Petra Berg

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Last Statements

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat ist heute ein guter Tag, denn ein lange währender Untersuchungsausschuss und auch ein sehr negativ besetztes Thema finden mit dem heutigen Abschlussbericht ihr Ende. Den Anfang hat dieses Thema gefunden mit dem Antrag der SPD-Fraktion vom 16.11.2011 auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses. Hintergrund war damals der Bericht des Landesrechnungshofs, der sehr detailliert und akribisch Dinge aufgearbeitet hat und erhebliche Zweifel daran aufkommen ließ, ob der Landtag des Saarlandes und die Öffentlichkeit ausreichend, umfassend und auch korrekt über die Kosten des Erweiterungsbaus informiert worden sind.
Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Untersuchungsausschuss ist ein Sonderfall der Informationsbeziehungen zwischen Parlament und Regierung; er wird dann eingesetzt, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Parlament und Regierung gestört ist. Kollege Theis hat es eben schon in der vorherigen Debatte gesagt: Der Untersuchungsausschuss ist das schärfste Schwert im politischen Kampf. Und genau deshalb muss es auch beim Untersuchungsausschuss um politische Verantwortlichkeiten gehen.
Bevor ich auf den Kern der Untersuchungsarbeit eingehe, möchte ich noch ganz kurz zur Arbeitsweise
und zum Verfahren etwas ausführen. Die Kollegin Heib hat das ja schon ausführlich in ihrem Bericht gemacht. Es gab sehr viele Sitzungen, es wurden sehr viele Zeuginnen und Zeugen vorgeladen und vernommen, manche Zeugen wurden sogar mehrfach befragt, um die Gründe für diese enorme Kostensteigerung herauszufinden.
Unabdingbar für die erfolgreiche Arbeit eines Untersuchungsausschusses ist, meine Damen und Herren, dass die Akten vollständig im Original vorliegen und nicht, wie insbesondere in der 14. Wahlperiode geschehen, kopiert, teilweise vor der Ablieferung bearbeitet und umsortiert wurden. Die Arbeit des Ausschusses war dadurch erheblich erschwert. Es wurden wiederholt amtliche Dokumente nicht oder nicht im Original vorgelegt. Das hat die umfassende und vollständige Aufklärung im Untersuchungsausschuss massiv behindert. So konnten zum Beispiel auch das hat Kollegin Heib ausgeführt - Zeichnungsvermerke wegen gefertigter Schwarzweißkopien nicht mehr eindeutig einer Person oder einem politischen Amt zugeordnet werden. Sie wissen, meine Damen und Herren, in der Regierung zeichnet in jedem politischen Amt die jeweilige Person mit einer bestimmten Farbe. Mit den dem Untersuchungsausschuss vorliegenden Beweismitteln kann deshalb zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass bei Vorlage der vollständigen Originalakten weitergehende Feststellungen dieses Ausschusses hätten erfolgen können.
Kommen wir nun zum Kern der Arbeit des Untersuchungsausschusses, nämlich den Ermittlungen darüber, warum die Kosten für den Bau von den ursprünglich taxierten 12,6 Millionen Euro auf über 30 Millionen Euro ansteigen konnten, sowie der Frage, wer wann von welchen Kostensteigerungen gewusst und letztendlich auch hierfür die politische Verantwortung zu tragen hat, denn das festzustellen ist die Aufgabe des Untersuchungsausschusses.
Die Arbeit des Untersuchungsausschusses hat deutlich gezeigt, dass im Rahmen des ersten Projektanlaufs zu keinem Zeitpunkt die zu erwartenden Kosten vollständig ermittelt und kommuniziert wurden. Diesen Befund hat der Präsident des saarländischen Rechnungshofs auch so mitgeteilt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Kostenschätzung in Höhe von 12,5 Millionen Euro unrealistisch und der Museumsneubau für diesen Betrag zu keiner Zeit herstellbar gewesen sei. Es wurden vielmehr stets Teilkosten angegeben. Auch dies hat der Landesrechnungshof in seiner Prüfmitteilung deutlich gemacht, indem er kritisierte, dass bei der Berechnung der Gesamtkosten ganze Kostengruppen schlicht weggelassen worden sind. Dies nicht etwa deshalb, weil sie noch nicht festgestanden hätten, nein, es waren Kostengruppen zum Teil ganz erheblich untersetzt,
die zwingend anfallen würden und daher durchaus auch kalkulierbar gewesen wären.
Und selbst wenn bei der Planung und Realisierung des Erweiterungsbaus von Anfang an keine weiteren Fehler gemacht worden wären, bleibt bei der politischen Wertung doch in diesem Rahmen festzuhalten, dass die Öffentlichkeit wiederholt über die zu erwartenden Kosten getäuscht wurde. Der Rechnungshof kommt zu dem Schluss, dass die Kostenangaben bewusst untersetzt wurden, um bei den Gremien des Landtages und der Stiftung eine Freigabe für die Umsetzung der Neubaumaßnahme zu erreichen. Die damalige Kulturministerin und heutige Ministerpräsidentin hat im Hinblick auf die von ihr eigenhändig geänderte Pressemitteilung aus dem Juli 2009 auch punktuell eingeräumt, dass sie sich heute nicht mehr so verhalten würde.
Der Untersuchungsausschuss konnte aus den zuvor von mir genannten Gründen letztlich nicht herausfinden, wer eine entsprechende interne Anweisung, Kosten außen vor zu lassen, abgegeben und dafür auch die politische Verantwortung zu tragen hat. Es erscheint jedoch nach allem im höchsten Maße unwahrscheinlich, dass allein die Herrn Melcher und Marx die tatsächlich zu erwartenden Kosten gekannt haben. So wurden nur ein Beispiel am 31.03.2011 vor dem Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien von der Staatskanzlei die voraussichtlichen Gesamtkosten auf 18,7 Millionen Euro beziffert. Nach einer Kostenfortschreibung der Stiftung zum 31.07.2010, also acht Monate vor dieser Ausschusssitzung, wurden jedoch schon die Gesamtbaukosten in Höhe von fast 25 Millionen Euro festgestellt. Der Rechnungshof hat hierzu festgestellt, dass es unverständlich ist, warum die Staatskanzlei gegenüber dem Ausschuss Kostenangaben gemacht hat, die nicht dem aktuellen Stand entsprachen.
Aber es gab noch weitere Defizite beim Bau des Vierten Pavillons. Neben dieser desaströsen Kommunikation der Kosten ist generell festzuhalten, Herr Kollege Bierbaum hat das schon getan, dass der erste Projektanlauf schlichtweg gescheitert ist. Es sind ganz erhebliche Mehrkosten entstanden, ganz erhebliche Zeitverzögerungen und auch ein Ansehensverlust für das Saarlandmuseum, die LandesKulturstiftung, die Kulturpolitik und letztlich das Saarland.
Der erste Anlauf war geprägt durch ein multiples menschliches Versagen, ein Zeitverlust von mehreren Jahren und viele verlorene Kosten, für die die Steuerzahler keinen Gegenwert in Stein erhalten haben. Die institutionellen Kontrollmechanismen der Stiftung haben ebenso versagt wie die ministerielle politische Steuerung und Kontrolle. Ein Ergebnis des Untersuchungsausschusses war, dass nur durch das Entfernen der Hauptakteure und ein vollständi
ges Neuaufsetzen des Projektes weitere negative Folgen für unser Land verhindert wurden. Fakt war, es bestand kein Konzept für die städtebauliche Einbindung und für die Umfeldgestaltung, keine Lösung für die Fassade, kein durchdekliniertes museales Konzept, keine zutreffende und vollständige Gesamtkalkulation und auch keine vollständige Finanzierung. Es war zudem ein Architekt beauftragt, der nicht über die notwendige Erfahrung im Museumsbau verfügte.
Wenn man eine politische Bestandsaufnahme dieser Defizite vornehmen will, ist zunächst festzustellen, dass sich die umfassende und grundlegende Kritik des Rechnungshofes des Saarlandes im Zuge der Aufarbeitung durch den Untersuchungsausschuss praktisch in allen wesentlichen Punkten bestätigt hat. Die Projektsteuerung wurde ohne Ausschreibung der Firma von Gerd Marx übertragen. Im Zuge der Auftragsvergabe an die Firma Marx wäre es zwingend gewesen, die Frage zu stellen, was die Ausschreibung im Einzelnen ergeben hat in Bezug auf Anforderungen, Leistungsumfang, Preise, Mitbewerber und so weiter. Die unterbliebene Ausschreibung der Projektsteuerung ist durchaus eine Erwähnung wert, denn sie hat gravierende Folgen. Es erhielt nämlich ein Unternehmen den Zuschlag, das fachlich damit überfordert war und im Museumsbau keine hinreichende Erfahrung besaß. Dem Unternehmen wurden vertraglich viel zu hohe Honorare zugesagt und auch ausgezahlt.
Das wissentliche Aushebeln des Vertragsrechts führte schließlich dazu - die Gerichte fanden hierfür eine sehr plastische Formulierung, nämlich die des „kollusiven Zusammenwirkens“ -, dass die Stiftung aus den Verträgen keine Ansprüche mehr geltend machen konnte. Die Stiftung konnte wegen des Vergaberechtsverstoßes noch nicht einmal die Honorarzahlungen zurückerhalten, für die die Marx GmbH keinerlei Gegenleistungen erbracht hatte. Dass die unterbliebene Ausschreibung ein Versehen oder Ähnliches war, ist indes ausgeschlossen. Das bestätigt auch die zweite Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken im Verfahren gegen Melcher wegen des Verdachtes der Untreue, wenn sie eine Verfahrenseinstellung gegen Auflage anregt, weil die Beauftragung von Marx nach Auffassung der Kammer politisch gewollt war.
Ein weiteres Beispiel, wie die Verantwortlichen zu den agierenden Personen und deren finanzielle Ausstattung gestanden haben, zeigt auch die Bezahlung von Herrn Melcher. Dem Vorstand der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz wurde eine Besoldung vergleichbar der Besoldungsgruppe B 9 gewährt, die damit noch über der Besoldung eines Staatssekretärs lag. Auch das wurde von dem saarländischen Rechnungshof moniert. Die Zeche für dieses Versagen, meine Damen und Herren, zahlt auf ganzer Li
nie der Steuerzahler. Alleine eine politische Verantwortung für dieses Versagen wurde nicht übernommen.
Das ist das Ergebnis des Untersuchungsausschusses.
Erst seit dieser Legislaturperiode, meine Damen und Herren, und damit sei mir ein Ausblick in die Zukunft gestattet, ist das Projekt im richtigen Fahrwasser. Hierfür zeigt sich der amtierende Kulturminister Ulrich Commerçon verantwortlich. Er hat die Stiftung institutionell und personell neu aufgestellt, hat ein neues Stiftungsgesetz vorgelegt und dabei für funktionierende Checks and Balances und Transparenz gesorgt. Er hat als Vorsitzender des Kuratoriums für den zweiten Projektanlauf die Verantwortung übernommen, um weiteren Schaden abzuwenden und ein bestmögliches Ergebnis für die Kulturlandschaft zu erzielen. Meine Damen und Herren, Kulturpolitik ist keine nachrangige Nebensache, sie muss ernsthaft, verantwortungsbewusst und transparent betrieben werden.
Ulrich Commerçon hat eine Neuausschreibung veranlasst und erstmals eine Gesamtlösung vorgelegt, die auch Antworten auf die bisher ungelösten Fragen gibt. Es entstand zum ersten Mal eine öffentliche Akzeptanz für dieses Projekt. Es wurden Konzepte für die städtebauliche Entwicklung und die Umfeldgestaltung vorgelegt, eine Fassadenlösung wurde gefunden.
Für ein harmonisches Miteinander des SchöneckerEnsembles und des Erweiterungsbaus wurde gesorgt.
Es wurde ein durchdekliniertes museales Konzept entwickelt und ein international renommiertes Architektenteam mit Erfahrung im Museumsbau beauftragt. Herr Ulrich, es wurde auch eine zutreffende und vollständige Gesamtkalkulation und eine vollständige Finanzierung erstmals sichergestellt.
Weil das so ist, werden wir, meine Damen und Herren, den Erweiterungsbau noch in diesem Jahr eröffnen können. Wer sich die Zeit genommen hat, an den angebotenen Besichtigungsterminen teilzunehmen, konnte sich überzeugen, wie hervorragend dies alles mit dem amtierenden Kulturminister gelungen ist.
