Protokoll der Sitzung vom 15.10.2008

Eher verschwommen äußert sich der Bericht zur Schulqualität. Hier glaubt der Kultusminister lediglich einen „Optimierungsbedarf“ zu erkennen. Dabei ergibt eine Studie des Psychologen Ludwig Bilz beispielsweise, dass sächsische Mittelschüler psychisch noch belasteter und gestresster sind als Gymnasiasten – ein Ergebnis, das bei seiner Veröffentlichung im Juli 2008 für Aufstehen sorgte, auf das im Bildungsbericht aber nicht eingegangen wird. Die Studie der TU Dresden auf der Basis von 4 400 Befragungen an 27 Schulen stellt fest, dass Mittelschüler über Überforderung, mangelnde Unterrichtsqualität und Mobbing klagen. Nach dieser Studie sollen bereits 20 % der sächsischen Schüler eine psychische Erkrankung erlitten haben, die mit der Form des Unterrichts zusammenhängt. Fast 19 % aller Schüler im Freistaat klagen über Mobbing an ihrer Schule. An der Spitze liegen dabei die Fünftklässler an Mittelschulen. Das

Kultusministerium hat bislang kein Konzept vorgelegt, wie diese Entwicklung eingedämmt werden kann.

Einen großen Bogen macht der Bildungsbericht auch um das zentrale Thema der Unterrichtsversorgung im Allgemeinen und des Unterrichtsausfalls im Besonderen. Der Bildungsbericht enthält keine Hinweise darauf, wie das Kultusministerium dem Unterrichtsausfall wirklich begegnen will, der im letzten Schuljahr in Sachsen angeblich nur 3,2 % betrug, nach Wahrnehmung vieler Eltern aber wesentlich höher liegt.

Auch die katastrophale Bevölkerungsentwicklung problematisiert der Bildungsbericht überhaupt nicht, sondern führt in alter Buchhaltermanier bloß den Rückgang der Schülerzahlen auf. Gegenüber dem Schuljahr 1992/93 betrug der Schülerrückgang im Jahr 2007/08 betroffen machende 36,8 %. Die sinkenden Schülerzahlen sind Resultat massiver Abwanderung und niedriger Geburtenraten, verursacht durch eine planlose Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie Familien- und Bevölkerungspolitik der Herrschenden. Die gesunkenen Schülerzahlen nahm die Staatsregierung in den Jahren 2005/06 bekanntermaßen zum Vorwand für zahlreiche Schulschließungen und Lehrerentlassungen, anstatt überall im Freistaat eine wohnortnahe Schulinfrastruktur aufrecht zu erhalten. Darunter leidet insbesondere der ländliche Raum, in dem Schulen mehr als anderswo sozialer Lebensmittelpunkt sind und junge Familien noch in der Region halten. Wo Schulen leichtfertig geschlossen werden, ist weitere Abwanderung und Vergreisung aber vorgezeichnet. Allein im Zeitraum der Schuljahre 1992/93 bis 2007/08 sank die Zahl der Schulen in Sachsen von 2 299 auf noch 1 504.

Der Freistaat Sachsen steht im Vergleich mit manch anderem Bundesland sicherlich noch gut da. Rot-grüne Bildungspolitiker haben zweifelsohne größere bildungspolitische Flurschäden angerichtet, als das ein CDUSchulpolitiker wahrscheinlich jemals schaffen kann. Für Selbstzufriedenheit und Schulterklopfen gibt es aber auch in Sachsen keinen Grund. Ob Überalterung der Lehrerschaft oder Schüler ohne Schulabschluss, ob die Zunahme von freien Schulen, der Unterrichtsausfall oder sinkende Schülerzahlen und die Schulschließungen – der Bildungsbericht enthält viel lobhudelndes Wortgeklingel und wenig Problembewusstsein. Als Nationaldemokraten vermissen wir auch nur eine einzige Aussage zu einem verbindlichen Bildungsideal im Freistaat Sachsen. Wo ist das Bekenntnis zur schulischen Vermittlung von Geschichts- und Heimatbewusstsein, zur Erziehung intellektuell neugieriger und kritischer Staatsbürger, zur Erziehung der jungen Menschen zu volksbewussten und gemeinschaftsverbundenen Persönlichkeiten? Schließlich vermisst die NPD eine klare Absage des Kultusministers an den neoliberalen Zeitgeist. Dieser will die Schulen nämlich immer stärker den Verwertungsinteressen und Funktionsbedürfnissen des kapitalistischen Arbeitsmarktes unterwerfen, indem er die Schulen zu bloßen Ausbildungsinstituten der Betriebe herabstuft. Dem muss nach NPD-Auffassung eindeutig ein Riegel vorgeschoben werden.

