Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

Verbundnetz Gas AG unterstützen – Arbeitsplätze am Standort Leipzig sichern

Drucksache 4/13093, Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: CDU, SPD, danach Linksfraktion, NPD, FDP, GRÜNE und selbstverständlich die Staatsregierung. Ich erteile den Einreicherinnen das Wort. Herr Professor Bolick, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen jetzt über eine Angelegenheit, die uns allen sehr am Herzen liegt, sehr am Herzen liegen müsste.

Die Verbundnetz Gas AG in Leipzig ist eine der wenigen Erfolgsgeschichten eines ostdeutschen Unternehmens, welches es aus eigener Kraft geschafft hat, sich schon im ersten Halbjahr 1990, also vor Inkrafttreten der Wirtschafts- und Währungsunion, zu gründen und sich, ohne von der Treuhand abgewickelt, reglementiert oder zerschlagen zu werden, zu einem bedeutenden Unternehmen auf dem deutschen Energiemarkt zu entwickeln.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Die VNG ist heute der drittgrößte deutsche Erdgasimporteur, dessen Kerngeschäft die internationale Beschaffung von Erdgas und die Versorgung von Großkunden vornehmlich in Ostdeutschland beinhaltet. VNG ist auch ein verlässlicher Partner unserer Stadtwerke in Sachsen.

Es ist das einzige bedeutende privatwirtschaftliche Unternehmen mit einer ostdeutschen Vergangenheit und Sitz in den neuen Bundesländern. Diesem Unternehmen droht nun offensichtlich eine feindliche Übernahme. Dies wollen und dies müssen wir verhindern.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Abg. Dr. Monika Runge, Linksfraktion)

Deshalb hat die CDU-Fraktion gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner heute diese Debatte im Sächsischen Landtag beantragt.

Zunächst sei mir einmal zum besseren Verständnis ein Ausflug in die Vergangenheit und in die Gesellschafterstruktur gestattet. Seit 1990 war der Gasversorger Ruhrgas fairer Partner der VNG. Im Zuge der Freigabe des Zusammenschlusses der E.ON. AG mit Ruhrgas wurde im Jahre 2002 durch eine sogenannte Ministererlaubnis nach § 24 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung vom Bundesminister für Wirtschaft die Aktionärsstruktur der Verbundnetz Gas AG neu geordnet. Ruhrgas musste seine Anteile an der VNG abgeben. Ziel war es unter anderem, die VNG mit Hilfe eines sogenannten strategischen Investors als unabhängig agierendes Unternehmen zum Wettbewerber der infolge der Ministererlaubnis entstandenen E.ON Ruhrgas zu entwickeln.

Zugleich sollten kommunale Aktionäre mit einer Aufstockung ihrer Anteile auf eine Sperrminorität sicherstellen können, dass die VNG als unabhängiges ostdeutsches Unternehmen erhalten bleibt und damit der Sitz und wesentliche Unternehmensteile der Gesellschaft in Leipzig verbleiben.

Infolge der Neuordnung der Aktionärsstruktur erwarb die EWE AG Oldenburg als neuer strategischer Investor 47,9 % der Anteile an der VNG. Mit den kommunalen Aktionären der VNG, die ihre Anteile in der Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft VNG VuB gebündelt haben, hat sich die EWE AG zudem konsortial verbunden.

Zur Untersetzung des in der Ministererlaubnis geforderten strategischen Auftrages an den potenziellen Erwerber hat sich die EWE AG gegenüber den kommunalen Aktionären der VNG und der deutschen Politik, insbesondere den Ministerpräsidenten Ostdeutschlands, verpflichtet, gemeinsam mit der VNG eine neue Kraft am deutschen Energiemarkt zu etablieren. Dazu sollte in Ostdeutschland eine Holding gegründet werden, die bei Beibehaltung der Unternehmensstandorte Leipzig und Oldenburg beide Unternehmen mit paritätisch besetztem Management führen sollte.

Im Konsortialvertrag sind die oben genannten Zielvorstellungen der Ministererlaubnis ausdrücklich aufgenommen worden.

