Insofern sind die Materialien in der Antwort sicherlich für Hochschulpolitiker nützlich, nur steht der dazu betriebene Aufwand in keinem realistischen Verhältnis zum Erkenntnisgewinn.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich möchte mich zuerst für die Große Anfrage und auch für die Beantwortung recht herzlich bedanken. Ich denke, klare Analysen sind Voraussetzung für Handeln, und die Antworten zeigen, dass das tastsächlich dringend notwendig ist.
Wir haben also mit den Folgen des Geburtenrückgangs in den neuen Bundesländern zu kämpfen, wir haben Abwanderungsprozesse und diese kommen nun bei den Hochschulen und damit auch bei der Wirtschaft an. Der prognostizierte Rückgang an Studienanfängern ist dramatisch für den Osten. Nicht nur, weil der Bedarf an hoch qualifizierten Arbeitskräften steigt – wir sagen, dass aus Altersgründen in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Berufsleben ausscheiden werden –, sondern wir werden auch Neubedarfe haben. Diese ergeben sich daraus, dass wir einen Bedarf an hoch Qualifizierten haben. Dieser wird immer weiter steigen und er wird von unserer Fraktion schon seit Langem thematisiert. Das liegt zum einen am Strukturwandel des Beschäftigungssystems hin zu einer Informations- und Wissensgesellschaft. Das heißt, die Anforderungen durch moderne Technologien wachsen und man muss dem mit höherem Wissen entgegentreten.
Es werden aber auch für gering Qualifizierte Beschäftigungseinbußen erwartet. Das heißt, die traditionellen Beschäftigungsfelder, in denen niedrig Qualifizierte bisher beschäftigt waren, fallen weg. Die stagnierende Bildungsbeteiligung, die niedrige Zahl erfolgreicher
Absolventen und der Bevölkerungsrückgang führen also zu einem Mangel an akademisch gebildeten Fachkräften.
Um es klar zu sagen: Nicht nur das Erwerbspersonenpotenzial verringert sich, auch die Qualifikationsentwicklung der Bevölkerung lässt Mangel besonders an hoch Qualifizierten erwarten. Die nachrückende Generation müsste deutlich besser qualifiziert sein, um dem Ausscheiden und den Anforderungen tatsächlich gerecht zu werden. Das ist aber aus unser Sicht nicht zu sehen, denn die Studierquote sinkt, wir haben einen hohen Studienabbruch, soziale Selektion usw.
Ich möchte aber diese Diskussion nicht nur als Diskussion um Arbeitskräfte führen oder, wie manchmal auch gesagt wird, um das sogenannte Humankapital besser auszuschöpfen, sondern ich glaube, dass die Diskussion um den demografischen Wandel auch eine Chance für neue Wege in der Bildungspolitik sein kann und die Diskussion um den Stellenwert von Bildung für die Entwicklung eines Landes für den sozialen Zusammenhalt und für die Gemeinwohlentwicklung von Bedeutung ist.
Wenn wir also über demografischen Wandel und Hochschulen diskutieren, müssen wir das als gesamtpolitisches Thema betrachten. Die Aufgaben des Gesetzgebers bzw. die Stellschrauben gehen von der Wiege bis zur Rente und umreißen Themen vom Bildungsverständnis bis hin zum lebenslangen Lernen. Insofern müsste die Staatsregierung eigentlich auch eine Vorbildwirkung haben. Es geht um ein integratives Konzept, um mit dem demografischen Wandel umzugehen. Das ist bisher aus unserer Sicht nicht zu sehen, und deswegen muss man sich nicht wundern, wenn die Hochschulen nur ungenügend auf diese Entwicklung bzw. auf diese Fragen eingestellt sind.
Aber im Vordergrund stehen heute die Hochschulen, und so müssen wir uns fragen, welche Kriterien Auswirkungen auf die Nachfrage in den Hochschulen haben.
Was bisher zu kurz gekommen ist, ist die Erhöhung der Bildungsbeteiligung. Wir müssen eben auch von einer verfehlten Schulpolitik in Sachsen sprechen, die auf Aussondern setzt, die nach oben hin kaum durchlässig ist und die auch inhaltlich nicht genügend anregend ist. Wir reden in Sachsen von einer Mehrfachselektion im Bildungssystem: Wir haben Zugangsbeschränkungen in der Kita, wir haben die Selektion nach der 4. Klasse in Gymnasien und Mittelschulen, wir haben eine Aussonderung von Kindern in Förderschulen und wir haben die Selektion im Übergang zum Studium.