Der Bildungsbericht, meine Damen und Herren, ist wie die gesamte Politik der Staatsregierung: selbstbeweihräuchernd, oberflächlich, fernab der Alltagsprobleme und ohne politische Visionen.

(Beifall bei der NPD)

Für die FDP-Fraktion Herr Abg. Herbst, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dieser Rede bin ich heilfroh, dass Herr Gansel nicht an sächsischen Schulen unterrichtet. Das bleibt Gott sei Dank den sächsischen Schülern erspart.

(Jürgen Gansel, NPD: Sie bleiben den Schülern auch erspart!)

Ich möchte zunächst dem Sächsischen Bildungsinstitut für den umfassenden Bildungsbericht danken. Ich glaube, er ist eine sehr gute Grundlage, um über die Herausforderungen für die sächsische Bildungspolitik zu diskutieren.

(Beifall bei der FDP)

Ich hatte insgeheim gehofft, dass die Regierungserklärung an Qualität und Präzision des Bildungsberichtes anknüpft. Leider blieb diese Hoffnung unerfüllt. Der Staatsminister hat zwar lange geredet, aber wenig Konkretes und wenig Neues gesagt, meine Damen und Herren. Dabei würde uns schon einmal interessieren, welche konkreten Ziele die Staatsregierung verfolgt. Welche Zielmarke setzt sich zum Beispiel die Staatsregierung für die Senkung der Schulabbrecherquote und bis wann soll die Senkung erfolgen? Wie und wann sollen die 345 000 Ausfallstunden an Förder- und Berufsschulen verringert werden? Außer allgemeinen Absichtsbekundungen und dem Stichwort Lerncamp habe ich dazu vom Staatsminister nichts gehört.

Ich darf aus der Regierungserklärung zitieren: „Erklärtes Ziel der Regierung ist die weitere Verringerung der Zahl der Schüler ohne Abschluss.“

(Thomas Colditz, CDU: Das ist doch schon was!)

Mutige Worte, meine Damen und Herren, die kann jeder hier unterschreiben. Aber in einer Regierungserklärung hätten mehr Details stehen müssen.

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion)

Wer sich keine konkreten Ziele setzt, dem fehlt auch der Mut, sich an den Ergebnissen messen zu lassen.

Wir vermissen in der Regierungserklärung, aber auch im Handeln der Staatsregierung, zwei Dinge: Mut und Gestaltungskraft. Wir vermissen den Mut, sich von veralteten Ideologien wie dem Festhalten an der frühzeitigen Schülerauslese zu lösen. Wir vermissen den Mut, die Schulen vom bürokratischen Gängelband des Kultusministeriums zu befreien. Wir vermissen den Mut, in der

Bildungspolitik umzusteuern vom Reparieren zum Investieren. Deshalb reicht uns ein „Weiter so!“ nicht aus.

(Beifall bei der FDP)

Ja, Sachsen ist, was die Bildungsqualität betrifft, besser als die meisten Bundesländer.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung – Abg. Thomas Colditz, CDU: Genau!)

Das erfüllt uns auch mit Stolz, Herr Colditz.

