Protokoll der Sitzung vom 16.01.2013

(Abg. Heib (CDU) )

einfach schon aufgrund automatisch auftretender Materialermüdungen nicht hinnehmbar. Jenseits aller Einzelbemühungen zur Verbesserung der Sicherheit gibt es an dieser Stelle einen elementaren Unterschied in der Sichtweise der Dinge hier, der Saarländerinnen und Saarländer, vielleicht auch mittlerweile in der gesamten Republik, und dort der noch überwiegenden Sichtweise auf französischer Seite.

Dieser Unterschied besteht eben gerade nicht darin, dass wir jenseits aller konkreten Sicherheitsmaßnahmen nicht bereit sind, das immer noch verbleibende Restrisiko, das es nun einmal gibt, in Kauf zu nehmen. Das Ausmaß aller möglichen Schäden wäre so groß, dass wir jedes auch noch so kleine Restrisiko verantwortbar nicht in Kauf nehmen wollen. Das ist unsere Position und das ist auch die Begründung für unsere Forderung nach einer schnellstmöglichen Abschaltung. Wir wollen keine Restrisiken, wir wollen die vorzeitige Abschaltung von Cattenom.

Dies ist auch eine Haltung, hinter der sich der saarländische Landtag heute nicht zum ersten Mal in seiner Gänze versammelt hat. Ohne dass das heute besonders zum Ausdruck gekommen wäre, glaube ich, dass es auch keinen Sinn macht, sich in den Parteien und in den Fraktionen quasi in einen Wettlauf zu begeben, wer der größere Cattenom-Gegner ist. Wir sind vereint in unserem Ziel und ich darf Ihnen versichern, dass die saarländische Landesregierung und ich als Umweltministerin mit aller Kraft dafür eintreten werden, eine vorzeitige Abschaltung Cattenoms zu erreichen, aber natürlich auch in dem Bewusstsein, dass wir hier unmittelbar nichts bewirken können, sondern lediglich unsere Appelle adressieren und politischen Druck aufbauen können, was wir auch gerne tun.

Wir werden auch alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die entsprechenden Gespräche zu führen. Ich selbst werde - der Termin ist schon vereinbart - wieder am 06. März in Cattenom vor Ort sein und dort das Gespräch mit dem neuen Kraftwerksdirektor suchen, selbstverständlich auch in dem Bewusstsein, dass Kraftwerksdirektoren in Frankreich nun mal keine Atomkraftwerke abschalten, sondern dass das politische Entscheidungen sind und wir deshalb die Diskussion in erster Linie auf die politische Entscheidungsebene bringen müssen.

Vor diesem Hintergrund lade ich auch alle Fraktionen in diesem Hause - ob sie Regierungs- oder Oppositionsfraktionen sind - ein, gemeinsam mit uns darüber nachzudenken, welche Möglichkeiten es noch gibt. Ich bin da völlig offen. Wenn jemand eine gute Idee hat, wie wir einen Schritt weiterkommen können, möge sie mir angetragen werden. Ich lade ausdrücklich zu einem solchen Gespräch ein. Lassen Sie uns doch mit allen Fraktionen in diesem Hause darüber sprechen, welche Möglichkeiten sie

noch sehen. Wir brauchen uns hier nicht gegenseitig anzutreiben, sondern wir sollten dies gemeinsam angehen.

(Zuruf des Abgeordneten Ulrich (B 90/GRÜNE).)

Ich habe Ihren Zwischenruf leider nicht verstanden. Ich glaube, er war bezogen auf mein Ansinnen, etwas gemeinsam zu tun.

(Weitere Zurufe des Abgeordneten Ulrich (B 90/GRÜNE).)

Ich werde trotzdem an diesem Angebot festhalten. Das Thema Cattenom ist für die Saarländerinnen und Saarländer ganz einfach zu wichtig, als dass es der Profilierung wegen in einem parteipolitischen Gezänk enden sollte. Ich würde mich sehr freuen, wenn diese Einladung von Ihnen angenommen würde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Errichtung und der Betrieb eines Atomkraftwerkes sind bei aller nationalstaatlichen Souveränität eben keine alleinige Frage des Nationalstaates. Es ist vielmehr eine klassische grenzüberschreitende Frage, das ist an diesem Tag schon einmal gesagt worden. Lassen Sie uns diese Frage deshalb in aller Freundschaft, aber auch in aller Klarheit und vor allem im Sicherheitsinteresse der Saarländer und Saarländerinnen sowie der Menschen in der Großregion insgesamt so klären, wie ich es eben dargestellt habe.

