Vielleicht wird es daher eher auf einen Zusammenschluss derjenigen Regierungen hinauslaufen, die sich in der Tradition europäischer Ziele und Werte sehen, die sich dazu bekennen, dass die Europäische Union nicht nur eine Wirtschaftsunion ist, sondern von Beginn an auch den Zweck hatte, Frieden, Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte zu sichern. Womöglich wird die Reform der EUAsylpolitik aber zur Hauptaufgabe der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Denn dass diese Asylpolitik gescheitert ist, wird an den EU-Außengrenzen offenkundig. Aber das ist ein Langzeitziel. Vorrangig geht es uns doch darum, jetzt Handlungsmöglichkeiten zu bekommen.
Wir erhalten in unserem Büro regelmäßig Post von Menschen, die uns auffordern, endlich etwas für die Menschen in den Auffanglagern an den europäischen Außengrenzen zu tun. Unsere Bürgerinnen und Bürger gehen auf die Straße, um Menschen in Not helfen zu dürfen. 15 Gemeinden und Kommunen allein in Schleswig-Holstein haben sich freiwillig als sogenannte Sichere Häfen gemeldet. Deutschlandweit sind es 174 Städte, Kreise und Gemeinden. Hier will die Zivilgesellschaft gemeinsam mit den politischen Vertretungen über die üblichen Kontingente hinaus Geflüchtete aufnehmen.
In der Tat, die leeren Stühle, die ich vor dem Reichstagsgebäude, aber auch in Hamburg, Kiel, Flensburg oder an anderen Orten gesehen habe, sollen uns metaphorisch verdeutlichen: Wir schaffen noch mehr; wir haben Platz! Es ist nicht so, dass wir keinen Platz haben.
Knapp 35.000 Geflüchtete hielten sich im Juni 2020 auf den griechischen Inseln auf. Die EU hat insgesamt 446 Millionen Einwohner. Alle Geflüchteten, wenn wir nur die Geflüchteten von den griechischen Inseln nehmen, machen zusammen 0,008 % der EU-Bevölkerung aus; auf Husum mit seinen 24.000 Einwohnern umgerechnet sind das zwei Leute. Das schaffen wir in Husum, das kriegen wir hin, meine Damen und Herren.
Angesichts dieser Zahlen kann mir wirklich niemand erzählen, auch die AfD nicht, dass die Europäische Union diese Menschen nicht aufnehmen kann. Natürlich können wir das. Das hat auch nichts mit „Wir schaffen das“ zu tun, sondern es ist einfach eine gottverdammte Selbstverständlichkeit, dass man Leuten hilft, die in Not sind. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Europapolitikerin bin ich heute Nachmittag erst einmal dankbar dafür, dass wir hier eine ganz große Mehrheit für ein gemeinsames Bekenntnis, ganz dringend eine gemeinsame europäische Asylpolitik zu brauchen und diese gemeinsam gestalten zu wollen, herstellen können.
Über Moria und die dortige Katastrophe ist viel gesagt worden. Ich will aber betonen, dass das eigentliche Übel die geistige Brandstiftung von rechts außen ist.
Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir machen Moral zur Grundlage der Asylpolitik. Welchen Kompass braucht man denn sonst, außer Moral, Anstand, Nächstenliebe und Humanität? Was braucht man denn noch alles? Da hat man alles, was man für eine ordentliche Asylpolitik braucht.
Es waren Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die auch aufgrund ihrer eigenen Verfolgungsund Fluchtgeschichte dafür gesorgt haben, dass das Asylrecht in Deutschland Verfassungsrang erhält und dass alle politisch Verfolgten einen Rechtsanspruch auf ein individuelles Verfahren haben. Egal, wie die Diskussionen um die heute vorgelegten Vorschläge der Europäischen Kommission ausgehen, ein ganz zentraler Punkt ist ein faires Asylverfahren für alle Schutzsuchenden innerhalb der europäischen Grenzen, also nicht außerhalb der EU-Außengrenzen. Das ist mir an dieser Stelle ganz wichtig.
