Protokoll der Sitzung vom 27.08.2020

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beitrag der Kollegin Klahn hat mich dazu gebracht, mich noch einmal zu Wort zu melden. Ja, es gibt Hilfen, es gibt Unterstützung, aber wie läuft das denn ab, liebe Kollegin Klahn? Dann sagt Mama oder Papa zum zwölfjährigen Schulkind: Geh mal ins Sekretariat, und hol mal den Zettel!

(Tobias von der Heide [CDU]: Das stimmt nicht! - Anita Klahn [FDP]: Das ist eine Un- terstellung!)

- Das ist eine Unterstellung? - Gut, das ihr das alle besser wisst, das ist fein. - Fragen Sie einmal die Leute, wie es sich anfühlt, wenn man lostüffelt, um die Ermäßigung fragt und die Ermäßigung in Anspruch nehmen muss. Das macht nicht immer Freude. Herr Habersaat hat beschrieben, wie es sich an

fühlt, wenn man das einzige Elternpaar ist, das sagen muss: Wir können uns das nicht leisten.

Genauso bescheuert - Entschuldigung, Herr Präsident -, genauso bescheiden fühlt es sich an, wenn jemand ins Sekretariat gehen und sich darum kümmern muss, dass er diese Ermäßigung bekommt. Da ist es egal, ob das Geld über den Schulverein oder das BuT kommt. Alles, was wir machen - Herr Habersaat hat das mit den Krücken gesagt -, dass wir Ausweise machen wie in Kiel, damit die Abrechnung einfacher läuft, bleibt eine Krücke.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten von der Heide?

Selbstverständlich.

Danke sehr, Frau Abgeordnete Raudies. - Das kann so nicht stehen bleiben, weil es nicht richtig ist. Auch da hat sich Schule verändert. Es mag vor 10 oder 20 Jahren in dieser Art und Weise gewesen sein. Gerade beim Thema Teilhabe, bei der Frage, wie wir mit Kinderarmut umgehen, haben wir uns professionalisiert. Wir wissen, dass das Schämen für Armut ein großes Problem ist. Lehrerinnen und Lehrer werden dahin gebracht, dass man Eltern gezielt anspricht, damit die Situation, die Sie beschreiben, nicht eintritt. Ich finde es nicht richtig, dass Sie hier ein solches Bild zeichnen. Schule kümmert sich darum, dass Teilhabe wirklich stattfinden kann und solche Situationen nicht entstehen. Das ist gestrig, was Sie beschreiben.

(Beifall CDU und FDP)

- Nun gut, es mag vielleicht sein, dass es gestrig ist.

(Anita Klahn [FDP]: Ja, das ist gestrig, was Sie erzählen! - Weitere Zurufe)

Nun hat die Abgeordnete Raudies die Möglichkeit zu antworten.

Ich fange noch einmal an: Es passiert trotz Ansprache und Nachfragen immer noch, weil Menschen sich schämen, das zuzugeben. Wenn wir andere Wege finden, das zu garantieren, wird es besser.

(Martin Habersaat)

Ich habe lange Kommunalpolitik gemacht und immer dafür gesorgt, dass die Zuschüsse des Schulträgers für die Schulbudgets steigen. Wir haben uns bemüht, jedes Jahr 10 € draufzupacken. Denn wir wollten als Schulträger die Schulen mit viel Geld ausstatten, damit solche Debatten gar nicht erst anfangen: Muss ich hier etwas kaufen, muss ich da etwas kaufen? - Das ist einfach nicht schön.

Es ist immer schwierig, einzelne Beispiele zu nennen. Ich möchte trotzdem ein Beispiel bringen: Mein Sohn ist gerade aufs Berufliche Gymnasium gekommen. Er muss dort ein technisches Gerät beschaffen. Das ist für mich kein Problem, aber für einen Taschenrechner mal eben 150 € zu bezahlen, können sich auch heutzutage definitiv nicht alle Eltern leisten, auch wenn die Schule es perfekt organisiert hat, mit einer zentralen Bestellung, mit einer Sammelbestellung, bei der wirklich ein guter Preis ausgehandelt worden ist; das haben die alles tippi toppi gemacht.