Ich habe eben angedeutet, Monsieur Joureau, dass mir bewusst ist, dass kein Kraftwerksdirektor dieses Thema alleine in Cattenom entscheiden wird. Ich will gerne nach Paris fahren oder wohin auch immer, um dieses Thema zu diskutieren, um Befindlichkeiten, die es im Saarland nun einmal gibt, auch gegenüber politisch Verantwortlichen darzustellen. All das will ich gerne tun, wenn man uns die Türen öffnet. Denn ich glaube, dass wir überhaupt nur dann einen Schritt weiterkommen, wenn man uns die Türen auch öffnet. Weder der Kraftwerksdirektor noch der Großgipfel der Region werden dieses Thema letztlich entscheiden. Es wird in Paris entschieden.

Ich bin bereit, diesen Weg zu gehen im Interesse der Saarländerinnen und Saarländer. Lassen Sie uns gemeinsam in dieser Sache weiter Seit’ an Seit’ schreiten. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen und verein- zelt bei der LINKEN.)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir treten nunmehr in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 13.15 Uhr und wünsche allen einen guten Appetit.

(Ministerin Rehlinger)

(Die Sitzung wird von 12.21 Uhr bis 13.17 Uhr unterbrochen.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort und kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:

Erste Lesung des von der CDU-Landtagsfraktion und der SPD-Landtagsfraktion eingebrachten Gesetzes zur Änderung des Volksabstimmungsrechtes (Drucksache 15/302)

Zur Begründung erteile ich Frau Abgeordneter Petra Berg das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In seiner siebten Sitzung hat der saarländische Landtag den Gesetzentwurf der Landtagsfraktionen der CDU und der SPD zur Änderung der Verfassung des Saarlandes zur Stärkung der Bürgerbeteiligung mit Stimmenmehrheit in Erster Lesung angenommen. Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen erfolgt die notwendige Anpassung der einfachgesetzlichen Normen an die saarländische Verfassung.

Das Saarland gründet auf plebiszitären Elementen. Es ist hervorgegangen aus zwei Akten der unmittelbaren Demokratie, den Volksabstimmungen der Jahre 1935 und 1955. Jedoch gab es in der Geschichte des Saarlandes bis heute keinen erfolgreichen Volksentscheid. Deshalb ist es für die Politik unerlässlich, dass man unseren Saarländerinnen und Saarländern Instrumente an die Hand gibt, die sie in die Lage versetzen, ihre Meinungen und Ansichten in die Politik einfließen zu lassen. Damit schaffen wir eine aktive mobilisierende Politikkultur, die geeignet ist, unsere Gesellschaft nachhaltig zu prägen. Die Glaubwürdigkeit der Politik erhält hier eine neue Chance.

Die Ausgestaltung der direkten Demokratie durch diesen Gesetzentwurf ist zwar auch als Reaktion auf geringe Wahlbeteiligung und steigende Politikverdrossenheit zu sehen, aber vielmehr ist sie Anspruch der Politik, sich am Willen und den Bedürfnissen der Bevölkerung zu orientieren. Sie legitimiert die Politik durch ihre Instrumentarien, die eingebrachten Meinungen und Bedürfnisse der Bevölkerung in ihre Arbeit integrieren und befriedigen zu können.

Lassen Sie mich auf einige Eckpunkte eingehen. Als neues Instrumentarium wird die Volksinitiative in den Anwendungsbereich des Volksabstimmungsgesetzes aufgenommen. Sie stellt ein niedrigschwelli

ges Mittel da, um Bürgeranliegen an den Landtag herantragen zu können. In einem schriftlichen Antrag beschreiben die Antragsteller, mit welchem Gegenstand politischer Willensbildung der Landtag sich befassen soll. Vorgelegt werden müssen lediglich 5.000 Unterstützerunterschriften stimmberechtigter Bürgerinnen und Bürger. Die Unterschriften dürfen, wenn der Antrag eingereicht wird, nicht älter als sechs Monate sein. Dies garantiert die Aktualität des Bürgerbegehrens und des Willens der Unterzeichnenden.

Die Unterzeichnenden beziehungsweise die Antragsteller weisen die Stimmberechtigung durch eine von der Gemeinde kostenfrei zu erteilende Bescheinigung nach. Wichtig ist, dass bereits in diesem Verfahrenstadium Mängel in der Zulässigkeit - also formelle Mängel - durch den zuständigen Ausschuss für Wahlprüfung innerhalb eines Monats behoben werden können. Hier wird durch den Landtag eine wichtige Hilfestellung geleistet, um zu verhindern, dass bei rein formellen Fehlern beispielsweise eine erneute Unterschriftensammlung nötig wird. Gleichzeitig wird aber verhindert, dass offensichtlich unzulässige Begehren eingebracht werden können, wenn beispielsweise nur zwei Stimmen auf der Liste stehen.

Um einen zügigen Verfahrensgang zu gewährleisten, muss der zuständige Ausschuss für Wahlprüfung entscheiden, ob er sich mit der Initiative befasst und das innerhalb von drei Monaten. Auf dieser Stufe des Verfahrens, die sich noch mit den formellen Voraussetzungen befasst, wird den Antragstellern ein umfassendes Anhörrecht gewährt. Dieses rechtliche Gehör ist wichtige Voraussetzung einer aktiven Bürgerbeteiligung, denn es stellt sicher, dass Standpunkte geklärt, Positionen im Detail dargelegt und Missverständnisse vermieden werden können.

Die Antragsteller der Volksinitiative erhalten nach dem Mängelbeseitigungsverfahren nochmals Gelegenheit, den Gegenstand der politischen Willensbildung darzulegen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, erstarkt der Anspruch der Volksinitiative zu einer Befassungspflicht des Landtags. Das ist auch ganz wichtig. Aus einem Anspruch der Antragsteller wird hier eine Befassungspflicht des Landtages.

Sollte der Landtag entscheiden, dass er sich nicht mit dieser Volksinitiative befassen muss, ist für die Antragsteller der Weg zum Verfassungsgerichtshof eröffnet. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der Landtag es so ansieht, dass dieses Thema kein Gegenstand der politischen Willensbildung ist. Deshalb werden in Artikel 2 des Gesetzentwurfes die entsprechenden Normen des Verfassungsgerichtshofgesetzes angepasst und den Antragstellern Rechtsschutz gewährt. Befasst sich der Landtag jedoch mit der Initiative, so muss er innerhalb von zwei weiteren Monaten einen abschließenden Be

(Präsident Ley)

schluss fassen, nachdem er den Initiatoren nochmals rechtliches Gehör gewährt hat.

Meine Damen und Herren, durch die Gewährung des rechtlichen Gehörs in dieser Ausgestaltung wird eine wirkliche Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger erreicht, die damit bereits am Anfang des Verfahrens die Gelegenheit haben, den Verfahrensgang maßgeblich zu beeinflussen und durch ihre Einwendungen mitzubestimmen.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Das ist in einer direkten Demokratie unerlässlich, damit politische Diskussionen angeregt und bereichert werden.

Auf der zweiten Stufe werden die Vorschriften zu Volksbegehren an die verfassungsrechtlichen Vorgaben angepasst. Bei Kosten verursachenden Maßnahmen muss der Antrag einen konkreten und begründeten Kostendeckungsvorschlag enthalten. Die Interessen des Saarlandes als Haushaltsnotlageland und die Verpflichtung der Verantwortlichen zur Haushaltssanierung müssen sich an den Kriterien der Finanzierbarkeit messen lassen. Dem plebiszitären Gesetzgeber wird hierdurch ein Stück Finanzverantwortung übertragen, die er für sich auch aus der Verfassung beanspruchen kann. Diese Verantwortung ist gesamtgesellschaftliche Verantwortung und ein Teil der Bürgerbeteiligung, die man unseren Bürgerinnen und Bürgern vertrauensvoll an die Hand geben kann.

Direkte Demokratie erfordert diese Möglichkeit der Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Aus diesem Grund muss der Kostendeckungsvorschlag den Unterstützungsblättern beigefügt werden. Die Bürgerinnen und Bürger müssen nämlich in die Lage versetzt werden, sich über die Reichweite des Volksbegehrens umfassend informieren zu können. Damit wird ihnen die Tragweite des Handelns vor Augen geführt und sie werden in die Lage versetzt, die ihnen übergebene Verantwortung wahrzunehmen.

