Protokoll der Sitzung vom 19.06.2008

Richtig ist, mit dem insbesondere im letzten Jahr einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland verzeichnen wir leider auch einen Anstieg der Arbeitsunfallzahlen. Das ist jedoch kein spezifisch sächsisches Problem, sondern betrifft alle Bundesländer. Bereits Anfang 2007 haben die Unfallversicherungsträger darauf aufmerksam gemacht. Verantwortlich für den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz sind laut Arbeitsschutzgesetz die Unternehmer. Sie sind verpflichtet, mit der Arbeit verbundene Gefährdungen zu ermitteln und geeignete Maßnahmen zu deren Abbau einzuleiten. Dieser Pflicht kommen leider nicht alle Unternehmen in geeigneter Weise nach. Etwa 30 bis 40 % der krankheitsbedingten Ausfallzahlen wären durch einen effektiven Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Unternehmen vermeidbar. Nahezu 40 Milliarden Euro jährliche Kosten in Deutschland für arbeitsbedingte Erkrankungen und Renten sind der Beweis dafür.

Wirksamer Arbeitsschutz schützt also nicht nur Leben und Gesundheit der Beschäftigten; er ist auch eine Voraussetzung erfolgreicher Unternehmensführung und damit ein Wirtschaftsfaktor. Ich will ausdrücklich sagen: Viele Unternehmen berücksichtigen das und verhalten sich vorbildlich.

(Heiterkeit bei der SPD)

Darüber kann sich die SPD auch einmal freuen. Das finde ich richtig. Lob und Dank diesen Unternehmen!

(Beifall bei der SPD)

Leider aber gibt es eine Reihe von Unternehmen, die diesen Zusammenhang noch nicht erkannt haben. Selbstverständlich haben wir dieser Entwicklung nicht tatenlos zugeschaut. Erste Schritte sind getan, weitere geplant. Auch dies möchte ich Ihnen etwas näher erläutern.

Die Kontrolle und Beratung auf den Gebieten des technischen, medizinischen und sozialen Arbeitsschutzes sowie des technischen Verbraucherschutzes wird in Sachsen durch die Arbeitsschutzbehörden per Gesetz wahrgenommen. Damit ist die Analyse des Arbeitsunfall- und Berufskrankheitengeschehens ein wichtiger Bestandteil dieser Tätigkeit. So wurde der Anstieg der Zahlen schwerer und tödlicher Arbeitsunfälle rechtzeitig erkannt und es wurden Maßnahmen eingeleitet, diesen Anstieg zu stoppen bzw. umzukehren. Folgende Maßnahmen wurden getroffen:

1. Anfang des Jahres 2004 waren die selbstständigen Gewerbeaufsichtsämter aufgelöst, die Dienst- von der Fachaufsicht getrennt und die Aufgaben in die Regierungspräsidien übergeben worden. Im Ergebnis führte dies zu einem Rückgang der Anzahl der Betriebskontrollen insgesamt, auch und besonders des unfallträchtigen Baugewerbes. Daher richteten wir unsere Anstrengungen in den folgenden Jahren darauf, die Anzahl der Betriebskontrollen wieder zu erhöhen. Dies ist auch – die Zahlen des Jahres 2007 zeigen es – gelungen.

2. Nach wie vor halte ich es für sachgerecht, ja unabdingbar erforderlich, dass die Fach- und Dienstaufsicht über die Arbeitsschutzbehörden wieder zusammengeführt werden.

(Beifall der Abg. Regina Schulz, Linksfraktion)

Die Zentralisierung der Dienstaufsicht in der Landesdirektion Dresden ab August 2008 ist ein erster Schritt in diese Richtung.

3. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in Sachsen starke und leistungsfähige Arbeitsschutzbehörden brauchen, nicht nur zum Erhalt vernünftiger gesetzeskonformer Arbeitsbedingungen, sondern gleichermaßen zum Wohl unserer heimischen Wirtschaft und unserer Sozialsysteme. Wir sind daher bemüht, einen Einstellungskorridor zu finden, der den altersbedingten Personalabgang von hoch spezialisierten Arbeitsschutzexperten ausgleicht. Seit meinem Amtsantritt ist es mein Ziel, im Vollzugsbereich der Arbeitsschutzbehörden, das heißt den jetzigen Abteilungen Arbeitsschutz der Regierungspräsidien, den Personalbestand des Jahres 2000, nämlich 273 Stellen, einschließlich der adäquaten Sachmittel wieder herzustellen.

(Beifall der Abg. Regina Schulz, Linksfraktion)

Gegenüber dem Stand des Jahres 2007 wäre das eine Aufstockung um 81,5 Stellen.

4. Auf der Grundlage einer Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsschutzbehörden im Freistaat Sachsen und den Unfallversicherungsträgern aus dem Jahr 2002 stimmen wir jährlich die Schwerpunkte

der Kontrolltätigkeit ab und informieren uns gegenseitig über die Ergebnisse. Diese Zusammenarbeit wurde seit dem Jahr 2004 intensiviert.

5. Um sowohl das ökonomische Potenzial des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu nutzen, den Veränderungen der Arbeitswelt durch den demografischen Wandel gerecht zu werden als auch die Sicherheit am Arbeitsplatz der Beschäftigten zu verbessern, wurde im Jahr 2005 die Arbeitsschutzallianz Sachsen gegründet. Sie versteht sich als aktivierende Plattform für die Zusammenarbeit aller an der Gestaltung des Arbeitsschutzes Interessierten und verfolgt das Ziel, durch Einflussnahme auf Unternehmen das Niveau des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu verbessern.

Der Arbeitsschutzallianz gehören Vertreter der Unternehmerseite, der Arbeitnehmerseite, der Unfallversicherungsträger und des Staates an. Sie sind auch im Koordinierungsrat, dem Leitungsgremium der Arbeitsschutzallianz, vertreten, wie beispielsweise die Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft, die Industrie- und Handelskammer Südwestsachsen, die Handwerkskammer zu Leipzig, der Landesverband Bayern und Sachsen der gewerblichen Berufsgenossenschaft und der DGB-Bezirk Sachsen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Einführung systematischen Arbeitsschutzes, das heißt der Einführung von Arbeitsschutzmanagementsystemen in den Betrieben in Analogie zu Qualitäts- oder Umweltschutzmanagementsystemen. Damit werden internationale Arbeitsschutzstandards erfüllt, gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verbessert und – das betone ich ausdrücklich – auch der Wirtschaftsstandort Sachsen gestärkt.

6. Der Arbeitsschutz wird in der Öffentlichkeit noch zu wenig wahrgenommen, es sei denn – das füge ich ausdrücklich hinzu –, es gibt gerade einen schweren Arbeitsunfall. Um Arbeitsschutz zu einem gesellschaftlichen Thema zu machen sowie Unternehmen und deren Beschäftigte dafür zu sensibilisieren, habe ich seit dem Jahr 2006 in die Öffentlichkeitsarbeit des Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit investiert bzw. sie intensiviert. So sind zum Beispiel für kleine und mittelständische Unternehmen spezifische Handlungshilfen in Form von Broschüren, Faltblättern und CDs entwickelt worden. Die Aktivitäten dazu sind in den öffentlich zugänglichen Jahresberichten der Gewerbeaufsicht des Freistaates Sachsen, den Jahresberichten der Arbeitsschutzallianz Sachsen sowie im Internet veröffentlicht.

Sehr geehrter Herr Vorredner Weichert, ich schließe mich Ihren Worten an. Arbeitsschutz geht alle an. Deshalb bitte ich auch die Abgeordneten: Sie alle können mithelfen, für einen besseren Arbeitsschutz zu sensibilisieren.

