Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Es liegt mir noch eine Wortmeldung vor; Frau Abg. Schmidt für die CDUFraktion, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem mein Kollege Bolick auf die nationale und mitteldeutsche Dimension des Streites eingegangen ist, möchte ich mich als Leipziger Abgeordnete und damit als Vertreterin der Region zu Wort melden.

Gestern fand – Sie hörten es schon – im Gewandhaus zu Leipzig eine Festveranstaltung zum 50. Geburtstag, ich darf wohl sagen, unserer VNG in Anwesenheit von Kanzlerin Merkel statt. Der drittgrößte deutsche Gasimporteur blickt auf eine wechselhafte Geschichte zurück. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ihn gibt es noch, und zwar als eines der wenigen rein ostdeutschen Großunternehmen. Bei der Verbundnetz Gas AG finden heute mehr als 600 Menschen aus Leipzig und der Region eine Beschäftigung. Sie sichern so ihr Einkommen und das Auskommen für ihre Familien. 600 Menschen zahlen hier in Leipzig, am Standort des Unternehmens, Einkommensteuer, die wiederum den Kommunen der Region anteilig zugute kommt. Sie konsumieren in und um Leipzig und sichern somit dem Handel und dem Handwerk den Umsatz. Auch die Verbundnetz Gas AG wirkt unmittelbar in die Region. Viele Unternehmen sind für die VNG als Dienstleister tätig, Handwerksbetriebe erhalten ihre Aufträge durch die VNG und sichern sich somit einen teilweise nicht unerheblichen Teil ihres Umsatzes.

Nicht zuletzt möchte ich das gesellschaftliche Engagement der Verbundnetz Gas AG ansprechen. Das Verbundnetz der Wärme unterstützt beispielsweise die ehrenamtliche Arbeit der Bürger; das Verbundnetz für Demokratie und Toleranz unterstützt ganz gezielt Aktivitäten der ostdeutschen Kommunen im Streben um die Sicherung der Demokratie. Mit dem Verbundnetz für den Sport werden junge Leistungssportler gezielt gefördert, um

ihnen den Anschluss an die internationale Spitze zu ermöglichen. Dies ist besonders für den Sportstandort Leipzig von gravierender Wichtigkeit.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Dr. Monika Runge, Linksfraktion)

Mit VNG art werden Projekte und Ausstellungen im kulturellen Bereich gefördert, für Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist die Verbundnetz Gas AG zu einem festen Bestandteil und notwendigen Kooperationspartner in der Wirtschaft geworden, und sie finanziert viele zukunftsträchtige Projekte. Die Verbundnetz Gas AG ist Partner in der Region und mit ihr und den Menschen in und um Leipzig unmittelbar verwurzelt.

Sie sehen, meine Damen und Herren, dass es hier nicht darum geht, Entscheidungen über Aktienverkäufe gut oder schlecht zu heißen. Es geht hier darum zu erkennen, dass ein Unternehmen wie unsere Verbundnetz Gas AG unmittelbarer Bestandteil der Entwicklung einer Region und besonders meiner Stadt Leipzig ist.

(Beifall des Abg. Dr. Martin Gillo, CDU)

Wenn die EWE AG ihren – der Begriff sei mir erlaubt – Beutezug beendet hat und eine Schließung des Standortes Leipzig mit den notwendigen Zentralisierungsbedürfnissen und den Forderungen der Aktionäre nach höheren Renditen begründet, werden nicht nur 600 Arbeitsplätze nicht mehr vorhanden sein. Die Region verliert einen echten und zuverlässigen Partner in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das dürfen wir keinesfalls zulassen.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Dr. Monika Runge, Linksfraktion)

Auch ich appelliere besonders an die kommunalen Anteilseigner und die Kommunen in Mitteldeutschland: Tragen Sie mit der verantwortungsvollen Wahrnehmung Ihrer Aktionärsrechte dazu bei, dass die Verbundnetz Gas AG am Standort Leipzig auch weiterhin ihre Tätigkeit fortführen kann.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Dr. Monika Runge, Linksfraktion)

Für die Staatsregierung Herr Minister Jurk, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Sächsische Staatsregierung begrüßt den Antrag der Koalitionsfraktionen, denn er bietet die Gelegenheit, die relativ komplizierte privatrechtliche Konstruktion und die politische Bedeutung im Zusammenhang darzustellen. Ich möchte mich nach dieser Debatte mit vielen Zahlen auf das Wesentliche konzentrieren. Die meisten Abgeordneten haben gezeigt, dass sie im Stoff stehen und die Zusammenhänge kennen.

Aber VNG ist wirklich eines der wenigen bedeutenden privatwirtschaftlichen Unternehmen mit einer ostdeut

schen Vergangenheit und noch dazu einem Sitz in den neuen Bundesländern. Und VNG ist der einzige von drei Energieversorgern mit direkten langfristigen Lieferverträgen mit Erdgasproduzenten aus Norwegen und Russland. In Kombination mit ihren Erdgasspeichern und einem Ferngasleitungsnetz sorgt die VNG gerade in Ostdeutschland für beste Voraussetzungen für eine stets sichere Erdgasversorgung. Ein Verlust der Eigenständigkeit hätte nicht nur energiepolitisch nachteilige Konsequenzen für Ostdeutschland, sondern könnte auch industriepolitisch negative Auswirkungen für den Standort Sachsen und die Region Leipzig haben. Im Zuge der Freigabe des Zusammenschlusses der E.ON und der Ruhrgas AG wurde im Jahr 2002 durch die bereits angesprochene Ministererlaubnis des Bundeswirtschaftsministeriums die Aktionärsstruktur der VNG neu geordnet.

Ich möchte nochmals deutlich betonen, was seinerzeit gewollt war: erstens, dass VNG ein unabhängiges ostdeutsches Unternehmen bleibt; zweitens, sich als fünfte Kraft auf dem deutschen Energiemarkt etabliert; und drittens, dass der Investor diese beiden Ziele absichern muss.

Infolge der Neuordnung der Aktionärsstruktur der VNG AG erwarb die EWE AG 47,9 % der Anteile. Mit den kommunalen Aktionären der VNG, die ihre Anteile in der VNG Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft gebündelt haben und von dieser verwaltet werden, hat sich die EWE AG zudem konsortial verbunden. Diese zwölf kommunalen Anteilseigner, die derzeit 25,8 % der gesamten Aktien der VNG besitzen, haben nunmehr den Konsortialvertrag mit dem VNG-Hauptaktionär der EWE AG gekündigt. Damit soll verhindert werden, dass EWE ab 2009 von dem im Konsortialvertrag festgeschriebenen Vorkaufsrecht Gebrauch macht.

Zur Untersetzung des in der Ministererlaubnis geforderten strategischen Auftrages an den potenziellen Erwerber hat sich die EWE AG gegenüber den kommunalen Aktionären der VNG und insbesondere auch gegenüber den Ministerpräsidenten Ostdeutschlands verpflichtet, gemeinsam mit der VNG eine neue Kraft im deutschen Energiemarkt zu etablieren. Dazu soll in Ostdeutschland eine Holding gegründet werden, die bei Beibehaltung der Unternehmensstandorte in Leipzig und Oldenburg beide Unternehmen mit paritätisch besetzten Managements führen sollte.

Die vorgenannten Zielstellungen der Ministererlaubnis sind nach Aussage der VNG ausdrücklich Bestandteil des Konsortialvertrages. Ich muss einmal mit einer Mär aufräumen, die sowohl Frau Abg. Dr. Runge als auch der Abg. Morlok hier verbreiten. Ich komme auf eine Pressemitteilung der Verbundnetz Gas AG vom 16.07.2002 zu sprechen, Überschrift: VNG Verbundnetz Gas Aktiengesellschaft befürwortet Ministererlaubnis; Auflagen sichern Eigenständigkeit. Leipzig – Originalzitat von Herrn Dr. Ewald Holst: „Wir beteiligen uns nicht an der gegenwärtigen Kampagne gegen die Ministererlaubnis zu E.ON/Ruhrgas.“ Ich setze mit dem Zitat fort: „Im Hin

blick auf die Gasbeschaffung ist es volkswirtschaftlich sinnvoll, aus E.ON und Ruhrgas einen Konzern zu bilden“, begründete der VNG-Chef. Nach eingehender Analyse der mit der Ministererlaubnis verbundenen Auflagen in Bezug auf die VNG seien die früher geäußerten Befürchtungen ausgeräumt. „Unsere Vorstellungen sind berücksichtigt worden. Wir sehen die Selbstständigkeit der VNG als ostdeutsche Ferngasgesellschaft sichergestellt“, betonte Holst.“

Herr Holst ist sicherlich über jedes Lob erhaben, was er in Leipzig geschaffen hat; und deshalb gehört es zur Ehrlichkeit dazu, zur Kenntnis zu nehmen, wie sich Herr Holst zur Ministererlaubnis geäußert hat. Deshalb, Herr Morlok, kann sie so schlecht nicht gewesen sein.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Gestatten Sie deshalb eine Zwischenfrage?

Bitte.

Bitte schön.

Herr Minister Jurk, können Sie sich denn erklären, warum das Bundeswirtschaftsministerium im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages erklärt hat, sämtliche Auflagen wären erfüllt? Da existiert doch irgendwo ein Widerspruch, sonst hätten wir doch kein Problem!

Antwort: nein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ob die Fusionsauflagen der Ministererlaubnis in geeigneter Weise umgesetzt wurden, muss aber letztlich das dafür zuständige Bundeswirtschaftsministerium prüfen und bewerten. – Das vielleicht noch als Ergänzung.

Bekannt ist, dass die Stadtwerke Jena-Pößneck beabsichtigen, ihren Anteil in Höhe von 1,04 % an die EWE AG zu verkaufen. Mit dem Verkauf der Anteile der Stadtwerke Jena-Pößneck ginge die strategisch so wichtige Sperrminorität der Kommunen an der VNG verloren. Damit ist die Zukunft der VNG als unabhängiges ostdeutsches Unternehmen und damit vor allem auch des Standortes Leipzig und der damit verbundenen Arbeitsplätze infrage gestellt. Gegen diesen geplanten Aktienverkauf haben drei Gesellschafter der VOB, also der Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft, die Stadtwerke AnnabergBuchholz, Neubrandenburg und die LVV, Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH, beim Landgericht Gera Klage erhoben mit dem Ziel, den Verkauf der Aktien an die EWE AG zu verhindern.

Nach Auffassung der Kläger haben die Stadtwerke JenaPößneck gegen eine im Gesellschaftervertrag der VOB vereinbarte Andienungspflicht und ein vereinbartes Vorkaufsrecht verstoßen. Vor dem Landgericht wird es dazu am 17.09.2008 eine Verhandlung geben.

Die Staatsregierung setzt sich intensiv für den Erhalt der VNG als eines der wichtigsten ostdeutschen Unternehmen ein und fordert den Verbleib des Firmensitzes in Leipzig. Dazu habe ich eine Vielzahl von Gesprächen, unter anderem mit dem Vorstandsvorsitzenden der VNG sowie Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern, geführt. Dabei wissen wir, dass die Staatsregierung faktisch keine Möglichkeit hat, größeren Einfluss bei der VNG auch gesellschaftsrechtlich auszuüben; denn der Freistaat selbst ist an dem Unternehmen nicht beteiligt. Unser Ministerpräsident, Herr Tillich, hat in seiner Regierungserklärung am 18. Juni 2008 zum Erhalt der VNG deutliche Worte gefunden. – MdL Hatzsch hat das bereits zitiert; ich muss das nicht wiederholen, aber es war klar, und wir sind hier gemeinsam auf Kurs.