(Anita Klahn [FDP]: Dann haben Sie bei meinem Beitrag vorhin nicht zugehört! Das ist genau das, was ich gesagt habe: Eigenver- antwortung der Lehrkräfte!)

Jetzt geht es in Ihrer eigentlichen Rede weiter. Frau Abgeordnete Klahn, solche Zwischenfragen sind jetzt nicht möglich. - Frau Raudies, bitte, Sie haben das Wort.

Danke, Herr Präsident. - Ich finde: Lehr- und Lernmittelfreiheit muss echte Lehr- und Lernmittelfreiheit sein. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat der Abgeordnete Wolfgang Baasch.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will kurz auf das Bildungs- und Teilhabepaket eingehen, das hier als Krücke oder wirksame Antwort zur Lernmittelfreiheit oder Hilfsmittel für Menschen, die in Armut geraten sind, so euphorisch genannt wird.

Wir haben im Sozialausschuss das Wirtschaftsministerium gefragt. Der Wirtschaftsminister ist ja

für das Bildungs- und Teilhabepaket und für die Auszahlung der Gelder zuständig. Wir haben im Sozialausschuss gebeten, uns zu berichten, was mit den Geldern des Bildungs- und Teilhabepakets passiert ist, die ja individualisiert sind. Die werden ja nicht einer Schule oder einer Kommune gegeben, sondern das ist eine Leistung für die einzelne Familie, für das einzelne Kind.

Wir wollten wissen, was in der Zeit, in der es keine Schule gab, in der es kein Mittagessen in der Schule gab und auch keine Angebote im Sportverein gab, weil ja alles heruntergefahren war, mit diesem Geld passiert ist. Das hätte das Wirtschaftsministerium ja wissen können, denn die sind ja diejenigen, die das Geld weitergeben. Sie wissen es nicht, wurde uns berichtet, weil sie das Geld an die Kommunen durchgeben und überhaupt keine Kontrollfunktion, überhaupt keine Möglichkeit haben zu recherchieren, was mit diesem Geld geschieht.

Es wäre doch eine tolle Sache gewesen, es gab viele Wohlfahrtsverbände, viele Organisationen, die gesagt haben: Menschen, die von Hartz IV und in Bedarfsgemeinschaften leben, haben es in Zeiten des Lockdown besonders schwer; gebt denen doch pauschal 100 € mehr!

Das ging nicht, wahrscheinlich, weil sich SPD und CDU auf Bundesebene nicht einigen konnten, oder warum auch immer. Da waren zumindest Gelder des Bildungs- und Teilhabepakets vorhanden, die für einzelne Kinder bewilligt waren. Die hätten Eltern doch bar ausgezahlt bekommen können; das Geld wäre da gewesen.

(Beifall SPD und SSW)

Aber nein, man konnte uns im Sozialausschuss nicht auf diese Frage antworten. Das Wirtschaftsministerium war nicht in der Lage, unsere Fragen zu beantworten. Das ist ein Zeichen dafür, dass es mit Bedarfserhebungen überhaupt nicht getan ist, Frau Kollegin Klahn. Wir haben viele Bedarfe, aber wir haben auch Geld, das da ist, aber wir haben keine Ahnung darüber. Da muss nachgesteuert werden.

Ich möchte kurz einen zweiten Gedanken anschließen. Ich habe von einer Mutter einen Brief bekommen, in dem sie mir eine Liste von Dingen mitgeschickt hat, die ihr Kind, das in die erste Klasse kommt, besorgen muss. Wenn man auf dieser Liste alles zusammenzählt und allein die festen Preise nimmt, die in der Liste für Bücher, Einmalzahlung, Kultureuro, Schulagenda und so weiter auftauchen, kommt man locker auf 100 €. Da ist noch nicht einmal das Turnzeug dabei, da ist mitnichten etwas da

(Beate Raudies)

bei, was die berühmten 3,22 € Kleckerbeträge anbelangt.

Lieber Herr Abgeordneter Baasch, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dass Kinder Kopierpapier mitbringen müssen, Familienpackungen Taschentücher mitbringen müssen, all das steht auf den Listen drauf. Man kann sich darüber streiten, ob man mit einer eigenständigen Kindergrundsicherung wesentlich besser als mit solchen Listen arbeiten kann. Geben Sie sich einen Ruck, und kämpfen Sie für Lernmittelfreiheit!

