Diese Rahmenbedingungen werden uns auch 2005 noch einmal beschäftigen. Ich glaube aber, wenn wir die Trendwende, die sich 2004 so angedeutet hat, 2005 fortsetzen können, dass die Jugendlichen das tatsächlich auch aufgreifen und alle begleitenden Maßnahmen annehmen, dann kann ich frohen Mutes sein, dass es auch Jugendlichen wieder gelingt, optimistischer in ihre Zukunft zu schauen. Wir wissen, Ausbildung ist das Pfund, mit dem sie wuchern können, um später auch Arbeit zu finden.
Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Wir waren erfolgreich“ – das waren Ihre Worte, Herr Jurk, als es um die Bilanz der Ausbildungsoffensive 2004 ging. Der erste Eindruck scheint dies auch zu bestätigen. Macht man sich nun aber die Mühe und wirft einen genaueren Blick auf die Statistik, so stellt man fest, dass es nur in der Industrie und im Handel gelungen ist, einen geringen Vorsprung von 0,8 % mehr an Lehrstellen zu schaffen als im Vorjahr. Der Rückgang im Handwerk und bei den freien Berufen hingegen von insgesamt fast 10 % konnte de facto nur durch die überproportional neu geschaffenen Ausbildungsplätze des öffentlichen Dienstes ausgeglichen wer
den. Insgesamt ergibt sich ein realer Zuwachs an betrieblichen Ausbildungsplätzen von gerade einmal 0,1 %.
Trotzdem möchte ich die Leistungen des Kollegiums Lehrstellen und Fachkräfte für Sachsen und der mitwirkenden Akteure anerkennen, da das gesetzte Ziel, mindestens ebenso viele Lehrstellen zu schaffen wie im Jahre 2003, erreicht wurde; ja, es wurden sogar 36 neue Stellen geschaffen – das meine ich bei weitem nicht polemisch, denn ich weiß, wie wichtig jeder einzelne Ausbildungsplatz ist.
Von den über 31 000 Lehrverträgen wurden 8 000 – also mehr als ein Viertel – überbetriebliche Ausbildungsplätze abgeschlossen. – Ich danke hier auch meinen Vorrednern für die doch so realistische Einschätzung.
Dass aber andererseits über 1 000 junge Männer und Frauen überhaupt nicht vermittelt werden konnten, gibt man nur ungern zu. Darüber können auch keine Einstiegsqualilfizierungsmaßnahmen für Jugendliche hinwegtäuschen, die man den Nichtvermittelten anbieten will.
Aber mir stellt sich noch eine ganz andere Frage. In Ihrer Antwort, Herr Jurk, steht folgender Satz – ich zitiere: „Weitere Bewerber besuchen weiterhin die Schule oder qualifizieren sich in berufsvorbereitenden Maßnahmen.“ Alle anderen aufgeführten Angaben haben Sie mit Zahlen untersetzt – diese nicht. Aber beim Zusammenrechnen ergibt sich, dass diese weiteren Bewerber 26,5 % ausmachen. Das heißt, zirka 15 000 Bewerber wurden einfach in berufsvorbereitenden Maßnahmen geparkt, Maßnahmen wie zum Beispiel das Berufsschulgrundjahr – ursprünglich dazu gedacht, benachteiligte Jugendliche überhaupt erst einmal ausbildungsfähig zu machen. Die Zahl derer, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen, hat sich übrigens seit dem Jahre 1999 fast verdoppelt – nicht, weil immer mehr Jugendliche eine solche Vorbereitung wirklich brauchen würden, sondern einfach, weil die Ausbildungsplätze fehlen.
Ich möchte, wie Herr Lämmel, die heutige Debatte auch dazu nutzen, um auf das weitere Anwachsen der so genannten Bugwelle, also den steigenden Anteil der Altbewerber, aufmerksam zu machen – Jugendliche, die zum Teil seit Jahren auf eine Ausbildungsmöglichkeit warten. Diese machen zwei Drittel – und, Frau Weihnert, da habe ich die gleichen Zahlen wie Herr Lämmel – der nicht vermittelten Bewerber aus; junge Menschen, deren Chancen auf eine Ausbildung mit jeder Absage, mit jedem verstreichenden Jahr sinken.
Ich möchte hier ein persönliches Beispiel bringen. Ein Bekannter – ein junger Mann, der einen guten Realschulabschluss hingelegt hat – hat sich bestimmt mehr als 50 Mal beworben und hat dennoch keine Lehrstelle bekommen. Er wurde in einer solchen Maßnahme, wie ich sie eben beschrieben hatte, geparkt. – Bei solchen Maßnahmen lernt man übrigens, wann man „das“ mit einem „s“
oder mit „Doppel-s“ zu schreiben hat, oder geht das Einmaleins noch mal von vorn durch. – Nach Absolvieren dieser Maßnahme fand er immer noch keinen Ausbildungsplatz und fand sich schnell in einem Teufelskreis wieder, stand morgens später auf – oder gar nicht mehr; wer steht schon auf, wenn er keine Perspektive hat –, verbrachte den halben Tag vor dem Fernseher oder vor dem Computer und seine sozialen Kontakte verringerten sich ebenfalls. Kurz: Er ließ sich einfach treiben.