Auf der Konferenz der ostdeutschen Ministerpräsidenten hat die Sächsische Staatsregierung Einvernehmen mit den anderen ostdeutschen Ministerpräsidenten erzielt, dass der Erhalt der VNG als industriepolitischer Leuchtturm allerhöchste politische Priorität hat und sich alle ostdeutschen Landesregierungen hierfür einsetzen. Ich gestehe gern ein: Ich hätte mir gestern von unserer Bundeskanzlerin zum 50-jährigen Firmenjubiläum der VNG auch deutlichere Worte gewünscht, als sie sie gesprochen hat; aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Ich werbe daher bei Ihnen für die Annahme des Koalitionsantrages, der die Staatsregierung darin bestärkt, sich weiterhin für eine starke Verbundnetz Gas AG am Standort Leipzig einzusetzen.

Ich bitte Sie daher um ein möglichst einmütiges Votum. Zeigen wir damit, dass auch der Sächsische Landtag hinter diesem Unternehmen steht!

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Die Koalitionsfraktionen erhalten die Gelegenheit zum Schlusswort; Herr Prof. Bolick, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die einhellige Übereinstimmung mit unserem Antrag wurde von allen Fraktionen signalisiert; ich finde, das ist gut, und das muss auch so sein.

Die Verhältnisse sind klar. Es geht um die Westverlagerung eines unserer größten ostdeutschen Unternehmen, und dem wollen und können wir nicht tatenlos zusehen.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Dem können wir schon deshalb nicht tatenlos zusehen, weil so etwas das hohe Maß an Solidarität, das wir gerade aus Westdeutschland in den vergangenen Aufbaujahren hier in Sachsen erhalten haben, völlig konterkariert. Das ist politisch ein Weg, der nicht gegangen werden darf. Darum bitten wir nicht zuletzt die Bundesregierung um Unterstützung.

Gestern gab es die große Party in Leipzig. Leider konnte niemand von uns dabei sein, weil wir hier im Plenum unsere Aufgaben hatten. Das war terminlich nicht sehr gut koordiniert; das muss man an dieser Stelle auch einmal erwähnen. Alle Akteure waren dabei. Ich verstehe, dass möglicherweise in der Öffentlichkeit nicht Dinge gesagt wurden, die dort vielleicht abgesprochen wurden oder die schon in Vorbereitung sind. Ich habe auch keine Information, dass etwas geregelt wurde.

Aber ich habe die Hoffnung – und das müssen wir hier wirklich deutlich zum Ausdruck bringen, auch unsere Forderung –, dass die Bundesregierung hier als Einzige noch die Möglichkeit hat – wenn die Papiere oder die Ministererlaubnis so wenig trägt, dass die Gerichte am Ende den Dammbruch nicht aufhalten können –, noch eingreifen zu können und das zu verhindern, was nicht passieren darf.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Herr Zais.

Danke, Frau Präsidentin! – Herr Bolick, wir sind uns ja einig; das möchte ich noch einmal betonen. Es wird sicher zu einem einmütigen Votum kommen; deshalb aber auch meine Frage.

Wir haben ja festgestellt, dass der dem Ministerpräsidenten nachgesagte Charme bei Frauen zwar sehr groß ist, aber bei Frau Merkel einen geringeren Eindruck macht als der von Herrn Wulff. Auch darin begründet sich unsere Skepsis, denn hier wird große Politik geschrieben.

In der Debatte gab es einen konkreten Vorschlag in Form der Frage, inwieweit der Freistaat selbst die Sperrminorität halten kann, indem er Geld anfasst und somit hilft, über die Anteile der Kommunen, die Sicherheit von VNG selbst zu bringen. Was sagen Sie dazu?