Protokoll der Sitzung vom 17.04.2020

Wir werden den Vorwurf darum nie ganz entkräften können. Wir können aber mit diesem Vorwurf sehr viel besser leben, als wenn wir in Kiel, Lübeck oder Flensburg Zustände gehabt hätten wie in Bergamo, Barcelona, Straßburg oder dieser Tage in New York. Meine sehr verehrten Damen und Herren, daran sollten wir uns immer erinnern, wenn wir das gemeinsam tun, was getan werden muss. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat deren Fraktionsvorsitzender, der Abgeordnete Tobias Koch.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn die heutige Landtagssitzung unter noch außergewöhnlicheren Umständen stattfindet als die letzte Sitzung im März, will ich doch zuallererst sagen: Es ist schön, wieder hier zu sein. Es ist eine Freude, Sie alle, die Kolleginnen und Kollegen, wieder persönlich zu sehen und sich im direkten Gespräch - wenn auch mit Mundschutz und entsprechendem Abstand - untereinander austauschen zu können.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW - Zuruf Christo- pher Vogt [FDP])

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich finde: Die unzähligen Telefon- und Videokonferenzen der letzten fünf Wochen sind wirklich kein Ersatz für dieses menschliche Miteinander. Man mag es kaum glauben: Sie und ihr alle habt mir in den letzten Wochen wirklich gefehlt.

(Zuruf SPD: Oh!)

- Ich hoffe, das gilt auch umgekehrt.

(Zurufe und Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, Deutschland hat diese Krise bislang besser gemeistert als die meisten anderen Länder in Europa. Wir haben in Deutschland weniger Tote als Belgien mit seinen gerade einmal 11 Millionen Einwohnern, und wir haben trotz der größeren Bevölkerungszahl in Deutschland weniger Infizierte als in Frankreich. Die Todesrate fällt bei uns sogar um 80 % niedriger aus.

Diese Aufzählung ließe sich beliebig weiter fortsetzen. Von Italien oder Spanien möchte ich an der Stelle gar nicht reden. Zu Recht findet die geringe Mortalitätsrate in Deutschland weltweite Beachtung. Das ist zu allererst ein Verdienst derjenigen Menschen, die sich in den letzten Wochen in vorbildlicher Art und Weise an die Regeln gehalten haben. Dafür möchte auch ich gleich zu Beginn meiner Rede Danke sagen.

(Beifall im ganzen Haus)

Ganz offensichtlich sind bei uns in Deutschland aber auch die richtigen politischen Entscheidungen getroffen worden. Daran hat auch unsere Landespolitik in Schleswig-Holstein ihren Anteil. Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir das erste Bundesland gewesen sind, das konsequent Restaurants und Gaststätten geschlossen hatte. Auch mit dem Betretungsverbot für die Inseln und Halligen haben

(Dr. Ralf Stegner)

wir schnell und konsequent gehandelt, um die medizinische Versorgung für die einheimische Bevölkerung sicherzustellen.

Dank dieser Maßnahmen haben wir Zeit gewonnen, um unser Gesundheitssystem besser auf das Risiko hoher Infektionszahlen mit vielen Intensivpatienten vorzubereiten. Das ist in den letzten Wochen richtig gut gelungen. Gestartet sind wir in Schleswig-Holstein mit 625 Intensivbetten mit Beatmungskapazität, jetzt liegen wir schon bei über 900 Betten. Das ist ein Zuwachs von rund 50 % innerhalb von nur fünf Wochen. Ich danke dafür allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Krankenhäusern und im Sozialministerium, die daran mitgewirkt haben.

(Beifall im ganzen Haus)

Wir konnten deshalb sogar europaweite Unterstützung leisten, indem wir im Rahmen unserer freien Kapazitäten Patienten aus Frankreich bei uns in Schleswig-Holstein aufgenommen und behandelt haben. Ich halte das für ein ganz wichtiges Zeichen europäischer Solidarität in dieser weltweiten Krise.

(Beifall im ganzen Haus)

Angesichts der erzielten Erfolge und eines nunmehr fünfwöchigen weitgehenden Shutdown mit all seinen Konsequenzen und persönlichen Betroffenheiten kann ich den Wunsch und die Hoffnung vieler Bürgerinnen und Bürger nach einer Rückkehr zu einem normalen öffentlichen Leben gut nachvollziehen. Die Krise ist aber noch nicht vorbei, das Virus ist nicht besiegt. Es droht jederzeit eine neue Infektionswelle, wenn wir in unseren Anstrengungen nachlassen. Genau deshalb darf das nicht passieren.