Mir ist außerdem wichtig, in einem gemeinsamen europäischen Asylsystem über die Finanzierung zu reden. Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich, dass der EU-Haushalt da durchaus ein geeignetes Instrument sein kann. Wir werden die heute von der Kommission vorgelegten Vorschläge - ich denke, im Europaausschuss - noch gut miteinander diskutieren können. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ein bisschen Bewegung in die Sache kommt; denn wir werden auch andere Länder überzeugen müssen. Da ist immer schnell von Polen und Ungarn die Rede. Aber ich will auch Österreich nennen, wo eine Koalition regiert. Auch da werden wir
Überzeugungsarbeit leisten müssen. Lassen Sie uns das gern gemeinsam tun. Heute Nachmittag gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass das auch gelingt. Vielen Dank.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade einen AfD-Beitrag vom Reißbrett gehört, in dem Sie keinen Bezug darauf nehmen, was hier mitten in der Europäischen Union wirklich passiert, Herr Schaffer. Sie müssen sich einmal die Realität vergegenwärtigen. 12.500 Menschen leben seit Jahren in einem Lager, das für 3.000 Personen ausgelegt ist, wohlgemerkt, nicht kurzzeitig, sondern seit Jahren. Darunter sind 4.000 Kinder. Mehrere Kinder sind dort vor Ort geboren worden, sie sind „born and raised in Moria“, teilweise im Dreck. Sie kennen nichts anderes. Das ist die Lage vor Ort. Das müssen Sie sich einmal vergegenwärtigen, wenn Sie solche Wörter in den Mund nehmen, wie Sie es gerade eben getan haben.
Ja, vermutlich war es Brandstiftung von innen. Wenn Ihre Antwort von der AfD darauf ist, dass Sie sagen, wenn wir jetzt als Deutschland, als Schleswig-Holstein, als Kommune helfen, wenn wir Hilfe anbieten, dann würden wir uns automatisch der Erpressung aussetzen, dann frage ich mich: Was ist denn Ihre Art der Hilfe? Schicken Sie statt Nahrung dann Feuerlöscher in die Lager, oder wie muss man sich das vorstellen? Derzeit leben Tausende Menschen auf der Straße, Kinder, Frauen und Kranke, und Sie verweigern es, dass wir denen im Rahmen der humanitären Nothilfe - das ist etwas anderes als Asylrecht - entsprechend helfen.
Wissen Sie, was Sie meiner Meinung einmal tun sollten? Sie sollten sich einmal ganz genau angucken - es gibt Dokumentationen, Reportagen; man sollte sich nicht nur Joko-und-Klaas-Videos dazu anschauen -, was da vor Ort wirklich passiert mit den 4.000 Kindern, die zum Teil auf offener Straße in den 4.000 Schlafsäcken schlafen, die wir von Deutschland aus dorthin geschickt haben. Sie haben meiner Meinung nach dann zwei Möglichkeiten: Entweder Sie schauen sich das an und stellen fest, dass es wirklich nicht ganz richtig ist, was Sie hier gesagt haben; dann sollten Sie sich dafür entschul
digen. Oder aber - das tut mir dann wirklich leid Sie haben wirklich ein widerliches Menschenbild, und dazu müssen Sie dann auch stehen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort für die Landesregierung hat die Ministerin für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung, Dr. Sabine Sütterlin-Waack.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Schon in der Mai-Sitzung dieses Landtages haben wir über die menschenunwürdige und beschämende Lage der Flüchtlinge, die in dem nun ausgebrannten Lager Moria auf Lesbos lebten, beraten. Vor vier Monaten hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass sich die existenzielle Not der Menschen dort noch weiter dramatisch verschlimmern kann. Ich wurde eines Schlechteren belehrt. Die Bilder des ausgebrannten Lagers, die von Familien mit Kindern, die im Freien auf Straßen kampieren und fast alles von dem wenigen, was sie noch hatten, verloren haben, lassen uns alle nicht los. Daher hat die Landesregierung sofort geholfen, und wir haben vor rund zwei Wochen zur Erstversorgung der Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos 4.000 Schlafsäcke zur Verfügung gestellt. Mein Dank gilt an dieser Stelle den ehrenamtlichen Kräften des Technischen Hilfswerks, die im Auftrag des Auswärtigen Amtes den Transport des Materials übernommen haben.
