Protokoll der Sitzung vom 13.11.2008

Unseren Antrag zum Verbot von GVO in Naturschutzgebieten hat die Koalition bereits im März 2007 abgelehnt. So antwortete die Staatsregierung auf unsere Große Anfrage, dass im ehemaligen Landkreis Delitzsch auf zwei Flächen in FFH- und SPA-Gebieten gentechnisch veränderter Mais kultiviert wird. Ferner wurden wir darüber informiert, dass im Naturpark Dübener Heide auf neun Flächen gentechnisch veränderte Organismen zum Einsatz kommen. Die Antwort auf die Große Anfrage verrät aber noch mehr. Es ist zu erfahren, dass in den Altkreisen Delitzsch, Torgau-Oschatz, Riesa-Großenhain, Kamenz, Meißen und Dresden auf insgesamt 23 Flächen gentechnisch veränderte Organismen in einem Abstand von weniger als 1 000 Metern zu europäischen Schutzgebieten, also FFH- und SPA-Gebieten, angebaut werden.

Dabei hat eine Studie des Landesumweltamtes Brandenburg vom letzten Jahr sehr deutlich den Austrag von Genmaispollen in benachbarte Lebensräume nachgewiesen. Noch in 120 Metern vom Genfeld entfernt fanden die Forscher die unvorstellbare Zahl von 99 000 Maispollen pro Quadratmeter. Die Gefährdung von Käfern und Schmetterlingen durch das Genmaisgift ist damit nicht ausgeschlossen, sondern geradezu zu erwarten.

Der Bundesverband des NABU fordert seitdem und zu Recht – wir schließen uns dem an – einen Schutzabstand von mindestens 1 000 Metern zwischen Naturschutzgebieten und Genfeldern. In Brandenburg reagiert der Staat auf solche Erkenntnisse. Das Ministerium für ländliche Entwicklung schreibt per Runderlass von Ende März 2008 einen Abstand von 800 Metern zwischen Naturschutzgebieten und Genfeldern vor. Vollkommen anders lautet die Antwort der Sächsischen Staatsregierung. Entsprechend dem Grundsatz „nichts hören und nichts sehen“ lässt sie wissen, nur die Kurzfassung der Studie zu kennen, obwohl die vollständige Version sehr einfach über das Internet abrufbar ist. Aber das wollen Sie ja gar nicht. Sie wollen sich gar nicht kundig machen, denn ihre Landwirtschaftsverwaltung empfiehlt den Bauern geradewegs den Einsatz der verwerflichen Agrogentechnik.

Unsere Forderung ist klar: Wir wollen ein generelles Verbot von GVO. Wir wollen insbesondere ein GVOVerbot in Schutzgebieten, also in FFH- und SPAGebieten. Selbst Anhänger der Agrogentechnik müssten sich eigentlich auf diese Forderung verständigen können, wenn sie es denn ernst meinten mit dem Grundsatz der Koexistenz zwischen konventioneller Landwirtschaft und Agrogentechnik, den Sie sonst so oft betonen.

In der Aussprache zur Großen Anfrage der Linksfraktion zu „Natura 2000“ im April dieses Jahres habe ich schon einmal dargestellt, dass mit vielen FFH-Gebieten im Freistaat Sachsen sehr stiefmütterlich umgegangen wird. Ich nenne nur einige Beispiele: Im Landkreis Nordsachsen nimmt der Grünlandumbruch mittlerweile skurrile Züge an. Mehrere hundert Hektar wurden in den letzten Monaten umgebrochen, auch im FFH-Gebiet Wölperner Torfwiesen – und das mit Unterstützung und unter Anleitung des ehemaligen Staatlichen Amtes für Landwirtschaft in Mockrena.

Ich spare mir, hier das Trauerspiel der „Richtlinie Natürliches Erbe“ anzusprechen.

(Kathrin Kagelmann, Linksfraktion: Das mache ich!)

Danke. – Weiter geht das Trauerspiel im Bereich „Natura 2000“ mit der fehlenden Förderung der Schutzgebietsbetreuung. Nachweislich gibt es Probleme in den Naturschutzgebieten Bockwitz, Eschefeld und Mittlere Mulde. Hier sind aufgrund der starken Frequentierung durch die Besucher infolge fehlender Kontrollen schon erste Verschlechterungen zu verzeichnen. Die ab 1. August Verantwortlichen der unteren Naturschutzbehörden wissen meistens nichts von ihrem Glück, dass sie jetzt für die Gebietsbetreuung zuständig sind. Entschädigt werden sollen die bisherigen Gebietsbetreuer über eine veraltete Richtlinie zur Förderung des Ehrenamtes mit inakzeptablen Entschädigungen.

