Protokoll der Sitzung vom 18.04.2008

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Wird weiter das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die 1. Aktuelle Debatte, beantragt von der Fraktion der FDP, zum Thema „Sachsen als Vorbild für eine familienfreundliche Politik“ beendet.

Wir kommen jetzt zu

2. Aktuelle Debatte

100 Tage Vorratsdatenspeicherung – Generalverdacht gegen Bürgerinnen und Bürger einstellen!

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zunächst wird die Fraktion GRÜNE sprechen. Danach folgen CDU, Linksfraktion, SPD, NPD und FDP. Die Debatte ist eröffnet. Für die Fraktion GRÜNE hat Herr Lichdi das Wort; bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit genau 109 Tagen werden alle unsere Telekommunikationsverbindungsdaten gespeichert. Bei allen unseren Anrufen – ob per Festanschluss, Handy oder Internet – werden alle unsere Mails, SMS und alle Internetseiten, die wir aufrufen, gespeichert – wann wir anrufen, wen wir anrufen und von wo aus wir anrufen.

(Heinz Lehmann, CDU: Na, und?)

Na, und? So werden jetzt die Herren Buttolo und Bandmann fragen und zum 395. Mal die Gefahren des Terrorismus beschwören, um sich aus der inhaltlichen Debatte davonzustehlen.

Daher will ich Ihnen an einem Beispiel erklären, worum es geht. In den letzten Tagen hat uns die Frage in Atem gehalten, ob es die CDU schafft, ihren bockigen Ministerpräsidenten davon zu überzeugen, zurückzutreten, und ob jemand aus der Riege der Kronprinzen den Mut hat, seinen Hut in den Ring zu werfen. Dass die SPD alles mitmachen würde, ist schon seit Langem klar und nicht weiter spannend.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Die offizielle Version, dass Herr Milbradt selbst richtig erkannt und seinen Nachfolger einvernehmlich benannt hat, ist natürlich eine bewusste Legendenbildung, wie jeder in diesem Hause weiß. Aber, meine Damen und Herren, wie war es wirklich? Die gespeicherten Telefonverbindungsdaten des Bürgers Georg Milbradt sind bei der fiktiven Rekonstruktion eine unschätzbare Hilfe. Vom Nachfolger Tillich wissen wir, dass ihn Milbradt am 8. April erstmals angesprochen hat. Dass dieses Gespräch etwas zu bedeuten hat, erkennen wir schon daran, dass Milbradt seit dem 4. April weder mit Thomas de Maizière

noch mit Steffen Flath telefoniert hat. Dieser Eindruck bestätigt sich, weil sowohl Milbradt als auch Tillich unmittelbar nach ihrem Gespräch die Nummer von Fritz Hähle wählten und kurz danach miteinander verbunden werden. Jetzt ahnen wir: Die interne Nachfolgedebatte spitzt sich auf Tillich zu.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Die Öffentlichkeit wird an diesem 8. April jedenfalls noch mit der Nachricht eines „Ultimatums“ der CDU an die SPD unterhalten. Doch Georg Milbradt hat noch eine andere Option. Am 9. April frühmorgens wählt er die Nummer seines Lautsprechers in der Öffentlichkeit, Michael Kretzschmer. Das Gespräch dauert geschlagene 13 Minuten – für Milbradt, der sonst außerordentlich kurz angebunden ist, ein außerordentlich langer Wert. Was hecken Milbradt und Kretzschmer aus? Danach den ganzen Morgen hektische Telefonate zwischen Kretzschmer, Hähle und Flath, in die auch der MilbradtKritiker Rößler immer öfter eingebunden wird. Was auffällt: Mit dem Parlamentarischen Geschäftsführer, Heinz Lehmann, spricht keiner.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Dann um 15:11 Uhr ruft Milbradt Thomas Jurk an. Die beiden haben sich sonst nicht viel zu sagen. Deswegen fällt auf, dass das Gespräch 23 Minuten dauert; abruptes Ende. Auf den Gängen des Landtages macht die Spekulation die Runde, dass Milbradt die SPD aus der Regierung werfen und mit einem Minderheitskabinett weitermachen will. Am späten Nachmittag und Abend hektische Telefonate zwischen den Akteuren der ersten, zweiten, dritten und vierten Reihe der CDU und SPD, in die allmählich auch immer mehr Bundespolitiker einbezogen werden.

Spätabends eine neue Entwicklung: Thomas de Maizière nimmt sich trotz seines aufreibenden Arbeitstages im Bundeskanzleramt zwei Stunden Zeit, um mit Sachsen zu sprechen. Am Morgen des 10. April, kurz vor 06:30 Uhr,

noch vor der Morgenlage im Kanzleramt, ein zweieinhalbminütiges Gespräch mit dem Handy der Kanzlerin. Wir haben jetzt Gewissheit: Die Bundesebene schaltet sich ein! Dies bestätigen weitere Gespräche zwischen de Maizière, Merkel und dem CDU-Generalsekretär Pofalla. Um die Mittagszeit ruft Merkel auch Kurt Beck, derzeit noch Vorsitzender der SPD, an. Kurz nach Mittag melden die Agenturen, dass sich sowohl die Bundes-CDU als auch die Bundes-SPD für eine Fortsetzung der sächsischen Koalition aussprechen. Was jetzt? Georg schweigt.

