Protokoll der Sitzung vom 17.06.2020

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Polizeirecht wurde bei uns in Schleswig-Holstein zuletzt 1992 grundlegend überarbeitet. Es folgten dann im Jahr 2007 noch weitere Ergänzungen und punktuelle Veränderungen. Mittlerweile sind aber neue Bedrohungslagen entstanden, die unsere Polizei bewältigen muss.

Der internationale Terrorismus hat durch die Anschläge von Paris eine neue Dimension erreicht. Zusätzlich endet kriminelles Handeln in unserer vernetzten Welt nicht immer an staatlichen Grenzen. Unsere Polizei braucht Instrumente, um auf diese Herausforderungen angemessen reagieren zu können. Die Notwendigkeit einer umfangreichen Reform wird auch durch neue höchstrichterliche Rechtsprechung und europarechtliche Standards im Datenschutz deutlich.

Deswegen haben wir als Landesregierung einen Entwurf vorgelegt, der die rechtlichen Grundlagen für unsere Landespolizei anpasst und sie fit für die Zukunft macht. Er ist Ausdruck und Spiegelbild der

gesellschaftlichen Debatten unserer Zeit. Schließlich geht es im Polizeirecht immer auch um die Frage, wie weit die staatlichen Befugnisse gehen dürfen und wo die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger anfangen. Diese Fragen haben wir in der Koalition intensiv abgewogen. Natürlich hätten sich einige an einigen Stellen mehr gewünscht, die anderen vielleicht etwas weniger. Gemeinsam haben wir aber, wie ich finde, einen äußerst ausgewogenen Entwurf erarbeitet.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Er schafft durch moderate Anpassungen und Ergänzungen die erforderlichen Befugnisse für eine effektive Gefahrenabwehr, er bietet Rechts- und Handlungssicherheit für die Polizei- und Ordnungsbehörden, und er schützt die Bürgerinnen und Bürger vor ungerechtfertigter Beeinträchtigung ihrer persönlichen Freiheitsrechte. Der Gesetzentwurf ist schließlich getragen vom Leitgedanken des Ausgleichs zwischen Sicherheit und Freiheit und dem Ziel, durch klare Gesetzgebung unseren Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie den Bürgerinnen und Bürgern ein Höchstmaß an Rechtssicherheit zu garantieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, gern stelle ich Ihnen im Folgenden die wesentlichen Eckpunkte zur Datenerhebung, zu Meldeauflagen, zum Schusswaffengebrauch, zum Einsatz von Bodycams und zur internationalen Zusammenarbeit kurz vor.

Mit dem vorliegenden Entwurf setzen wir die jüngsten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung um. So erweitern wir Richtervorbehalte bei verdeckten Maßnahmen zur Datenerhebung. Gleichzeitig führen wir auch ein System unabhängiger Kontrolle durch das Landeszentrum für Datenschutz ein.

Für die Abwehr terroristischer Gefahren ergänzen wir die verdeckte Datenerhebung durch eng eingegrenzte Vorfeldbefugnisse. Hierbei orientieren wir uns wieder streng an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Zusätzlich führen wir Befugnisse zum Erlass von Aufenthaltsgeboten und Meldeauflagen ein. Mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung können wir diese Auflagen auch durchsetzen, um terroristische Straftaten zu verhindern.

Wir schaffen weitere Rechtssicherheit für die Beamtinnen und Beamten auf der Straße, indem wir die Voraussetzungen zum Schusswaffengebrauch

(Präsident Klaus Schlie)

anpassen. Dazu wird insbesondere der finale Rettungsschuss auch in Schleswig-Holstein jetzt ausdrücklich normiert. Die tödliche Schussabgabe ist das will ich ganz deutlich betonten - in absoluten Ausnahmesituationen das allerletzte Eingriffsmittel zur Abwehr einer Gefahr für Leib und Leben, und er ist zulässig.

Wie Ihnen bereits bekannt ist, enthält der Entwurf auch eine Befugnis zum Einsatz von sogenannten Distanz-Elektroimpulsgeräten. Ziel ist es, diese in einem Pilotversuch testen zu können. Auch fügen wir eine Befugnis zum Einsatz von Bodycams in das Polizeirecht ein. Hiermit werden die Möglichkeiten, sich selbst und die Kolleginnen und Kollegen im Einsatz zu schützen, gestärkt. Möglicherweise führt dies an der einen oder anderen Stelle auch zur Deeskalation. Gleichzeitig haben wir die Betroffenenrechte transparent ausgestaltet.