Solange wir über keinen Impfstoff gegen das SARS-CoV-2-Virus verfügen, besteht nach wie vor das Risiko einer Überlastung unseres Gesundheitswesens mit der Folge vieler Todesfälle. Wie groß das Risiko für vulnerable Gruppen ist, macht die Situation in den Alten- und Pflegeheimen ganz besonders deutlich: 22 Todesfälle im Würzburger Pflegeheim St. Nikolaus unter den dort 95 Bewohnern, und sogar 41 Tote im Wolfsburger Hanns-LiljePflegeheim mit 160 Bewohnern. Das Alten- und Pflegeheim in der Gemeinde Rümpel bei mir im Kreis Stormarn wird sich hoffentlich nicht in die Reihe dieser Todeszahlen einreihen.

(Beate Raudies [SPD]: Ich glaube schon!)

Die Situation ist auch hier mehr als besorgniserregend: 57 der 70 Bewohner und 21 der 58 Mitarbeiter haben sich bereits mit dem Virus infiziert. Heute mussten wir leider vom ersten Todesfall in dieser Einrichtung Kenntnis nehmen. Diese Beispiele zei

gen, wie gefährlich das Virus für bestimmte Risikogruppen ist. Es ist unsere Aufgabe als Politik, für einen bestmöglichen Schutz dieser besonders gefährdeten Menschen zu sorgen.

(Beifall im ganzen Haus)

Aber auch bei deutlich jüngeren Patienten ohne Vorerkrankungen hat es bereits Todesfälle gegeben, sodass niemand davor sicher sein kann, nicht selbst Opfer dieser Pandemie zu werden. Bei aller Erleichterung darüber, dass wir in Deutschland nur die vergleichsweise geringe Zahl von bislang weniger als 4.000 Toten zu verzeichnen haben, dürfen wir beim Blick auf die Statistik nie vergessen, dass hinter jeder Zahl ein persönliches Schicksal steht.

Mein Mitgefühl - das kann ich sicherlich für alle Mitglieder dieses Hauses sagen - gilt allen Familienangehörigen, die durch Corona einen geliebten Menschen verloren haben.

(Beifall im ganzen Haus)

Deshalb fand ich die zahlreichen politischen Äußerungen über die Ostertage - mit den unterschiedlichsten Lockerungsvorschlägen, Hochfahrplänen, angestrebten breiten Debatten darüber - entbehrlich und unangemessen, und zwar egal, welcher politischer Couleur. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es dabei weniger um die Sache als vielmehr um politische Profilierung gegangen ist, sei es aufgrund schlechter Umfragewerte für die eigene Partei oder zur persönlichen Profilierung innerhalb einer Partei. Dabei schließe ich meine eigenen Parteifreunde explizit mit ein; auch der ein oder andere Politiker aus Schleswig-Holstein hat sich ja daran beteiligt.

Eine Rollenverteilung, bei der die einen für das Bekämpfen des Virus und harte Einschnitte zuständig sind und die anderen den Menschen eine baldige Rückkehr zur Normalität versprechen und auf Lockerungen drängen, kann und wird so nicht funktionieren.

(Beifall im ganzen Haus)

Wir brauchen in dieser Krise ein Maximum an Gemeinsamkeit und Geschlossenheit, sowohl innerhalb der Partei als auch parteiübergreifend zwischen Regierung und Opposition. Zeiten, in denen es um Menschenleben geht, sind wahrlich nicht die Momente für politisches Taktieren. Das gilt heute genauso wie zu Beginn der Krise, als wir es hier im Landtag in außerordentlicher Weise unter Beweis gestellt haben.

(Tobias Koch)

In der Sache war und ist doch auch vor diesem Mittwoch vollkommen klar gewesen, dass es nur um eine schrittweise Rückkehr zur Normalität gehen kann. Vollkommen klar war auch, dass diese Schritte sehr behutsam angegangen werden müssen, um nicht die bislang erreichten Erfolge wieder zunichte zu machen. Alles andere wäre leichtsinnig, wenn nicht sogar grob fahrlässig. Schnellten im Falle einer voreiligen oder zu weitgehenden Lockerung die Infektionszahlen wieder dynamisch drastisch nach oben, hätten wir das Vertrauen der Bevölkerung verspielt. Ein erneuter Shutdown wäre dann viel schwieriger umzusetzen und durchzuhalten.

(Vereinzelter Beifall)

Eine solche Irrfahrt kann und darf sich Politik nicht erlauben. Deshalb gilt in dieser wie auch in früheren Krisen das erfolgreiche Konzept unserer Bundeskanzlerin, komplexe Probleme mit kleinen Schritten Stück für Stück zu lösen. Darauf können die Menschen in Deutschland vertrauen. Wir können froh sein, dass Angela Merkel unsere Bundeskanzlerin ist und Deutschland wieder einmal sicher durch eine Krise führt.

(Beifall CDU - Zurufe - Christopher Vogt [FDP]: Das musst du Laschet sagen!)