(Beifall SPD und SSW)

Das Wort für die Landesregierung hat die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Karin Prien.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Baasch, ich will den Hinweis loswerden, dass wir uns - das halte ich für absolut wichtig und notwendig - in der Großen Koalition darauf verständigt haben, den Familien einen zusätzlichen Kinderbonus zu bezahlen und besonders bedürftige Familien zu berücksichtigen. Ich glaube schon, dass wir alle miteinander erkannt haben, dass gerade Familien in dieser schweren Zeit ganz besonders unterstützungsbedürftig sind.

Bildungsgerechtigkeit ist für die Zukunft unseres Landes eine zentrale Aufgabe. Wir verbessern damit nicht nur die Teilhabemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen, sondern wir sichern auch ihre Chancen auf Ausbildung, Studium und Beruf und bekämpfen so den Fachkräftemangel. Wir machen junge Menschen fit für die Digitalisierung und verhindern die Spaltung der Gesellschaft. Wir stützen unsere Demokratie und - das darf ich mit Blick auf die Klimaschutzdebatte von heute sagen - bilden die jungen Menschen aus, die uns dabei helfen werden, die großen Zukunftsfragen unserer Gesellschaft zu lösen.

Mit Blick auf die Entwicklung in den vergangenen Monaten muss man deutlich sagen: Die digitale Bildungsgerechtigkeit - die Kollegin Strehlau hat be

reits darauf hingewiesen - wird zu einer der entscheidenden sozialen Fragen werden.

Ja, soziale Herkunft darf nicht ausschlaggebend für den individuellen Bildungserfolg sein. Da sind wir in Deutschland nach wie vor nicht gut genug. Deshalb müssen wir vor allem einkommensschwache Familien bei den Bildungskosten entlasten. Ich sage das auch mit Blick auf die Haushaltssituation. Wir müssen uns auf diejenigen konzentrieren, die es wirklich brauchen.

Wir tun das auch als Jamaika-Koalition auf verschiedenen Wegen. Wir haben in dieser Legislaturperiode Schwerpunkte gesetzt. Ich sage Ihnen: Aus meiner Sicht ist das PerspektivSchul-Programm die entscheidende Weichenstellung, die wir in dieser Legislaturperiode an dieser Stelle machen. Es gibt andere Dinge, die wir ebenfalls anpacken müssen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich das Thema frühkindliche Bildung an dieser Stelle für ganz entscheidend halte.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Ich sage aber auch - offensichtlich gibt es dazu unterschiedliche Auffassungen -: Auch Eltern tragen eine eigene Verantwortung für die Bildung und die Erziehung ihrer Kinder.

(Beifall CDU und FDP)

Die entscheidende Frage ist: Was ist für Familien zumutbar, und mit welchen Mitteln können wir die Belastung in Grenzen halten? Dazu müssen politische Lösungen gefunden werden. Da kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Eine Lösung des Problems besteht aber bestimmt nicht darin, nach dreijähriger Erörterung des Themas im Bildungsausschuss nun erneut eine Studie in Auftrag zu geben und die Datenerhebung zu erweitern. Damit lösen wir keines der Probleme. Wir haben ja keinen Erkenntnismangel. Das ist gar nicht das Problem.

Die Erfahrungen mit der IPN-Studie aus dem Jahr 2016 zeigen, dass eine fundierte Erhebung und Auswertung mindestens eineinhalb Jahre in Anspruch nehmen wird. Das kommt einer erneuten Vertagung des Themas in die nächste Legislaturperiode gleich und entspricht sicher nicht den Erwartungen der betroffenen Familien.

Noch einmal: Wir haben kein Erkenntnisdefizit, das mit einer solchen Studie beseitigt werden könnte.

Wir kennen die Kostenpositionen, die für die Belastung der Eltern von besonderer Bedeutung sind: Fahrt- und Betreuungskosten, Beiträge für Schulausflüge und Kosten für die Ausstattung einschließ

(Wolfgang Baasch)

lich der Anschaffung von digitalen Endgeräten. Dazu kommen gegebenenfalls Ausgaben für zusätzliche individuelle Förderung.