Leider, meine sehr verehrten Damen und Herren, wurden die blumigen Versprechungen der EWE AG nicht umgesetzt – ganz im Gegenteil. Die EWE AG versuchte schon seit 2003, also ein Jahr nach dem Einstieg, kommunale Anteile der VNG zu erwerben. Derzeit üben die zwölf Kommunen über ihre treuhänderisch gebundenen Anteile 25,79 % der Sperrminorität innerhalb der Verbundnetz Gas AG aus. Die EWE AG hat ihre Anstrengungen, die Mehrheit an der VNG zu erwerben, weiter erhöht. Sie versucht wiederholt und mit Nachdruck, von einzelnen kommunalen Anteilseignern deren an der VNG gehaltene Anteile zu Preisen zu erwerben, die nach meiner Kenntnis beim Dreifachen und damit weit über dem marktüblichen Preis liegen.

Am 18. April 2008 haben zwei Gesellschafter der VNG VuB in Abstimmung mit den anderen Gesellschaftern gegen den geplanten Anteilsverkauf der Stadtwerke Jena-Pößneck an die EWE AG Klage beim Landgericht Gera erhoben, da die verkaufswilligen Stadtwerke nach Auffassung der Mitgesellschafter in der VNG VuB gegen eine im Gesellschaftsvertrag der VNG VuB vereinbarte Andienungspflicht über die Anteile verstoßen haben.

Die Stadt Halle hat einen Austritt der Stadtwerke Halle aus der VNG VuB zum Jahresende angekündigt. Begründet wurde dies damit, dass man bei einer möglichen Veräußerung der Anteile frei darin sein möchte, an wen man eventuell veräußert.

Die zwölf kommunalen Anteilseigner haben den Konsortialvertrag mit der EWE AG am 01.09.2008 gekündigt. Die Verabredung zu einer Zusammenarbeit innerhalb der Aktionärsschaft der VNG wurde damit beendet.

Die Gesellschafter der VuB nehmen damit ihre Verantwortung zur Sicherung der mit der Ministererlaubnis verbrieften Eigenständigkeit der VNG AG in den neuen Bundesländern wahr.

Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, steht eines der wenigen ostdeutschen Großunternehmen in einer äußerst schwierigen Situation: Die Übernahme der Mehrheitsanteile durch die EWE AG und der Verlust der Sperrminorität der kommunalen Gesellschafter bedeutet gleichzeitig den Verlust der Entscheidungsmöglichkeiten für die Entwicklung des Unternehmens, insbesondere

auch für die Entscheidung über Arbeitsplätze, Firmensitz und gesellschaftliches Engagement.

Mit den Konzentrationsbestrebungen der EWE AG sind nicht nur mehr als 600 Arbeitsplätze in der Region Leipzig infrage gestellt. Das Ausmaß einer solchen Entwicklung ist für die Region gravierend. VNG macht derzeit fünf Milliarden Euro Umsatz. Sie müssen sich diese Zahl einmal verinnerlichen: Das ist fast so viel wie der Umsatz des gesamten Maschinenbaus in Sachsen. Sie können abschätzen, welche Steueraufkommen damit verbunden sind. Eine Vielzahl von Projekten im sozialen Bereich, der Bildung und Wissenschaft, der Kunst und Kultur und auch des Sports genießen die umfangreiche Unterstützung der Verbundnetz Gas AG. Diese Projekte würden bei Erfolg der Übernahmepläne der EWE AG allesamt vor dem Aus oder zumindest vor enormen finanziellen Problemen stehen.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann keineswegs im Interesse dieses Hohen Hauses und der Sächsischen Staatsregierung sein.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Gunther Hatzsch, SPD)

Und nicht nur das: Diese Entwicklung hat eine mitteldeutsche Dimension. Sachsen-Anhalt und Thüringen profitieren ebenfalls in nicht unerheblichem Maß vom Vorhandensein des Firmensitzes der Verbundnetz Gas AG in Leipzig.