Deshalb machen wir nun genau das, was nach diesem Konzept der richtige Weg ist, indem wir kommenden Montag mit ersten sorgfältig abgewogenen Entlastungen beginnen. Sämtliche Geschäfte dürfen eine Verkaufsfläche von bis zu 800 m² wieder nutzen. Büchereien und Archive dürfen wieder öffnen, und in Schleswig-Holstein haben wir uns dafür entschieden, auch die Tierparks und Wildparks wieder aufzumachen. Alles muss natürlich unter Einhaltung strikter Abstands- und Hygieneregeln und bei begrenzten Besucherzahlen erfolgen.

Andere Auflagen bleiben dagegen in vollem Umfang bestehen. Es gilt unverändert ein strenges Kontaktverbot. Sämtliche öffentlichen und privaten Veranstaltungen sind untersagt, Kitas und Schulen bleiben bis auf die Notbetreuung und die Durchführung und Vorbereitung von Abschlussprüfungen geschlossen. Das touristische Betretungsverbot ist weiterhin in Kraft. Restaurants, Bars, Diskotheken, Theater, Kinos, Freizeitparks, Schwimmbäder und Fitnessstudios - all diese Einrichtungen bleiben zumindest für die nächsten zwei Wochen geschlossen.

(Zurufe SPD)

Der nächste Schritt ist für den 4. Mai 2020 ins Auge gefasst, und dann können wir bei einer unverän

dert flachen Infektionskurve weitere Öffnungsmaßnahmen folgen lassen. Der Ministerpräsident hat das sehr deutlich gemacht, und dafür haben wir in der Koalition auch schon konkrete Schritte in Aussicht gestellt, nämlich die Wiederaufnahme des Schulbetriebs für die Abschlussklassen des nächsten Schuljahres sowie für die 4. Klassen der Grundschulen, für kontaktarme Sportaktivitäten im Außenbereich sowie für Museen und Botanische Gärten. Die Wiedereröffnung von Restaurants wird hoffentlich in einem weiteren zeitnahen Schritt erfolgen können. Genauso wird es an den Schulen, bei Veranstaltungen und vielleicht auch noch in diesem Sommer in der für unser Bundesland so wichtigen Tourismusbranche peu à peu weitere Lockerungen geben.

Schritt für Schritt werden wir so zu einem normalen öffentlichen Leben zurückkehren und dabei gleichzeitig und noch über viele Monate mit dem Virus leben müssen, bis wir hoffentlich einen Impfstoff gefunden haben. Dabei dürfen wir nie aus dem Auge verlieren - deswegen wiederhole ich es -, dass unsere medizinischen Kapazitäten trotz der erhöhten Zahl von Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit nach wie vor begrenzt sind. Wir würden deshalb das Leben der Menschen nicht riskieren und unvorsichtige, übereilte oder falsche Entscheidungen treffen. Bei unserer Landesregierung liegt es in guten Händen. Darüber bin ich froh und dankbar zugleich.

Ich will mich abschließend für die Arbeit eines jeden Landtagsabgeordneten, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung sowie bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen bedanken und ihre Arbeit würdigen. Sie alle führen im Augenblick eine schier unglaubliche Anzahl von Telefonaten, haben E-Mail-Kontakte und so eine Vielzahl von Bürgeranfragen zu beantworten.

Jeder von uns erfüllt dabei eine ganz wichtige Kommunikationsaufgabe. Gleichzeitig fungiert jeder Abgeordnete als Seismograf und Stimmungsbarometer und gibt mit seinen Rückmeldungen Input für das tägliche Regierungshandeln. Ihnen und euch allen an dieser Stelle meinen herzlichen Dank für diese geleistete Arbeit! Lasst uns, lassen Sie uns so weitermachen und diese Krise wie bisher erfolgreich meistern. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und Volker Schnurr- busch [AfD])

(Tobias Koch)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat deren Fraktionsvorsitzende, die Abgeordnete Eka von Kalben.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum zweiten Mal tagen wir in einer sehr veränderten Form hier im Parlament. Wir halten Abstand, und wir halten zusammen. Die Menschen in Schleswig-Holstein halten sich an die Regeln und wissen, dass wir nur gemeinsam durch diese Zeit kommen können. Dafür gilt ihnen unser Dank. Ich danke auch dem Ministerpräsidenten, seiner Regierung und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung, die dafür sorgen, dass das Land durch diese schwierige Zeit gesteuert wird. Ich danke den Bürgerinnen und Bürgern, die dafür sorgen, dass der Laden läuft.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und SSW)

Meine Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dieser Dank nicht nur eine Luftbuchung bleibt, sondern sich die Arbeitsbedingungen derer, die jetzt so wichtig sind und endlich in den Blickpunkt genommen werden - in der Pflege, im Handel, im Reinigungsbereich, im Sicherheitsbereich und so weiter -, auch dauerhaft verbessern. Vielen Dank für Ihre Worte dazu, Herr Dr. Stegner. Wir müssen es als Politik im Blick behalten, dass die Menschen nicht nur in der Krise wichtig für uns sind, sondern auf Dauer andere Arbeitsbedingungen brauchen.