Wir können uns einmal anschauen, wie es mit dem Zugang zum Studium aussieht, die Selektion der Schulen setzt sich dort nämlich umso stärker fort: Nur acht von 100 Kindern aus einkommensschwachen oder bildungsferneren Schichten nehmen ein Hochschulstudium auf. Bei Kindern aus der höheren Herkunftsgruppe sind es 72 von 100. Unser Ziel muss aber sein, den Anteil der Studienberechtigten zu erhöhen. Das heißt also aus
unserer Sicht: eine Schule für alle, gemeinsam lernen, um so Aussortieren zu verhindern und alle optimal zu fördern.
Eine weitere Forderung ist, die Studierenden- und Studienübergangsquoten zu erhöhen. Die Studienzugangsberechtigung muss erweitert werden. Das wird bisher in Sachsen sehr streng gehandhabt. Wir brauchen für Quereinsteiger weniger Hürden. Momentan sind diese formell unheimlich hoch. Es werden sehr hohe Hürden eingebaut, um als Nichtabiturient tatsächlich ein Studium beginnen zu können. Hier müssen die Übergänge an die Hochschulen flexibilisiert werden.
Wir müssen die Studierneigung erhöhen. Wir haben einen bundesweiten Trend des Rückgangs von Studienanfängern. Die Vermutung geht in die Richtung, dass das zum Teil mit der wachsenden Zahl an zulassungsbeschränkten Studienfächern zu tun hat und dass es, Herr Prof. Mannsfeld, eben auch mit drohenden Gebühren zu tun hat. Studiengebühren, Problematik Studienfinanzierung usw. sind Hürden für Menschen aus bildungsferneren Schichten, um tatsächlich ein Studium zu beginnen.
Ich möchte Ihnen auch noch ein paar Zahlen ans Herz legen: Wir haben eine Studienabbrecherquote von ungefähr 30 %. Für ein Drittel dieser Abbrecher spielte vor allem die finanzielle Situation eine Rolle, für 17 % war das sogar der Hauptgrund für den Studienabbruch. Gerade Studierende aus sozial schwächeren Familien müssen doppelt so häufig arbeiten gehen und sind deswegen zwangsläufig auch doppelt so häufig unter den Langzeitstudierenden zu finden. Mit dem Signal der drohenden Einführung von Studiengebühren wird die Motivation für ein Studium für diese bildungsferneren Schichten, die wir eigentlich gewinnen wollen, weiter abnehmen. Ich denke, das Gegenteil ist notwendig: Wir müssen sie ermuntern, gerade auch diese jungen Menschen.
Das heißt, dass die Staatsregierung aufgefordert ist, bundespolitisch in die Debatte einzugreifen, zum Beispiel durch die Einführung eines elternunabhängigen, existenzsichernden BAföGs. Langfristig ist die Forderung, Herr Prof. Mannsfeld, eben nicht weiter von Langzeitstudiengebühren zu reden und zur Studiengebührenfreiheit zu stehen. Das ermöglicht nämlich auch Planungssicherheit gerade für diese jungen Menschen aus bildungsferneren Schichten. Denn für sie ist eine drohende Verschuldung eine enorme Hürde, die sie abhält, tatsächlich ein Studium zu beginnen. Sie verschärfen damit im Übrigen auch die soziale Ungleichheit.
Ein weiteres Problem, es wurde schon angesprochen: Der Frauenanteil unter den Studierenden ist rückläufig und auch die Studienwahl wird als problematisch eingestuft. Hierzu gibt es eine Untersuchung des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie, die besagt, dass eine überproportionale ingenieurwissenschaftliche Ausrichtung der Hochschulen in Ostdeutschland die Abwanderung von jungen Frauen begünstigt. Also, je technischer die Hochschule, desto geringer der Frauenanteil. Das Gesagte soll
nicht dafür sprechen, diese Studienrichtungen abzubauen. Es geht vielmehr darum, wie man mit attraktiven Angeboten, mit Interdisziplinarität und mit entsprechenden Lehrkonzepten die Frauen ermuntert, an diese Hochschulen zu kommen, und es geht darum, in diesem Fall ganz speziell auf diese Frauen einzugehen.