Mit Blick auf ein zusammenwachsendes Europa verbessern wir auch die internationale Zusammenarbeit. Durch die Umsetzung des Prümer Vertrags wird in Zukunft auch der Einsatz ausländischer Polizeikräfte möglich sein. Damit kann die Landespolizei zum Beispiel bei internationalen Großveranstaltungen unterstützt werden.

Ich bin davon überzeugt, dass wir mit dem Gesetzentwurf für ein modernes Polizeiordnungsrecht auf einem richtigen und guten Weg sind. Dabei hoffe ich im Sinne unserer Polizistinnen und Polizisten auf Ihre Unterstützung und freue mich auf weitere Beratungen in den Ausschüssen. - Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Tim Brockmann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die Landespolizei; denn endlich beginnt die parlamentarische Beratung des Gesetzes zur Änderung polizei- und ordnungsrechtlicher Vorschriften im Landesverwaltungsgesetz. Bevor ich inhaltlich auf den Gesetzentwurf eingehe, möchte ich mich bei der Innenministerin und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Innenministeriums und der Polizei sowie ausdrücklich auch bei Staatssekretär Torsten Geerdts, unter dessen Leitung der Entwurf erarbeitet wurde, bedanken. - Vielen Dank, dass Sie uns diesen hervorragenden Gesetzentwurf vorgelegt haben.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich finde es hervorragend, wie eng dabei mit den Beteiligten, insbesondere mit der Polizei, zusammengearbeitet wurde.

Bedanken möchte ich mich auch bei den Koalitionspartnern für die gute und kollegiale Diskussion über die Leitplanken dieses Gesetzentwurfs. Ich glaube, wir können sehr stolz auf den vorliegenden Gesetzentwurf sein. Immerhin ist dies die erste große, umfängliche Reform unseres Polizeirechts seit 2007, und es steht außer Frage, dass sie dringend nötig ist. Denn unsere Polizei ist im Jahr 2020 einer völlig anderen Gefährdungslage ausgesetzt, als dies 2007 noch der Fall war.

Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt auch: Wir scheuen uns nicht davor, moralisch und ethisch schwierige Themen anzupacken. Dazu zählt aus meiner Sicht insbesondere die Anpassung bezüglich des Schusswaffengebrauchs.

(Lachen SPD)

- Da brauchen Sie gar nicht zu lachen! - Gleichzeitig ist mir völlig klar: Der polizeiliche Schusswaffengebrauch kann und darf nur Ultima Ratio sein. Er ist nur zulässig, um eine gegenwärtige Lebensgefahr oder eine gegenwärtige Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit abzuwehren. Auch wenn sich niemand eine solche krisenhafte Ausnahmesituation wünscht, kommt sie im polizeilichen Alltag hin und wieder vor. Dann, meine Damen und Herren, ist Rechtssicherheit für die eingesetzten Polizistinnen und Polizisten essenziell. Wir sind es ihnen schuldig, diese Rechtssicherheit zu geben.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Deshalb ist es gut, dass mit dem Gesetzentwurf die Eigensicherung der Polizei auf der einen Seite und die körperliche Unversehrtheit der Bevölkerung auf der anderen Seite in einen schonenden Ausgleich gebracht werden.

Wir schaffen Rechtssicherheit beim finalen Rettungsschuss, dem wohl schwerwiegendsten Grundrechtseingriff, den man sich vorstellen kann. Wir schaffen Rechtssicherheit für unübersichtliche Situationen, in denen zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben der Schusswaffengebrauch auch auf Täter in einer Menschenmenge erforderlich sein kann; und wir schaffen Rechtssicherheit, dass in akuten terroristischen Bedrohungslagen oder Amoklagen die Schusswaffe auch gegen

(Ministerin Dr. Sabine Sütterlin-Waack)

Täter eingesetzt werden kann, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Ich hoffe, meine Damen und Herren, dass es unserer Polizei immer wieder gelingt, solche krisenhaften Situationen bereits im Voraus zu verhindern. Aber sollte es dennoch einmal zu einer solchen Situation kommen, ist es unsere politische Verantwortung, unseren Polizistinnen und Polizisten die erforderliche Handlungssicherheit zu geben. Diese Aufgabe erfüllen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Vor rund drei Wochen veröffentlichte das Innenministerium eine für mich erschreckende Zahl. 1.254 Fälle von Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten wurden im vergangenen Jahr dokumentiert, 377-mal wurden Beamtinnen und Beamte sogar im Dienst verletzt. Solche Angriffe sind völlig inakzeptabel und sind auf das Schärfste zu verurteilen. Deshalb ist es genau richtig, dass wir die Eigensicherungsmöglichkeiten der Beamtinnen und Beamten mit diesem Gesetzentwurf verbessern.