Schönen Dank, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall bei der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Danke schön. – Gibt es daraufhin noch Aussprachebedarf? – Das kann ich

nicht sehen. Dann kommen wir zum Schlusswort. Herr Morlok für die einreichende Fraktion; bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte jetzt auf die Äußerungen von Herrn Brangs eingehen. Was Sie hinsichtlich der Möglichkeiten der Zertifizierung angesprochen haben, sogar des Zwangs zur Zertifizierung, je nachdem, in welchen Branchen jemand arbeitet, ist eigentlich ein alter Hut. Ich kann Ihnen sagen, ich war mehrere Jahre als Geschäftsführer eines Pipelinebauunternehmens tätig. Da arbeitet man in der Chemiebranche mit sehr, sehr strengen, mit den strengsten Sicherheitsauflagen, und ohne die entsprechenden Zertifizierungen dürfen Sie in diesem Bereich überhaupt nicht arbeiten.

Wenn ich also hier über Arbeitsschutz spreche, dann können Sie mir glauben, dass ich weiß, wovon ich spreche, weil es bei uns im Unternehmen tagtägliches Brot war und weil Sie sonst in dieser Branche überhaupt nicht erfolgreich arbeiten können. Wir haben zum Beispiel eine Pipeline von der Ostsee nach Teutschenthal ohne einen einzigen meldepflichtigen Arbeitsunfall gebaut. Ich denke, wenn man das so hinbekommt, dann leistet man auch einen Beitrag zum Arbeitsschutz im Unternehmen. Ich kann nur das, worüber ich hier spreche, aus der Praxis auch tatsächlich berichten.

(Beifall bei der FDP – Stefan Brangs, SPD: Das sehe ich anders!)

Wenn Sie aber so etwas polemisch das Thema Nichtraucherschutz hier anführen, dann muss ich Ihnen sagen: Wenn es Ihnen um Arbeitsschutz gegangen wäre, dann hätten wir uns den Flickenteppich ersparen können, weil Arbeitsschutz Bundesrecht ist. Das hätten Sie auf Bundesebene alles regeln können. Das hätte man nicht über

den Umweg des Gaststättenrechts auf der Landesebene regeln müssen. Wenn es um die Arbeitnehmer gegangen wäre, dann hätten Sie das in der Koalition in Berlin regeln können.

(Beifall bei der FDP)

Herr Minister Jurk, Ihre eigenen Zahlen weisen aus, dass wir im Jahre 2006 10 085 und im Jahre 2007 9 237 Kontrollen hatten. Wie Sie daraus zu der Erkenntnis kommen können, dass die Kontrollen gestiegen seien, kann ich nicht nachvollziehen.

Zum Schluss ein Wort an Kollegen Petzold: Wenn Sie sagen, das Orchester hat das richtige Instrument, es muss nur richtig spielen, dann drücken Sie doch damit aus: Wir als Landtag haben als Gesetzgeber unsere Hausaufgaben gemacht, aber die Regierung ist nicht in der Lage, diesen Rahmen richtig auszufüllen. Die Regierung hat versagt – das ist doch Ihre Aussage. Wenn das Ihre Aussage ist, dann kann ich nur sagen: Stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Das war das Schlusswort, meine Damen und Herren. Somit kommen wir zur Abstimmung. Wir stimmen ab über die Drucksache 4/12519. Bei Zustimmung bitte ich um Ihr Handzeichen. – Die Gegenstimmen? – Die Stimmenthaltungen? – Bei wenigen Stimmenthaltungen und einer Reihe von Zustimmungen ist der Antrag dennoch mit Mehrheit abgelehnt und dieser Tagesordnungspunkt abgearbeitet.

Meine Damen und Herren, wir kommen zum neuen

Tagesordnungspunkt 7

Rechte für Kinder und Jugendliche ins Grundgesetz!

