Protokoll der Sitzung vom 14.11.2008

(Beifall bei der FDP)

Deshalb hielten wir den von der Staatsregierung mit großem Brimborium im Jahr 2003 eingeführten Paragrafenpranger ursprünglich für eine pfiffige und sinnvolle Idee der Geschichte. Bürger und Verwaltung machten sogar mit. 1 877 Vorschläge zur Abschaffung überflüssiger Gesetze und Rechtsverordnungen gingen ein.

(Unruhe im Saal)

Dann jedoch ging es sehr schnell bergab. Die Expertenkommission hielt aber wenigstens noch 400 dieser Vorschläge für befürwortenswert. Im Referentenentwurf der Staatsregierung vor zwei Jahren standen dann gerade noch 40 Vorschriften. Umgesetzt wurde bis heute kein einziger, wenn man davon absieht, dass es ein paar Miniänderungen in der Bauordnung und bei der Muster-, Kehr- und Überprüfungsordnung für Schornsteinfeger gegeben hat.

Am 13. Juni erklärte das SMI den Paragrafenpranger für gescheitert.

Bitte zum Schluss kommen.

Ja, Herr Präsident.

Am 8. September sagte unser neuer Ministerpräsident im ersten Überschwang: Nein, es wird weiter gearbeitet. Noch einen Monat später wurde der Paragrafenpranger dann aber endgültig für tot erklärt.

Meine Damen und Herren von CDU- und SPD-Fraktion! Wenn Sie eines ganz gewiss nicht können, dann ist es Bürokratieabbau!

Vielen Dank, meine Damen und Herren. – Mehr im zweiten Teil.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der CDU-Fraktion das Wort; Herr Schiemann, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viel Neues habe ich jetzt nicht erfahren, muss ich der FDP-Fraktion sagen. Wir hatten das Thema wiederholt auf dem Tisch. Mich hat es nicht vom Stuhl gerissen. Ich muss dazu sagen: Es sind nicht 2 000 Regelungen, die die Finanzverwaltung auf Bundesebene für sich in Anspruch nimmt, sondern es sind 17 000 Regelungen.

(Holger Zastrow, FDP: Steuerrecht!)

Das ist genau der Adressat, den wir uns letztendlich vornehmen müssen. Was das „Brimborium“ angeht: Wir haben dies hier lange genug ausdiskutiert. Die Vorschläge, die von Ihnen als beantragende Fraktion gemacht worden sind, gehen in der Qualität auch nicht über das hinaus, was bisher diskutiert worden ist. Dennoch bin ich sehr froh, Herr Fraktionsvorsitzender Zastrow, dass Sie es heute in Ihrer Rede vermieden haben, die Frösche im Freistaat Sachsen zu beschimpfen, wie es das letzte Mal Ihr Kollege in sehr schroffer Art und Weise getan hat. Deshalb kann ich dem etwas Positives abgewinnen.

Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass wir im Freistaat Sachsen sehr zeitig mit einer Selbstbindung des Gesetzgebers daran gearbeitet haben, möglichst wenige Gesetze auf den Weg zu bringen. Wir sind nach wie vor das Land, das mit zwei anderen deutschen Ländern die wenigsten Landesgesetze auf den Weg gebracht hat.

(Unruhe im Saal)

Das ist unser Beitrag dazu, dass es nicht zu einer Bürokratie kommt, die nicht mehr händelbar ist. Klar und deutlich sage ich, dass die CDU-Fraktion für die Reduzierung von Bürokratie als einer – ich betone – ständigen Herausforderung in jeder Legislaturperiode ist. Wir wollen dazu beitragen, dass sich Unternehmen und Verwaltungen, die sich um sächsische Bürger bemühen, auf ihre wesentlichen Aufgaben konzentrieren können. Bei allen Überlegungen muss die Sinnfälligkeit an erster Stelle stehen.

Populismus hilft weder Unternehmen noch den Verwaltungen. Wer sich aber nur ums Waschverbot, das Reiten und die Bestattung kümmert, muss sich fragen lassen, ob diese Provinzposse einen Platz im Parlament finden darf. Die CDU-Fraktion hat sich stets für die Reduzierung überflüssiger und unnötiger Verwaltungsvorschriften eingesetzt. Bisher hat die Staatsregierung die Zahl der Verwaltungsvorschriften im Freistaat Sachsen von 4 000 auf 2 000 reduziert. Damit wurde die Zahl halbiert. Welch mutiger Schritt! Ich glaube, es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das ist ein Ansatz, der weiter verfolgt werden muss. Es ist zu begrüßen, dass Ministerpräsident Stanislaw Tillich angekündigt hat, die Verringerung von Bürokratie als Schwerpunkt des täglichen Regierungshandelns zu betrachten.