Von 13:43 bis 19:58 Uhr führt Georg Milbradt kein einziges Telefonat mit einer der sächsischen CDUGrößen. Auch das lange SMS von Angela Merkel um 18:27 Uhr öffnet er nicht.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Stattdessen lange Gespräche Georg Milbradts zwischen 16:35 und 17:11 Uhr mit seiner Frau und einem seiner Kinder im Ausland. Wir ahnen: Eine persönliche Entscheidung, die Milbradt tief aufwühlt, reift heran. Doch Milbradt lässt sich Zeit. Auch am Freitag geht Milbradt scheinbar routiniert seinen Amtspflichten nach, ohne mit Hähle oder Kretzschmer zu sprechen.

Meine Damen und Herren! Sie können jetzt selbst weiter überlegen, wer dann wie die letzte Einladung ins Haus Milbradt am Sonntagabend eingefädelt hat.

Was ich Ihnen darstellen wollte: Die Verknüpfung scheinbar harmloser Verbindungsdaten reicht eben aus, um aussagekräftige Kommunikationsprofile zu erstellen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht nur ein weiteres der vielen Überwachungsspielzeuge, die uns die sogenannten Sicherheitsbehörden und eilfertige Unsicherheitspolitiker, meistens der Union, aufdrängen. Die Vorratsdatenspeicherung ist die Totalüberwachung unbescholtener Bürger.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Sie ist ein weiterer Sündenfall des Staates gegen die Grundrechte und unsere Grundfreiheiten. Diese Perversionen des Denkens sind schon längst zur eigentlichen Gefahr für unsere freiheitliche Grundordnung geworden. Die Überwachungsfanatiker der Stasi hätten ihre helle Freude. Sie können nachträglich Schäuble und Mackenroth als Brüder im Geiste umarmen.

Meine Damen und Herren! Ich sage Ihnen ganz klar: Dagegen zu kämpfen ist die Pflicht aller freiheitlich und demokratisch denkenden Bürger. Wir als Bündnisgrüne werden das jedenfalls tun.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Ich erteile das Wort der Fraktion der CDU; Herr Piwarz, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Also, Herr Kollege Lichdi, was Ihre Rede und insbesondere Ihr gewähltes Beispiel mit dem Thema dieser Debatte, die Sie hier beantragt haben, zu tun hat, das werden Sie uns wohl sicher noch erklären können. Auf jeden Fall wissen wir jetzt schon einmal, wovon Sie nachts so träumen. Ich glaube, Ihrem zweifelhaften Ruf sind Sie damit auch wieder einmal gerecht geworden.

Aber, meine Damen und Herren, mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsverfahren hat der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das die Verfolgung von Straftaten erleichtern hilft. Dem vorausgegangen war im Dezember 2005 die Zustimmung des Europäischen Parlamentes zur Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung. Mit dem Beschluss ist der Bundestag seiner Pflicht zur Umsetzung der EU-Richtlinie nachgekommen.

Indem Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, bewusst das Bild eines vermeintlichen Überwachungsstaates konstruieren, wollen Sie die Angst der Bürger vor einem effektiven Mittel der Kriminalitätsbekämpfung schüren. Mit einer Rundumüberwachung hat aber die Vorratsdatenspeicherung nichts zu tun. Weder werden die Inhalte der Kommunikation erfasst noch werden Bewegungsprofile erstellt. Der Zugriff auf die Daten erfolgt nur im Einzelfall und unterliegt hohen Voraussetzungen.

Meine Damen und Herren! Kriminalität geht immer neue Wege. Die Möglichkeiten des Internets und anderer Kommunikationsmittel spielen dabei oft eine entscheidende Rolle. Dem Rechtsstaat müssen deshalb Mittel und Wege an die Hand gegeben werden, die neuen Formen der Verbrechensbegehungen wirksam zu bekämpfen. Dazu gehört auch die Speicherung von Telekommunikationsdaten auf Vorrat. Sie hat beispielsweise bei der Aufklärung der Terroranschläge in Madrid am 11. März 2004 einen wesentlichen Beitrag geleistet. Fast 200 Menschen starben damals, über 2 000 wurden verletzt. Ende April desselben Jahres waren die Anschläge nahezu aufgeklärt und die Täter gefasst.