Was ich hier verdeutlichen will, ist, dass ich nicht von Außenseitern sprechen möchte, sondern von ganz normalen Jugendlichen mit genügenden oder sogar sehr guten Ausgangsqualifikationen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das eigentliche Problem in diesem Bereich ist aber selbst dann nicht gelöst, wenn es für jeden Bewerber einen Ausbildungsplatz gäbe. Ich sprach bereits von den zusätzlichen Ausbildungsstellen im öffentlichen Dienst – Herr Lämmel ist auch darauf eingegangen –; wie es mit den Übernahmequoten nach der Ausbildung aussieht, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Viele Jugendliche gehen direkt von der Ausbildung in die Arbeitslosigkeit. Da hilft auch keine berufsvorbereitende Maßnahme und keine Qualifizierung mehr.
Denn die Wahrheit ist doch, dass insgesamt nicht den Anforderungen der Zukunft entsprechend ausgebildet wird, dass geforderte Schlüsselqualifikationen nicht vermittelt werden, dass keine wirkliche zukunftsorientierte Bedarfsermittelung geleistet wird. Hier sehe ich auch eine große Aufgabe für die vom Landtag eingesetzte Enquete-Kommission zur demografischen Entwicklung, denn das Problem ist ein demografisches.
Meine Damen und Herren, innerhalb dieser Legislatur wird sich die Zahl der Ausbildungssuchenden um die Hälfte verringern – die Auswirkungen können Sie erahnen. Die Fragen sind: Bringt dies eine wirkliche Chance für diejenigen, die eine Ausbildung suchen? Was muss getan werden, um in Sachsen ein ausreichend großes und gut ausgebildetes Fachkräftepotenzial zu erhalten bzw. neu aufzubauen?
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hat zu diesen Fragen in unserem Landesentwicklungsprogramm „Aleksa.“ einige Vorschläge unterbreitet.
Gute Vorschläge. Inzwischen haben wir hoffentlich alle verstanden, dass sich die Probleme auf dem Ausbildungsmarkt eben nicht von alleine lösen.
Ich möchte Sie hier nochmals auffordern, gemeinsam an einem Strang zu ziehen; denn es geht um die Zukunft der sächsischen Jugendlichen, es geht um die Zukunft Sachsens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion verhehlt nicht, dass wir in der sächsischen Ausbildungsoffensive 2004 grundsätzlich ein lobenswertes Unterfangen sehen. Erfreulich wirkt auf den ersten Blick auch die Tatsache, auf die der Lenkungsausschuss schon im September 2004 aufmerksam gemacht hat, nämlich dass mit Stand Ende 2004 im Freistaat rund 2,5 % mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen werden konnten als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Aber wir würden natürlich auch gerne wissen, wie authentisch solche Zahlen eigentlich sind – selbst wenn wir diesen beiden hier zur Diskussion gestellten Anträgen auch problemlos zustimmen können.
Was hat denn die Ausbildungsoffensive tatsächlich gebracht? Wird mit diesen 2,5 % mehr Ausbildungsverträgen nicht pure Augenauswischerei betrieben? Man muss sich nur vergegenwärtigen – und auch diese Zahl findet sich im Fachlenkungsausschuss, also in diesem Bericht –, dass gleichzeitig noch rund 20 000 Jugendliche aus dem Jahr zuvor einen Ausbildungsplatz gesucht haben. Und diese Jugendlichen haben natürlich umso größere Schwierigkeiten, eine Ausbildungsstelle zu finden, je problematischer sich die gesamtwirtschaftliche Rahmensituation entwickelt. Da sind plötzlich alle Anstrengungen der Ausbildungsoffensive vergebens. Wenn immer mehr mittelständische Betriebe abwandern oder dicht machen, dann kann man sich an allen fünf Fingern abzählen, dass auch weniger Betriebe ausbilden können.
Selbst der Deutsche Industrie- und Handelskammertag ist deshalb in einer Prognose vom Jahr 2004 weit davon entfernt, auch nur Lichtstreifen am Horizont zu sehen. In der DIHK-Studie heißt es wörtlich: „Die Ausbildungssituation wird schwierig bleiben. Bei weiterhin angespannter Kostensituation und noch nicht überwundener Wachstumsschwäche haben sich die Rahmenbedingungen für die Einstellung neuer Auszubildender nicht entscheidend gebessert.“
Auch einige weitere Zahlen, die vom Industrie- und Handelskammertag genannt werden, bestätigen unsere Einschätzung, dass es sich bei den erwähnten Zuwachsziffern um reine Schönfärberei handelt. Immerhin 12 % der befragten Unternehmen haben schon 2004 erklärt, sie würden eher weniger Azubis ausbilden als im Jahr zuvor. Diese Lage wird auch ausdrücklich für die neuen Bundesländer genannt. Im Bereich der IHK Dresden hat sogar jedes zweite befragte Unternehmen erklärt, überhaupt keine Azubis einzustellen.