Drucksache 4/12514, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Traditionell beginnt die einreichende Fraktion, Frau Herrmann; danach die gewohnte Reihenfolge. Bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Konferenz der Jugend- und Familienminister hat sich Ende Mai dafür ausgesprochen, die Frage der Aufnahme von Kinderrechten zu einem Schwerpunktthema zu machen. Deutlich ist, dass wohl viele Jugend- und Familienministerinnen und -minister die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz begrüßen; denn der Beschluss der Konferenz lautet: „Die Konferenz begrüßt die Diskussion, die im Bund und in den einzelnen Ländern über die Frage der Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz bzw. in die einzelnen Landesverfassungen geführt wird.“

Aber Sie hören aus diesen Worten auch den politischen Eiertanz. Warum dieser überhaupt nötig ist und sich

bisher kein breites Bündnis für die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz gebildet hat, zeigt sich exemplarisch an einer Pressemitteilung von Ihnen, Frau Orosz, zum Kindertag. Darin appellieren Sie an die Gesellschaft, dass sie kinderfreundlicher werden solle. Statt anzukündigen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen Sie für ein kinder- und jugendgerechtes Sachsen schaffen wollen, erklären Sie – ich zitiere –: „Diese kinderfreundliche Gesellschaft können wir erreichen, wenn jeder in der Gesellschaft einen Beitrag dazu leistet.“ – So weit richtig. – „Der Staat kann wichtige Rahmenbedingungen schaffen. Dazu gehören finanzielle Leistungen.“ – Bei der Angabe der finanziellen Leistungen hören Sie dann auf, Frau Orosz.

Ja, der Staat kann wichtige Rahmenbedingungen schaffen, indem er Kindern eigenständige Rechte gibt. Weiter erklären Sie, dass eine familien- und kinderfreundliche

Gesellschaft gelingen könne, wenn – ich zitiere – „es in der Gesellschaft ein Klima gibt, in dem Kinder nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern akzeptiert, respektiert und willkommen geheißen werden“.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dass es dieses Klima gibt bzw. dass ein solches Klima gefördert wird – dafür stehen Sie, Frau Orosz, in der Verantwortung; hier und heute können Sie sagen, ob Sie auch von Staats wegen Kinder akzeptieren, respektieren und willkommen heißen. Dann würden Sie unserer Initiative – Kinderrechte ins Grundgesetz – zustimmen; Sie würden uns unterstützen und sich der von Bremen angekündigten Bundesratsinitiative anschließen.

Was könnte denn gegen Kinderrechte sprechen? Könnten die Rechte der Eltern dagegen sprechen? Häufig wird angeführt, dass Kinderrechte unzumutbar in das Elternrecht eingreifen. Ich denke, dass es sich hierbei um ein Missverständnis handelt. Das Elternrecht hat seinen hohen Schutzstatus historisch gesehen und völlig gerechtfertigt in der Abwehr staatlicher Eingriffe. Das Elternrecht ist jedoch kein Recht am Kind, sondern ein Recht im Interesse des Kindes. Das ist eine Präzisierung, die das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle vorgenommen hat. Eltern haben keine unbegrenzte Macht gegenüber ihren Kindern; sie haben vor allem eine Verantwortung und das Recht und die Pflicht, Kinder zu erziehen.

Wenn wir nun festschreiben wollen, dass Kinder ein Recht auf körperliche und geistige Entwicklung haben, so haben sie das gegenüber dem Staat – die Eltern waren bisher schon dazu verpflichtet. Wenn wir ein Recht auf Bildung verankert haben wollen, dann doch – darüber sind wir uns, denke ich, alle einig –, weil Bildung ein solch hohes Gut für uns ist und weil es für die Chancen der Kinder und Jugendlichen in unserer Wissensgesellschaft ausschlaggebend ist.

Wir möchten aber nicht Bildung als freundliche Gewährung des Staates; wir sind der Ansicht, dass dies ein Recht der Kinder ist.

Herr Ministerpräsident Tillich hat gestern erklärt: Ich will in Sachsen die besten Lösungen für Bildung. Bedeutet das nicht, dass wir Kindern und Jugendlichen auch das Recht auf Bildung geben müssen? Kinder sind Träger eigenständiger Rechte und eigener Würde, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat. Das Elternrecht steht dem nach unserer Auffassung nicht entgegen.

Zum Zweiten: Kinderrechte sind auch nicht überflüssig. Sicherlich haben wir eine ausdifferenzierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und wir als GRÜNE stehen nicht im Verdacht, die Verfassung so häufig wie möglich ändern zu wollen.