Der komplette Turnaround wurde geschafft. Ein hartes Stück Arbeit. Aber die Kultur in diesem Land und die Werte, die wir mit ihr verbinden, haben es verdient, meine Damen und Herren, dass kein Desaster zurückbleibt, sondern eine Kulturlandschaft Saarland, die ein renommiertes Ansehen genießt. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befassen uns heute in der Zweiten und abschließenden Lesung mit dem saarländischen Ausführungsgesetz zur psychosozialen Prozessbegleitung. Der SPD-Landtagsfraktion ist die Stärkung des Opferschutzes ein sehr wichtiges politisches Anliegen. Wir haben die Stärkung des Opferschutzes im Koalitionsvertrag vereinbart und in der laufenden Legislaturperiode schon einiges erreicht. So haben wir beispielsweise im Jahr 2015 das Kompetenzzentrum für ambulante Resozialisierung und Opferhilfe gegründet mit einer Kompetenz für Opferhilfe, um die uns andere Bundesländer beneiden.
Opfer von Gewalttaten benötigen zeitnahe professionelle Hilfe, um nach den traumatischen Erlebnissen einer Straftat und den damit einhergehenden psychischen und physischen Verletzungen wieder in ein normales Leben zurückkehren zu können.
Im Strafverfahren besteht die Besonderheit, dass die wichtigsten Zeugen der Tat oft zugleich auch deren Opfer sind. Das bedeutet, dass sie die erlittenen Verletzungen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens detailliert wiedergeben müssen, auf diese Weise die traumatisierende Erfahrung erneut durchleben müssen und so oftmals erneut zum Opfer werden können. In diesem Zusammenhang sprechen Experten von Sekundärviktimisierung.
Das ist für die Betroffenen in mehrfacher Hinsicht außerordentlich belastend. Zum einen ist es die Scham, zum Opfer geworden zu sein, und zum anderen zugleich einer fremden bürokratischen Prozedur ausgesetzt zu sein, in der die Opfer dann als Verfahrensbeteiligte gewisse Rechte und Pflichten wahrnehmen müssen. Das Strafverfahren richtet den Blick vor allem auf die Täter. Die Straftat soll aufgeklärt werden und die Täter sollen einer gerechten Strafe zugeführt werden.
Der Staat ist aber in gleicher Weise verpflichtet, sich schützend vor die Opfer von Straftaten zu stellen und deren Belange zu wahren. Auch dem dient der vorliegende Gesetzentwurf. Dort, wo Menschen Opfer von Gewalttaten werden, gehört es meiner Meinung nach zu unserer ureigensten Pflicht, diesen Menschen auch zu helfen. Auch das muss ein Teil von Sicherheit sein, die unser Staat gewährleisten muss. Leider kommt er erst dann zum Zuge, wenn schon Schlimmes passiert ist. Für uns ist es wichtig, dass nicht nur Täter dingfest gemacht und bestraft werden, sondern dass wir auch die Opfer im Blick haben und ihnen helfen, die Verletzungen zu überwinden.
Deshalb hat die saarländische Regierung durch das Justizministerium auch Initiativen ergriffen, um auf
Bundesebene Verbesserungen des Opferschutzes zu erreichen. Das auf Bundesebene erlassene Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung geht auf einen Antrag aus dem Saarland zurück. Die Motivation dahinter ist, dass im Sinne besonders schutzbedürftiger Opfer schwerer Straftaten auch im Strafverfahren alles getan werden muss, um die individuelle Belastung von Verletzten zu mildern, damit sie nicht wieder erneut zum Opfer werden.
Menschen, die einer Straftat zum Opfer gefallen sind, dürfen nicht im gerichtlichen Verfahren noch einmal zum Opfer werden. Die Aussage von Opferzeugen vor Gericht ist stets elementar wichtig, um das Tatgeschehen aufzuarbeiten und richtig darzustellen, damit die Täter ihrer gerechten Strafe zugeführt werden können. Deshalb benötigen gerade die Opfer die größtmögliche Unterstützung, damit sie diesen Belastungen auch standhalten können. Daher ist ein ganz wesentlicher Baustein für die Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren eben der Rechtsanspruch auf diese psychosoziale Prozessbegleitung. Bundesjustizminister Heiko Maas hat schon gesagt: Dieser Rechtsanspruch ist ein Meilenstein des Opferschutzes.
Was bedeutet psychosoziale Prozessbegleitung ganz konkret? Sie bedeutet die Begleitung von Opfern, die als Tatzeugen aussagen. Stark belastete Verletzte von Straftaten und auch deren Angehörige werden vor, während und nach der Hauptverhandlung durch Fachkräfte begleitet und betreut. Ziel ist es nämlich - wie eben schon gesagt -, die individuelle Belastung zu mindern, damit sie als Zeugin oder Zeuge im Verfahren aussagetüchtig bleiben. Solche Opferzeugen sind insbesondere häufig Kinder und Jugendliche. Es sind Personen mit psychischer Beeinträchtigung oder Betroffene von Sexualstraftaten und häufig Opfer von häuslicher Gewalt oder Stalking.
Wie eben schon gesagt wurde, ist dieser Rechtsanspruch auf Bundesebene implementiert worden. Es ist nun Sache der Länder zu bestimmen, welche Personen diese verantwortungsvolle Tätigkeit übernehmen dürfen, welche Personen hierzu anerkannt werden und welche Anforderungen an die Qualifikation und die spezielle Weiter- und Fortbildung gestellt werden müssen. Die Anforderungen an diese Tätigkeit sind nämlich sehr vielfältig. Ich möchte Ihnen nur einige Beispiele nennen. Ich habe eben schon gesagt, es ist die Begleitung im Umfeld der Hauptverhandlung. Es sind aber auch ganz einfache Dinge, mit denen Opferzeugen häufig überlastet sind. So zum Beispiel die Organisation von Babysittern, die Überbrückung von Wartezeiten sowie die Frage, ob im Gerichtssaal ein Raum zur Verfügung steht, in dem die Opferzeugen geschützt verweilen und eine Wartezeit verbringen können. Weiterhin
betrifft es die Krisenintervention und die Stabilisierung. Es gilt, die Opferzeugen zu stabilisieren, wenn sie in einem Gerichtssaal mit den Tätern aufeinandertreffen. Das sind ganz wichtige Tätigkeitsfelder, die psychosoziale Prozessbegleiter abarbeiten müssen.
Damit diese Begleiterinnen und Begleiter das alles leisten können, müssen sie qualifiziert sein und weiterqualifiziert werden. Das regelt das hier vorliegende Ausführungsgesetz. Nach der Expertenanhörung wurde der von der Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf im Grundsatz einhellig begrüßt. Ein Punkt, der seitens der Verbände kritisch beleuchtet worden ist, war die vorgesehene Bestimmung, dass die psychosoziale Prozessbegleitung grundsätzlich an eine im Saarland ansässige Organisation angebunden sein muss. Die Landesregierung begründet diese Regelung, die auch in Entwürfen anderer Länder vorgesehen ist, mit Aspekten der Qualitätssicherung. Neben der Kenntnis von Hilfsangeboten für Verletzte vor Ort würde über die Anbindung an eine Opferschutzeinrichtung auch der wichtige Aspekt der Vernetzung besser gewährleistet.
Wir meinen, dass die Anbindung psychosozialer Prozessbegleiter an eine Opferschutzeinrichtung sinnvoll ist und beibehalten werden sollte. Diese Anbindung soll dabei alle Fälle einer rechtsverbindlichen Form der Zusammenarbeit erfassen. Sie soll also nicht auf eine arbeitsrechtliche Zuordnung beschränkt werden. Neben den bereits genannten Vernetzungsmöglichkeiten sehen wir bei einer Anbindung an eine Opferschutzorganisation Vorteile. Insbesondere ist die regelmäßige Fort- und Weiterbildung gewährleistet.
Allerdings sprechen wir uns dafür aus, die Worte „im Saarland ansässig“ zu streichen. Diese örtliche Beschränkung könnte dazu führen, dass der Kreis der für die Opfer zur Verfügung stehenden Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter, die eigentlich die gesetzlichen Standards erfüllen, dadurch erheblich reduziert wird, dass diese betreffende Opferschutzeinrichtung ihren Sitz im Saarland haben muss. Opfer sollen auch über das Saarland hinaus freien Zugang zu Einrichtungen der psychosozialen Prozessbegleitung erhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sicherheit für die Menschen im Land bedeutet nicht nur der Schutz vor Straftaten. Sicherheit für die Menschen im Land bedeutet auch, die Unterstützung von Opfern und deren Angehörigen im Blick haben.
Wer nämlich Opfer einer Straftat geworden ist, braucht die volle Unterstützung des Staates. Das gehört auch zum Thema Sicherheit in unserer Gesellschaft. Das ist sicher nicht so medienwirksam wie repressive Polizeiarbeit. Ich kann aber aus vol
lem Herzen sagen, dass sie genauso wichtig ist, denn keine auch noch so harte Strafe des Täters kann dem Opfer die Folgen der Straftat nehmen. Diese zu mildern ist die Aufgabe der psychosozialen Prozessbegleitung. Deshalb bitte ich um Unterstützung für diesen Gesetzentwurf. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das jetzt vorliegende Gerichtsstrukturreformgesetz ist das letzte der wichtigen Gesetze, die wir heute beraten. Neben dem ÖPNV-Gesetz, dem Hochschulgesetz und dem EVSG ist das Gerichtsstrukturreformgesetz ein sehr wichtiges Gesetz für dieses Land. Auch hierzu hat eine sehr umfangreiche Anhörung stattgefunden, Kollegin Blatt hat es eben gesagt: 50 Anzuhörende! Das Parlament hat sich eine sehr weitreichende, sehr breite Expertise eingeholt, um dieses Gesetz umzusetzen.
Was waren die zentralen Fragen in dieser Sachverständigenanhörung? Es war zum einen, ob überhaupt ein Bedarf für diese Reform besteht, und zum Zweiten, wenn man dies bejaht, ob der vorgeschlagene Weg der richtige ist. Zur Beantwortung der Frage nach dem Reformbedarf sind mehrere Fakto
ren und deren aktuelle und prognostizierte Entwicklung zu betrachten. Ganz wesentlicher Faktor, wie bei so vielem, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist auch hier die demografische Entwicklung in unserem Land. Diese ist im Saarland von einem überdurchschnittlichen Bevölkerungsrückgang geprägt und auch vom Strukturwandel. Beides hat dazu beigetragen, dass der Geschäftsanfall der saarländischen Gerichte in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist, etwa in Zivilsachen um mehr als 30 Prozent und in Bußgeldsachen um fast 50 Prozent. Auch der künftige Geschäftsanfall, wenn er auch nicht mit absoluter Gewissheit prognostiziert werden kann, zeigt bei genauer Betrachtung eine deutliche Tendenz. Daran ändert auch der gestiegene Flüchtlingszuzug nichts. Dieser hat bisher allenfalls ganz kurzfristig eine gegenläufige Bewegung ausgelöst, aber keineswegs einen Wendepunkt im prognostizierten demografischen Rückgang. Auswirkungen auf den Geschäftsanfall sind also zu beobachten und auch in der Zukunft zu erwarten.
Gewandelt haben sich aber nicht nur Zahl und Struktur der Bevölkerung, auch die fachlichen Anforderungen an die Gerichte, an die Richterschaft und auch an den nichtrichterlichen Dienst haben sich deutlich verändert. Die zum Teil rasanten Entwicklungen auf dem Gebiet der Kommunikationstechnologien oder zum Beispiel im Bereich des Versicherungsrechts und des Familienrechts haben Rechtsbereiche insgesamt komplexer werden lassen.
Zugleich besteht bei der Anwaltschaft eine ganz deutliche Spezialisierungstendenz durch hochspezialisierte Fachanwälte. Das heißt, Richterinnen und Richter geraten unter einen hohen Spezialisierungsdruck. Sie müssen bei den Entwicklungen der Fachgebiete immer auf dem aktuellen Stand bleiben und mit ihrem Spezialwissen auf Augenhöhe mit der Anwaltschaft bleiben. Spezialwissen ist das, was nicht jedes Amtsgericht und nicht jedes Mischdezernat ohne Weiteres vorhalten kann. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, hängt weder an dem mangelnden Willen noch an mangelnden Fähigkeiten der dort tätigen Personen, es hängt vielmehr an dem zum Teil sehr geringen Fallaufkommen pro Gericht bei steigender Komplexität. Dieser zunehmende Spezialisierungsdruck wurde in der Anhörung ausdrücklich so bestätigt.