Wir müssen auch früher beginnen. Wir müssen Mädchen schon in der Schule, im Prinzip schon in der Unterstufe, für Natur- und Technikwissenschaften gewinnen. Wir erreichen das nicht – Herr Seidel spricht das immer mal in den Besuchergruppen an – durch den Zwang in der Oberstufenreform, kein naturwissenschaftliches Fach mehr abwählen zu können. So entsteht Interesse, entsteht Neigung nicht. Wir können uns ein Beispiel an Finnland nehmen. In Finnland gibt es in den Schulen Berufslaufbahnberater, die die jungen Leute bei der Wahl der Fächer in der Schule unterstützen, die aber auch bei der Berufslaufbahn beraten und aufzeigen, wo es Möglichkeiten für ein Studium gibt und welche Vorteile das für die jungen Leute hätte.
Wir müssen als Nächstes über die Situation an den Hochschulen reden. Wir haben jetzt einen Rückgang der Zahl der Studienanfängerplätze zu verzeichnen. Das ist zum Teil durch den hochschuleigenen NC geschehen, durch die Quotierung des Masterstudiums und durch Stellenstreichungen. Es wurden sogar zwischenzeitlich Bewerber zurückgewiesen, weil man glaubte, den Doppelanforderungen aufgrund der Studienreform nicht gerecht zu werden, und weil die Diskussion um die Exzellenzinitiative die Hochschulen unter enormen Druck setzt.
Natürlich fangen die Hochschulen an, nach den besten Studierenden zu suchen. Sie flüchten sich also in die Auswahl, statt mit der Regierung gemeinsam Möglichkeiten an den Hochschulen zu schaffen, dass jeder Studierende tatsächlich das Studium auch gut abschließen kann.
Angesichts des drohenden Mangels an Akademikern in fast allen Studienrichtungen – das kann man auch nachlesen – ist der fachspezifische Abbau von Studienplätzen nicht geraten. Dieser senkt die Studierneigung und verschärft den Gesamtmangel. Das betrifft auch die Sozial- und Geisteswissenschaftler, und wir können sehen, dass durch den Fachkräftemangel die Offenheit der Unternehmen für Quereinsteiger steigt.
Ich möchte gern kurz aus einem Artikel von Dana Frohwiese zitieren, die über den Hochschul- und Akademikerarbeitsmarkt und den demografischen Wandel in Sachsen geforscht hat. Sie sagt: „Ein sich langfristig für die ganze Bundesrepublik abzeichnender demografisch bedingter Arbeitskräftemangel wird den Wettbewerb der Standorte weiter anheizen. Als bildungspolitische Konsequenz stellt sich die zentrale Aufgabe, vielfältige, nachfragegerechte Ausbildungs- und Studienangebote bereitzustellen, sodass sich möglichst viele Studierwünsche innerhalb Sachsens realisieren lassen; denn wer erst weg ist, kommt im Regelfall nicht wieder. Letztlich sind unter den Bedingungen einer Wissensgesellschaft und einer wissensba
sierten Ökonomie kurzfristig bestehende Angebotsüberhänge langfristig von geringerer Tragweite als Engpässe.“
Das hätte zum Ergebnis, Landeskinder zu behalten und die Attraktivität des Studienortes zu stärken, und es könnte die Wanderungsbewegung aus anderen Bundesländern und aus dem Ausland befördern. Natürlich sind auch die Hochschulen gefordert, die Attraktivität innerhalb der Studien durch Interdisziplinarität, durch veränderte didaktische Konzepte, durch die Vereinbarkeit von Studium und Familie oder Wissenschaft und durch die Flexibilität des Studiums – also Teilzeitstudium – zu verbessern.
Hierzu finden Sie viele Aspekte auch in unserem Hochschulgesetzentwurf, der den Schwerpunkt auf die Studienreform legt. Andere Punkte wären die Einführung des Orientierungssemesters, die Beratung an den Hochschulen usw., weil es darum gehen muss, die sehr hohe Studienabbruchquote in Sachsen zu senken.