„Vor dem Hintergrund der weiterhin unbefriedigenden Wirtschaftsentwicklung in den neuen Bundesländern“ – ist der DIHK-Studie leider zu entnehmen – „fehlt bei den meisten Unternehmen die Basis für eine offensivere Einstellungspolitik.“ – Zitatende.
Gestatten Sie mir bitte noch eine grundsätzliche Bemerkung. Statistiken, Bilanzen und Konjunkturberichte bieten bekanntlich immer viel Platz für Interpretationen in die eine oder andere Richtung. Das Vorhandensein oder Fehlen von Ausbildungsplätzen ist demgegenüber ein
viel präziserer Indikator. Ausbildungsplätze sind nun einmal mit Kosten verbunden, und wenn kein Geld vorhanden ist, gehören Lehrstellen immer zu den Kosten, die zuerst gestrichen werden. Es ist insofern auch reichlich kosmetisch, eine sächsische Ausbildungsoffensive zu starten oder einen Ausbildungspakt abzuschließen, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür nicht stimmen. Auf diesen Zusammenhang weist der Deutsche Industrie- und Handelskammertag nicht zu Unrecht hin.
Wenn wir also dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Land wieder funktionieren, dann werden sich auch genügend Lehrstellen finden. Alles andere ist Selbsttäuschung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! – Zunächst: Für meinen Namen kann ich nichts, da können Sie meine Eltern anrufen und sich beschweren. Aber es gibt auch einen schönen Herbst und auch ein Winter kann schön sein, muss ich neidlos anerkennen. Aber zur Sache. Die berichteten Zahlen sind auf den ersten Blick sicher erfreulich, insbesondere wenn man die Ausgangslage im letzten Sommer betrachtet. Dort wurde ja ein Szenario befürchtet, dass wirklich viele, viele Jugendliche im Herbst nicht vermittelt werden.
Die größte Katastrophe wurde abgewendet. Allen Akteuren auf dem Ausbildungsmarkt gilt dafür ein Dankeschön. Ich möchte insbesondere denjenigen danken, die die Hauptlast tragen, und das sind nicht irgendwelche Kollegien oder irgendwelche staatlichen Stellen, sondern die sächsischen Unternehmer.
Wir alle wissen, dass es Unternehmen in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation nicht leicht fällt, Ausbildungsplätze anzubieten. Das gilt gerade für Sachsen, wo 80 % der Ausbildungsplätze von kleinen und mittelständischen Unternehmen angeboten werden. Insofern ist dieses Engagement nicht hoch genug zu bewerten.
Erstens. Die Lage am Ausbildungsmarkt ist dennoch problematisch. Das hat nicht nur mit dem aktuellen Ausbildungsjahr, sondern auch mit strukturellen und wirtschaftlichen Problemen in Deutschland und speziell in den neuen Bundesländern zu tun. Nicht einmal jeder zweite Auszubildende wird heute im klassischen Sinne dual-betrieblich ausgebildet. Das heißt, 50 % derjenigen, die wir heute ausbilden, befinden sich in außerbetrieblichen oder in staatlichen Maßnahmen. Das ist weit weg von einer gesunden Ausbildungsstruktur. Sicherlich ist das besser, als wenn die Jugendlichen keinen Platz bekommen; aber für die Betroffenen ist es am Ende nur die zweitbeste Lösung. Wir wissen auch: Wenn man sich die Arbeitsmarktchancen betrachtet, stellt man fest, dass die
jenigen, die nicht in einem Betrieb ausgebildet worden sind, zweifellos den schwierigeren Start haben.
Zweitens gibt es nach wie vor eine immens hohe Abbrecherquote. Bis zu 25 % der Ausbildungsverhältnisse werden abgebrochen. Das resultiert zu einem großen Teil aus falschen Vorstellungen über den Lehrberuf. Die Ursache dafür liegt wiederum oft in den Schulen.
Drittens beklagen Unternehmen in Sachsen die mangelnde Ausbildungsfähigkeit der Bewerber. Wer in einem Unternehmen arbeitet, kann diese Erfahrung sicherlich aus der Praxis bestätigen. Bis zu 20 % gelten heute als nicht ausbildungsfähig. Angesichts der Arbeitsmarktlage in Sachsen ist das der direkte Weg in die Arbeitslosigkeit. Wir können sicherlich nicht verlangen, dass die Berufsschule den Reparaturbetrieb für die allgemeinbildenden Schulen spielt. Wer nicht lesen, rechnen und schreiben kann, wird das auch in der Berufsschule nicht mehr lernen.