Aus der Betrachtung der genannten Faktoren ergibt sich also folgende Ausgangslage: Die Gerichtsorganisation im Saarland wurde zuletzt 1974, also vor mehr als 40 Jahren, neu geordnet. Der demografische und der Strukturwandel im Saarland führen zu einem deutlichen Rückgang des Geschäftsanfalls an den saarländischen Gerichten, und die veränderten fachlichen Anforderungen im Justizwesen insgesamt machen eine höhere Spezialisierung erforderlich. Es besteht also Reformbedarf.
Neben der Frage des Ob der Reform muss auch die Frage des Wie der Reform beantwortet werden. Dem vorliegenden Reformentwurf gelingt es, zwei ganz wesentliche Dinge miteinander in Einklang zu bringen. Er schafft einerseits die erforderlichen fachlichen Zuständigkeitskonzentrationen und erhält gleichzeitig die Präsenz der Justiz in der Fläche. Für einige Fachgebiete werden landesweite Zuständigkeiten geschaffen, so zum Beispiel für Honorarsachen in Lebach - das sind eher selten anfallende Rechtsgebiete -, aber auch für Massenverfahren wie beispielsweise die Versicherungssachen in Neunkirchen oder Verkehrsordnungswidrigkeiten in St. Ingbert. Größere spezialisierte Einheiten ermöglichen es erstens, Fachwissen zu bündeln, zweitens, Synergien zu erzielen und drittens, eine einheitliche Rechtsprechung zu schaffen. Eine derartige landesweite Zuständigkeitskonzentration ist daher durchaus sinnvoll.
Daneben werden einige Fachgebiete über regionale Kooperationsschienen gebündelt, so etwa durch gemeinsame Familienund Strafrechtsabteilungen. Dadurch werden leistungsfähige Fachabteilungen geschaffen, Schwerpunkte gestärkt und fachkundige Vertretungen ermöglicht, zum Beispiel im Krankheitsfall. Gleichzeitig verbleiben jedoch solche Rechtsgebiete, die im besonderen Maße eine Ortsnähe erfordern, an allen Standorten erhalten, zum Beispiel die Betreuungssachen, Nachlasssachen und auch die Rechtsantragsstellen. Unliebsame Zweigstellenlösungen, auch das hat die Anhörung gezeigt, werden hierdurch vermieden. Das heißt also, Fachkompetenz wird gestärkt und Bürgernähe bleibt landesweit erhalten. Deshalb sind die regionalen Zuständigkeitskonzentrationen durchaus sinnvoll.
Schließlich sieht die Reform eine Veränderung der Zuschnitte der Gerichtsbezirke vor. Dies betrifft insbesondere den Regionalverband. Durch die Zuweisung der Gemeinde Heusweiler zum Amtsgericht Völklingen wird zum einen das Amtsgericht Saarbrücken entlastet, zum anderen werden beim Amtsgericht Völklingen leistungsfähige Abteilungen geschaffen, auch dieses Reformziel ist sinnvoll. Die im Reformentwurf vorgesehenen Maßnahmen sind in sich schlüssig und stellen die richtigen Weichen für eine zukunftsfeste saarländische Justiz.
Der Abänderungsantrag, den die Koalitionsfraktionen einbringen, nimmt keine inhaltlichen Veränderungen vor, sondern ergänzt den Gesetzentwurf um eine Regelung bezüglich der Eilverfahren. Derzeit laufen noch Beratungen auf Bundesebene - auch das war Gegenstand der Anhörung - mit dem Ziel, dass der Bundesgesetzgeber die Einbeziehung von
Eilverfahren in eine neue Regelung der Zuständigkeiten klar normiert. Im Wesentlichen bleibt es bei der Veränderung der Bezirkszuschnitte beim Grundsatz, dass das angerufene Gericht auch zuständig bleibt. Dadurch werden Unklarheiten und längere Doppelzuständigkeiten vermieden. Dem dient der Abänderungsantrag.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, noch ganz kurz zur Reform der Arbeitsgerichtsbarkeit. Auch hier ist die Ausgangslage die gleiche. Zurückgehende Fallzahlen, eine höhere Komplexität der Rechtsmaterie und die zunehmende Schwierigkeit, den Vertretungsbedarf zu organisieren, machen auch hier eine Reform notwendig. Das Ziel ist ebenfalls, zukunftsfeste Strukturen zu schaffen für eine ordentliche Justiz, was hier gelungen ist. Der ausgewählte Standort Saarbrücken wurde in der Anhörung einhellig begrüßt, denn es sprechen gute Argumente für diesen Standort, insbesondere die Verkehrsanbindung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit diesen Maßnahmen sichern wir eine hohe Akzeptanz für eine saarländische Justiz bei den Bürgerinnen und Bürgern ebenso wie bei den Bediensteten. Die Akzeptanz für die saarländische Justiz seitens der Bürgerinnen und Bürger können wir aber nur erwarten, wenn wir diese als politische Vertreter ebenfalls zeigen. Dazu gehört insbesondere die Achtung der Unabhängigkeit der Justiz, denn die Unabhängigkeit der Justiz ist elementare Grundlage des demokratischen Rechtsstaates, und die Gewaltenteilung ist das unverhandelbare Prinzip einer freiheitlichen Verfassung.
Als Staatsfundamentalnorm garantiert Artikel 61 der saarländischen Verfassung, dass die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sind. Dem sind wir gerade in diesen Zeiten des Wandels alle zusammen verpflichtet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in vielen Ländern können wir derzeit beobachten, dass die Einflussnahme auf die Justiz an den Grundfesten demokratischer Strukturen rüttelt. Die Gewaltenteilung konstituiert eine unabhängige Justiz. Deshalb ist es notwendiger denn je, dass alle Staatsorgane und auch die politischen Vertreterinnen und Vertreter sich verpflichten, den Kompetenzbereich anderer Gewalten zu respektieren.
Ich möchte an dieser Stelle allen Beschäftigten in der Justiz danken, den Richterinnen und Richtern sowie allen Beschäftigten im nichtrichterlichen Dienst, die durch ihre hervorragende Arbeit dazu
beitragen, dass die Menschen in unserer Heimat in einer gesicherten Staatsordnung leben können, in Frieden und Sicherheit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, welche Eigenschaften erwarten wir von der Justiz? Sie soll bürgernah sein, sie soll effizient sein, sie soll eine hohe Qualität bieten. Bürgernähe erreichen wir durch den Erhalt der Gerichtsstandorte in der Fläche. Effizienz schaffen wir durch große Organisationseinheiten, die gegenseitig Vertretungen ermöglichen. Das erzielen von Synergien und die hohe Qualität sichern wir letztendlich durch die fachliche Spezialisierung. Die vorliegenden Reformentwürfe haben all diese Maßnahmen im Blick, für eine Justiz, die nah bei den Bürgerinnen und Bürgern ist, eine Justiz mit zufriedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, eine Justiz, die Herausforderungen und gesellschaftliche Verhältnisse als Chance betrachtet und zukunftsfest ist. Wir werden diesem Entwurf zustimmen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allein die Diskussion hier im Hause zeigt schon, dass dieses Thema doch sehr komplex ist und nicht so ganz einfach zu beantworten. Dennoch finde ich doch vieles richtig und auch wichtig, was hier gesagt wurde, denn ich glaube, jeder hier im Hause hat ein Interesse daran, Bürger stärker an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen.
Die Frage ist, wie man so etwas sinnvoll gestalten kann, denn Demokratie funktioniert nicht von alleine. Eine funktionierende Demokratie benötigt Vertrauen, Aktivität und Verständnis, Vertrauen zum einen in die beteiligten Akteurinnen und Akteure und auch die Sinnhaftigkeit, die Aktivität in Form einer Breitenbeteiligung an der Meinungsbildung und den Abstimmungsprozessen sowie auch die Übernahme von Verantwortung für Entscheidungen und letztlich auch ein Verständnis davon, wie demokratische Abläufe funktionieren, wie Wahlen und Abstimmungen die freiheitliche Demokratie bestimmen.
Ja, es ist so, dass wir zu Beginn der Legislatur schon einmal Volksentscheide hier im Landtag beschlossen haben, aber Herr Augustin, wenn ich mich recht entsinne, gab es bislang zwei Initiativen, die Initiative der LINKEN und jetzt die Initiative G8/G9, die überhaupt zu einer Abstimmung hätten gelangen können. Da kann man natürlich trefflich darüber streiten, sind die Quoren zu hoch oder ist das Interesse zu niedrig. Auch da kann man sich trefflich darüber streiten. Aber wo nur zwei Initiativen sind, können natürlich keine fünf Anträge erfolgreich behandelt werden.
Demokratie funktioniert nicht von alleine, auch eine funktionierende Demokratie muss stets neu erarbeitet werden. Es ist daher richtig und wichtig, beständig darüber nachzudenken, wie man sie dem gesellschaftlichen Wandel, den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen kann und wie sie gestärkt werden kann, wie Bürgerinnen und Bürger leichter aktiv
in den demokratischen Prozess eingebunden werden können und auch wie sich Bürgerinnen und Bürger als Teil einer demokratischen Gesellschaft erleben können.
Aber nicht jede Forderung hiernach wird auch diesem Anspruch gerecht. Nicht jeder, der mehr Demokratie fordert, will tatsächlich mehr Demokratie verwirklichen. Vielfach werden Einzelinteressen verfolgt. Ich möchte an dieser Stelle klarstellen, dass ich dabei nicht an die handelnden Personen hier im Haus denke. Ich denke dabei an Initiatoren.
Beispielhaft seien an dieser Stelle die Ziele stramm rechter Gruppierungen von Volksentscheiden über Minarettverbote genannt. Demokratie ist in dem Fall nur Mittel zum Zweck. Demokratie darf aber niemals zum Selbstzweck werden. Demokratie ist ein Basiswert an sich und die Forderungen nach mehr Demokratie müssen sich an der Zielsetzung und auch am Gemeinwohl messen lassen.
Nicht alles, was scheinbar für mehr Demokratie sorgt, ist auch tatsächlich demokratischer, gerechter oder führt gar zu besseren Ergebnissen für Bürgerinnen und Bürger.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD kämpft so lange für mehr Demokratie wie keine andere Partei. Ich darf an den Einsatz gegen das Dreiklassenwahlrecht erinnern, das Stimmrecht für Frauen bis hin zu Willy Brandts „mehr Demokratie wagen“ und auch heute das Wahlrecht ab 16. Wir haben Erfahrungen gemacht mit solchen, die Demokratie nur zur Errichtung zutiefst antidemokratischer Strukturen ausnutzen. Wir haben Erfahrungen mit demokratischen Elementen gemacht, die vielleicht sogar gut gemeint waren, doch im Ergebnis zu einem Verlust der Funktionsfähigkeit und letztendlich zu weniger Demokratie geführt haben.
Im Grundgesetz der Bundesrepublik spiegeln sich diese Erfahrungen allesamt wider. Nicht umsonst findet sich hier ein eindeutiges Bekenntnis auch zur repräsentativen Demokratie und nicht umsonst wurde eine wehrhafte Demokratie ausgestaltet. Aus diesen Erkenntnissen resultierend stehen sowohl im Grundgesetz der Bundesrepublik und auch in der saarländischen Verfassung die direkte Demokratie und die repräsentative Demokratie gleichrangig nebeneinander. Direkte und repräsentative Demokratie ergänzen sich nämlich und stärken sich gegeneinander im Bund, im Land und auch in den Kommunen.
Die von den Bürgerinnen und Bürgern in die Kommunalparlamente entsandten Vertreter übernehmen ehrenamtlich eine große Verantwortung für ihre Gemeinde und engagieren sich mit einem enorm hohen Zeitaufwand für die Belange der Bevölkerung. Damit, meine Damen und Herren, wird gewährleistet,
dass nicht Einzelinteressen oder besonders aktive Gruppen gegenüber vitalen Gemeinschaftsinteressen bevorzugt werden. Es stellt sich die Frage, ob durch die vorliegenden Anträge der Fraktionen GRÜNE und LINKE dieses System so gestärkt werden kann, dass es eine größere Beteiligung der Bevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen gewährleistet.
Meine Damen und Herren, wissenschaftliche Untersuchungen direktdemokratischer Elemente zeigen, dass gerade die gesellschaftlichen Gruppen, welche im normalen Politikbetrieb sowieso schon besser repräsentiert sind, dadurch noch mehr Einfluss geltend machen können. Direktdemokratische Elemente werden häufig von Personen genutzt, die einen hohen Bildungsabschluss haben und über überdurchschnittliche zeitliche und finanzielle Ressourcen verfügen. Auch das müssen wir im Auge behalten.