Eine weitere wichtige Neuerung des Volksabstimmungsgesetzes ist die Legaldefinition des Begriffes Staatsleistungen. In Art. 99 Abs. 1 der saarländischen Verfassung wurde die Möglichkeit finanzwirksamer Volksbegehren geschaffen und das absolute Finanztabu abgeschafft. Unzulässig sind nach Satz 1 unter anderem die Volksbegehren über Staatsleistungen.

Um eine einschränkende Auslegung im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sowie eine Relativität des Finanzvorbehaltes sicherzustellen, wurde der Begriff der Staatsleistungen einschränkend ausschließlich auf Hilfen und Zuwendungen bezogen, die unmittelbare staatliche Geldleistungen gegenüber Gruppen oder Individuen beinhalten. Damit hindern staatliche Transferleistungen nur unter

ganz engen Voraussetzungen die Zulässigkeit eines Volksbegehrens.

Eine wesentliche Erleichterung für das Plebiszit wurde weiterhin durch die Verlängerung der Unterstützungsfrist des Volksbegehrens von zwei Wochen auf drei Monate geschaffen. Darin sind sich alle in diesem Hause vertretenen Fraktionen einig - zumindest waren sie es in der letzten Debatte.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Allerdings bleibt es auch in diesem Gesetzentwurf bei dem Erfordernis der amtlich ausgelegten Unterstützerblätter beim Volksbegehren, während bei der Volksinitiative die Unterschriften frei gesammelt werden können. Es wird nicht in Zweifel gezogen, dass Unterschriften auf freien Listen einfacher zu beschaffen sind und für die Initiatoren des Volksbegehrens tatsächlich eine Erleichterung darstellen würden.

Im Fokus müssen wir die Auswirkungen und die Bedeutung der plebiszitären Gesetzgebung behalten. Die Themen, die dieser Gesetzgebung beim Volksbegehren unterfallen, können in unserer Gesellschaft weitreichende Konsequenzen für das Zusammenleben nach sich ziehen. Daher muss für alle Bürgerinnen und Bürger jederzeit ohne Schwierigkeit nachvollziehbar sein, dass das Verfahren ordnungsgemäß und transparent abgelaufen ist.

Unsere kommunalen Verwaltungen werden zunehmend modernisiert. Sie haben längere Dienstleistungszeiten und es gibt den Einsatz mobiler Verwaltungen im ländlichen Raum. Dies erleichtert auch die Leistung der Unterstützungsunterschrift in der Kommune, stellt aber umgekehrt ebenfalls sicher, dass gewisse Erfordernisse erfüllt sind, dass zum Beispiel der Kostendeckungsvorschlag den entsprechenden Listen beigefügt ist.

Führt dieses Volksbegehren nicht zum Erfolg, so ist nach dem vorliegenden Gesetzentwurf die Landesregierung binnen einer Frist von zwei Monaten gezwungen, einen Volksentscheid herbeizuführen. Die Verkürzung der Handlungsfrist der Landesregierung von drei auf zwei Monate stellt ebenfalls einen zügigen Verfahrensablauf im Sinne der Antragsteller sicher. Das Erfordernis, dass die Bekanntmachung im Amtsblatt den Kostendeckungsvorschlag und die detaillierte Stellungnahme der Landesregierung enthalten muss, ist ein wichtiges Instrument der Transparenz im plebiszitären Gesetzgebungsprozess. Diese Verbesserungen sind unverzichtbare Erfordernisse, um in einer direkten Demokratie Entscheidungsprozesse auf eine breite demokratische Legitimationsbasis zu stellen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Viele Redebeiträge zu diesem Thema beginnen mit dem bekannten Zitat von Willy Brandt „Mehr Demo

(Abg. Berg (SPD) )

kratie wagen“. Nach einigen Jahren lebhafter Diskussionen kann ich heute sagen: Mit diesem Gesetzentwurf haben wir es gewagt. Ich bin aber sicher, das Plebiszit ist kein Wagnis, es ist wichtiger Teil und unabdingbare Voraussetzung eines demokratisch legitimierten Handelns der Politik. Wir gehen kein Wagnis ein, sondern wir schaffen die Grundlage, mit unseren Bürgerinnen und Bürgern Vorhaben in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung anzugehen und umzusetzen. Das ist eine enorme Bereicherung unserer Politikkultur. - So viel zum Gesetzentwurf.