Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Das fragen wir uns auch?)

Ich halte überhaupt nichts von Panikmache. Es ist – aus der Sicht der CDU-Fraktion – unverantwortlich von der FDP, die Menschen glauben zu machen, es stehe zu befürchten, dass ab dem 1. Januar 2009 die Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen des Rettungsdienstes gefährdet sei.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Das hat Dr. Martens doch gar nicht gesagt!)

Das ist aus unserer Sicht ein Missbrauch der Informationspflicht. Mit einer solchen Behauptung soll nur Verunsicherung erzeugt werden.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Das hat er nicht behauptet!)

Herr Lichdi, ich würde Sie bitten, sich ein bisschen zurückzuhalten. Das stört.

Das ist nicht seriös. Leider sind Sie auch in der Sache schlecht informiert. Die derzeit aufgrund von Rechtsprechung verursachte unsichere Rechtslage – da sind wir beim Thema –, die ich gleich noch darstellen will, hat keine Auswirkungen auf die Durchführung des Rettungsdienstes. Es muss Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, entgangen sein, dass in den meisten Fällen die Träger des Rettungsdienstes die Auswahlverfahren ausgesetzt und bestehende Verträge mit Hilfsorganisationen fortgeschrieben haben. Sofern Auswahlverfahren vor den Entscheidungen abgeschlossen und rechtlich nicht angegriffen wurden, sind entsprechende Verträge abgeschlossen. Damit steht außer Frage, dass auch nach dem 1. Januar 2009 der Rettungsdienst in Sachsen für die Bevölkerung gesichert ist.

Erinnern wir uns an die Ausgangssituation 2004! Mit der Änderung des Sächsischen Gesetzes über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz – BRKG – im Jahr 2004 hat der Gesetzgeber eine Neuvergabe von Notfallrettung und Krankentransport in Sachsen beschlossen. Der Gesetzgeber hat sich dazu für ein Auswahlverfahren unter Ausschluss des Vergaberechts entschieden. Notfallrettung und Krankentransport dürfen nur auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages durchgeführt werden.

Ursprünglich war vorgesehen, dass bis zum 31. Dezember 2008 nach dem Gesetz die entsprechenden Auswahlverfahren durchgeführt werden. Nunmehr treten – das ist richtig und hier hervorzuheben – Verzögerungen bei den Auswahlverfahren ein, weil die erste Vergabekammer Leipzig im Sinne der Krankentransporte Ost-West-GmbH entschieden hat, dass die laufenden Auswahlverfahren der beteiligten Zweckverbände für Rettungsdienstleistungen als förmliche Vergabeverfahren im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung durchzuführen sind.

In zweiter Instanz war das Oberlandesgericht Dresden zuständig. Dieses beabsichtigt, die Entscheidung der ersten Vergabekammer Leipzig aufrechtzuerhalten, kann dies aber nicht eigenständig entscheiden, weil es eine abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichtes Düsseldorf gibt. Die Sache liegt daher beim Bundesgerichtshof zur einheitlichen Klärung vor.

Das OLG Düsseldorf hat übrigens am 5. April 2006 ganz im Sinne der 2004 getroffenen sächsischen Regelung entschieden, dass die Übertragung hoheitlicher Rettungs

dienstaufgaben durch eine Kommune keine Ausschreibungspflicht nach dem Vergaberecht begründet.

Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht am 27. Juni 2008 der Stadt Leipzig durch einstweilige Anordnung untersagt, die bislang der Krankentransporte OstWest-GmbH genehmigten Rettungskapazitäten per Auswahlverfahren zu vergeben. Darauf hatte mein Vorredner schon hingewiesen.

Natürlich bestand aufgrund dieser Entscheidung Handlungsbedarf. Das ist überhaupt keine Frage. Es ist auch etwas geschehen. Wie ich bereits sagte, wird der Rettungsdienst ohne Reibungsverluste nach dem 1. Januar 2009 weiterlaufen. In einem nächsten Schritt schließt sich mit Sicherheit die Frage an, wie mit den anstehenden Entscheidungen umzugehen ist.

Ich darf daran erinnern, dass bundesweit die Vorlage des Oberlandesgerichtes Dresden zum BGH mit Spannung erwartet wird, da es hier um eine deutschlandweit bedeutsame Grundsatzentscheidung über die Anwendbarkeit von Vergaberecht in Bezug auf rettungsdienstliche Leistungen geht.

Jetzt komme ich noch einmal zu der Wiederholung. Auch die EU-Kommission hat darüber hinaus gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Die Kommission rügt die Verletzung der Vergaberichtlinie und der gemeinschaftsrechtlichen Grundprinzipien ebenso wie die aus ihrer Sicht intransparente Vergabe von Dienstleistungsaufträgen im Bereich des öffentlichen Rettungsdienstes in Deutschland. Für Sachsen monierte die Kommission Verträge der Rettungszweckverbände Westsachsen, Chemnitz, Stollberg und Vogtland jeweils mit dem Arbeiter-Samariter-Bund, dem Deutschen Roten Kreuz, der Johanniter-Unfall-Hilfe und deren Anbieter. Die Bundesrepublik verteidigt sich bislang mit dem Hinweis auf die Artikel 45 und 55 des EG-Vertrages, wonach bei Tätigkeiten in Ausübung hoheitlicher Gewalt die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit nicht uneingeschränkt gelten. Das ist der wichtige Punkt. Aus unserer Sicht gelten sie nicht uneingeschränkt. Auch der Ausgang dieses Verfahrens wird entscheidend davon abhängen, ob künftig der Konzessionsweg beschritten werden kann. Die Frage werden wir nach Vorliegen sämtlicher Entscheidungen zu beantworten haben, insbesondere ob unser Gesetz den Anforderungen an die Rechtsprechung genügt.

Meine Damen und Herren von der FDP! Sie sehen also, Ihr Antrag kommt reichlich spät. Wir haben uns unmittelbar nach Bekanntwerden der Entscheidung für die Fortschreibung bestehender Verträge und den Abschluss von Vereinbarungen bis zum Abschluss der gerichtlichen Verfahren ausgesprochen. Das ist aus unserer Sicht der richtige Weg. Wir wollen, dass auch den Menschen in Sachsen jederzeit geholfen wird.

Ich danke für die geschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Die Linksfraktion; Herr Gebhardt, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Martens! Nach der Rede von Herrn Bandmann wäre ich fast geneigt, meiner Fraktion zu empfehlen, Ihrem Antrag doch zuzustimmen. Aber ich will Ihnen erklären, warum wir es doch nicht machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der FDP sagt schon bei der Themenwahl, wohin die liberale Fraktion den Rettungsdienst in Sachsen treiben will. Sie will, dass das bisherige Auswahlverfahren gemäß § 31 des Sächsischen Gesetzes über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz abgeschafft wird. Laut „Sächsischer Zeitung“ vom 30. Mai 2008 will die FDPFraktion eine europaweite Ausschreibung, welcher Anbieter schwer Erkrankte und Unfallopfer rettet und mit Blaulicht in die Klinik fahren darf. Ich zitiere Herrn Martens: „Nur so wird für ordentlichen Wettbewerb gesorgt und der Beste bekommt den Zuschlag.“ Damit ist sicher die Frage von Herrn Lichdi beantwortet, was die FDP mit ihrem Antrag bezweckt.

Herr Martens, wir können es auch anders formulieren: Derjenige, der das beste Angebot macht, soll künftig für den Rettungsdienst arbeiten. Uns fallen genügend Beispiele dafür ein, dass diese Art und Weise von Ausschreibung nicht dazu führt, dass es billiger wird, sondern dass es zu Leistungseinschränkungen kommen wird. In dem Fall sind dies die Betroffenen, die auf dringende Hilfe angewiesen sind. Sie von der FDP wollen Marktradikalismus in einem Bereich, der aus unserer Sicht zur kommunalen Daseinsfürsorge gehört.

Wir sind der Meinung, dass der Rettungsdienst in Sachsen weiterhin mit regionalen Anbietern durchgeführt werden muss.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Das hat auch den Vorteil, dass regionale Anbieter weiterhin viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer einbinden, die sich seit Jahren einer guten Sache verschrieben haben. Sollen diese Aktiven nun vor die Tür gesetzt werden, nur weil eine europaweite Ausschreibung stattgefunden hat? Von dieser Stelle aus möchte ich den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern im Bereich Katastrophenschutz, Brandschutz und Unfallrettung sowie technische Hilfe danken. Ihre sinnvolle Einbindung in das System des sächsischen Rettungsdienstes halten wir für unverzichtbar.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Aus diesem Grund können wir dem Antrag der FDP im Punkt 1 nicht zustimmen.

Nun hat die FDP zumindest damit recht, dass sie auf das Problem aufmerksam macht, dass das Oberlandesgericht im Juli 2008 die Auffassung der Vergabekammer Sachsen bestätigt hat, dass Rettungsleistungen in Sachsen dem Vergaberecht unterliegen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Herr Dr. Martens.

Herr Kollege Gebhardt! Sie haben eben davon gesprochen und den ehrenamtlichen Kräften in der Unfallrettung gedankt. Meinen Sie im Ernst, dass in Sachsen in Notarztwagen und Rettungswagen ehrenamtliche Helfer mitfahren?

Nein, das meine ich nicht. Das habe ich auch nicht gesagt.

(Dr. Jürgen Martens, FDP: Wie können Sie sonst ehrenamtlichen Helfern in der Unfallrettung danken?)

Herr Martens, im Bereich des Rettungsdienstes habe ich gesagt.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Dresden steht im Widerspruch zur bisher deutschlandweit herrschenden Rechtsauffassung, dass die Neuvergabe der Leistungen im Rettungsdienst nicht dem Vergaberecht unterliegt. So hat das Oberlandesgericht Düsseldorf in dieser Sache anders entschieden. Deswegen hat das Oberlandesgericht keine Entscheidung getroffen und die Frage dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

Beim Bundesverfassungsgericht sind derzeit drei Verfassungsbeschwerden zur Frage des § 31 des Sächsischen Gesetzes über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz anhängig. Deswegen ist der Punkt 2 Ihres Antrages dahin gehend nicht zustimmungswürdig, weil Sie von der Staatsregierung ein rechtssicheres Verfahren verlangen, bevor die angerufenen Gerichte in der Sache überhaupt entschieden haben.

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?

Bitte, Herr Lichdi.

Bitte, Herr Lichdi.

Vielen Dank. – Ich habe jetzt über eine Aussage nachgedacht. Sie haben insbesondere die Ausschreibung, die die FDP hier vorschlägt, aus dem Grund abgelehnt, weil Sie eine Privatisierung des Rettungswesens verhindern wollen. Ist Ihnen bekannt, dass die öffentliche Trägerschaft bei den Rettungszweckverbänden unangetastet bleibt und dass es nur um die Art des Aufgabenträgers geht, aber die Gewährleistungsverantwortung – wie der Jurist sagen würde – selbstverständlich in öffentlicher Hand bleibt und deswegen die von Ihnen an die Wand gemalte Gefahr nicht besteht?

Ich habe in meiner Rede kritisiert, dass eine europaweite Ausschreibung nicht

erfolgen sollte. Das ist die Kritik, die ich an dem Vorschlag der FDP habe.

Im Moment ist nicht davon auszugehen, dass angesichts der Bearbeitungsfrist beim Bundesverfassungsgericht bis zum 31. Dezember 2008 eine abschließende Entscheidung getroffen wird. Somit können die Rettungszweckverbände zwar Auswahlverfahren durchführen, aber sie erlangen leider keine Rechtssicherheit, da alle Entscheidungen unter dem Vorbehalt stehen, dass sie durch richterliche Entscheidung wieder infrage gestellt werden.

Ich glaube auch nicht, dass sich die Staatsregierung mit dem Verweis auf § 12 Abs. 5 Sächsische Landesrettungsdienstplanverordnung zurücklehnen kann. So argumentiert der Innenminister auf die Kleine Anfrage von Herrn Martens: „Sollten einzelne Auswahlverfahren bis zum 31. Dezember 2008 nicht abgeschlossen sein, können die Träger des Rettungsdienstes den Vertrag mit den bisherigen Leistungserbringern bis zur Bestandskraft der Auswahlentscheidung verlängern.“

Ihrem Punkt 3 des Antrages können wir eigentlich folgen; trotzdem halten wir den Weg über einen Antrag nicht für rechtssicher. Notwendig wäre eine Gesetzesänderung, um die Übergangsvorschrift in § 76 Abs. 3 des Sächsischen Gesetzes über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz auf den 31. Dezember 2009 zu verlängern. Deswegen werden wir uns beim Punkt 3 enthalten und bitten um punktweise Abstimmung.

Zum Schluss und damit auch noch einmal zur Beantwortung der Frage von Herrn Lichdi: Wir hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht der Argumentation des Oberlandesgerichtes Düsseldorf folgt und es weiterhin keine europaweite Ausschreibung der Rettungsleistungen in Sachsen gibt.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Das Wort erhält die SPD-Fraktion; Frau Weihnert, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Martens, der Rettungsdienst ist uns natürlich wichtig. Wichtig ist auch, dass er geordnet stattfindet, damit Betroffene die notwendige Hilfe bekommen können und die zuständigen Träger, seien es die Landkreise, Kommunen oder auch Zweckverbände, entsprechende Rahmenbedingungen haben. Nun gibt es verschiedene Verfahren und es fühlten sich – und das wurde bereits von meinen Vorrednern gesagt – einige im Auswahlverfahren nicht richtig bedacht und haben deshalb Klage eingereicht.