Wir haben in der letzten Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr im Rahmen eines Antrages der Koalition über die Entwicklung der Metropolregion Halle-Leipzig-Sachsendreieck diskutiert. VNG ist ein wichtiger Bestandteil bei der wirtschaftlichen Entwicklung dieser europäischen Metropolregion. Deshalb stehen alle Partner der mitteldeutschen Region und besonders die Stadt Halle in der Verantwortung, sich für den Fortbestand von VNG am Standort Leipzig einzusetzen. Der Sinn einer solchen Metropolregion besteht doch gerade darin, das Wohl einer Region über den eigenen Vorteil zu stellen.

Ich möchte noch einen weiteren Aspekt – die Energiepreisentwicklung – ins Feld führen. Bezahlbare Energie- und Versorgungssicherheit können wir nur gewährleisten, wenn die weitere Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte vorankommt. Allein ein gesunder Wettbewerb unter den Herstellern von Energie, den Netzbetreibern und den Versorgern sichert, dass nicht nur in der nationalen, sondern auch in der europäischen Dimension akzeptable Energiepreise für Unternehmen und Bürger zustande kommen.

Auch diese politische Zielstellung widerspricht der geplanten feindlichen Übernahme der EWE AG.

Es ist unsere Aufgabe, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln diese Entwicklung zu verhindern, denn sie schwächt den Standort Sachsen und die Region Mitteldeutschland. Aus diesem Grunde haben wir uns in der Koalition darauf verständigt, den heute vorliegenden

Antrag in das Hohe Haus einzubringen, um die Möglichkeiten des Freistaates Sachsen zu erörtern und eine Einflussnahme der Bundesregierung einzufordern; denn gerade diese benötigen wir dringend.

Der Bundeswirtschaftsminister hat in seiner Ministererlaubnis im Jahr 2002 klar und eindeutig festgelegt, dass eine Neuregelung der Gesellschafterstruktur der Verbundnetz Gas AG mit dem Ziel erfolgen muss, ein eigenständiges und strategisch unabhängig agierendes Energieunternehmen zu erhalten. Gleichzeitig hat sich die EWE AG gegenüber den Ministerpräsidenten der neuen Länder verpflichtet, die VNG als unabhängiges Unternehmen zu sichern und durch die Sperrminorität der kommunalen Anteilseigner den regionalen Einfluss zu erhalten.

Heute müssen wir feststellen, dass die EWE AG klar gegen die Ministererlaubnis verstößt und auch die Zusage gegenüber den Ministerpräsidenten nicht einhält. Mit Lockangeboten versucht sie, kommunale Anteilseigner zum Verkauf zu bewegen. Dabei werden Summen gehandelt, welche den tatsächlichen Wert der Aktienanteile übersteigen. Manche Verwalter öffentlicher Haushalte vergessen dabei offenbar, welche Verantwortung sie für Bürger und Unternehmen haben. Ich möchte hier die kommunalen Anteilseigner ermutigen, sich massiv gegen die Praktiken von EWE zur Wehr zu setzen.

Ich möchte an dieser Stelle auch eine klare Forderung an Bundeswirtschaftsminister Michael Glos richten: Sorgen Sie, sehr verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, dafür, dass eine Ministererlaubnis, die klare Regelungen und Perspektiven für den Fortbestand von VNG am Standort Leipzig beinhaltet, nicht zum bedeutungslosen Stück Papier verkommt!

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Sie muss vollinhaltlich eingehalten und umgesetzt werden, notfalls auch mit eindeutigen Maßnahmen gegenüber der EWE. Es kann nicht angehen, dass EWE derart agiert und der Bundeswirtschaftsminister wegschaut. Das werden wir sächsischen Abgeordneten nicht tolerieren.

Unserem Ministerpräsidenten Tillich danke ich für die bisherigen Bemühungen in der Angelegenheit VNG und bitte ihn, sich gegenüber der Bundesregierung intensiv für eine Beendigung des Tauziehens einzusetzen und um ein klares Wort der Kanzlerin und des Bundeswirtschaftsministers zu bemühen.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Wir müssen den Standort Leipzig der Verbundnetz Gas AG erhalten, die vorhandenen Arbeitsplätze sichern und die Vielfalt am deutschen Energiemarkt weiter ausbauen. Eine Übernahme der VNG durch EWE konterkariert diese Zielstellung. Das werden wir nicht zulassen. Wir sind das der Region, den Leipzigern und den Mitarbeitern von VNG schuldig.

