Jetzt kehren wir praktisch um: Jeder ist jederzeit grundsätzlich verdächtig und kann sich letztlich gegenüber dem Staat, nachdem er durch die Rasterfahndung durch ist etc. pp., als unschuldig hingestellt sehen. Der Paradigmenwechsel, der mit dem Tabubruch verkündet wird, ist das, was uns wütend macht. Der Bürger hat Anspruch auf ein Parlament und eine Regierung, die dieselbe Nervenstärke, dasselbe Rechtsbewusstsein und den gleichen selbstbewussten Stolz auf unsere Rechtsordnung und den ebenso
festgestellten Willen zu ihrer Verteidigung haben wie die Richter in Karlsruhe oder in Leipzig. Wer im Namen der Terrorgefahr den Rechtsstaat letztlich immer mit neuen Sicherheitsgesetzen terrorisiert, der verhilft eben dem unterstellten Terrorismus zum Sieg. Das ist das Problem!
Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte Herr Staatminister Buttolo.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Freiheit und Sicherheit sind Grundfesten unseres Gemeinwesens. Es ist die Aufgabe des Staates, beides zu gewährleisten. Dabei kann sich der Staat nicht nur statischer Instrumente bedienen, sondern muss sie vor allem dem technischen Fortschritt anpassen.
Die technischen Entwicklungen, vor allem im Informations-, Kommunikations- und Verkehrstechnologiebereich, sind sehr rasant. Damit ist auch ein großer Freiheitszugewinn verbunden. Das Internet gewährleistet heute fast überall auf der Welt einen unmittelbaren Informationszugang.
Mit dem technologischen Fortschritt verändern sich aber auch die Vorgehensweise, die Strukturen und das Bedrohungspotenzial durch Kriminelle. Damit verändern sich nicht zuletzt die Bedingungen für die Gewährleistung der Sicherheit. Die vermehrte Nutzung der Internettelefonie anstelle klassischer Telefonie oder der zunehmende Einsatz von Verschlüsselungs- und Anonymisierungstechniken lassen erwarten, dass polizeiliche wie nachrichtendienstliche Erkennungspotenziale künftig dramatisch schrumpfen werden, wenn nicht entschieden gegengesteuert wird. Deshalb benötigen wir ein neues Sicherheitsbewusstsein, ein Sicherheitsbewusstsein, meine Damen und Herren, das an die Bedingungen der neuen technischen Möglichkeiten angepasst ist. Wir brauchen Instrumente und Ermittlungsmethoden vor allem in rechtlicher, aber auch in technischer und organisatorischer Hinsicht, die diesen Veränderungen angepasst sind.
Ich halte es für schlichte Stimmungsmache zu behaupten, Grund- und Freiheitsrechte würden durch Sicherheitsgesetze eingeschränkt.
Herr Staatsminister, wenn eines der Gesetze vorsieht, dass in Zukunft in Wohnzimmern von Privatwohnungen Kameras geheim installiert werden können, meinen Sie allen Ernstes, da wird kein Grundrecht im Kern getroffen?
Herr Bartl, ich werde in meinem Beispiel darauf eingehen, wie ich die TKÜ gefährdet sehe, wenn nicht die Möglichkeit genutzt wird, auf die Mobilfunkdaten zugreifen zu können.
Lassen Sie mich zur Vorratsdatenspeicherung kommen. Die Telekommunikationsunternehmen sind seit dem 1. Januar 2008 verpflichtet, bei allen Telefongesprächen die sogenannten Verkehrsdaten für sechs Monate zu speichern. Die gleiche Verpflichtung gilt ab Januar 2009 für Anbieter von Internetzugangsdiensten. Aus den Verkehrsdaten ergeben sich nähere Umstände der Telekommunikation, das heißt, wer mit wem, wann und – bei der Nutzung von Handys – wo telefoniert hat. Die Inhalte der Kommunikation dürfen in keinem Fall gespeichert werden. Die Sicherheitsbehörden konnten schon bisher von denjenigen, die geschäftsmäßig ihre Kommunikationsdienste erbringen, Auskünfte über bestimmte Telekommunikations-Verbindungsdaten verlangen.
Dieses Recht der Ermittlungsbehörden droht aber mehr und mehr ins Leere zu laufen. Bislang haben die Telekommunikationsunternehmen die Verkehrsdaten gespeichert, weil sie für Abrechnungszwecke benötigt wurden. Manche Anbieter speicherten die Verkehrsdaten bis zu sieben Tage, andere, wie die Telekom, bis zu 80 Tage. Mit der zunehmenden Verbreitung von Flatrates werden die Verkehrsdaten für Abrechnungszwecke nicht mehr benötigt und dürfen nach geltendem Recht grundsätzlich nicht gespeichert werden. Ein Auskunftsersuchen läuft damit ins Leere. Mit anderen Worten: Die Möglichkeit zur Strafverfolgung hängt davon ab, welchen Telefontarif der Einzelne wählt.
Als zweites Beispiel nenne ich die Online-Durchsuchung. Bei der Online-Durchsuchung wird auf dem Rechner des Endanwenders verdeckt eine Software aufgespielt.
Damit ist man in der Lage, unbemerkt die Daten des PC einzusehen und gegebenenfalls zu kopieren. Die Maßnahme erfordert hohen technischen und materiellen Aufwand. Zwangsläufig wird es nur eine Konzentration auf Großverfahren bei Fällen schwerster Kriminalität
Eine gesetzliche Möglichkeit zur Online-Durchsuchung wird nicht zu einem Übermaß an staatlicher Einmischung führen. Von einer flächendeckenden Überwachung der Computer von unbescholtenen Bürgern kann überhaupt nicht die Rede sein.
Sehr geehrter Herr Staatsminister! Wie soll bei einer sogenannten OnlineDurchsuchung, bei der sämtliche Daten des Computers erst einmal gespiegelt und transferiert werden, der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung allein technisch gewährleistet werden?
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Das hat er nicht gesagt! Sie haben kein Problembewusstsein!)
Natürlich wird es die Online-Durchsuchung, Herr Dr. Martens, nur in ganz, ganz wenigen Fällen geben, wenn es tatsächlich die letzte Möglichkeit ist, ein Verbrechen zu verhindern. Eine Trennung der Daten – das gebe ich zu – ist dann äußerst problematisch, aber es muss eine rechtliche Grundlage vorhanden sein; denn über das Internet – Sie wissen es selbst – laufen eine Vielzahl von Telefongesprächen. Wenn ich nicht die Möglichkeit habe, die Online-Durchsuchung zu realisieren, habe ich keine Chance, eine TKÜ für über das Internet geführte Telefonate zu realisieren. Der Staat, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf sich nicht abhängen lassen, wenn sich Verbrecher mit neuen Technologien zur Verfolgung ihrer kriminellen Machenschaften ausstatten.
Mit Überwachungsstaat hat das nicht das Geringste zu tun. Der Staat darf bestehende Gefährdungslagen nicht ignorieren. Gerade das in hohem Maße konspirative, irrationale und beharrliche Vorgehen militanter Islamisten erschwert Prävention und Strafverfolgung. Immer häufiger starten Islamisten Propagandaoffensiven, in denen mit Gefahren für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bevölkerung gedroht wird. Vor allem aber die konkreten Anschlagsversuche auf den Regionalverkehr in Hamm und Koblenz sowie die rechtzeitig aufgedeckten Pläne der sogenannten Sauerlandgruppe belegen: Deutschland ist
mit all seinen Bundesländern unmittelbar im Fadenkreuz terroristischer Gruppierungen. Es ist längst nicht mehr nur ein Rückzugsraum, sondern ein Operationsgebiet.
Vor diesem Hintergrund besteht sicher Konsens, dass die Sicherheitsbehörden aufgrund der vom internationalen Terrorismus ausgehenden Bedrohung inzwischen mit Risiken konfrontiert werden, die nicht zu verantworten sind. Die Bevölkerung hat jedoch einen Anspruch darauf, dass die Sicherheitsbehörden auch zukünftig jederzeit in der Lage sind, solchen Entwicklungen bereits im Frühstadium Einhalt zu gebieten. Dazu gehören ausreichende personelle Ausstattung, die zur Aufgabenwahrnehmung erforderlichen Befugnisse und der neueste Stand der Technik.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sicherheit zu gewährleisten ist und bleibt Kernaufgabe des Staates.
Das entspricht der Idee des Rechtsstaates und dem staatlichen Gewaltmonopol. Deshalb müssen wir im demokratischen Diskurs wieder und wieder nach den richtigen Antworten auf diese Veränderungen suchen. Wer das verweigert oder der Lächerlichkeit preisgibt, schwächt Freiheit und Sicherheit so sehr wie Demokratie und Rechtsstaat. Die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen haben ein Recht auf wirkungsvollen Schutz ihrer persönlichen Freiheit, insbesondere ihres Lebens, ihrer Gesundheit und ihres Eigentums durch den Staat und durch die Polizei. Deshalb unterstützt die Sächsische Staatsregierung die aktuellen Gesetzesinitiativen des Bundes.
Ja, Frau Präsidentin, da im Rahmen einer Aktuellen Debatte keine sachliche Richtigstellung vor einer Abstimmung möglich ist, möchte ich im Rahmen der Redezeit nur noch eine Bemerkung richtigstellen. Kollege Bandmann hat zum wiederholten Male eine Falschdarstellung abgegeben. Es war zwar nur ein Nebensatz, aber das Thema ist ernst genug. Deshalb soll Herr Bandmann wenigstens bei der Wahrheit bleiben. In Bezug auf die Aktion der Abg. Bonk zur Fußballweltmeisterschaft hat er hier die Behauptung aufgestellt, es wäre dort gefordert worden, deutsche Fahnen herunterzureißen. Das entspricht nicht der Wahrheit.
Es gab einen Aufruf, diese Fahnen gegen T-Shirts umzutauschen. Das allein war der Aufruf. Ich bitte Sie, die Fakten nicht zu verdrehen.
Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Debatte abgeschlossen, und wir beenden den Tagesordnungspunkt 1.