Zum einen möchte ich an dieser Stelle die Bodycam nennen, für die wir nun, nach Beendigung der Pilotphase, eine ausdrückliche Rechtsgrundlage schaffen. Geregelt werden soll, wie mit den erhobenen Daten zu verfahren ist, wie Betroffene ihre Rechte gelten machen können. Der Einsatz von Bodycams ist in Wohnungen nicht vorgesehen.

Ich denke, dies sollten wir uns noch einmal genau ansehen. Gewalt endet nicht an der Wohnungstür, und auch andere Bundesländer wie etwa das grünschwarz regierte Baden-Württemberg ermöglichen den Einsatz in Wohnungen, ohne das Grundrecht auf Unversehrtheit der eigenen Wohnung zu verletzen.

Zum anderen stärken wir die Eigensicherungsmöglichkeiten der Beamten. Bisher durfte eine Person erst gefesselt werden, wenn der Freiheitsentzug vorlag. Dies werden wir nun in einem eng begrenzten Rahmen lockern und damit einer langjährigen Forderung des polizeilichen Einzeldienstes entsprechen. Das ist ein echter Fortschritt für mehr Sicherheit, wie ich finde.

Die Aufnahme des Distanz-Elektroimpulsgerätes in den Einsatzmittelkatalog hilft unseren Polizisten ebenfalls. Es schließt die Lücke zwischen Schusswaffe und Pfefferspray und wird durch seine bloße Anwesenheit deeskalierend wirken.

Meine Damen und Herren, ich bin mit dem vorgelegten Gesetzentwurf sehr zufrieden. Viele wichtige Punkte, wie die sogenannten Anpassungen der Schusswaffenoption der Eigensicherungsmöglichkeiten, die verdeckten Ermittlungen im Kampf gegen Terror oder die verbesserten Kontrollbefugnisse, werden den Arbeitsalltag unserer Polizisten erleichtern.

Es steht außer Frage, dass wir als Union uns an der einen oder anderen Stelle mehr gewünscht hätten, was die moderne Polizeiarbeit im 21. Jahrhundert angeht.

Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Schluss kommen.

In einer Koalition können wir uns aber nicht zu 100 % durchsetzen. Insgesamt kann ich mich guten Gewissens hinter diesen Gesetzentwurf stellen. Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Kathrin Bockey.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt Momente im Leben, die vergisst man nicht. Mir geht es mit dem 13. November 2015 so: An diesem Tag heiratet mein Bruder. Es ist eine wunderbare Hochzeitsfeier, es wird viel getanzt und gelacht. Irgendwann in der Nacht treten wir den Heimweg an. Mein Sohn guckt mir in die Augen und sagt plötzlich: „Sag mal Mama, hast du schon mal auf dein Handy geguckt? In Paris hat es einen Anschlag gegeben, an mehreren Orten, mindestens 100 Tote!“ - Meine Damen und Herren, niemals im Leben vorher oder nachher habe ich erlebt, wie in einem gruseligen Gänsehautmoment eine beschwingte, fröhliche Stimmung von einer Sekunde auf die andere gekippt ist.

Ich habe damals in der Staatsschutzabteilung des LKA Hamburg gearbeitet. Ich darf Ihnen versichern: Für uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort hat diese Stimmung lange Wochen und Monate angehalten. Unter diesem Eindruck haben wir in einer hitzigen Atmosphäre diskutiert, was für Gesetze

(Tim Brockmann)

geändert werden müssen. Was macht Sinn? Was brauchen wir? - Worauf wir alle miteinander nicht gekommen sind, war die Forderung nach einer Regelung zum Schusswaffengebrauch für Kinder.

(Tim Brockmann [CDU]: Nicht „für“ Kin- der!)

Das gab es in unserer Vorstellungwelt nicht. Es wäre uns auch nicht in den Sinn gekommen, das als eine moderate Anpassung aufzufassen.

(Beifall SPD)

Ich möchte deswegen einmal ganz deutlich sagen, dass es eben nicht nur eine fachliche Einordnung von Sachverhalten gibt, denn: Auf Kinder schießt man nicht!