Die Tragödie auf Lesbos ist nach nur vier Monaten wieder Anlass, sowohl über die zwingend notwendige und schnelle Hilfe für die Flüchtlinge zu beraten als auch erneut die europäische Asylpolitik in den Fokus zu nehmen; denn - wenn auch nur für rund 1.000 Flüchtlinge - der Bund hatte die Aufnahme aus Griechenland damals bereits gestartet. Auf europäischer Ebene wurde um eine gemeinsame Asylpolitik gerungen. Selbstverständlich hat die Landesregierung ebenfalls noch im Mai dieses Jahres Ihren damaligen Landtagsbeschluss umgesetzt und gegenüber dem Bund das Angebot SchleswigHolsteins erneuert, nämlich aktiv helfen zu wollen und Flüchtlinge aufzunehmen. Zu diesem Wort stehen wir weiterhin.
Welche Aufnahmezahl auch immer die Bundesregierung in Verhandlungen mit Griechenland und den europäischen Partnern abstimmt, SchleswigHolstein wird mindestens 3,4 % dieser Personengruppe aufnehmen. Bisher hat das Bundesinnenministerium erklärt, weitere 1.553 Menschen aus 408 Familien, die durch Griechenland bereits als Schutzberechtigte anerkannt worden sind, aufnehmen zu wollen. Sofern andere Bundesländer sich wegen eingeschränkter Kapazitäten nicht so stark engagieren können, geht unsere Aufnahmebereitschaft angesichts der Signale aus den schleswigholsteinischen Städten und Kreisen über unsere Landesquote hinaus.
An dieser Stelle will ich betonen, dass uns nicht nur der breite Konsens der demokratischen Parteien im Landtag, für den ich sehr herzlich danke, hilft, Flüchtlinge aufzunehmen, sondern auch das Engagement der schleswig-holsteinischen Kommunen. Auch dafür herzlichen Dank!
Meine Damen und Herren, wichtig ist, Menschen in Not zu helfen. Wichtig, sogar wichtiger, um zukünftige Dramen zu vermeiden, ist es aber, dass wir uns auf europäischer Ebene auf eine humanitär geprägte und faire Migrations- und Asylpolitik verständigen. Die Weiterentwicklung des gemeinsamen europäischen Asylsystems, angestoßen 2016, ist bereits frühzeitig ins Stocken geraten und kommt seitdem nicht mehr so richtig voran. Es hakt insbesondere an der Neugestaltung der sogenannten Dublin-Verordnung, die künftig nicht nur bestimmen soll, in welchem Mitgliedstaat ein Schutzsuchender sein Verfahren betreiben muss, sondern auch die Verteilung Schutzsuchender auf die Staaten der Europäischen Union regeln soll. Hier gibt es für mich ein ernstzunehmendes Solidaritätsproblem. Aber vielleicht bewirkt die Not auf Lesbos doch noch das mindeste. Ursula von der Leyen hat ja soeben ihre Vorschläge für die Reform der EUMigrations- und Asylpolitik vorgelegt. Auf die Schnelle habe ich gefunden - ein paar Schlagworte -: Dublin-Regeln sollen bestehen bleiben, schnellere Abschiebung, mehr Kooperation, EU-Staaten sollen sich gegenseitig helfen, strengere Prüfung an der Grenze.
Frau Poersch, ich stimme Ihnen völlig zu. Auch ich hoffe, es kommt Bewegung in die Angelegenheit. Es wird Zeit, meine Damen und Herren! Nach gründlichem Studium des Kommissionsvorschlags werden wir diesen bewerten und überlegen, welche Ziele wir unterstützen, werden wir eigene Anregungen einbringen und dabei selbstverständlich die
Ich lasse über den Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW, Drucksache 19/2437 (neu), abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sehe ich nicht. Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und den Abgeordneten des SSW gegen die Stimmen der AfD und der Abgeordneten von Sayn-Wittgenstein angenommen.
Ich lasse über den Wahlvorschlag abstimmen und schlage Ihnen hierfür eine offene Abstimmung vor. - Widerspruch höre ich nicht. Dann werden wir so verfahren.
Ich weise noch darauf hin, dass für die Wahl die Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich ist.
Wer dem Wahlvorschlag Drucksache 19/2428 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Somit besteht Einstimmigkeit, und der Abgeordnete Hans-Jörn Arp ist als stellvertretendes Mitglied gewählt worden. Herzlichen Glückwunsch!
Ich erteile das Wort der Ministerin für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung, Dr. Sabine Sütterlin-Waack.