Nach dem Thüringer Gesetz über das Verfahren bei Einwohnerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid genügt stellenweise schon eine Mehrheit von 10 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner, um politische Entscheidungen treffen zu können. Damit kann doch wirklich nicht mehr von einer demokratischen Entscheidung gesprochen werden. Das ist die Legitimation von Partikularinteressen. Auch da muss man vorsichtig sein. Direkte Demokratie darf nämlich nicht dazu führen, dass notwendige, übergeordnete Planungen verhindert, Minderheitenrechte ausgehöhlt oder Verfassungsrecht tangiert wird.
Eine sorgsame Themenauswahl ist daher Grundvoraussetzung. Das wurde auch verschiedentlich schon angesprochen. Zum Beispiel hat technische Infrastruktur die Eigenschaft, dass möglichst jeder davon profitieren will, die Bereitschaft aber, dafür notwendige Einrichtungen in der jeweils eigenen unmittelbaren Nähe zu tolerieren, ist jedoch häufig nicht so sehr ausgeprägt. Sie wissen, wovon ich spreche.
Oder nehmen wir zum Beispiel ganz allgemein die Interessen von Menschen, die ins Grüne ziehen wollen. Die haben andere Interessen als die Menschen, die dort schon wohnen und vielleicht diese grüne Wiese behalten wollen. Auch das sind widerstreitende Interessen. Das zeigt, dass gerade im kommunalen Bereich oft vielfältige, einander widersprechende Interessen berücksichtigt und sorgsam abgewogen werden müssen. In diesen Fällen liegt es auf der Hand, dass die beste Lösung durch das Aushandeln eines Kompromisses durch legitimierte Vertreterinnen und Vertreter unter Berücksichtigung aller berechtigten Interessen gefunden werden kann.
Ich bin überzeugt davon, dass die Bürgerinnen und Bürger auch ganz bewusst Mandatsträgern ihr Vertrauen aussprechen, weil sie selbst nicht die zeitlichen Ressourcen haben, um auch fundierte Ent
scheidungen treffen zu können. Direkte Demokratie ist sicherlich ein geeignetes Mittel, die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar in die Prozesse einzubeziehen. Sie muss aber zwingend dazu führen, dass alle Interessen berücksichtigt werden können. Sie darf niemals dazu führen, dass das Recht des Stärkeren gilt und schwächere Bevölkerungsschichten benachteiligt werden.
Die Bürgerinnen und Bürger wählen auch deshalb ihre Vertretungen in die Parlamente, weil dort Themen behandelt werden, die zum Teil sehr komplex sind - wie zum Beispiel Bauleitpläne - und zudem viele unterschiedliche Interessen berühren. Eine ordnungsgemäße Behandlung in einem demokratisch legitimierten Gremium ist deshalb auch im Sinne eines funktionierenden Gemeinwesens.
Die beiden vorliegenden Anträge befassen sich in keiner Weise mit diesen Fragestellungen. Wie gesagt, beides kann nebeneinander stehen - die direkte und die repräsentative Demokratie. Aber jede für sich erfüllt ihre Aufgabe. Welche Voraussetzungen soll eine stärkere Bürgerbeteiligung denn nun bieten - um den Menschen tatsächlich eine bessere Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen zu ermöglichen, um zu verhindern, dass eine lautstarke Minderheit Gemeinwohlinteressen gefährdet, und um zu gewährleisten, dass direkte und repräsentative Demokratie gleichrangig weiterhin nebeneinander bestehen können? Die vorliegenden Anträge geben auf diese Fragen keine Antworten.
Wählerinnen und Wähler, Bürgerinnen und Bürger setzen auf mehr Demokratie - mehr Demokratie für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, mehr Demokratie, die Gerechtigkeit gewährt, und mehr Demokratie, die Schutz und Sicherheit für alle gewährt. Repräsentative und direkte Demokratie müssen nach unserer Meinung vernünftigerweise so ausgestaltet sein, dass sie diese Voraussetzungen erfüllen. Nur dann kann eine Gesellschaft funktionieren und Gemeinwohl gelingen. Wir sind der Auffassung, diese Anträge genügen diesen Voraussetzungen nicht. Wir müssen sie deshalb ablehnen. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Klartext: Die SPD steht für die Öffnung der Ehe. Und an dieser Stelle möchte ich festhalten, dass dieses Thema natürlich sehr persönlich ist und auch sehr persönlich diskutiert wird. Für meine Person will ich sagen: Ich selbst habe vor 27 Jahren geheiratet. Ich war frei darin, mir meinen Partner auszusuchen. Und ich möchte, dass alle Menschen frei darin sind, sich ihren Partner oder ihre Partnerin auszusuchen und mit ihm beziehungsweise ihr die Ehe einzugehen.
Ich stelle dazu des Weiteren fest: Für mich war der Ausschluss homosexueller Paare von der Ehe noch nie zeitgemäß. Er war es vor 27 Jahren nicht und er ist auch heute nicht zeitgemäß. Er war es noch nie, denn Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität war für uns noch nie zeitgemäß und sollte auch nie zeitgemäß sein.
Dafür, dass homosexuelle Paare tatsächlich gleichgestellt werden, kämpft die SPD im Land und im Bund mit einer Reihe von Gesetzesinitiativen. Ob ein Mann einen Mann heiratet, eine Frau eine Frau, ein Mann eine Frau oder eine Frau einen Mann, das ist doch letztlich gleichgültig. Denn wenn, liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschen füreinander einstehen, dann sollte der Staat das unterstützen, nicht aber verhindern. Wenn Menschen aus freiem Entschluss die Rechte und Pflichten einer ehelichen Gemeinschaft eingehen wollen, dann soll ihnen das ermöglicht werden, egal, welchem Geschlecht sie angehören.
Die Möglichkeit der Eheschließung, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss endlich auch gleichgeschlechtlichen Paaren offenstehen. Das ist unsere Grundüberzeugung, das ist die Grundüberzeugung der SPD. Ich und alle meine Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion stehen deshalb voller Über
zeugung hinter unserem Bundesjustizminister Heiko Maas und stützen ihn auch bei seinen Initiativen.
Dies zur inhaltlichen Positionierung der SPD, die nicht neu ist und für niemanden in diesem Hause überraschend sein kann. Wir haben ja schon des Öfteren diese Frage diskutiert, immer mit gleichen Inhalten. An den Positionen hat sich nichts geändert: Die SPD steht zu ihren Positionen. Auch die Positionierung unseres Koalitionspartners, wie sie der Kollege Roland Theis eben dargestellt hat, ist nicht überraschend.
Und ebenso wenig überraschend sind, Herr Lafontaine, die Spielregeln von Koalitionsvereinbarungen. Auch Sie kennen sie! Jeder in diesem Hause kennt sie.
Daher stellt sich doch an dieser Stelle berechtigterweise die Frage, welchen Sinn es wohl hat, dieses Thema nun schon zum wiederholten Male zum Gegenstand einer Debatte hier im Landtag zu machen. Ja, das ist ein sehr wichtiges Thema. Ja, es berührt die Gesellschaft immer wieder. Es haben sich aber, das hat auch Frau Spaniol dargestellt, die Positionierungen in diesem Hause nicht geändert. Die Landtagsparteien bleiben bei ihren Positionierungen. Das Bedürfnis, auf diese symbolträchtigen Themen zu setzen, scheint beim Antragsteller deutlich stärker ausgeprägt als das Bedürfnis, sich in die Niederungen der normalen, noch offenen politischen Prozesse zu begeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hat sich doch tatsächlich nichts geändert! Sie wissen genau, welche Position die SPD vertritt, auch nach außen immer vertreten hat, und wir werden auch heute hier nichts anders sagen. Dieses Spiel hier, diese Scheindebatte, wird von den mündigen Bürgerinnen und Bürgern sehr schnell durchschaut werden.
Ich möchte noch eines hinzufügen: Es ist ja nicht so, dass sich die GRÜNEN, kaum sind sie in der Regierungsverantwortung, nicht mehr um dieses Thema kümmern werden. Und es kommt noch hinzu, dass sich die GRÜNEN sehr schnell auch wieder von diesem Thema verabschieden. Ich will das an einem ganz konkreten Zitat deutlich machen; ich darf mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, den grünen Ministerpräsidenten Kretschmann zitieren, der gesagt hat: „So ist und bleibt die klassische Ehe die bevorzugte Lebensform der meisten Menschen - und das ist
auch gut so.“ Sie kennen sicherlich auch das alte Zitat unseres Berliner Landeschefs Klaus Wowereit, der gesagt hat: „Ich bin schwul - und das ist auch gut so.“ Hieran zeigt sich ganz klar: Die SPD steht unverrückbar hinter ihren Positionen und setzt sie auch um, sobald sich politische Konstellationen ändern. Die SPD ist die politische Konstante in dieser Debatte.
Wie verhält es sich mit den GRÜNEN, wenn sie in einem schwarz-grünen Bett liegen, das von einigen ja bereits aufgeschüttet wird? Dann wird es für die GRÜNEN die Öffnung der Ehe nicht mehr geben.
Das muss doch auch hier ganz ehrlich gesagt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Parteien in diesem Hause täten angesichts des Vertrauensverlustes, dem Politikerinnen und Politiker aktuell gegenüberstehen, gut daran, weniger auf Show als auf Ehrlichkeit und die Erklärung demokratischer Prozesse zu setzen.
Niemand mehr will diese Politshow. Es gehört dazu, dass die Opposition lautstark das Einstehen für Positionen einfordern kann. In einer Regierungskoalition aber muss man nun einmal Kompromisse eingehen, das ist das Wesen einer Koalition, wenn sie funktionieren soll. Auch das gehört zur Ehrlichkeit.
Das wiederholte Vorführen von Parteien in Regierungsverantwortung hat zwar Tradition und ist sicher in einer gewissen Weise auch legitim, denn dieses Wechselspiel zwischen Regierungskoalition und Opposition muss eben auch funktionieren. Aber es ist fraglich, ob ein solches Ausschlachten mittel- oder langfristig gut ist. Denn spätestens nach dieser Wahlnacht in den USA, die wir alle hinter uns haben, muss jedem klar sein: Politshows führen dazu, dass demokratische Kräfte gespalten statt gebündelt werden.
Doch zurück zum eigentlichen Thema. Wenn man sich ernsthaft für die Öffnung der Ehe einsetzen will, ist es sicherlich nicht die SPD, die davon überzeugt werden muss.
Wir kämpfen gemeinsam mit allen Gleichgesinnten dafür, dass auch die letzten Zweifelnden sowohl bei den GRÜNEN als auch beim Koalitionspartner die
Gleichberechtigung aller Menschen anerkennen. Wir sind der festen Überzeugung, dass, so langsam gesellschaftlicher Fortschritt manchmal auch sein mag, die Ehe für alle kommen wird. Wichtig ist, dass wir lieben, nicht wen wir lieben. - Danke schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte kurz auf die Sperrklausel eingehen, die wir heute in der Verfassung verankern möchten. Vorweg möchte ich meiner Verwunderung Ausdruck verleihen. Gestern hat man sich auf Oppositionsseite erstaunt darüber gezeigt, dass die Sperrklausel mit diesem Gesetzentwurf in der Verfassung festgeschrieben und verankert werden soll. Dazu möchte ich auch hier im Hause klarstellen: Dieser Gesetzentwurf stammt vom 07. Oktober 2015. Er wurde in Erster Lesung beraten und von allen Fraktionen damals schon debattiert. Mitnichten wurde diese Sperrklausel jetzt quasi von hinten in einen Gesetzentwurf gepackt. Das ist ganz und gar nicht der Fall. Wir sind offen damit umgegangen. Uns ist es auch wichtig, der Sperrklausel heute diese Zeit zu widmen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich kurz auf zwei Aspekte eingehen, die für die Sperrklausel von evidenter Bedeutung sind. Der erste Aspekt ist der Erhalt der Funktionsfähigkeit des Parlamentes als Fundament unserer Demokratie. Auch dieser Aspekt ist ein gewichtiges Argument zur Festschreibung in der Verfassung. Denn Wahlen alleine machen noch keine Demokratie. Freie und gleiche Wahlen sind sehr wohl Grundpfeiler unserer Demokratie, aber niemals Selbstzweck, sondern sie haben immer das Ziel, funktions- und arbeitsfähige Volksvertretungen hervorzubringen, Volksvertretungen, die in der Lage sind, verlässliche Mehrheiten für stabile und handlungsfähige Regierungen zu schaffen, Volksvertretungen, die in der Lage sind, Entscheidung zu treffen und Regierungen zu kontrollieren und zu lenken, und Volksvertretungen, die sich ihrer Bedeutung und Verantwortung im System der parlamentarischen Demokratie bewusst sind.
