Protokoll der Sitzung vom 19.06.2008

Zum Zweiten: Kinderrechte sind auch nicht überflüssig. Sicherlich haben wir eine ausdifferenzierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und wir als GRÜNE stehen nicht im Verdacht, die Verfassung so häufig wie möglich ändern zu wollen.

Das Grundgesetz ist ein hohes Gut und darf nur behutsam und bedachtsam geändert werden. Klar ist aber, dass im Grundgesetz unsere Werteentscheidungen verankert sind. Deshalb ist es auch wichtig, dass sich ein gesellschaftlicher Wandel hin zur Anerkennung von Kindern und Jugendlichen im Grundgesetz widerspiegeln muss.

Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen bringt eine grundsätzliche gesellschaftliche Wertschätzung zu ihren Gunsten zum Ausdruck und verpflichtet Staat und Gesellschaft, die Belange von Kindern in allen Lebensbereichen zu berücksichtigen.

Drittens: Falls Sie unserem Antrag zustimmen, liebe Kolleginnen und Kollegen, befinden Sie sich damit in guter Gesellschaft, und zwar mit dem Kinderschutzbund, der National Coalition, mit der UN-Kinderrechtskonvention, mit der Kinderkommission des Deutschen Bundestages und vielen anderen mehr. Wenn Sie unserem Antrag zustimmen, schließen Sie sich gleichzeitig diesem breiten Bündnis an. Es würde Sachsen gut zu Gesicht stehen, und dies wäre wirklich ein Ausdruck für die Kinderfreundlichkeit von Sachsen.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke. – Das war die einreichende Fraktion. Herr Schiemann, Sie erwidern für die CDU-Fraktion; bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jedes Kind hat ein Recht auf die beste Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf Geborgenheit, gewaltfreies und gesundes Aufwachsen und Schutz vor Vernachlässigung.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Die CDU wird alle Initiativen unterstützen, die diese Rechte umsetzen und die realen Chancen jedes Kindes auf wohlbehütetes Aufwachsen verbessern.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Dieses Recht, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann natürlich mit Nachdruck aus dem Grundgesetz abgeleitet werden. Es kann nicht sein, dass Kinder in Deutschland verhungern, misshandelt werden, verwahrlosen oder missbraucht werden. Gewalt gegen Kinder – in welcher Form auch immer – ist die widrigste Form von Verbrechen an der heranwachsenden Generation. Wir dürfen das nicht länger hinnehmen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Der Wert des Menschen muss in der Gesellschaft wieder auf Platz eins rücken. Das Grundgesetz hat im Artikel 1 den wichtigsten Satz aufgenommen, der da lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ – Nicht nur aller staatlichen Gewalt, sondern auch aller Menschen, die unter dem Grundgesetz in den deutschen Ländern leben. Die Würde des Menschen ist nicht verwirkbar und nicht verzichtbar. Über sie kann nicht verfügt werden. Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu.

Schutzobjekt nach Abs. 1 ist jeder Mensch, unabhängig von Eigenschaften, Leistungen und sozialem Status. Rechtsträger ist der Ausländer ebenso wie das minderjäh

rige Kind, der Kranke oder der Straftäter. Auch das werdende Leben genießt diesen Schutz.

(Beifall bei der CDU und der Staatsministerin Helma Orosz)

Dies war ein Auszug aus dem Kommentar zum Grundgesetz, geschrieben von Staatssekretär a. D. Dr. Dr. Antoni.

Aber die Umsetzung des vorliegenden Antrages würde die tatsächliche Lage der einzelnen vernachlässigten Kinder und Jugendlichen nicht so deutlich verbessern, wie das manche annehmen. Bloße Umformulierungen des Grundgesetzes verändern die Verfassungswirklichkeit hier nicht.

Ich glaube, wir haben keine Defizite im Verfassungsrecht; wir haben Defizite in der Mitte der Gesellschaft. Kinder sind bereits jetzt vom Grundgesetz deutlich geschützt. Der Hinweis auf Artikel 1 erlaubt mir den Hinweis sowohl auf Artikel 2 als auch auf Artikel 6, der auch Grundlage für die Diskussion über diesen Antrag ist. Das Bundesverfassungsgericht hat aus Anlass des Urteils vom 1. April 2008 ausgeführt, dass Artikel 6 Grundgesetz den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihres Kindes garantiert. Er macht diese Aufgabe aber zugleich zu einer zuvörderst ihnen obliegenden Pflicht. Die Pflicht der Eltern zur Pflege und Erziehung ihres Kindes besteht nicht allein gegenüber dem Staat, sondern auch ihrem Kind gegenüber. Mit dieser elterlichen Pflicht korrespondiert das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern aus Artikel 6 Abs. 2 Grundgesetz. Recht und Pflicht sind vom Gesetzgeber näher auszugestalten. So das Bundesverfassungsgericht.

