teilen können; auch für die Kinder, die unter Umständen vom Jugendamt in den Blick genommen werden, deren Kindeswohl gefährdet ist, für die eine Betreuung auch in der Kita wieder notwendig wird.

In den nächsten Wochen werden wir auch darüber reden müssen, ob wir noch mehr Möglichkeiten für Kinder schaffen können. Dabei kann es aber immer nur um die Betreuung in festen Gruppen gehen, so wie es jetzt die Tagespflegepersonen mit fünf Kindern je Gruppe machen.

Die Forderung zur Öffnung der Spielplätze ist auf den ersten Blick sehr attraktiv, liebe SPD, aber nur, wenn man das hohe und unkontrollierte Ansteckungsrisiko außer Acht lässt. Das gilt genauso für größere Veranstaltungen. Falls darüber gestern eine Irritation entstanden sein sollte: Wir sind uns völlig einig, dass wir nicht erst eine Tanzparty organisieren können, ehe wir wieder dafür sorgen, dass Kinder wieder vernünftig in die Kita gehen können.

(Beifall Lasse Petersdotter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und vereinzelt CDU)

Meine Damen und Herren, wenn wir uns darin einig sind, dass es immer noch darum geht, besser als manche anderen Länder durch die Krise zu kommen - das sage ich völlig ohne jede Häme und Arroganz, denn ich glaube, dass die Menschen in Spanien und Italien oder in New York genauso kämpfen wie wir hier in Deutschland -, wenn wir die Vorbereitungszeit, die wir haben, nutzen wollen, dann können wir heute - wenn auch schweren Herzens - nicht über eine so enorme Lockerung wie die Öffnung öffentlich zugänglicher Spielplätze reden. Ich habe mich davon überzeugen lassen - übrigens nicht erst, nachdem ich das Interview mit Ihrem Parteikollegen Herrn Lauterbach dazu gelesen habe.

(Heiterkeit CDU)

Die Bilder, die ich gestern im Auslandsjournal aus Spanien gesehen habe, haben mich in diesem Punkt noch einmal bestärkt. Da wurden Bilder von ver

einsamten Menschen, die schon vier Wochen lang in ihrer Wohnung sind, gezeigt; von Menschen, die sich nicht von ihren sterbenden Angehörigen verabschieden konnten, die nicht wissen, wie es weitergeht. Da wurden Bilder von Pflegenden gezeigt, die am Ende ihrer Kräfte sind und erleben, wie ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen auf der Intensivstation liegen und sterben. Da gab es Bilder von einer Schlittschuhhalle in Barcelona, die als Leichenhalle dient, weil würdevolle Bestattungen nicht stattfinden können.

Meine Damen und Herren, wir haben einen Zeitvorteil, wir haben ein gutes Gesundheitssystem, und wir müssen das weiter nutzen und dürfen nicht unvorsichtig in die Lockerungen gehen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und Birgit Herdejürgen [SPD])

Deshalb wird es wohl auch so sein, dass wir uns immer mehr Gedanken über ein Leben mit Corona machen müssen. Tatsächlich merken wir an dem Beispiel der Kleinen, dass auf Dauer die Strategie „Abstand wahren“ relativ schwer einzuhalten ist, obwohl das dringend nötig ist. Entweder müssen wir warten, bis genügend Menschen den Virus haben, wir also die sogenannte Durchseuchung - ein schrecklicher Begriff - haben, oder der heißersehnte Impfstoff bereitsteht. Dann können wir durchatmen, aber vermutlich mit einer permanenten Sorge vor dem nächsten Virus.

Deshalb müssen wir neben der Bewältigung der offensichtlichen Themen, also der Stärkung der Pflege - nicht nur einmalig -, der Stärkung des Gesundheitssystems, der Wiederankurbelung der Weltwirtschaft, dem Ausbau digitaler Strukturen, neben all den Themen, die wir jetzt behandeln, auch weitergehende Themen in den Blick nehmen.

Wie gehen wir mit dem Thema „Abstand halten“ um? Bedeutet körperliche Distanzierung auch menschliche Distanzierung, und was macht es mit unserer Gesellschaft, wenn wir auf Dauer aufpassen und Abstand halten müssen? Wie gehen wir mit den anderen Herausforderungen um, die nicht wegen Corona haltmachen? Werden wir es schaffen, die Wirtschaft so anzukurbeln, dass wir auch unsere ökologischen Lebensgrundlagen retten können? Wie entwickelt sich eigentlich die europäische und die internationale Solidarität, wenn Reisen und Handelsströme eingeschränkt werden oder zum Stillstand kommen? Was bedeutet das dann für uns?