Ich möchte ausdrücklich die Lehrerinnen und Lehrer loben. Sie haben in den vergangenen Jahren unter sehr schwierigen Bedingungen Großartiges geleistet. Das ist, glaube ich, der Hauptgrund dafür, dass wir heute besser als andere dastehen.

Ich sage aber auch, dass es Grenzen gibt. Diese merken die Lehrer in ihrer alltäglichen Arbeit, denn die Baustellen in der sächsischen Bildungspolitik sind wahrlich nicht zu übersehen. Über 8 % unserer Schüler verlassen nach wie vor die Schule ohne Abschluss. Bis zu 25 % der Schüler werden von Experten entweder als ausbildungsunfähig oder als teilweise ausbildungsunfähig eingestuft. Die Zahlen stellen uns nicht zufrieden. Sie sind überhaupt kein Grund, sich auf die Schultern zu klopfen und im Ehrgeiz nachzulassen.

(Beifall bei der FDP – Thomas Colditz, CDU: Machen wir auch nicht!)

Wir brauchen den Mut und die Kraft, in der Schulpolitik neue Wege zu gehen. Dazu gehört, die frühzeitige Schülerauslese nach Klasse 4 zu beenden. Wer das Potenzial eines Kindes im Alter von zehn Jahren abschließend beurteilen will, der liegt ganz einfach falsch.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Wer dazu noch die Bildungsempfehlung für den Übergang aufs Gymnasium aufweicht, der setzt auf einen Fehler einen weiteren, und beides muss aus unserer Sicht korrigiert werden.

Der Kultusminister sprach in seiner Erklärung von den Mittelschulen als Herzstück des sächsischen Schulsystems. Wenn ich einmal in diesem sprachlichen Bild bleiben darf: Mit der überstürzten Aufweichung der Bildungsempfehlung hat die Regierung zumindest eine Herzrhythmusstörung verursacht.

(Beifall bei der FDP)

Deren Folgewirkung auf den Gesamtorganismus können wir sehen: Den Mittelschulen kommen die Leistungsspitzen abhanden und es gibt mehr Schüler mit gebrochenen Bildungsbiografien.

(Martin Dulig, SPD, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

In Richtung Regierung kann ich nur sagen: Manche Operation am offenen Herzen sollte man sich vorher gründlich überlegen.

(Beifall bei der FDP)

Bitte, Herr Dulig.

Bei vielen Dingen konnte ich ja innerlich Beifall zollen, aber ich bin auf einen Widerspruch gestoßen, zu dem ich fragen möchte: Wenn mit zehn Jahren noch nicht abschließend zu erkennen ist, wie der Bildungsweg zu beschreiben ist, warum ist er es dann mit einem Notendurchschnitt von 2,0 oder 2,5?

Man kann ja nicht nur innerlich, sondern bei richtigen Aussagen auch mal richtig Beifall klatschen, lieber Martin Dulig.

(Holger Zastrow, FDP: Nur Mut!)

Da fehlt auch etwas Mut, ja. – Im Übrigen sind wir für längeres gemeinsames Lernen, aber die Entscheidung des Aufweichens der Bildungsempfehlung im bestehenden gegliederten Schulsystem – und darüber reden wir im Moment noch – hat die SPD mitgetragen, wenn ich mich richtig erinnere. Sie haben in der Koalition die Entscheidung getroffen und da dürfen Sie sich hinterher nicht beschweren, wenn die Auswirkungen so sind, wie Experten vorhergesagt haben.

(Martin Dulig, SPD: Ich würde gern die Frage beantwortet haben!)

Die habe ich Ihnen beantwortet.

Was wir in der Debatte von CDU, aber auch den Linken gehört haben, ist typisch.

(Thomas Colditz, CDU: Was?)

Für die CDU kommt das längere gemeinsame Lernen kurz vor dem Weltuntergang,

(Thomas Colditz, CDU: Genau!)

für die Linken ist es natürlich die Eier legende Wollmilchsau. Ich denke, bei beiden Positionen bleiben Pragmatismus und gesunder Menschenverstand auf der Strecke.

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion)