Protokoll der Sitzung vom 11.12.2008

Frau Werner hat eben gesagt, dass die Idee nicht neu ist, sondern von Herrn Pinkwart und aus Nordrhein-Westfalen stammt. Doch dort herrschen prinzipiell andere Zustände, denn Herr Pinkwart hat festgestellt, dass mit der Einführung von Studiengebühren die Studierneigung der Abiturienten in Nordrhein-Westfalen abnimmt. Dann hatte er die glorreiche Idee, das Stipendiensystem neu zu ordnen und zu sagen: Wir wollen jetzt dieses leistungsabhängige Stipendium. Das soll nun die Lösung aller Probleme sein.

Ich denke nicht, dass das der richtige Weg ist. Wir haben ja im Hochschulgesetz – und das müsste Ihnen eigentlich in Erinnerung sein – die Studiengebührenfreiheit festge

schrieben. Das, denke ich, ist schon eher der Weg. Was macht es für einen Sinn, ein Stipendiensystem mit 300 Euro ins Leben zu rufen und auf der anderen Seite Studiengebühren in Höhe von 500 Euro zu fordern? Das aber macht Ihre Fraktion.

Ich möchte das ergänzen, was Herr Dr. Schmalfuß hier erwähnt hat. Er hat die Entwicklung, die er in NordrheinWestfalen bemerkt hat, auf Sachsen transferiert und gesagt, dass alles ganz schlimm wäre und wir bei den Studienanfängerzahlen das Schlusslicht wären.

Meine Kleine Anfrage vom 02.12.2008 ist Ihnen sicher auch aufgefallen. Mit ihr habe ich, Bezug nehmend auf eine Abiturientenbefragung in Sachsen, wissen wollen, wie sich Studiengebühren auf die Studierneigung auswirken. Die Antwort macht deutlich, dass Studiengebühren auf 39 % der Schüler in Sachsen einen großen negativen Einfluss auf ihre Studierneigung haben würden. 25 % sehen immerhin noch eine gewisse Beeinflussung. Das macht deutlich, dass wir mit der Studiengebührenfreiheit, die wir im Hochschulgesetz festgeschrieben haben, dem entgegenwirken und auf dem richtigen Weg sind.

Ich bezweifle daher sehr, dass die Kombination von Studiengebühren mit einem leistungsfördernden Stipendiensystem unsere Hochschulen attraktiver macht und die unbedingt notwendige Erhöhung der Studienanfängerzahlen gewährleistet oder sogar, Herr Dr. Schmalfuß, wie Sie es dargelegt haben, die Abbrecherquote vermindert. Diesen Zusammenhang müssen Sie uns dann vielleicht noch einmal erläutern. Der ist mir nicht ganz aufgegangen.

(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Ich denke, dass das Gegenteil der Fall ist. Gerade die jungen Menschen aus sozial schwächeren und damit zumeist bildungsferneren Haushalten, die verstärkt für ein Studium gewonnen werden müssen, werden durch Ihr System zusätzlich benachteiligt. Sie haben das auch schon angedeutet. Diese Art von Stipendien wird auf das BAföG angerechnet. Das beziehen aber immerhin über 40 % der sächsischen Studierenden. In der Antwort auf meine Kleine Anfrage hat man sogar festgestellt, dass 50 % der Abiturienten, die sich zukünftig für ein Studium entscheiden, auf BAföG angewiesen sein werden.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin!

Frau Dr. Raatz, stimmen Sie mir zu, dass ich in meinem Redebeitrag gesagt habe, dass das Stipendium, das durch das landesweite Stipendiensystem gewährt wird, nicht auf das BAföG angerechnet werden soll und wir deshalb eine

Änderung der derzeitigen gesetzlichen BAföGRegelungen benötigen?

Sie haben angedeutet, dass die Art des Stipendiums, das Sie wollen, auf das BAföG angerechnet werden würde, und wenn es Sinn machen sollte, Sie alle möglichen Regelungen treffen müssten. Das stimmt. Das haben Sie hier deutlich gemacht. Aber keiner weiß, wer diese Regelungen in welcher Art und Weise demnächst hier beschließen soll.

Ich stellte gerade dar, dass der Weg der SPD-Fraktion eher der ist, an der Studiengebührenfreiheit in Sachsen, die wir gerade ins Gesetz geschrieben haben, festzuhalten.

Gestatten Sie noch eine Nachfrage?

Stimmen Sie mir zu, dass das Thema der heutigen Debatte nicht die Einführung von Studiengebühren ist, sondern dass es darum geht, ob man ein Landesstipendiensystem in Sachsen auf den Weg bringt?

Da stimme ich Ihnen nicht zu. Für mich ist das eine Debatte, die durch das Hintertürchen vielleicht doch die Studiengebühreneinführung in Sachsen bringen soll.

Sie haben in Ihrem Antrag dargelegt, dass Sie gern die Wirtschaft mit ins Boot holen wollen. Herr Dr. Schmalfuß, Sie sind ja auch ein großer Verfechter des Industriemuseums in Chemnitz und der Ausfinanzierung dieses Museums, in die auch die Unternehmen einbezogen werden sollen. Ich frage Sie: Wer beteiligt sich daran? Wir haben die sächsische Wirtschaft gefragt, ob sie sich an dem wichtigen Thema „Darstellung der Industriekultur in Sachsen“ beteiligt. Da war der Wille sehr gering. Ich frage Sie deshalb, woher Sie die zahlungswilligen Unternehmen bekommen wollen, die zum Beispiel auch Studenten aus geisteswissenschaftlichen Bereichen unterstützen. Das können Sie uns hier vielleicht beantworten.

Wenn wir junge Menschen bewegen wollen, ein Studium aufzunehmen, dann müssen wir die Rahmenbedingungen so gestalten, dass für jeden, der dafür die Voraussetzungen hat, und zwar – auch Frau Werner hat darauf hingewiesen – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern, Bildung und eben auch ein Studium möglich ist. Dazu zählen – ich will es gern wiederholen – für uns die Studiengebührenfreiheit, starke Studentenwerke und eben auch ein passfähiges BAföG.

Ich denke, wir sollten uns eher auf das BAföG konzentrieren und überlegen, ob das ausbaufähig und vielleicht auch in Ihre Richtung entwicklungsfähig ist. Für die SPD ist und bleibt das BAföG das zentrale Instrument, um im Bildungssystem Chancengleichheit herzustellen.

Ich habe bereits vorgestern in meiner Haushaltsrede erwähnt, dass die SPD auf Bundesebene nicht locker gelassen hat, bis das BAföG ab diesem Wintersemester

endlich um 10 % erhöht wurde. Das ist, das wissen wir, aber nur ein Schritt auf einem längeren Weg.

Es geht zukünftig vor allem darum, die Zahl der Hochschulzugangsberechtigten zu erhöhen. Für uns heißt das beispielsweise, dass Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Familien auf dem Weg zum Abitur ab der 11. Klasse finanziell unterstützt werden sollen. Mittelfristig streben wir an, das Schüler-BAföG zu stärken. Auch die Altersgrenze für den Erhalt des BAföG muss nach oben korrigiert werden. Sie liegt derzeit bei 30 Jahren. Wir sollten beim BAföG den Weg dafür öffnen, dass auch zu einem späteren Zeitpunkt im Leben ein Studium aufgenommen werden kann.

Wir müssen die Hochschulen auch für Fachkräfte ohne Abitur öffnen. Wir brauchen ein wesentlich durchlässigeres Bildungssystem. Es ist nicht einzusehen, warum wir Leistungs- und Begabungspotenziale beruflich erfolgreicher Frauen und Männer in Zukunft ungenutzt lassen sollten. Den ersten Schritt haben wir mit der Novellierung des Hochschulgesetzes bereits getan. Ein erfolgreicher Meisterabschluss qualifiziert zum Studium.

Wenn wir also an Unterstützungsmöglichkeiten denken, um mehr Sachsen für ein Studium zu begeistern, dann sollten wir – das ist meine Meinung – wirklich an die Erweiterung des BAföG denken und das auch veranlassen. Diese Erweiterung sollte die Chance für Studierwillige aus einkommensschwachen Familien erhöhen, zum einen überhaupt zu studieren und zum anderen nicht aus Kostengründen ein Studium abbrechen zu müssen. Diese Erweiterung sollte auch die Stärkung der Motivation bestimmter Studiengruppen für das Studium und darüber hinaus für bestimmte Fächer – ich erinnere hier nur an den Slogan „Mehr Frauen in die Naturwissenschaften!“ – zum Ziel haben.

Alles in allem werden wir Ihrem Antrag also nicht zustimmen. Ich möchte Sie eher dafür gewinnen, zukünftig an der Studiengebührenfreiheit festzuhalten.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Danke schön. – Es folgt die NPD-Fraktion; Herr Gansel, bitte.

Herr Präsident! Auch die NPDFraktion wird diesen Antrag aus sozialpolitischen und hochschulpolitischen Gründen ablehnen. Ansonsten gebe ich meine Rede aber zu Protokoll.

(Angelika Pfeiffer, CDU: Das ist aber schön!)

Das ging schnell. – Die GRÜNEN; Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines muss ich der FDP zugestehen: Ihr Antrag zum Aufbau

eines Stipendiensystems passt sehr gut zur weihnachtlichen Stimmung

(Heiterkeit der Staatsministerin Dr. Eva-Maria Stange)

und in die Zeit der milden Gaben und Geschenke, die sich bereits in der Haushaltsdebatte breitgemacht hatte. Vielleicht ist das auch der eigentliche Grund für die Eilbehandlung, die er hier erfährt.

Freilich ist weder die Forderung nach einem Stipendiensystem noch die nach ausreichender Stipendienhöhe wirklich neu. Schon Martin Luther klagte: „Gott ist des Armen Vormund. Das weiß ich aus sicherer Erfahrung, der ich viel mehr verbrauche, als was ich von meinem Stipendium habe.“ Nun ist Luther sicherlich – außer vielleicht für die Katholiken unter uns – ein Erfolgsbeispiel des Stipendiensystems. Gleichwohl zeigt sein Beispiel auch: Stipendien sind bereits ein alter Hut. Das Prinzip ist erhalten geblieben. An die Stelle religiöser Erleuchtung und göttlichen Trostes ist in modernen Zeiten lediglich die liberale Leistungsethik getreten.

Nun ist gegen Stipendien an und für sich nichts zu sagen. Die verschiedenen Stipendienstifter machen sich verdient – und die Stipendiaten haben es sich verdient. Beide vereint allerdings wesentlich mehr als die zeitlich begrenzte Fördersumme. Stipendienprogramme sind in aller Regel verbunden mit einer intensiven, wertorientierten Bindung, angefangen von der Auswahl bis hin zu Stipendiatenseminaren und -netzwerken. Diese besondere Stärke macht zugleich deutlich: Stipendien sind die Ausnahme und nicht die Regel bei der Studien- und Promotionsfinanzierung. Gerade einmal 14 000 Studierende und 3 000 Promovenden werden derzeit durch die deutschen Begabtenförderwerke unterstützt. Heruntergerechnet auf Sachsen sprechen wir hier von Geförderten im Hunderterbereich. Das zeigt die Dimension, über die wir sprechen.

Gleichwohl halten wir die gezielte Vergabe von Stipendien für sinnvoll und notwendig. Das zeigt allein unser im Wissenschaftsausschuss eingebrachter Haushaltsantrag zur Erhöhung der sächsischen Graduiertenförderung.

Was will nun aber die FDP mit ihrem Antrag? Sie will ein leistungsorientiertes sächsisches Stipendiensystem aufbauen, das mittelfristig 10 % der Studierenden erreicht, sprich: über 10 000 Studierende. Das ist also mehr als eine Verzehnfachung der derzeitigen Förderzahlen. Dahinter steht ein finanzieller Aufwand von – Herr Prof. Mannsfeld, ich danke Ihnen; wir haben auch gerechnet, denn diese Zahl war nicht zu finden – 38 Millionen Euro jährlich, der von Bund, Freistaat und Privatwirtschaft getragen werden soll, ohne dass klar wäre, wer welche Anteile übernimmt. Woher das staatliche Geld kommen soll, sagt der Antrag selbstverständlich auch nicht. Vielleicht haben Sie deshalb bei der Haushaltsdebatte auf einen Änderungsantrag verzichtet. Wir halten fest: Hier steht das Problem Nummer eins: die Finanzierung.

Die Stipendien sollen unabhängig vom BAföG rein leistungsorientiert gezahlt werden. Dabei wird unterschlagen, dass das BAföG schon jetzt eine Leistungskomponente enthält, weil die Zahlungen nur erfolgen, wenn innerhalb der Regelstudienzeit studiert wird. Angesichts der schwierigen Studienbedingungen ist das in jeglicher Hinsicht eine Leistung.

Darüber hinaus ist aber unklar, ob das angestrebte Stipendiensystem überhaupt in sinnvoller Weise fördert. Wenn das Stipendium zusätzlich zum BAföG gezahlt wird, dann verfehlt es den eigentlichen Stipendienzweck der Grundfinanzierung. Da idealerweise die besten 10 % der Studierenden gefördert werden sollen, trifft es mit hoher Wahrscheinlichkeit genau diejenigen, die ohnehin aus einem bildungsnahen Umfeld mit hohem Elterneinkommen stammen.

Meine Damen und Herren von der FDP, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: Das sind die Ergebnisse der Bildungsforschung. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden solche Stipendien diejenigen finanzieren, die es nicht unmittelbar brauchen. Wir sehen als Problem Nummer zwei eine drohende Fehlsteuerung.

Hinzu kommt ein weiterer Kritikpunkt: Die Stipendien sollen unter anderem durch die Wirtschaft finanziert werden. Im Gegenzug sollen sich die Stipendiaten nach ihrem Studienabschluss an die Unternehmen binden. Der Umkehrschluss lautet: Wer für Unternehmen nicht interessant ist, braucht sich für Stipendien à la FDP gar nicht erst zu bewerben. „Ökonomisch nutzlose“ Geisteswissenschaftler, „Orchideenfächler“ und andere fallen glatt durch den Rost. Effektiver kann man den ohnehin bestehenden Trend zur Vermarktlichung der Hochschulen nicht verschärfen. – Also, Problem Nummer drei: Ökonomisierung.

Folglich lautet unser Fazit: Das Stipendiensystem à la FDP hat keine seriöse Finanzierungsgrundlage. Es gibt, wem bereits gegeben wird, und es treibt die Ökonomisierung der Hochschulen voran. Das ist eine Bildungsfinanzierung, die wir nicht brauchen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Abschließend noch einige Worte zur grundsätzlichen Problematik. Herr Dr. Schmalfuß hat es bereits erwähnt: Natürlich ist dieser Antrag keine Idee der sächsischen FDP-Fraktion, sondern Teil eines bundesweit angelegten Stipendienkonzeptes, das der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Pinkwart verfolgt. Es ist Bestandteil einer Strategie der offenen Privatisierung der Studien- und Bildungsfinanzierung, die aus dem Dreiklang von Studiengebühren, Studienkrediten und Stipendien besteht und die tendenziell das BAföG überflüssig machen soll.

Anders als bei liberalen Vordenkern, wie einstmals Ralf Dahrendorf, geht diese Philosophie nicht von Bildung als Bürgerrecht aus,

(Dr. Andreas Schmalfuß, FDP: Doch!)