Nach Aussagen im letzten Umweltausschuss soll es hierfür aber eine Lösung geben. Herr Minister, ich hoffe, dass Sie heute dem Haus mehr darüber berichten können.

Meine Damen und Herren! Der Naturschutz im Wald spielt noch immer fast keine Rolle. Ich möchte mich zumindest der Zielsetzung aus der nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt anschließen, nämlich 5 % des sächsischen Staatswaldes sollen aus Naturschutzgründen aus der Bewirtschaftung herausgenommen werden. Das kann aber nur ein erster Schritt sein. Wir schließen uns der Forderung des NABU an, 10 % der Waldfläche als „Urwälder von morgen“ ab dem Jahre 2020 aus der Bewirtschaftung herauszunehmen. Wenn wir das Ökosystem Wald als Hauptökosystem Mitteleuropas und Deutschlands mit seinen vielfältigen Leistungen für die Gesellschaft auch in Zeiten des Klimawandels erhalten wollen – das wird schwer genug –, dann müssen wir der Regenerationsfähigkeit und Stabilität des Waldes wesentlich mehr Raum verschaffen. Diese wird aber nicht durch Waldbau des Menschen, sondern durch Prozesse wie Naturverjüngung, Altern und Absterbenlassen von Bäumen erreicht. Dies schließt den Waldumbau und die Einbringung neuer genetischer Vielfalt bei einheimischen Baumarten nicht aus, da wir unsere naturfernen Forste überhaupt erst naturnäher gestalten müssen, um diese natürlichen Prozesse zu ermöglichen.

Ich zitiere wiederum eine Antwort aus unserer Großen Anfrage: Der Totholzanteil in sächsischen Wäldern liegt bei unglaublich niedrigen 3,5 Kubikmetern Totholz pro Hektar Wald. Das sind schlechte Zeiten für Spechte und Totholz bewohnende Käfer, von denen viele von der FFHRichtlinie geschützt sind.

(Volker Bandmann, CDU: Ich hatte letztens erst einen Specht in meinem Garten!)

Über die Hälfte der einheimischen Käfer sind an Totholz gebunden, Herr Bandmann. Das ist für Sie vielleicht eine neue Information, die Ihnen am heutigen Nachmittag zum Nachdenken und als Geleit dienen möge.

(Zuruf des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Das Nahziel sollte in einer Verdoppelung des Totholzanteils bestehen. Dabei ist uns klar: Es kommt nicht so sehr auf den Anteil, sondern auf den Umfang des Totholzes an. Die Frage der Habitat-Bäume spare ich mir aus Zeitgründen.

Ich wünsche mir, dass wir uns in Sachsen nicht nur zu einer naturgemäßen Waldwirtschaft im Staatswald und im Privatwald, sondern auch zu ausreichend großen Totalreservaten zur Begründung der Urwälder von morgen bekennen könnten. Wenn wir das einvernehmlich formulieren könnten, wäre das ein wirklicher Fortschritt.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke. – Das war die einreichende Fraktion. – Herr Prof. Mannsfeld, Sie sprechen dazu für die CDU-Fraktion; bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es bleibt anerken

nenswert, dass die einbringende Fraktion zum wiederholten Mal das Thema „Biodiversität und Artenschutz“ auf die Tagesordnung setzt. Sie scheint aber nicht erkannt zu haben, dass die im Verein mit parlamentarischen Initiativen anderer Fraktionen, namentlich der Koalitionsfraktionen, seit dem Frühjahr dieses Jahres fast monatlich durchgeführten Debatten zu diesem Thema nicht nur dem Anliegen immer weniger neue Impulse geben können, sondern durch die ausufernden Fragenkataloge, wie in der Drucksache 4/11590, auch kein Stück weiterhelfen.

(Beifall des Abg. Tino Günther, FDP)

Wenn man 203 Fragen stellt, um allein über den Umfang seine politische Wichtigkeit zu demonstrieren, dann muss das Ergebnis dürftig bleiben. Stellvertretend für zahlreiche Fragen in den 20 Sachkomplexen zitiere ich folgendes Beispiel aus der Rubrik IX, Ziffer 3: Frage der Fraktion der GRÜNEN: „Welche Bedeutung räumt der Freistaat dem Erhalt von Rohbodenstandorten, Magerrasen und Feuchtstandorten ein?“ Antwort der Staatsregierung: „Der Freistaat räumt dem Erhalt von Rohbodenstandorten, Magerrasen und Feuchtstandorten in der Bergbaufolgelandschaft hohe naturschutzfachliche Bedeutung ein.“

Was hat das Parlament, was hat die Öffentlichkeit für einen Gewinn von solchen törichten Fragen?

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Glauben die Vertreter der einbringenden Fraktion allen Ernstes, das zuständige Ministerium antwortet, es habe keine naturschutzfachliche Bedeutung? Da fast die Hälfte der Fragen diesem Schema folgt, ist die Antwort auf die Große Anfrage in weiten Teilen – ich will objektiv bleiben, weil es auch andere Fragen gibt – wegen absoluter Inhaltslosigkeit von Fragen und Antworten – wobei Letztere die Folge der Fragequalität sind – kein geeigneter Beitrag zur Qualifizierung des Themas, geschweige denn zur notwendigen Umsetzungsstrategie. Sie ist eher Teil einer Strategie, keine Sacherörterung zu wollen, sondern die Staatsverwaltung zu beschäftigen.

Ich hatte es schon angedeutet: Einen besseren Charakter haben zum Beispiel die Komplexe I bis VI.

Dort wird, bezogen auf 15 einzelne Arten und eine große Artengruppe, mit den Antworten ein objektives und zugleich bedenkliches Bild von aktuellen Artenschutzproblemen gezeichnet.

Um aus dieser Situation herauszukommen, bedarf es – das ist sicher unstrittig – weiterer erheblicher Anstrengungen. Ich kann mich nur auf einige Punkte konzentrieren:

Erstens. Die gesetzlich vorgeschriebene Schaffung eines Biotopverbundes muss mit wesentlich größerem Nachdruck vorangebracht werden.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Aha!)

Noch immer kennt das Parlament nicht den Stand der Umsetzung des Biotopverbundes, der mit drei regional verteilten Pilotprojekten beginnen sollte. Auch eine

aktuelle Kleine Anfrage des Abg. Lichdi beantwortet die drängenden Fragen nicht umfänglich.

Zweitens. Das im Mai 2008 von der Staatsregierung angekündigte Programm zur Erhaltung der biologischen Vielfalt im Freistaat ist tatsächlich dringend erforderlich. Staatsminister Wöller sagte im Rahmen der Debatte im Mai auf meine Bitte, eine zeitliche Eingrenzung für das Erscheinen vorzunehmen: „Ich gehe davon aus, dass wir dieses Programm Anfang kommenden Jahres vorlegen können. Das Programm wird zeigen, wie wir die nationale Strategie umsetzen werden.“ Ich gehe davon aus und hoffe sehr, dass der Staatsminister heute dazu einige Ausführungen machen wird.

(Johannes Lichdi, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Drittens müssen möglicherweise bestehende Förderprogramme zur Landschaftspflege und zum Naturschutz teilweise nachjustiert werden. Die Programme sind so beschaffen, dass die Flächenbewirtschafter sie vielfach aus finanziellen Gründen – ganz konkret: weil zu gering dotiert – nicht im erforderlichen Maße annehmen, sodass der Artenrückgang im landwirtschaftlich genutzten Offenland sich nicht so minimieren lässt, wie es notwendig wäre.

Herr Prof. Mannsfeld, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wenn es denn sein muss, bitte.

Herr Lichdi, bitte.

Vielen Dank, Herr Kollege Mannsfeld. – Wollen Sie mir gerade im Lichte Ihrer letzten Ausführungen zu den Erwartungen, die Sie an den Staatsminister formuliert haben, nicht doch zustimmen, dass die Debatte um die Ansetzung der Behandlung der Großen Anfrage auch von fachlichem und inhaltlichem Nutzen ist? Gerade im November, da nach meinem Kenntnisstand – –

Das war die Frage, Herr Lichdi!

Kollege Lichdi, die Antwort fällt mir leicht. Sie haben sich gerade mit Ihrem Kollegen Gerstenberg unterhalten, als ich meine Einleitungspassage vortrug. Darin sagte ich, es sei anerkennenswert, dass die einbringende Fraktion zum wiederholten Mal das Thema auf die Tagesordnung setzt. Man muss einschließen, dass man sich dann ein Stück weit kontrovers oder unterschiedlich damit auseinandersetzt. Wenn Sie das gern als Antwort gehabt hätten: Natürlich hat diese Große Anfrage ein Stück Berechtigung, aber Sie müssen sich auch die Kritik anhören über die Art, wie Sie sie abgefasst haben, und wie dadurch die Frage- und Antwortqualität zustande gekommen ist.

Drei Programmaspekte hatten wir beleuchtet. Punkt 4 meiner kurzen Anmerkung: In diesem Zusammenhang

haben die Managementpläne für die Natura-2000-Gebiete im Schwerpunkt der FFH-Gebiete einen hohen Stellenwert. Aufgrund der zahlreichen parlamentarischen Anträge in der letzten Zeit zu diesem Thema gab es immer wieder aktualisierte Meldungen zum Stand der Erarbeitung dieser Pläne. Die in der Antwort zur Großen Anfrage genannte Zahl bestätigter und in Bearbeitung befindlicher Pläne basiert auf den Erhebungen von Anfang April 2008. Sie ist inzwischen sicher nicht mehr aktuell; denn ich weiß, dass an der Abarbeitung der Managementpläne im SMUL intensiv und kompetent gearbeitet wird. Dabei möchte ich meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass das Ziel 2010 als Abschlusstermin dieser Planungen eingehalten werden kann, weil diese Fachgrundlage speziell für FFH- und SPA-Gebiete als Maßstab für die Nutzungsprozesse bei der Erhaltung der Arten wesentliche Bedeutung besitzt.

Fünftens. Ein weiterer Baustein zur Verbesserung des gegenwärtigen Zustandes bei der Artenerhaltung und der Bewahrung der Biodiversität ist die zum 2. Juli offiziell in Kraft getretene Ökokontoverordnung, in deren Schlepptau das Kompensationsflächenkataster wirksam wird. Mit der Lenkungsfunktion dieses naturschutzfachlichen Begleitinstrumentes wird es in der kommenden Zeit zunehmend gelingen, Erhaltungsmaßnahmen für bedrohte Arten umzusetzen.

Sechstens und letztens sollten wir nicht übersehen, dass bei der Frage nach den sächsischen Strategien zur Biodiversität sowohl die bestehenden speziellen Programme, wie für Fischotter, Weißstorch, Flussperlmuschel oder die Hilfsmaßnahmen für Birkhuhn und Dohle, als auch die aktuellen Naturschutzgroßprojekte wertvolle Beispiele für das gesamtstaatliche Handeln sind. Mit Blick auf die morgige Debatte zum Schutz der Vogelwelt im intensiv genutzten Offenland zeigt sich, dass wir auch neue und wirksame Programme benötigen.

Meine Damen und Herren! In einer Schlussfrage möchte die antragstellende Fraktion wissen, was die seit dem 1. August 2008 für den Naturschutz zuständigen Landkreise – der Antrag bezieht sich noch auf die früheren Verhältnisse, ich habe ihn jetzt in die Aktualität übersetzt – zum Schutz der Artenvielfalt tun, und erhält eine sehr aufschlussreiche Statistik. Für 15 Landkreise werden Maßnahmen genannt. Zum damaligen Zeitpunkt hatten wir aber 22 oder gar 23 Landkreise, sodass über sieben bis acht nichts ausgesagt werden kann. Ich erlaube mir, diesbezüglich an ein in diesem Jahr abgeschlossenes Forschungsprojekt vom Helmholtz-Umweltforschungszentrum zu erinnern, das vorschlägt, den Flächenanteil von Schutzgebieten an der jeweiligen LandkreisTerritorialfläche zukünftig beim kommunalen Finanzausgleich zu berücksichtigen. Das ist eine interessante Anregung.

Trotz der auf der Basis der Großen Anfrage möglichen Reflexion über den Zustand und die Zukunft der Biodiversität im Freistaat ist die Drucksache wegen der teilweise unüberschaubaren und etwas unsystematischen Fragen

fülle keine große Hilfe für das Thema. Durch ihre Überfrachtung und inhaltliche Zersplitterung vermag sie das Thema nicht in politisches Handeln zu transformieren.

Das Thema selbst, meine Damen und Herren, wird das Parlament auch in kommender Zeit weiterhin beschäftigen, denn die Erhaltung der Biodiversität ist ein Problem von kultureller Dimension in der Gesellschaft.

Danke schön.