Meine Damen und Herren, es gibt keine Blaupause für diese Krise. Und doch gibt es mittlerweile zahlreiche mögliche Strategien mit vielen Indikatoren,

wie wir allabendlich vom Robert-Koch-Institut in den Nachrichten oder im NDR Podcast von Professor Drosten erfahren. In der Wissenschaft werden Fragen gestellt, auf die es nicht immer einheitliche Antworten gibt: Sollen wir die Ansteckungskurve flach halten oder lieber viele Kinder und Erwachsene anstecken lassen? Hilft ein Gesichtsschutz - darüber kann Herr Garg viel erzählen -, der übrigens niemals als Atemmaske bezeichnet werden darf, oder schadet es womöglich, wenn wir uns dadurch noch häufiger ins Gesicht fassen? Ab wann ist ein Mensch eigentlich nicht mehr ansteckend, und wie sicher sind die Tests? Wer soll wann prioritär getestet werden? - Viele Frage, viele Antworten, und die Erkenntnisse ändern sich auch, je mehr wir über Corona lernen.

Klar ist auf jeden Fall: Es ist gut, dass sich die Politik so intensiv von Expertinnen und Experten beraten lässt, im Land wie im Bund. Es ist gut, dass dabei nicht nur Virologinnen und Virologen zu Wort kommen, sondern auch Menschen, die andere Perspektiven einfließen lassen. Denn natürlich wäre es fatal, wenn wir die Menschen vor einem Tod durch Corona schützen und gleichzeitig mehr Menschen an Folgen der Schutzmaßnahmen sterben: fehlende medizinische Behandlungen in anderen Bereichen, Armut und Hunger aufgrund der Krise, Depressionen bis hin zum Suizid durch Isolation. Auch wenn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler uns keinen verlässlichen Fahrplan geben können - wie sollten sie auch? -, so bin ich doch froh, dass wir so kluge und engagierte Menschen in der Wissenschaft haben, die der Politik jetzt zur Seite stehen. Auch das ist ein Aspekt, den wir in den kommenden Jahren nicht vergessen dürfen, wenn wir hier über die Förderung der Wissenschaft reden.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP, SPD und SSW)

Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident hat heute unseren Fahrplan vorgestellt, der meines Erachtens genau das tut, was heute nötig ist. Er folgt in den Lockerungen der Einschätzung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und sieht schrittweise Lockerungen vor, die dann jeweils evaluiert werden.

Der Plan gibt vage Perspektiven für weitere Öffnungen in der Bildung, in Freizeiteinrichtungen, Restaurants und Tourismus und danach eventuell für kleinere Veranstaltungen. Der Plan richtet sich danach, die Grundrechtseingriffe so gering wie möglich zu halten, auch wenn wir wissen, dass sie schon jetzt enorm sind. Der Plan richtet sich danach, es den verschiedensten Menschen in diesem

(Eka von Kalben)

Land wieder zu ermöglichen, zu wirtschaften, zu lernen und ihre Freiheit zu genießen, und richtet sich nicht nach einzelnen Lobbygruppen. Der Plan versucht auch, so gut es geht, bundesweit in der Linie zu bleiben. Dass das nötig und gleichzeitig schwierig ist, haben wir bei der Entscheidung, Tourismus in Schleswig-Holstein einzuschränken, bei der Diskussion über die Abschlussprüfungen, bei den unterschiedlichen Wirtschaftshilfen und so weiter erlebt.

Natürlich wünschen sich die Menschen und zum Teil auch die Opposition andere Maßnahmen, längerfristige Pläne, einen Zukunftsplan mindestens bis in den Herbst. Meine Damen und Herren, dieses kann - zumindest hier auf Erden - niemand bieten. Wer das verspricht, verbreitet Fake News oder überschätzt sich.

Meine Damen und Herren, ich möchte mit einigen Beobachtungen enden, die mir wieder Mut machen, die mir zeigen, dass auch in einer schlimmen Krise Chancen liegen, wenn wir etwas daraus machen.

Erstens. Politik in Deutschland ist handlungsfähig, und ein großer Teil der Bevölkerung empfindet unsere Demokratie als stabil. Das sollte uns Ansporn und Verpflichtung sein. Es braucht keine autoritären Systeme, um eine Krise zu bewältigen. Selbst der Föderalismus, der zurzeit besonders unter Beschuss steht, hat nicht verhindert, dass man sich auf gemeinsame Fahrpläne mit individuellen Einzelheiten geeinigt hat.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Zweitens die Beobachtungen - Sie werden sich nicht wundern, dass mir das als Grüne auffällt -, welche Chancen die Natur hat, wenn die Wirtschaft runtergefahren wird.