Wir wollen eine rechtskonforme Vereinfachung von Förderanträgen.

Darf ich um Aufmerksamkeit bitten.

Die Antragsteller wollen den Aufwand reduzieren. Dies trifft für Förderrichtlinien und Vorschriften im Förderbereich zu. Aber es geht nur mit einer rechtskonformen Vereinfachung.

(Beifall des Abg. Volker Schimpff, CDU)

Die Staatsregierung soll prüfen, ob die Berichtspflichten, die statistischen Erhebungen für kleine und mittelständische Unternehmen weiter reduziert werden können. Doppelerhebungen sollen auf jeden Fall vermieden werden.

Auch das aktuelle Verwaltungshandeln muss sich dieser Aufgabe stellen. Die weitere Technisierung von Verwaltungsabläufen muss vor Einführung neuer Computerprogramme kritisch bewertet werden. Aktuelle Gutachten der Wirtschaft belegen, dass nicht allein durch gesetzlich formulierte Informations- und Berichtspflichten eine Belastung entsteht. Vielmehr sind es aufwendige Prozesse zur Informationsgewinnung, Archivierung und der umfassenden Dokumentation, die zu einer Belastung von Verwaltung und Unternehmen führen.

Die Koalition wird diese Schritte aktiv begleiten. Wir wollen, dass Bürger, Unternehmen und Verwaltung weiter entlastet werden. Sachsen muss als moderner Staat mit Tradition, mit dem Blick auf den kulturellen Schatz, der von unseren Vorfahren geschaffen worden ist, mit einer starken Verwaltung und modernen Unternehmen die Zukunft gestalten. Der Freistaat muss den Weg zur Zukunftsregion in der Mitte Europas weiter ausbauen. Dazu brauchen die Sachsen und ihre Unternehmen Rechtssicherheit, schnelle Verwaltungsentscheidungen, ein gutes Investitionsklima und die nötigen Veränderungen für diesen Marathonlauf auch für die Zukunft.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und des Staatsministers Thomas Jurk)

Ich erteile der Linksfraktion das Wort; Herr Bartl, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sehen die Sache ein wenig lockerer als die FDP-Fraktion. Der sogenannte Paragrafenpranger hat das verdiente Ende genommen, das ihm schon nach der Wortwahl dieses von vornherein populistischen Geschäfts zu wünschen war. Erkundigt man sich im Internet, findet man zum Begriff des Prangers die historische Verweisung auf seine Kreation im Mittelalter und der frühen Neuzeit. Angewandt wurde er als Instrument der Strafgerichtsbarkeit, auch unter ambivalenter Verwendung des Begriffs. Er bezeichnet sowohl die Art und den Ort des Strafvollzugs als auch die zum Anprangern verwendeten Hilfsmittel, etwa den Schandblock oder den Schandpfahl.

Grundlage jedes Prangers war die öffentliche Zurschaustellung der seinerzeit meist gefesselten Delinquenten, um sie auf diese Weise dem Hohn und Spott ihrer Mitmen

schen auszusetzen. Da es dabei den Betroffenen an die Ehre ging, gehörte das Anprangern zu den sogenannten Ehrenstrafen.

Welche Anwandlungen von Selbstkritik und Selbstkasteiung seinerzeit die Staatsregierung überkam, als sie im Februar 2003 per Kabinettsbeschluss die Aktion Paragrafenpranger ins Leben rief, mögen Chronisten oder Psychologen erforschen. In Nachempfindung der maßgeblichen Funktion des historischen Prangers nämlich sollte offensichtlich dem Publikum, zum Beispiel dem Mittelstand – das hat Kollege Zastrow hier dargelegt –, die Möglichkeit zur kanalisierten Entladung aufgestauter Aggressionen und Frustrationen gegeben werden. – So steht es auch im Internet.

Oder wie es weiter im Internet heißt: „Der Pranger gab in einem ansonsten restriktiven System Gelegenheit zu temporärer Volksherrschaft.“

Das Kabinett hat die Kreation erfunden. Es hat den Bürgern, Unternehmen, Verbänden, Vereinen angeboten, Vorschläge zur Abschaffung und Vereinfachung sächsischer Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften zu unterbreiten. Nur um diese konnte es ja gehen; bei Bundesvorschriften war es wegen der Zuständigkeit schwieriger. Die Aktion wurde bis ins Kleinste öffentlich bekannt gemacht. Alle seinerzeit 555 registrierten Verbände und Vereine im Freistaat Sachsen wurden angeschrieben und aufgefordert, entsprechende Vorschläge zu unterbreiten.

Zur Wahrnahme der „temporären Volksherrschaft“ meldeten sich immerhin Bürger und Verbände mit rund 1 900 Vorschlägen, sodass die Staatsregierung in bester Tradition diesbezüglicher Gepflogenheiten des Bürokratiemechanismus im deutschen Sozialismus der DDR – darin hat Kollege Zastrow völlig recht – eine Kommission für Vorschriftenabbau eingerichtet hat. Wir hatten zu DDR-Zeiten für alles eine Kommission. Die Staatsregierung hat eine Kommission für Vorschriftenabbau eingerichtet.

Immerhin gehörten dem erlauchten Gremium neben dem Staatsministerium der Justiz, das den Vorsitz führte, das Staatsministerium des Innern, das der Finanzen sowie die Staatskanzlei an. Die Euphorie war groß. Selbst der Sachsen-Schorsch ließ sich in seinem Interview für das „Hamburger Abendblatt“ am 15.12.2003 mit der Anmoderation feiern: „In Sachsen wird der Vorschriftendschungel seit einiger Zeit konsequent gerodet und für Paragrafen wurde ein Pranger eingerichtet. Jeder Bürger darf daran seiner Meinung nach unsinnige Vorschriften ketten. Eine Kommission prüft dann, ob sie tatsächlich überflüssig sind. Angeführt wird das Rodungskommando vom Ministerpräsidenten Georg Milbradt, CDU.“

Es ist bekannt, dass sich Georg Milbradt im Weiteren dann der Rodung anderer Institutionen mit größerer Hingabe zuwandte, zum Beispiel der Sächsischen Landesbank. Aber das letztendliche Scheitern der Aktion nur einem Ein-Mann-Versagen zuzuschreiben, wäre wohl zu einfach. Denn noch zu Beginn der 4. Wahlperiode fanden

andere bedeutende Wortführer Wertungen für die Wichtigkeit dieser Aktion.

So las ich in einer gemeinsamen Pressemitteilung von Enrico Bräunig, SPD, und Peter Schowtka, CDU, in deren Eigenschaft als rechtspolitischer bzw. kommunalpolitischer Sprecher wörtlich am 07.04.2006: „Mit der konsequenten Fortführung des Paragrafenprangers und der im Koalitionsvertrag vereinbarten Fortführung der Verwaltungs- und Funktionalreform hat die Koalition bereits die deutlich schärferen Waffen im Kampf gegen überflüssige Bürokratie gezückt.“

(Lachen des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Das war gewissermaßen die Konterpropaganda gegen den seinerzeitigen Antrag der FDP auf Einführung eines Bürokratiekosten-TÜV.

(Holger Zastrow, FDP: Ja!)

Dieser wurde energisch zurückgewiesen. Schowtka damals: Nach ihren Informationen plant die Staatsregierung bereits – Zitat – „die Erprobung eines geeigneten Bürokratiekostenmessverfahrens

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Echt?)

anhand eines Modellprojekts“. Wir waren damals gespannt, wo überall die Blitzer stehen.

Anfang Oktober 2008 vermelden dann die Medien mit sanften Worten, dass die Sache abmoderiert wird, dass die Staatsregierung in einem der wichtigsten Reformprojekte – so Gunnar Saft in der „SZ“ der vergangenen Jahre – die Notbremse gezogen hat und die Aktion beendet.

Am Pranger verhungert: die vielen Vorschläge von Autowaschanlagen über Videotheken am Sonntag, die Lockerungen beim Bestattungsrecht oder eben auch die Möglichkeit des Baumfällens im eigenen Garten und dergleichen mehr. Außer Spesen wieder mal nichts gewesen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion, der FDP und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Ich erteile der SPD das Wort. Herr Bräunig, Sie können jetzt kontern.