Heute wurde bereits darüber gesprochen, dass wir die Internationalisierung stärken müssen. Da muss ich mich an die Herren und die Dame der NPD wenden. Sie werden wieder sagen, dass Sie nichts gegen ausländische Studierende hätten, aber diese dann wieder zurück in ihre Heimat gehen müssten. Um aber tatsächlich Studierende hierher zu locken, braucht es eben auch ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, es braucht den Geruch von Offenheit und nicht von der Piefigkeit, die Ihr Frauenbild und Ihre Kultur ausstrahlen.
(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN – Jürgen Gansel, NPD: Wir haben doch noch gar nichts gesagt!)
Wir möchten natürlich auch Menschen zum Bleiben bewegen; denn Innovation und Kreativität entstehen eben durch Unterschiedlichkeit.
Es gilt, neue Zielgruppen zu erschließen. Der Bereich Weiterbildung wurde schon angesprochen. Berufsverläufe verändern sich. Weiterbildung wird für jeden Menschen im Laufe des Lebens notwendig. Hier müssen die Hochschulen Angebote schaffen, die an den Bedürfnissen von Älteren, von Berufstätigen oder auch von Eltern orientiert sind. Dazu gehört für mich im Übrigen, dass der Master gebührenfrei sein muss
Zur sozialen Absicherung des Studiums wurde schon gesprochen, das will ich nicht vertiefen. Zu all dem gehören eine ausreichende Hochschulfinanzierung und entsprechende Regelungen im Hochschulgesetz. Leider sind da für mich immer noch Mängel wahrnehmbar. Die Diskussionen in den letzten Jahren gingen vor allem immer um kürzere Studiengänge, um mehr Absolventen, höhere Qualität – und das alles mit weniger Geld.
Die Stichworte wurden heute schon genannt. Es ging um Gebühren und um Studienfächer, die geschlossen wurden. Wir haben die Diskussion um das Hochschulzugangsgesetz. Wir haben die Diskussion innerhalb des Haushaltes und das erstrittene Hochschulgesetz. Es geht aber aus unserer Sicht letztendlich um etwas anderes, nämlich um das Grundverständnis von Bildung im Allgemeinen und um Hochschulen im Besonderen.
In der Politik der Staatsregierung erlebe ich bisher eher Einschränkungen des an sich öffentlichen Gutes Bildung. Ich habe schon die Zugangsbeschränkungen für Kinder benannt. Sozial Schwächere können eben nicht an die Hochschulen gehen oder haben da große Schwierigkeiten. Hochschule orientiert sich eher am Markt und an Marktmechanismen. Wir fordern aber, dass Bildung an gesellschaftlichen Bedürfnissen ausgerichtet werden muss, dass Hochschule nicht nur Ausbildung, sondern vor allem auch Bildungseinrichtung ist. Es geht nicht nur um die Berufsfähigkeit, sondern auch um die individuelle Entwicklung eines jeden und der Gesellschaft.
DIE LINKE fordert die tatsächliche Öffnung der Hochschulen. Wir fordern die innere Demokratisierung der Hochschulen, das heißt, dass ProfessorInnen, MitarbeiterInnen, Studierende gleichberechtigt über die Grundfragen der Entwicklung ihrer Hochschule mitbestimmen. Durch diese Kreativität kann eine andere Attraktivität der Hochschulen entstehen. Diese Kreativität müssen wir nutzen.
Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Wir dürfen gespannt sein, wie sich das weiterentwickelt. Das Hochschulgesetz steht aus. Im Herbst haben wir die Haushaltsdebatten. Ich denke, es muss gehandelt werden. Wir werden das auf jeden Fall diskutieren. An Ihre Adresse gerichtet möchte ich sagen: Das Handeln ist längst überfällig.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Bei meinen Vorrednern wurde deutlich, dass das Thema demografische Entwicklung wichtig ist und man davor bei den Hochschulen die Augen nicht verschließen kann.
Aber die Pressemitteilung vom 22.05.2008 von Herrn Dr. Gerstenberg in der „Freien Presse“ hat den Schuldigen auch schon genannt, nämlich die Staatsregierung, die natürlich komplett konzeptionslos dem Thema gegenübersteht.