(Martin Habersaat [SPD]: Delfine in Eckern- förde!)

- Delfine in Eckernförde, Bienen in meinem Garten.

(Lars Harms [SSW]: Die waren doch vorher schon in deinem Garten! - Heiterkeit)

- Aber jetzt kann ich sie beobachten, vorher war ich immer in Kiel.

Dazu zählt auch, wie die Menschen auf einmal feststellen, dass Verzicht auf Alltagsgegenstände wie Hefe und Klopapier mehr Witze als Verzweiflung auslöst; dass ein Spaziergang im Himmelmoor spannender sein kann als das jährliche MallorcaRessort.

(Annabell Krämer [FDP]: Da kommst du im Moment doch gar nicht hin!)

- Zu Fuß ja. Du fährst doch nicht von dir zu Hause mit dem Auto ins Himmelmoor.

(Heiterkeit und Zurufe)

Drittens erleben wir die Kreativität in diesem Land und wie viel durch den Mangel angespornt wird, insbesondere in unserer Wirtschaft, die auf die Produktion von Gesundheitsprodukten umgestellt hat, die Lieferservice anbietet und digital ihre Angebote ausweitet. Wenn wir es schaffen, diese Kreativität zu nutzen, dass wir nachhaltiger wirtschaften und konsumieren, dann könnte die Coronakrise zum Beispiel auch bei der Bewältigung der Klimakrise helfen.

Viertens. Die Menschen digitalisieren sich in unfassbarer Geschwindigkeit. Das gilt zum Beispiel in meinem politischen Alltag, wo sich auf einmal Menschen an Diskussionen beteiligen, denen sonst die Teilnahme an Veranstaltungen nicht möglich ist. Das gilt für die Schule, wo alle von einem Tag auf den anderen mehr oder weniger ins kalte Wasser springen müssen - mit den großen Schwierigkeiten gerade für die Kinder, die weder eine gute Ausstattung zu Hause haben noch Unterstützung von ihren Eltern bekommen können. Das ist etwas, was mir wirklich Sorgen macht, wenn ich an die Chancen dieser Kinder denke.

Ein großes Lob an alle Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler, die trotz der schwierigen Lage alles geben. Auch ein Dank an das Ministerium, das in kürzester Zeit das gesamte Schulwesen verändern und die jeweiligen Coronaeinschränkungen anpassen muss. Das muss auch noch möglichst in Abstimmung mit den anderen Ländern passieren, die ihre Meinung möglicherweise wieder ändern, wie man an der Debatte um die Abschlussprüfungen sieht. - Danke an Sie, Frau Prien, und Ihr Team!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und vereinzelt SPD)

Aber gerade bei der digitalisierten Euphorie dürfen wir Risiken und Nebenwirkungen nicht aus dem Blick lassen. Auch wenn ich über manche Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen, die die digitale Demokratie so vehement ablehnen, etwas enttäuscht bin, so weiß ich doch, dass Digitalisierung unser physisches Zusammenkommen wie heute nicht komplett ersetzen darf.

(Beifall Kay Richert [FDP] und Lars Harms [SSW] - Zurufe)

(Eka von Kalben)

- Die Kritik haben die Herren mitbekommen.

Neben der Stärkung der Demokratie, der Erholung der Natur und der Ausbildung von Kreativität sowie dem Vormarsch der Digitalisierung möchte ich abschließend den Punkt ansprechen, der mir am meisten Hoffnung für die Zukunft macht. Das ist die Solidarität der Menschen, die Nachbarschaftshilfe, der Einsatz vieler, die sich unter eigener Gefahr um erkrankte Menschen kümmern. Wir haben so viele Heldinnen und Helden in Schleswig-Holstein, so viele Menschen, die einfach einmal an andere denken, dass ich keine Sorge habe, dass wir auch diese Herausforderung in Schleswig-Holstein bestehen werden. Bleiben Sie und Ihre Lieben gesund! - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat deren Fraktionsvorsitzender, der Abgeordnete Christopher Vogt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass wir heute diese Parlamentssitzung durchführen. Ich bin aber nicht ganz so sicher, ob ich mich genauso auf alle Beteiligten gefreut habe wie der Kollege Koch.