Meine Damen und Herren von der Opposition! Wenn Sie von einem Generalverdacht gegenüber dem Bürger sprechen, vergessen Sie, dass das Gesetz nicht die Rundumüberwachung anstrebt, sondern die Verhütung und Bekämpfung von Terrorismus, Organisierter Kriminalität und anderer Straftaten. Das Thema Vorratsdatenspeicherung wurde und wird intensiv diskutiert, politisch wie gesellschaftlich. So ist beispielsweise auch eine Klage beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Dieses hat zunächst im Eilverfahren entschieden. Mit seinem Beschluss vom 19. März 2008 hat das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung nicht generell außer Kraft gesetzt. Es hat lediglich die Nutzung der zu speichernden Daten im Bereich der Strafverfolgung bis zur Entscheidung in der Hauptsache eingeschränkt.

Unter den Voraussetzungen des § 100b StPO können die gespeicherten Daten weiterhin zur Bekämpfung schwerer

und schwerster Straftaten genutzt werden. Genau dies trifft ja die Intention des Gesetzgebers und bescheinigt damit die Notwendigkeit des Gesetzes.

Meine Damen und Herren! Auf eines will ich zum Schluss noch hinweisen: Wieder einmal beschäftigt sich der Sächsische Landtag mit einem bundespolitischen Thema. Schon in der Debatte im Bundestag hatten die GRÜNEN ja umfangreich die Möglichkeit, ihre Argumente vorzutragen. So stichhaltig können diese nicht gewesen sein, denn die große Mehrheit des Deutschen Bundestages hat anders entschieden und die Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Es ist natürlich menschlich verständlich, dass Sie dieses Thema weiter verfolgen wollen, das können Sie auch gern tun. Es sei Ihnen dennoch gesagt: Die Vorratsdatenspeicherung liegt nicht in der gesetzgeberischen Kompetenz des Sächsischen Landtages, weshalb die heutige Debatte offenkundig nur dem Zweck dient, Ihrer Mär vom Überwachungsstaat ein weiteres Podium zu bieten. Ändern kann diese Diskussion nichts, und das wissen Sie ja auch.

Meine Damen und Herren! Mit der noch ausstehenden abschließenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes werden wir Gewissheit über die Vereinbarkeit der Vorratsdatenspeicherung mit dem Grundgesetz haben. Ich hoffe, dass dann auch die GRÜNEN wieder zur Sachlichkeit in dieser Diskussion finden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile das Wort der Linksfraktion; Herr Bartl, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Piwarz, ich gehe einmal davon aus, dass Sie, wenn Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes in Bezug nehmen, selbige einmal lesen, bevor Sie ans Pult treten. Bekanntermaßen hat der Verfassungsgerichtshof, das Bundesverfassungsgericht nämlich, den Ländern aufgegeben, dem Bund für eine Einschätzung zuzuarbeiten, die das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren entgegennimmt, und zwar auch die Erkenntnisse und die Praxis der Datenerhebung nach den §§ 315a und 315b TKÜ im Zeitraum vom 1. Mai 2008 bis 1. August 2008 zuzuarbeiten, also unmittelbar Länderbetroffenheit. Das darf man doch wohl sagen, wenn man dann hierher geht und debattieren will, ob es Bundes- oder Landesangelegenheit ist.

Zweitens. Es ist überhaupt nicht anders zu erwarten gewesen, als dass Sie den Terrorismus bemühen, das eine Beispiel von Madrid und die Organisierte Kriminalität, die überall herumwabert, und dergleichen mehr, um zu begründen, dass das notwendig ist. Es ist definitiv nahezu kein Fachmann an Ihrer Seite, der allen Ernstes behauptet, dass Sie mit der Vorratsdatenspeicherung nennenswerte Ergebnisse in der Kriminalitätsbekämpfung bekommen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Speicherung nach den entsprechenden Bestimmungen des § 315a führt dazu, dass es selbst nach allen Erkenntnissen des BKA maximal von sechs Millionen pro Polizeistatistik erfassten Straftaten 381 Ermittlungsverfahren waren, bei denen die fehlenden Verkehrsdaten für die Aufklärungsdefizite maßgeblich waren. Von sechs Millionen im Jahr begangenen und in der BKA-Statistik erfassten Straftaten haben bei 381 die Daten gefehlt – das sind 0,001 %. Bei den Internetdaten, wenn diese sechs Monate speicherungspflichtig sind, ergibt sich nach den Berechnungen des Internetzugangsanbieters T-Online, dass nur 0,0004 % der gespeicherten Daten überhaupt von den Strafverfolgungsbehörden abgefordert werden. Für 0,0004 % der Daten speichern wir demzufolge die entsprechenden Daten auf Vorrat für sechs Monate.

Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen, um die es geht. Angesichts dessen muss man ja fragen: Wie berechtigt ist denn das? Bei einer Speicherdauer von sechs Monaten werden nach der Vorschrift des § 113a Telekommunikationsgesetz ständig 39 Milliarden Festnetzverbindungen, 15 Milliarden Mobiltelefonverbindungen und zehn Milliarden SMS-Verbindungen gespeichert sein. Summa summarum – gerechnet auf die Speicherdauer von sechs Monaten – sind das 64 Milliarden Telekommunikationsdaten auf Vorrat.