In der Verfassung des Freistaates Sachsen finden sich sogar im Wesentlichen die von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geforderten Formulierungen. Wir haben das damals im Zuge der Diskussion zu dem Verfassungskompromiss des Jahres 1992 erreicht; ich verweise insbesondere auf die Artikel 9 und 102 der Sächsischen Verfassung. Dort sind das Recht eines jeden Kindes auf eine gesunde seelische, geistige und körperliche Entwicklung, der Schutz vor sittlicher, geistiger und körperlicher Gefährdung und die Förderung des Gesundheitsschutzes sowie das Recht auf Bildung geregelt. Wir müssen uns also in Sachsen keine Sorgen um fehlende Verfassungsbestimmungen machen, weil wir sie seit vielen Jahren haben. Das Verfassungsrecht muss nur eingehalten und entsprechend gelebt werden.

In den Fällen, in denen es in der Praxis Defizite beim Kindeswohl gibt, ist nach meiner Überzeugung nicht das Grundgesetz schuld, auch nicht die Sächsische Verfassung. Einem solchen Defizit könnte man nicht mit weiteren Formulierungen, sondern nur mit konkretem Handeln abhelfen. Auch für den Präsidenten des Deutschen Kinderschutzbundes, Dr. Albin Nees, steht nicht eine Änderung des Grundgesetzes im Vordergrund, sondern ein konkretes Handeln, ein konkretes Sich-Einsetzen für das Wohl der Kinder, ein Handeln, das ein gerechtes und menschenwürdiges Aufwachsen der Kinder garantiert.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Geert Mackenroth)

Eine bundesweite Debatte über finanzielle und personelle Verbesserungen bei der Kinder- und Jugendhilfe kann durchaus ein vernünftiger Ansatz sein. Auch die Ministerpräsidenten der deutschen Länder haben sich inzwischen darauf verständigt, zum Schutz von Kindern vor Gewalt und Vernachlässigung die Kontrollmöglichkeiten der Jugendämter zu verschärfen. Demnach sollen die Vorsorgeuntersuchungen für Kinder ausgebaut werden. Das ist eine Forderung, die von Staatsministerin Helma Orosz und Sozialpolitikern meiner Fraktion, aber auch von vielen andern hier im Hohen Haus immer wieder erhoben worden ist. Ich glaube auf die Aktuelle Debatte verweisen zu können, die dieses Hohe Haus bereits im März 2008 geführt hat.

Kein Kind darf in Deutschland verhungern – ist es nicht beschämend, dass man diesen Satz formulieren muss? In der Tierwelt gibt es kein Beispiel, dass Tiere verhungern. Das heißt, dass die auch von Frau Herrmann angesprochene Sorge sehr ernst zu nehmen ist. Insbesondere die Sozialpolitik muss Grundlagen schaffen, um dies zu verhindern.

Genauso wenig darf aber über Eltern der Generalverdacht der Unfähigkeit verhängt werden. An dieser Stelle möchte ich allen sächsischen Bürgern, die Kinder erziehen – wir wissen heute, dass das keine Selbstverständlichkeit mehr ist –, meine besondere Anerkennung aussprechen und das mit einem Dank verbinden.

(Beifall bei der CDU)

Auch möchte ich das Urteil der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zurückweisen, dass Kinder und Jugendliche als eigenständige Persönlichkeiten keine hinreichende gesellschaftliche Wertschätzung fänden. Dieses Urteil ist in seiner Verallgemeinerung unangebracht; ich glaube, es geht an den Problemen vorbei. Die Mehrheit der Eltern leistet Hervorragendes bei der Erziehung der Kinder.

Dabei sollten Gesetzesänderungen im Interesse des Kindeswohls durchaus geprüft werden. Die Sozialminister haben dies ebenfalls in die Diskussion eingebracht. Die Eltern völlig aus der Verantwortung zu entlassen wäre aber ein falsches Signal.

In Betracht kommen die derzeit vorliegenden Vorschläge für unangemeldete Familienbesuche durch Jugendämter oder die Verschärfung der Jugendschutzbestimmungen im Sozialgesetzbuch mit einer Verpflichtung für die Jugendämter, aktiver zu werden, wenn sie gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls haben. Eventuell gibt dies den Jugendämtern auch die nötige Sicherheit, um im Einzelfall beherzter eingreifen zu können. Außerdem sollte der Datenaustausch zwischen den Behörden auf verschiedenen Ebenen verbessert werden. Wichtig sind aber weiterhin auch die Betreuungs- und Beratungsangebote, um frühzeitig in Kontakt mit den

Familien zu kommen, die bei der Erziehung überfordert sind.