Meine Damen und Herren, es besteht die Gefahr, dass dem nicht so ist, wenn wir Partikularinteressen in unserem Parlament abbilden. Hierzu hat auch schon Herr Kessler Ausführungen gemacht. Das würde das parlamentarische Arbeiten im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung behindern. Die Sperrklausel, die das demokratische Prinzip der Gleichheit der Wahl einschränkt, ist das unverzichtbare Korrektiv zur Wahrung der Demokratie. Sie wissen, der Grundsatz der Gleichheit der Wahl hat Verfassungsrang. Die Sperrklausel ist die Schranke, die sich die Demokratie selbst auferlegen muss, um als System zu funktionieren. Der Verzicht auf diese Sperrklausel würde die Demokratie nicht stärken, sondern schwächen. Es ist unser aller Aufgabe und es liegt in unserer Verantwortung, unsere Demokratie stark zu machen und stark zu erhalten, insbesondere für unser Saarland.
Es kommt nämlich ein weiterer Aspekt hinzu: Das Saarland ist Haushaltsnotlageland. Wir müssen die Schuldenbremse und den Konsolidierungspfad einhalten. Es gibt außerdem schwierige Bund-LänderFinanzverhandlungen. All dieses muss mit einem starken Parlament durchgeführt werden, mit starken Entscheidern im Land. Dem dient die Sperrklausel.
Ein weiterer Punkt ist die Politikverdrossenheit. Eine Zersplitterung des Parlaments birgt die Gefahr, dass dauerhaft stabile Koalitionen verhindert werden. Wechselnde Koalitionen sind ein Mittel der Demokratie, aber auch sie müssen stabile Mehrheitsverhältnisse darstellen, um handlungsfähig zu sein und für die Menschen im Land Fortschritte zu erreichen. Sonst wächst das Desinteresse in der Bevölkerung und damit die Politikverdrossenheit und die Hinwendung zu Extremen. Auch das ist nicht im Sinne einer starken Demokratie.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, künftige Parlamente müssen in der Lage sein, einen starken
demokratischen Konsens gegen Gruppierungen zu bilden, die unsere Demokratie gefährden. Wir haben hierauf einen Eid geleistet. Warum sollen wir die Sperrklausel in der Verfassung verankern? - Ganz einfach: Sie hat Verfassungsrang, weil sie die Funktionsfähigkeit des Parlamentes sichert. Diese Sicherung muss als Korrektiv zur Wahlrechtsgleichheit vorhanden sein. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt und es für legitim erachtet, dass der Funktionsfähigkeit des Parlamentes der höhere Wert gegenüber der Wahlgleichheit eingeräumt wird. Deshalb muss unserer Ansicht nach der Sperrklausel Verfassungsrang gebühren. Sie muss in der Verfassung festgeschrieben werden. Es sind zwei Güter abzuwägen, die Wahlrechtsgleichheit auf der einen Seite, die Sperrklausel und die Funktionsfähigkeit auf der anderen Seite. Die Sperrklausel muss also in die Verfassung.
Meine Damen und Herren, die Verfassung ist unser höchstes Normgefüge im Land. Es ist das Normgefüge, das für alle Bürgerinnen und Bürger klar, deutlich und transparent ist. Hier ist die Sperrklausel offen für alle normiert. Das ist gut so. Die Verfassung sichert Kontinuität und der Bestand der Sperrklausel im Verfassungsrang ist im Sinne einer starken Demokratie, im Sinne einer unverführbaren Demokratie. Deshalb werben wir auch um Zustimmung für diesen Gesetzentwurf. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor uns liegen, der Minister hat es ausgeführt, zur Beratung in Erster Lesung zwei Gesetzesentwürfe, die eine Reform der saarländischen Gerichtsbarkeit vorsehen, eine Reform der ordentlichen Gerichtsbarkeit und eine Reform der Arbeitsgerichtsbarkeit. Das, was wir dazu heute schon vonseiten der Opposition hören mussten, lässt mir die Haare zu Berge stehen.
Denn eine Gerichtsstrukturreform kann man nicht allein aus eigener Anschauung durchführen, aus der eigenen Erfahrung als Bürgerin oder Bürger vor Gericht. Man muss vielmehr die Anliegen aller Betroffenen betrachten. Das hat Ihre Seite, meine sehr geehrten Damen und Herren der Opposition, mitnichten getan. Wir werden diesen Gesetzesentwürfen zustimmen, weil sie gut sind. Die mit der Reform verfolgten Ziele und die Umsetzung der vorgesehenen Maßnahmen werden dazu führen, dass es im Saarland ein zukunftsfestes Justizwesen gibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Gerichten haben die Bürgerinnen und Bürger in der Regel nicht gerne etwas zu tun. In der Bevölkerung ha
ben Gerichte eher etwas Distanzierendes. Das weiß ich auch aus meiner langjährigen Anwaltstätigkeit zu berichten: Es ist schwierig, Menschen auf Gerichte zu begleiten.
Dazu, Herr Ulrich, werde ich gleich noch etwas sagen. - Strukturveränderungen müssen daher immer dazu führen, dass für die Menschen in unserem Land Verbesserungen erreicht werden, sowohl für die Richterinnen und Richter als auch für das nichtrichterliche Personal, für die Anwältinnen und Anwälte, insbesondere aber auch für die Bürgerinnen und Bürger.
Das ist nicht so. Auch die saarländische Anwaltschaft sieht das so. Denn schon heute sind hierzulande die Wege, verglichen mit den Wegen in anderen Bundesländern, sehr kurz.
Und auch heute schon, Herr Ulrich, muss ein Anwalt, wenn er ein Verfahren vor einem Gericht anhängig macht, in jedem Fall und immer die Zuständigkeit prüfen. Das ist Standard, das sind Basics in der anwaltlichen Tätigkeit.
Das geschieht jeden Tag, vor jedem Verfahren. Es ist völliger Unsinn, wenn behauptet wird, man müsste nun plötzlich auch noch die Zuständigkeit prüfen.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, Ausgangslage hinsichtlich der Strukturreformen ist, dass die Gerichtsorganisation im Saarland zuletzt 1974, also vor 40 Jahren, reformiert worden ist. Aber auch die Justiz unterliegt einem Wandel und sich ändernden äußeren Faktoren. Sie muss zukunftsfest bleiben, und deshalb besteht dieser Reformbedarf. Die demografische Entwicklung und der Strukturwandel haben in unserem Land insgesamt zu einem deutlichen Rückgang im Geschäftsanfall der Gerichte geführt. Das Internet und soziale Netzwerke prägen unsere modernen Gewohnheiten, das beschert den Gerichten neue und bisweilen komplexe Fragestellungen in den Bereichen Urheberrecht, Persönlichkeitsrecht, Datenschutzrecht, Medienrecht. Aber auch viele klassische Rechtsgebiete wie zum Beispiel das Versicherungsrecht haben sich zwischenzeitlich zu einer Spezialmaterie entwickelt. Das bedingt erhöhte Anforderungen an Spezialkenntnisse der Gerichte. Es geht dabei um Spezialwissen, das
nicht jedes Amtsgericht, das nicht jedes Mischdezernat ohne Weiteres vorhalten kann. Meine Damen und Herren, als Rechtsanwältin konnte ich mir schon vor zehn Jahren Spezialwissen in Fachanwaltschaften aneignen. Diese Möglichkeit besteht für Richterinnen und Richter bis zum heutigen Tage nicht. Ein geringes Fallaufkommen pro Gericht führt dazu, dass die regelmäßige Fortbildung und Anwendung in diesen Spezialgebieten für alle Beteiligten einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bedeutet.
Dieser Gesamtkontext beschreibt die Ausgangslage der nun anstehenden Strukturreform. Ziel der Reform ist es, zukunftsfeste Strukturen zu gewährleisten, und zwar unter Beibehaltung von Bürgernähe, von Effizienz und der hohen Qualität der Rechtsprechung. Dafür sind drei Faktoren maßgeblich: die Akzeptanz der Justiz in der Bevölkerung, die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, eine zukunftsorientierte Fortentwicklung der Justiz als dritter Gewalt im Staate.
Für die Akzeptanz in der Bevölkerung sind insbesondere zwei Dinge wichtig: Erstens der Erhalt der Justiz in der Fläche und damit der kurzen Wege. Das ist im Saarland heute der Fall und das wird nach der Reform weiterhin gegeben sein. Zweitens die zügige Bearbeitung der Verfahren. Beide Aspekte hat der uns vorliegende Reformentwurf im Blick. Es werden keine Gerichtsstandorte geschlossen. Rechtsmaterien, die in besonderem Maße den Bürgerkontakt erfordern, werden auch weiterhin an allen Amtsgerichten vorgehalten. Das gilt für die Abteilung für Nachlasssachen, die im Erbfall der Anlaufpunkt für die häufig selbst schon hochbetagten Erben ist, zum Beispiel für den Ehegatten des Erblassers. Entsprechendes gilt für die Abteilung für Betreuungssachen. Bei der Abteilung für Vereinsregistersachen beim Amtsgericht können Vorstände für Vereine vorsprechen. Aber auch eine Grundbucheinsichtsstelle wird vorgehalten. Dadurch wird die Bürgernähe in der Justiz gesichert.
Zum eben von Frau Huonker angeführten Beispiel der Bußgeldsachen: Meine Damen und Herren, wer schon einmal einen Bußgeldbescheid erhalten hat, weiß, dass das ein förmliches Verfahren ist. Man zahlt das Bußgeld oder man zahlt nicht. Zahlt man es nicht, geht man sowieso vor Gericht. Das ist aber ein förmliches Verfahren, und es ist sinnvoll, dieses dort anzusetzen, wo sich das Landesverwaltungsamt befindet.
Sowohl Ortsnähe als auch Leistungsfähigkeit sind entscheidende Kriterien. Die Ortsnähe allein nützt nichts, Herr Ulrich!
Nur für spezielle Rechtsmaterien werden landesweite oder regionale Spezialzuständigkeiten und Ko
operationen vorgeschlagen. Die Schaffung von Spezialzuständigkeiten führt dazu, dass sich Richterinnen und Richter auch in selten anfallenden Rechtsgebieten vertiefte Kenntnisse aneignen und sich gegenseitig bei Krankheit oder Urlaub vertreten können. Mit der Strukturreform schaffen wir in allen Kernbereichen der Amtsgerichte hinreichend große und leistungsfähige Arbeitseinheiten. Diese bieten die Gewähr für eine effiziente, zügige Arbeitsweise, für eine fachkompetente Bearbeitung auch im Vertretungsfall und für die Vorhaltung von Spezialkenntnissen auch in komplexen Materien.
Auch für die Zufriedenheit der in der Justiz Beschäftigten ergeben sich Vorteile: Die Amtsgerichte werden nicht mehr sporadisch durch materiell komplexe, seltene Fachgebiete belastet. Die Richterinnen und Richter und auch das nichtrichterliche Personal können sich sachgerecht in die entsprechenden Themen einarbeiten und vertiefte Kenntnisse und Erfahrungen sammeln. Übrigens gehört, Herr Ulrich, heutzutage auch das Familienrecht schon zu den Spezialmaterien. Jeder, der schon mal damit zu tun hatte, weiß, wie viele Fortbildungen eine Richterin oder ein Richter absolvieren muss, um bei dieser Materie immer auf dem aktuellen Stand zu bleiben und dieses Rechtsgebiet in Gänze bearbeiten zu können. Fachfremde Vertretungen, wie sie heute an der Tagesordnung sind, verzögern nicht nur die Abläufe, sondern können auch zu erheblichen Mehrbelastungen für das Personal führen.
Ja, gerne.
Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) mit einer Zwischenfrage: Frau Abgeordnete, wenn das alles so toll und so rund ist, dann erklären Sie mir doch mal bitte, warum der Richterbund diese Reform ablehnt! Dafür muss es doch Gründe geben! Das sind doch die zuständigen Leute, die müssten doch eigentlich wissen, wovon sie reden.
Also mir ist das neu. Wir haben die Anhörung ja noch nicht durchgeführt. Gewiss gibt es einzelne Stimmen, die etwas Kritik äußern. Aber der Großteil derjenigen, die sich bislang geäußert haben, hat diese Reform begrüßt, Herr Ulrich. Das muss man wirklich sagen.
Wir können ja die Anhörung abwarten und uns danach in der Diskussion mit den dort vorgebrachten Argumenten auseinandersetzen.
Der Minister hat auch deutlich darauf hingewiesen, dass diese Reform nicht darauf zielt, durch Personalabbau Kosten zu sparen. Das will diese Reform ausdrücklich nicht! Wir wollen, dass durch die Schaffung neuer und die Straffung bestehender Zuständigkeiten die Effizienz der Justiz gesteigert wird. Die Verankerung der Justiz in der Bevölkerung, nahe bei den Bürgerinnen und Bürgern, mit zufriedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unter Berücksichtigung der Chancen und Herausforderungen, die veränderte gesellschaftliche Verhältnisse mit sich bringen - das sind die Ziele, deren Erreichung unsere Justiz zukunftsfest macht.
Es gilt, auch die Reformen der saarländischen Arbeitsgerichtsbarkeit strukturell zukunftsfest zu machen. Reformen sind wegen zurückgehender Fallzahlen, einer komplexen Rechtsmaterie im Individual- und im Kollektivarbeitsrecht und zunehmenden Schwierigkeiten bei Vertretungsbedarf notwendig. Deshalb wird auch das Arbeitsrecht zukünftig zentralisiert werden. Die im Gesetzentwurf dargelegten Kriterien, nach denen der Standort Saarbrücken vorgeschlagen wird und die im Gesamtkontext der Gerichtsreformen zu bewerten sind, sind durchaus vertretbar. Die Reform ist in ein Gesamtmaßnahmenpaket eingebettet, das eine optimierte Unterbringung von Landesdienststellen ermöglicht.
Hinzu kommt, meine Damen und Herren: Die Häufigkeit, mit der Bürgerinnen und Bürger in ihrem Leben durchschnittlich mit Streitigkeiten vor Arbeitsgerichten konfrontiert sind, und bereits der zuvor erwähnte Aspekt, dass im Saarland vergleichsweise alle Wege eher kurz sind, auch im Vergleich zu allen anderen Bundesländern, machen diese Reformen nachvollziehbar und auch notwendig. Es muss auch erwähnt werden, dass hier vielleicht der Irrtum aufgekommen ist, dass in Arbeitsgerichtssachen der Wohnsitz der Partei für die Zuständigkeit ausschlaggebend ist. Das ist nicht der Fall. Zuständig ist das Gericht am Sitz des Unternehmens. Auch dort können sich Veränderungen ergeben. Es macht durchaus Sinn, die Arbeitsgerichtsbarkeit an einem Standort mit einer geballten Kompetenz zusammenzuziehen. Das ist für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land eine ganz wichtige Reform.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor uns liegen zwei solide und auf die Zukunft gerichtete Reformentwürfe für die saarländische Gerichtsbarkeit, ein weiterer Baustein für die Zukunftsfestigkeit unseres Landes. Ich werbe ausdrücklich um Ihre Zustimmung, damit wir die Entwürfe im Ausschuss beraten und Anhörungen durchführen können. Dann wird sich zeigen, dass diese Reform nicht nur notwendig ist, sondern
dass sie gut ist, um unser Saarland zukunftsfest zu machen. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Familie Al-Sharif! Ich hätte mir gewünscht, dass heute in diesem Hause eine einvernehmliche, keine streitige Debatte über dieses so wichtige Thema geführt worden wäre. Denn die Härtefallkommission ist gewissermaßen an dieses Haus angebunden, quasi ein Teil dieses Hauses. Ihr gebühren höchster Respekt und Anerkennung.
Die Härtefallkommission hat sich, meine Damen und Herren, zu Wort gemeldet, weil es offensichtlich Probleme gibt. Diese Probleme kann man nicht einfach wegreden. Die Härtefallkommission, jedes ihrer Mitglieder, war im Unterausschuss für Flüchtlingsfragen und hat uns die Probleme bestätigt. Wir alle, alle Fraktionen dieses Hauses, sind gehalten, diese Probleme zur Kenntnis zu nehmen und einen Lösungsweg aufzuzeigen. Das gebietet auch der Respekt vor der Härtefallkommission.
Der Härtefallkommission ist, das wurde schon gesagt, die einzig verbleibende Hilfe für einzelne Schicksale, bei denen das Rechtssystem ausgeschöpft wurde, ohne dass die begehrte Hilfe hätte ermöglicht werden können, obwohl dringende humanitäre und persönliche Gründe für einen Aufenthalt in Deutschland gegeben sind. Die Härtefallkommission ist oftmals der letzte Rettungsanker für Menschen, die von Abschiebung bedroht sind, längst aber keine andere Heimat als Deutschland mehr haben. Sie ist notwendig, weil jedes auch noch so gut ausgestaltete Gesetz in unserem Rechtsstaat einfach nicht jedes Einzelschicksal erfassen kann. Denn ein Gesetz ist immer allgemein und abstrakt gehalten, nicht für den Einzelfall gemacht.
Das Hindurchfallen durch das rechtliche Netz wirkt sich im Migrationsrecht besonders gravierend aus. Die Ausweisung und Abschiebung zerstört nicht nur die Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland, sie zerschlägt auch den Lebensmittelpunkt, den sich die Menschen über Jahre oder gar Jahrzehnte in Deutschland aufgebaut haben. Das kommt für die Betroffenen einer Zerstörung ihrer bisherigen Existenz nahe.
Ich möchte nun auch etwas korrigieren, was eben hier so angeklungen ist: Das sind nicht Menschen,
die nur kurzfristig bei uns sind. Das sind in den seltensten Fällen Schutzsuchende, die im Rahmen der Flüchtlingsbewegungen zu uns kommen. Das sind vielmehr Menschen, die schon sehr lange, oft Jahrzehnte, hier bei uns leben.
Diese Menschen stellen Anträge bei der Härtefallkommission, weil sie einfach befürchten müssen, ihren Lebensmittelpunkt und die einzige Heimat, die sie noch haben, nämlich Deutschland, verlassen zu müssen.
Und ja, auch für unsere Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten stellt eine Abschiebung, gleichgültig, ob sie zur Nachtzeit oder tagsüber stattfindet, eine besondere Herausforderung dar. Sie müssen gewappnet sein, wenn Familien auseinandergerissen werden, wenn es darum geht, Kinder abzuschieben in andere Länder. Auch hier sind Menschen am Werk, die das nicht gerne machen, die unseren Respekt verdienen und auch unseren Rückhalt haben müssen. Hier sind rechtliche Regelungen nötig und auch Einigkeit in diesem Hause, denn unsere Polizistinnen und Polizisten brauchen ein starkes Signal von uns.
Meine Damen und Herren, die restriktive Ausgestaltung des deutschen Migrationsrechts führt dazu, dass es Einwohner gibt, die dauerhaft über einen befristeten Aufenthaltstitel verfügen oder sich in sogenannten Kettenduldungen befinden und sich aus dieser Situation nicht selbst herausarbeiten können. Sie leben teilweise, wie ich schon sagte, seit Jahrzehnten in Deutschland, und plötzlich droht die Ausreisepflicht durch rechtliche ober aber persönliche Veränderungen. Solche Fälle bearbeitet die Härtefallkommission: Menschen, die fehlerfrei Deutsch sprechen, Menschen, die seit Jahren in Deutschland arbeiten, Menschen, die das deutsche Bildungssystem durchlaufen haben, die vor Ort eingebunden sind, ja sogar Menschen, die hier in Deutschland geboren wurden.
Der Auftrag der Härtefallkommission ist die Prüfung, ob dringende humanitäre oder persönliche Gründe den Verbleib dieser Menschen in unserem Land, im Saarland, rechtfertigen. Diese Prüfung ist keine leichte Aufgabe und erfordert eine sehr gewissenhafte Tätigkeit. Die Härtefallkommission muss seitenweise Dokumente, Zeugnisse, Beurteilungen und so weiter sichten. Jeder Einzelfall wird genau durchleuchtet, denn darum geht es bei der Arbeit der Härtefallkommission, es geht um das Einzelschicksal.
Und weil es hierbei ausnahmslos um diese Einzelschicksale geht, die nicht einer juristischen - das muss ich ausdrücklich betonen -, sondern allein einer humanitären Prüfung unterfallen, setzt sich die Härtefallkommission nicht aus Juristen zusammen,
sondern aus Mitgliedern, die den gesamten gesellschaftlichen und sozialen Bereich repräsentieren. Zwei Vertreter aus der Kommission sind heute hier, Herr Dr. Prassel und Herr Hoffmann als Vertreter der katholischen und evangelischen Kirchen. Auch sie stehen, das weiß ich, hinter der Arbeit der Härtefallkommission.
Die Zahl der Fälle - es ist eben schon gesagt worden, 2015 sind 19 Anträge an die Härtefallkommission gestellt worden, 2014 waren es 16 - belegt, dass dieses Instrument nicht ausufernd benutzt wird, sondern wirklich nur in Einzelfällen. 2014 wurden von 16 Eingaben 13 an das Innenministerium empfohlen, 2015 waren es von 19 Eingaben acht. Das zeigt auch, wie verantwortungsbewusst die Härtefallkommission in den einzelnen Fällen entscheidet. Sie legt nicht ohne Weiteres jeden einzelnen Fall dem Innenministerium vor. Nein, sie nimmt schon vorher eine ganz verantwortungsbewusste und dezidierte Prüfung vor, welchen Fall sie tatsächlich an das Innenministerium weiterempfiehlt. Das muss hier gesagt werden: Es ist keine große Zahl der Fälle, es ist durchaus eine überschaubare Zahl an Einzelschicksalen, die wir hier betrachten.
In der Vergangenheit, auch das muss hier gesagt werden, sind unsere Innenminister - dazu zählen ausdrücklich auch Monika Bachmann, Stephan Toscani und auch unsere Ministerpräsidentin - den Empfehlungen der Härtefallkommission gefolgt. Da das Verfahren vor der Härtefallkommission außerhalb unseres gerichtlichen Systems abläuft und das sage ich ausdrücklich - analog einem sogenannten Gnadenverfahren ausgestaltet ist, bedarf dieses Verfahren in besonderer Weise des einvernehmlichen Zusammenwirkens aller beteiligten Stellen, um überhaupt funktionieren zu können. Die Mitglieder in dem Gremium sind notwendigerweise darauf angewiesen, sich gegenseitig zu unterstützen, jeweils nachvollziehbar und transparent auch in der Kommunikation ihre Entscheidungen zu treffen. Und dies - das sage ich an dieser Stelle ganz klar und bewusst - egal, ob sie in einer Verordnung dazu aufgefordert werden oder nicht. Ich glaube, getroffene Entscheidungen sind zu begründen, das ist ein allgemein gültiger Rechtssatz. Und wenn man transparente Begründungen will, muss man sie natürlich auch der anderen Stelle mitteilen.
Für die SPD-Fraktion ist die Arbeit der Härtefallkommission ein notwendiges Korrektiv, um in Einzelfällen unserem Land ein humanitäres Gesicht zu geben und Schutzsuchenden Hilfe gewähren zu können. Diese Arbeit soll deshalb auch gestärkt werden. Wir wollen eine umfassende Analyse und Reform, die der besonderen Bedeutung der Härtefallkommission gerecht wird. Wir haben angesichts der aktuellen Situation bereits reagiert, es hat schon ein Treffen unserer Fraktion mit den Mitgliedern der Härtefallkommission gegeben. Wir werden auch zukünftig in enger Abstimmung mit der Härtefallkommission arbeiten und mit ihr in Kontakt bleiben.
Wir sind im Prozess, meine Damen und Herren, und wollen das Ergebnis nicht vorwegnehmen. Allen Kritikern der Härtefallkommission sei ein Zitat der reformierten und katholischen Kirchen aus Zürich ans Herz gelegt, welche sich im letzten Jahr ebenfalls von einer Diskussion um die Härtefallkommission betroffen sahen. Ich darf zitieren mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin: „Eine Aufhebung der Kommission würde in Zeiten der zunehmenden globalen Flüchtlingsströme als Zeichen gedeutet, diese Tradition und die mit ihr verbundenen christlichen Werte zu schwächen und zu untergraben. Eine Migrationspolitik, die dem christlichen Menschenbild verpflichtet ist und die Würde des Einzelnen achtet, ist bestrebt, jedem Individuum Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dies zeigt: Eine Härtefallkommission ist keine bloße Verwaltungsstelle, sie ist kein Gericht, das ein Urteil fällt. Die Härtefallkommission hat eine besondere Rolle. Sie ist eine humanitäre Instanz. Sie gewährt Gnade in Extremsituationen. Und deshalb brauchen wir eine funktionsfähige und eine starke Härtefallkommission.“
Die SPD-Fraktion steht auf der Seite der Schutzsuchenden, der Humanität und der Härtefallkommission.
Hören Sie mir zu! - Wir werden im Zusammenwirken mit den Beteiligten eine gute Lösung erarbeiten, die der Funktion und der herausragenden Bedeutung der Härtefallkommission gerecht zu werden vermag, und zwar nicht als weitere rechtliche Instanz, sondern vielmehr als Instanz, die Ausnahmeentscheidungen aus Gründen der Humanität zulässt und durchzusetzen vermag.
Weil wir aber erst am Anfang der Gespräche, auch mit unserem Koalitionspartner, stehen - da sind wir ganz offen -, können und werden wir den Anträgen der Oppositionsfraktionen nicht zustimmen. Daran ändert auch der Antrag auf namentliche Abstimmung nichts,
denn der hat in Ihrem Fall - das sage ich ganz deutlich, und das gebietet der Respekt vor den betroffenen Menschen und vor der Härtefallkommission nichts mit einer Gewissensentscheidung zu tun, sondern mit Parteitaktik! Es hat nur parteitaktische Gründe
und es ist nicht einer guten Lösung zuträglich, hier solche Anträge zu stellen.
Wir werden uns als SPD-Fraktion in konstruktive Gespräche mit unserem Koalitionspartner begeben und wir werden Lösungen aufzeigen, die den Menschen hier im Land, die berechtigt Schutz suchen und diesen Schutz auch finden, helfen, und nicht rein aus Parteitaktik Anträge stellen. Sie konnten sich in der Opposition ja noch nicht einmal auf einen gemeinsamen Antrag einigen. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Geschäftsordnung ist da eindeutig. An Gründonnerstag wurde die Fechinger Talbrücke gesperrt. Wäre am Montag der darauf folgenden Woche ein Plenartag gewesen, dann wäre das der klassische Fall für eine Aktuelle Stunde gewesen, denn dann wäre vor der Sitzung des Erweiterten Präsidiums und 24 Stunden vor Beginn der Plenarsitzung ein aktueller Fall mit einem öffentlichen Interesse eingetreten, und er hätte hier zwingend behandelt werden müssen.
Was ist denn geschehen? - In einem mutigen Schritt hat unsere Verkehrsministerin am Gründonnerstag die Fechinger Talbrücke sperren lassen, weil das zwei Gutachter unabhängig voneinander gefordert haben. Herr Lafontaine, das hätten Sie an ihrer Stelle auch getan. Jetzt zu sagen, es wäre nicht begründet gewesen, ist schlichtweg falsch.
Was ist denn seit dieser Zeit passiert, Herr Lafontaine? - Seit dieser Zeit hat es, und zwar genau am 04. April, eine sehr ausführliche Pressekonferenz gegeben. Am 11. April hat es eine Sitzung des Wirtschaftsausschusses gegeben. Da haben Gutachter über Stunden genau das erklärt, was Sie jetzt gefordert haben, nämlich diese technischen Details.
Meine Damen und Herren, in einer Aktuellen Stunde - dies vielleicht auch für die Zuhörer - hat jeder Redner genau 5 Minuten Zeit, um dazu zu reden. Meine Damen und Herren, was kann man denn in 5 Minuten hier sagen, was die Saarländerinnen und Saarländer im Land zu Recht und wirklich interessiert?
Die Saarländerinnen und Saarländer wollen doch heute hier erfahren, wie es um die Fechinger Talbrücke bestellt ist. Genau das werden wir heute Nachmittag in den Tagesordnungspunkten 15 und 17 machen. Die Verkehrsministerin hat von der ersten Minute der Sperrung an die saarländische Bevöl
kerung in Echtzeit an den Entwicklungen teilnehmen lassen.
Auch Diplom-Ingenieur Hofmann hat in der Ausschusssitzung am 11. April genau die Fragen beantwortet, Herr Lafontaine, die Sie eben noch mal aufgeworfen haben.
Dass es Entwicklungen in dieser Sache gibt und in den nächsten Jahren geben wird, ist auch normal. Deshalb können Sie aber nicht jedes Mal eine Aktuelle Stunde durchführen.
Noch eine Anmerkung zu dem vom Antragsteller angeführten Ingenieur. Der Antragsteller hat auch schon Herrn Rollmann in seiner Pressemitteilung zitiert. Dazu muss an dieser Stelle Folgendes gesagt werden. Der Architekt mag Berufserfahrung haben und auch hervorragende Projekte durchgeführt haben. Er hat aber genau eine Brücke gebaut, und das ist die Theelbrücke in Lebach, eine Fußgängerbrücke von 28 Metern Länge und 3,80 Meter Breite. Die Fechinger Talbrücke ist 400 Meter lang und 31,5 Meter breit. Die Theelbrücke ist nachts schön beleuchtet und Fußgänger können darüber spazieren. Meine Damen und Herren, diesen Mann hier zu zitieren und für die Sicherheit der Fechinger Talbrücke als Zeugen aufzuführen, ist schlichtweg unseriös.
Zum Schluss muss ich Folgendes sagen. Wenn man hier seine Präsenzpflicht als Abgeordneter wahrnimmt und den ganzen Tag anwesend ist, kann man auch am Nachmittag debattieren, noch dazu in einem doppelten Redezeitmodul.
Heute Nachmittag ist ausreichend Zeit für alle vorhanden, in die Debatte einzusteigen und alle Einzelheiten zu diesem Thema vorzutragen beziehungsweise anzuhören. Ich glaube, damit wird man den Saarländerinnen und Saarländern gerecht. Das hat unsere saarländische Bevölkerung verdient bei die
sem so wichtigen Thema für unser Land. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befassen uns heute mit einem hochsensiblen Thema, das bis in die Grundfesten unseres Rechtsverständnisses hineinreicht, dem Thema der sexuellen Selbstbestimmung. Die sexuelle Selbstbestimmung ist Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das bedeutet, dass jeder über seine Sexualität frei bestimmen kann. Egal ob heterosexuell, homosexuell, transsexuell, bisexuell - jeder kann über seine Sexualität frei bestimmen. Genau dieses Recht gehört unter staatlichen Schutz.
Dieses Recht ist nämlich grundlegendes Menschenrecht, getragen von der ganz überwiegenden Mehrheit unserer Bevölkerung. Das hat nicht zuletzt die massive öffentliche Empörung im Zusammenhang mit den Vorfällen in der Silvesternacht in vielen deutschen Großstädten gezeigt. Dieser Kontext kann nicht darüber hinwegtäuschen - das hat eben auch schon der Kollege Kessler gesagt -, dass heute noch die weitaus überwiegende Zahl sexueller Übergriffe nicht im öffentlichen Raum stattfindet, sondern in den eigenen vier Wänden. Und trotz des hohen Stellenwerts der sexuellen Selbstbestimmung stellen die geltenden Normen - unter anderem aufgrund der Ausgestaltung, die sie durch die Rechtsprechung erfahren haben - nicht alle als strafwürdig zu erachtenden Fälle in ausreichendem Maße unter Strafe. Es bestehen in der Tat Strafbarkeitslücken.
Sexuelle Nötigung setzt grundsätzlich die Überwindung eines entgegenstehenden Willens voraus. Dies erweist sich in der Praxis vor allem für solche Fälle als problematisch, in denen der Täter die Überraschung des Opfers ausnutzt. Aufgrund der Überrumpelung ist das Opfer nicht in der Lage, einen entgegenstehenden Willen zu bilden. Diese Fälle sind bislang vom derzeit geltenden Strafrecht nicht erfasst. Problematisch sind auch die Fälle, in denen zwischen der Gewalt oder der Drohung mit Gewalt und der sexuellen Handlung kein finaler Zusammenhang besteht - wenn der Täter die Gewalt also nicht einsetzt, um die sexuelle Handlung vorzunehmen, sondern etwa um sich vor Entdeckung zu schützen.
Ebenso erweisen sich in der Praxis die Fälle als problematisch, in denen das Opfer seine Gegenwehr nicht aus Furcht vor den Nötigungsmitteln unterlässt, also der Körperverletzung oder Tötung, sondern zum Beispiel aus Angst vor weitergehenden Konsequenzen wie der Kündigung durch den Arbeitgeber; auch das gibt es, meine Damen und Herren.
Schließlich hat sich als weitere schwierige Fallgruppe das Ausnutzen einer lediglich subjektiven schutzlosen Lage durch den Täter erwiesen. Es soll nicht ausreichen, dass das Opfer sich lediglich schutzlos fühlt, etwa weil es nicht daran denkt, dass Dritte Hilfe leisten könnten. Damit bestehen nämlich dann Varianten sexueller Übergriffe, die zwar durchaus strafwürdig, aber nach derzeitiger Rechtslage eben nicht ausreichend mit Strafe bedroht sind. Dadurch hat sich in der Praxis ein Reformbedarf ergeben. Ganz konkret: Opfer sexueller Gewalt werden durch die Praxis im geltenden Strafrecht nicht ausreichend geschützt. Es kann im Sinne des Opferschutzes zu Konstellationen kommen, die schlichtweg nicht hinnehmbar sind.
Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist ein hohes Schutzgut und nicht disponibel. Diese Erkenntnis ist nicht neu und es gibt sie nicht erst seit den Geschehnissen in der Silvesternacht. Denn bereits im Juli des vergangenen Jahres, Herr Kessler, hat Bundesjustizminister Heiko Maas einen Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vorgelegt. Erklärtes Ziel dieses Reformentwurfs ist, die erkannten Schutzlücken effektiv und schnell zu schließen. Das hat man also schon ein halbes Jahr vor diesen Ereignissen nach einer entsprechenden Länderabfrage erkannt. Es wurde nur dann erst nach diesen schlimmen Vorfällen die Notwendigkeit gesehen, diesen Entwurf auch tatsächlich zu behandeln.
Dieser Referentenentwurf behält zwar weitestgehend die bisherige Struktur des Sexualstrafrechts bei, nimmt dabei aber tatbestandliche Ergänzungen hinsichtlich der beschriebenen Strafbarkeitslücken vor. Und er wird den Anforderungen der so genannten Istanbul-Konvention gerecht, das ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt. Das hat die Bundesrepublik bereits gezeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Dieser Konvention wird damit Rechnung getragen. Sie sieht vor, dass jede nicht einverständliche sexuelle Handlung unter Strafe zu stellen ist. Allerdings bleibt es den Staaten überlassen, in ihrer Gesetzgebung über die genaue Formulierung sowie über die Voraussetzungen zu entscheiden, die eine freie Zustimmung ausschließen.
Welche Regelungen sieht dieser Referentenentwurf jetzt konkret vor? Der Tatbestand der sexuellen Nötigung durch das Ausnutzen einer schutzlosen Lage
wird gestrichen und es wird ein neuer Tatbestand geschaffen, der den sexuellen Missbrauch unter Ausnutzen der schutzlosen Lage unter Strafe stellt. Damit wird unter Strafe gestellt: das Ausnutzen einer Lage zu sexuellen Handlungen, wenn die Person unfähig ist, Widerstand zu leisten; wenn sie aufgrund ihres psychischen Zustandes unfähig ist, Widerstand zu leisten; wenn eine Lage ausgenutzt wird, die einen Überraschungseffekt hat, wenn die Person also überrascht wird und zum Widerstand unfähig ist; und wenn eine Lage ausgenutzt wird, in der die Person ein empfindliches Übel befürchtet. Deshalb deckt die Vorschrift derzeit alle aktuell diskutierten Strafbarkeitslücken ab. Das betrifft die Überraschungsfälle, die sogenannten Klima-der-Gewalt-Fälle und die Fälle der subjektiv schutzlosen Lage, wie ich eben dargestellt habe. Der Entwurf sieht also eine deutliche Verbesserung des Status quo vor.
Ein weitergehender Vorschlag in Ihrem Antrag, Herr Kessler, zielt auf die Umsetzung des Grundsatzes „Nein heißt Nein“ ab. Nach diesem Grundsatz wird jegliche sexuelle Handlung, die ohne das Einverständnis der anderen Person vorgenommen wird, kriminalisiert. - Ja, das ist gut. Ja, das ist der Schutz des sexuellen Selbstbestimmungsrechtes, wie wir ihn uns alle emotional wünschen. Diese Umsetzung ist aber im Rechtsstaat ein Paradigmenwechsel, der eine Neugestaltung des Sexualstrafrechts insgesamt fordert - ausgehend von einem Grundtatbestand, der die Strafbarkeit allein am Fehlen eines Einverständnisses mit den sexuellen Handlungen festmacht. Dabei ist tragendes Element einer Sexualstraftat das fehlende Einverständnis. Das heißt, das Einverständnis in die sexuelle Handlung lässt schon den Tatbestand der Straftat entfallen. Das ist wichtig.
Ich möchte im Folgenden die juristischen Diskussionen dazu beleuchten und darlegen, warum Sensibilität im Umgang mit solchen Regelungen vonnöten ist, Herr Kessler. Ich kann es Ihnen leider nicht ersparen, denn das Vorliegen eines Einverständnisses wird jetzt schon in anderen Straftatbeständen gefordert. Das ist also schon dort Voraussetzung.
In der Lehre wird dargestellt, dass das Einverständnis dem Prinzip des mangelnden Interesses folgt, das bedeutet, dass der Träger oder die Trägerin des Rechtsgutes - also hier der sexuellen Selbstbestimmung - sein oder ihr Interesse am Rechtsgut mit dem Einverständnis aufgibt; so die Lehre. Ich sage es jetzt bewusst etwas überzogen; so diskutieren es die Juristen. Sie haben immer im Hinterkopf, wie Opfer das nachfolgend sehen müssen und mit was Opfer nachfolgend konfrontiert werden.
Bereits bei der Prüfung einer Strafbarkeit ist im Umgang mit den Opfern deshalb höchste Sensibilität und Rücksichtnahme geboten, damit das Verständnis und die Nachvollziehbarkeit einer solchen juristi
schen Betrachtung überhaupt wachsen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meines Erachtens ist Folgendes noch viel problematischer: Wenn der Täter oder die Täterin einem Irrtum über das reale Nichtvorliegen des Einverständnisses unterliegt oder - was viel schlimmer ist - einen solchen Irrtum nur behauptet, dann heißt das, der Täter sagt, er sei irrtümlich davon ausgegangen, dass sein Opfer einverstanden gewesen sei und das vor dem Hintergrund - das muss man auch beachten -, dass für das Einverständnis allgemein bislang ein rein inneres Einverständnis ausreicht. Es muss noch nicht einmal nach außen zum Ausdruck gekommen sein. Es reicht eine natürliche Willensfähigkeit, die man gar nicht unbedingt erkennen muss. Dann kommt es dazu, dass der Täter das wirklich behaupten kann und ein tatbestandsausschließender Irrtum da ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das muss sorgfältig geprüft und in eine Norm gegossen werden.
Diese Konstellationen zeigen nämlich, dass im Sinne eines wirksamen Opferschutzes ein solcher Paradigmenwechsel, wie er mit der Nein-heißt-NeinLösung angestrebt wird und dem wir uns nicht verschließen wollen, einer sorgfältigen Vorbereitung bedarf. Die vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz eingesetzte Reformkommission befasst sich derzeit aus diesem Grunde mit der Frage, ob ein neuer Grundtatbestand mit diesem Inhalt geschaffen wird. Das heißt, dass die Strafbarkeit allein vom Vorliegen eines Einverständnisses mit der sexuellen Handlung abhängt.
Die Opfer sexuell motivierter Straftaten brauchen absolute Rechtssicherheit sowohl in der Anwendung des Rechts, vor allem dann, wenn es um Beweiserhebung und Ermittlungen geht, die für die Opfer von Straftaten ebenso belastend sind wie die Straftat selbst. Hier ist Gründlichkeit und Rücksichtnahme geboten. Hier müssen alle Verbände einbezogen werden, um einen möglichst umfangreichen Schutz der Opfer gewährleisten zu können.
Die Reformkommission hat am 20. Februar ihre Arbeit aufgenommen. Hier Vorgaben zu machen oder gar dem Ergebnis vorzugreifen, ist nicht sachgerecht, auch nicht im Sinne eines effektiven Opferschutzes. Vor dem Hintergrund, dass der 13. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB grundlegend überarbeitungsbedürftig ist, hat diese Kommission Experten aus Wissenschaft und Praxis einbezogen mit dem Ziel, Empfehlungen für den Gesetzgeber zu erarbeiten, damit eine solche Reform und vielleicht auch ein solcher Paradigmenwechsel möglich sind. Wir schließen das in jedem Fall nicht aus.
Die Frage, ob sich weitere, durch den Referentenentwurf bisher nicht erfasste Fallgestaltungen in Zukunft ergeben, wird in diesem Zusammenhang
ebenfalls geprüft. Herr Kessler, auch das ist unsere Intention. Es ist zum Beispiel die Frage, ob eine Strafnorm auch für die Fälle unter der Erheblichkeitsschwelle im Sexualstrafrecht geschaffen werden soll, zum Beispiel bei den sexuellen Belästigungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es besteht derzeit juristische Unklarheit darüber, ob es bei Berührungen von Brust, Gesäß oder dem Genitalbereich ausschlaggebend ist, ob der berührte Körperteil bekleidet ist. Damit muss man sich derzeit befassen.
Damit befassen sich derzeit Gerichte. Das ist auch Gegenstand einer umfassenden Reform des Sexualstrafrechts. Damit befasst sich jetzt die Reformkommission. Herr Kessler, Sie können nicht sagen „Hör auf“. Davon sind viele Frauen im alltäglichen Leben betroffen. Das ist das ureigenste Interesse der Frauen, dass auch das geprüft wird. Diese Untersuchungen sind deshalb in vollem Gange.
Meine Damen und Herren, wir verschließen uns einer Debatte um eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechts nicht. Im Gegenteil. Wir wollen sie. Wir sehen viele offene Fragen. Eine davon ist die sorgfältige Prüfung des Nein-heißt-Nein-Ansatzes und seiner Auswirkungen. Das Ergebnis einer solchen Prüfung kann tatsächlich ein Paradigmenwechsel sein. Aber eine sorgfältige Prüfung dieses Ansatzes und seiner Folgen muss eben auch zuerst erfolgen. Deswegen rufe ich uns alle zu Sorgfalt und Umsicht auf.
Die Prüfung muss noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, sodass sie mit einer sachgerechten und angezeigten Lösung enden kann. Es besteht auch ein aktuelles Bedürfnis, Strafbarkeitslücken zu schließen. Die durch den Referentenentwurf vorgesehenen Änderungen führen bereits jetzt zu Verbesserungen des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung. Die Fallgestaltungen, die sich in der Praxis tatsächlich erwiesen haben, werden aufgegriffen und einer expliziten Strafbewehrung zugeführt. Das war Ziel dieses Referentenentwurfes. Das ist gelungen. Das wird auch von den Kritikern nicht bestritten. Ich habe eben schon ausgeführt, auch die Istanbul-Konvention wird eingehalten. Deshalb unterstützen wir diesen Antrag nicht, weil es noch abzuwarten gilt.
Herr Kessler, die Forderung, die Bundesratsinitiative der Länder Hamburg und Niedersachsen zu unterstützen, ist überholt und nicht korrekt wiedergegeben. Es handelt sich nämlich um eine Bundesratsinitiative der Länder Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung durch eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechtes, die an diesem Freitag - also übermorgen - mit den Stimmen des
Saarlandes in den zuständigen Ausschuss überwiesen wird. Dort wird die weitere Beratung und Diskussion erfolgen mit der Zielsetzung, dass ein effektiver Schutz der sexuellen Selbstbestimmung gewährleistet werden muss. Auch in diesem Punkt ist Ihr Antrag überholt.
Sehr geehrte Herren der GRÜNEN-Fraktion - es ist nur noch einer da -, Ihnen ist vielleicht entgangen, was in diesem Land in der Vergangenheit zur Prävention sexualisierter Gewalt gegen Frauen bereits geschaffen wurde. Ärztinnen und Ärzte wurde ein Informationsleitfaden an die Hand gegeben, um häusliche Gewalt zu erkennen, Opfer sensibel anzusprechen und Beweise und Befunde gerichtsverwertbar zu dokumentieren. Die Bereitschaft, Anzeige zu erstatten, wird dadurch gestärkt, dass an geeignete psychosoziale Fachdienste vermittelt wird.
Zur Sensibilisierung für Fälle häuslicher Gewalt, für die Belange von Opfern und für eine adäquate Intervention, Prävention und Repression werden unterschiedliche Berufsgruppen geschult. Polizistinnen und Polizisten, Lehrerinnen und Lehrer und viele andere Berufsgruppen werden geschult, um Hilfestellungen bieten zu können.
Im November 2014 wurde die vertrauliche Spurensicherung eingeführt, mit der Opfer sexueller Gewalt die Möglichkeit erhalten, auch noch nach einer geraumen Zeit den Beweis der Straftat zu führen, wenn die Traumata nach der Tat dies erträglich erscheinen lassen.
Ein letzter Hinweis, meine Herren von den GRÜNEN. Was um alles in der Welt soll Ihnen die Landesregierung bis zum 13.07.2016 berichten? Das Strafrecht liegt allein in Bundeszuständigkeit. Das Saarland wird am Freitag im Bundesrat eine Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung mit auf den Weg bringen. Herr Kessler, Sie haben selbst gesagt, der Bundesminister Heiko Maas ist aufgefordert. Er hat schon geliefert. Er wird weiter liefern, auch mit den Stimmen des Saarlandes. Es ist alles auf einem guten Weg. Wir werden weiterhin für die Frauen und für alle Menschen kämpfen, damit sie in ihrem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung effektiv und sehr umfassend geschützt werden. Wir werden die Ergebnisse dieser Reformkommission abwarten. Dann können wir das gerne wieder hier diskutieren.
Meine Herren der GRÜNEN-Fraktion, wir machen unsere Arbeit. Tun Sie das auch! - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Huonker, Sie haben Recht, die SPD-Fraktion sieht es in der Tat völlig anders, aber nicht wegen ihrer Regierungsbeteiligung, sondern weil Ihr Gesetzentwurf inhaltlich und formal schlichtweg falsch ist. Meine Damen und Herren, die Möglichkeit und das Recht eines Parlamentes, Ausschüsse zu bilden, ist in der Tat in dieser konkreten Form bereits seit der Frankfurter Nationalversammlung ausgebildet. Ausschüsse sind nämlich zweifelsohne mit die wichtigsten Arbeitsgremien eines Parlamentes, in denen wichtige, am jeweiligen Sachthema orientierte Arbeit geleistet wird. Hierbei kommt den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen eine ganz besondere Bedeutung zu. Untersuchungsausschüsse sind nämlich das verfassungsrechtlich garantierte Instrument der parlamentarischen Kontrolle im System der Gewaltenteilung und der Selbstinformation des Parlamentes. In der saarländischen Verfassung, das wurde eben erwähnt, sind sie in Art. 79 normiert. Untersuchungsausschüsse sind damit im Verfas
sungsrang stehende Organe des Parlamentes. Sie sind ein ganz bedeutender Teil des Parlamentes.
Meine Damen und Herren, weil das Plenum Träger des Untersuchungsrechts ist, also wir alle, die wir hier sitzen, und dieses auch die notwendigen Entscheidungen über die Einsetzung und Auflösung des Untersuchungsausschusses sowie über den Untersuchungsgegenstand trifft, können Mitglieder eines Untersuchungsausschusses auch nur Abgeordnete sein. Will man diesen Status des Untersuchungsausschusses als Teil des Plenums verändern, so muss man die Verfassung ändern, Frau Huonker. Der vorliegende Gesetzentwurf nimmt einen solchen Eingriff in den Status des Untersuchungsausschusses vor, indem er nämlich vorschreibt, dass der oder die Vorsitzende des Untersuchungsausschusses kein Mitglied des Landtages mehr sein darf.
Der Ausschussvorsitz ist ein administratives Organ und als solches für die Organisation und die Repräsentation des Ausschusses verantwortlich. Der Ausschussvorsitzende tritt in seiner Funktion an die Öffentlichkeit. Das erleben wir immer wieder, wenn nach einer Sitzung des Untersuchungsausschusses der Vorsitzende vor die Kameras tritt. Diese Aufgaben sind genau deshalb nicht von untergeordneter Bedeutung, denn der Vorsitzende repräsentiert damit nicht nur den Ausschuss, sondern das gesamte Plenum. Bereits aus diesem Grunde muss der oder die Vorsitzende ein Mitglied des Parlaments sein, er oder sie darf keine externe Person sein. Damit hat der Ausschussvorsitzende - im Übrigen ebenso wie unser verehrter Präsident des Landtages, der ebenfalls Mitglied desselben ist - bei der Ausübung seiner Funktion eine parteipolitische Neutralität zu wahren. Frau Huonker, wenn man dabei von struktureller Befangenheit spricht, dann könnten wir uns so, wie wir hier sitzen, gleich auflösen, denn hier sind wir alle strukturell befangen.
Sie haben eben auch ausgeführt, trotz aller Diskussionen, die es schon seit über 15 Jahren gibt, ist bis heute in keinem einzigen Bundesland ein Vorsitzender/eine Vorsitzende nicht Mitglied des Parlamentes - eben aus diesen Gründen.