Recht vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich erteile der SPDFraktion das Wort. Herr Abg. Hatzsch, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Machtkampf zum 50. – die Verbundnetz Gas AG feiert ihre Unternehmensgründung und bangt um ihre Eigenständigkeit“ – so titelte die „Leipziger Volkszeitung“ vor zwei Tagen.

Die Verbundnetz Gas AG ist der größte ostdeutsche Versorger, deutschlandweit der drittgrößte Gasimporteur. Die VNG beliefert insbesondere Ostdeutschland versorgungssicher mit Energie. Dies zahlt sich für ganz Ostdeutschland nicht nur energiepolitisch aus, sondern manifestiert sich neben den Steuerzahlungen des Unternehmens in der Region auch in einer verantwortlichen Standortpolitik.

Mit ihrer Konzernzentrale in Leipzig ist VNG ein unabhängiger zusätzlicher Wettbewerber auf dem Energiemarkt und gleichzeitig ein großer Wirtschaftsfaktor in Ostdeutschland. Mit einem Jahresumsatz von 5 Milliarden Euro und knapp 1 200 Beschäftigten – wir haben manches von Herrn Prof. Bolick schon gehört; Parallelen werden manchmal nicht vermeidbar sein – ist VNG das umsatzstärkste Unternehmen Ostdeutschlands überhaupt. Wie die Zahlen belegen, ist VNG eines der wenigen sächsischen Großunternehmen und trägt maßgeblich zur wirtschaftlichen Stärkung Sachsens und der Region bei.

Meine Damen und Herren, die Verbundnetz Gas AG ist das einzige bedeutende privatwirtschaftliche Unternehmen mit einer ostdeutschen Geschichte und mit Sitz und Hauptverwaltung in den neuen Bundesländern. Die VNG zählt somit zu den wenigen Unternehmen, denen es gelungen ist, in der Zeit der Einheit einen volkseigenen Betrieb nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern in Gesamtdeutschland auszubauen.

Auf das stolze Jubiläum fällt ein dunkler Schatten, denn die Zukunft der Verbundnetz Gas AG als eigenständiges ostdeutsches Energieunternehmen ist ungewiss. Aber, meine Damen und Herren, was verursacht nun diese problematische Lage der Verbundnetz Gas AG? Hat das Unternehmen wirtschaftliche Probleme oder schreibt die VNG gar rote Zahlen? Ganz im Gegenteil, dicke schwarze Zahlen werden geschrieben, und dies scheint ihr im Moment zum Verhängnis zu werden.

Im gegenwärtigen Streit geht es um die Machtfrage im Konzern, um ein riesiges zukünftiges Geschäft. Etwa 18 Millionen der 40 Millionen Haushalte in Deutschland heizen mit Erdgas. Außerdem werden 12 % des deutschen Stroms aus Erdgas gewonnen. Neben Erdöl ist Erdgas der wichtigste Energieträger in Deutschland. In Zukunft werden die Bedeutung und die zu erwartenden Umsätze sogar noch steigen.

Beim gegenwärtigen Streit um die Verbundnetz Gas AG geht es um einen Übernahmekampf eines rentablen ostdeutschen Unternehmens mit rosigen Zukunftsperspek

tiven. Die jetzige Situation geht zurück auf Entscheidungen aus dem Jahr 2002. Damals wollte der Düsseldorfer E.ON-Konzern die Essener Ruhrgas AG übernehmen. Das Bundeskartellamt lehnte den Milliardendeal ab wegen der marktbeherrschenden Stellung, die der neue Energieriese nach der Fusion in Deutschland gehabt hätte. Doch das Bundeswirtschaftsministerium setzte sich über die Bedenken der Wettbewerbshüter hinweg und erteilte eine Sondergenehmigung, die sogenannte Ministererlaubnis.

Diese wurde an drei zentrale Kriterien gebunden. Erstens: VNG bleibt ein unabhängiges ostdeutsches Unternehmen. Zweitens: Es tritt in Wettbewerb zur Ruhrgas AG. Drittens: Der strategische Investor muss diese beiden Ziele absichern.