Der Öffentlichkeit bekannt werdende Fälle von Kindesmisshandlung deuten immer wieder auch auf ein tatsächliches Versagen der Eltern und der Jugendämter hin. Die vom Gesetz vorgegebenen Möglichkeiten zur Einschränkung des Elternrechts hätten meist genügt, um Kinder schneller zu schützen und vor Drangsalierung und Gewalt zu bewahren. Notwendig ist vielmehr ein beherztes Eingreifen im Einzelfall, auch wenn das eine große Verantwortung für den jeweiligen Sachbearbeiter ist. Deshalb sollte die Diskussion auch auf der Ebene des Gesetzesvollzuges zwischen Sozialpolitikern vertieft weitergeführt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns Wege finden, die Eltern auch in schwierigen Situationen Verantwortung, Respekt, Schutz und Achtung der Würde ihrer Kinder übernehmen lassen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön. – Für die Fraktion Die LINKE Frau Klinger, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Schiemann, mit Ihrem Schlusssatz haben Sie gezeigt, dass Sie nicht verstanden haben, worum es in diesem Antrag geht.

Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, mit dem von Ihnen vorgelegten Antrag wollen Sie über eine Bundesratsinitiative die Rechte von Kindern und Jugendlichen im Grundgesetz verankern. Dieses Anliegen ist gut, wichtig und nur zu befürworten. Es ist leider auch längst überfällig.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Danke. – Aber die CDU scheint das noch nicht begriffen zu haben.

In Anlehnung an die UN-Konvention über die Rechte des Kindes machen Sie hier Vorschläge. Die UN-Konvention ist 1992 im Bundestag verabschiedet, aber eben immer noch nicht vollständig umgesetzt worden.

Im Artikel 4 der UN-Konvention heißt es: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte.“

Es gibt eine Vorbehaltserklärung der Bundesregierung, aber diese schließt diesen Artikel 4 nicht mit ein. Deshalb frage ich mich: Warum ist das noch nicht geschehen? Es ist längst überfällig, die Kinderrechte in die Verfassung aufzunehmen. Das Grundgesetz ist in allen politischen Debatten die höchste Berufungsinstanz. Deshalb müssen die Rechte für Kinder und Jugendliche auch dort festgeschrieben werden. Herr Schiemann, sie müssen eben nicht nur von dort abgeleitet werden. Dadurch erfahren Kinder

und Jugendliche als eigenständige Grundrechtsträger eine nachhaltige Aufwertung ihrer Rechtsposition.

Weiterhin ist die Verfassungsverankerung eine gute und notwendige Grundlage für weiter gehende einfachgesetzliche Regelungen. Zu konstatieren ist, dass die Allgemeinheit bisher eben nicht bereit ist, den jungen und jüngsten Mitgliedern unserer Gesellschaft dieselben Grund- und Menschenrechte wie den Erwachsenen zu gewähren.

Kinder sind gegenüber der Institutionsgarantie für die Familie benachteiligt, denn es gibt keine Grundrechtsabwägung zum Schutz der Familie und dem Elternrecht und dem des Kindes. Es gibt viele Unterstützer für dieses Anliegen, viele Organisationen, die die vollständige Übernahme der UN-Kinderrechtskonvention in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland einfordern. Frau Herrmann hat zum Beispiel schon die Kinderkommission, den Deutschen Kinderschutzbund genannt. Es gibt noch weitere, wie UNICEF, das Kinderhilfswerk, aber auch Institutionen wie die Kirchen, meine Damen und Herren von der CDU.

Ein weiterer positiver Aspekt der Verankerung der Rechte von Kindern und Jugendlichen ist die deutliche Verbesserung der Einforderbarkeit von Partizipationsmöglichkeiten für junge Menschen, und zwar Entscheidungsmöglichkeiten der Mitbestimmung und sie betreffende Entscheidungs- und Planungsprozesse.

Wir stellen hier nicht zum ersten Mal fest: Das ist genau die Grundlage, um Kindern und Jugendlichen demokratische Prozesse nahezubringen und sie erfahren zu lassen, dass sie gehört werden. Das verhilft ihnen einerseits zu Verantwortung und Selbstvertrauen, andererseits auch zu selbstbewusstem und selbstverständlichem Umgang mit der Demokratie.

An dieser Stelle aber muss ich nachfragen – also richte ich das an Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN –, warum Sie das nicht ausformulieren. Warum werden Sie in Ihrem Antrag nicht konkret und benennen klar die einzufordernden Grundrechte?

In Ihrem gestern eingebrachten Gesetzentwurf haben Sie das getan. Warum soll aber für den Bund etwas anderes gelten als für unseren Freistaat? Wir fordern deshalb hier eine eindeutigere Positionierung und haben deshalb auch einen entsprechenden Änderungsantrag vorgelegt. Wir fordern festzuschreiben: