Dann stimmen wir über den Änderungsantrag der Koalition in der Drucksache 4/14147 ab. Das ist eine Neufassung des Änderungsantrages. Wer stimmt zu? – Wer stimmt nicht zu? – Wer enthält sich? – Bei wenigen Enthaltungen und ohne Gegenstimmen ist diese Neufassung angenommen. Somit ist der Originalantrag hinfällig und der Tagesordnungspunkt beendet.
Die Reihenfolge in der ersten Runde: Linksfraktion, GRÜNE und dann die gewohnte Reihenfolge. Die Linksfraktion beginnt. – Bitte schön, Herr Bartl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister Dr. Buttolo! Erinnern wir uns: Als wir am 13. Novem
ber 2008 den heute hier zur Behandlung stehenden Antrag als einen Dringlichen in den Geschäftsgang einbrachten, hatte tags zuvor, nämlich am 12. November 2008, der Bundestag das bis zuletzt wegen seiner weitreichenden Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger und wegen der Neuzuweisung der originär in
Landeshoheit stehenden Polizeiaufgaben auf das BKA höchst umstrittene Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, allgemein als BKA-Gesetz bezeichnet, verabschiedet. Der Gesetzentwurf stand bereits auf der Tagesordnung der für den 28. November 2008 anberaumten 851. Sitzung des Bundesrates. Bundesminister Schäuble machte Druck, dass die Länderkammer schleunigst ihre Zustimmung zu geben habe, damit das Gesetz zum 1. Januar 2009 in Kraft treten kann.
Am Freitag, dem 14. November 2008, beantragten wir zu Beginn der 124. Sitzung dieses Hohen Hauses, unseren Antrag für dringlich zu erklären und im Hinblick darauf, dass vor der Bundesratssitzung Ende November keine weitere Plenarsitzung stattfindet, die Einreichungsfrist nach § 111 Geschäftsordnung zu verkürzen. Das sollte gewährleisten, dass sich der Sächsische Landtag rechtzeitig eine eigene Meinung zu den Erwartungen betreffs des Stimmverhaltens der Sächsischen Staatsregierung zum neuen BKA-Gesetz bilden kann. Die Mehrheit der Koalitionsfraktionen hat die Dringlichkeit des Antrages bzw. die erbetene Fristverkürzung in der bekannten Ignoranz abgelehnt.
Tags darauf, am 15. November 2008, versammelte sich die sächsische SPD in Burgstädt zu einem Landesparteitag, welcher nach allem, was uns berichtet wird, einen von den Jusos eingebrachten Antrag – im Grundsatz gleich dem unseren –, das neue BKA-Gesetz im Bundesrat zu stoppen, die Zustimmung des Freistaates Sachsen zu diesem aus verfassungs- und rechtspolitischen Gründen unannehmbaren Gesetz zu versagen, mit Mehrheit annahm.
Wir werden ja nicht eingeladen, sonst hätten wir gern direkt teilgenommen. Aber ich werde dann bestimmt von Herrn Dulig oder Herrn Bräunig aufgeklärt. Da warte ich einfach einmal ab.
Dieser Parteitag der SPD in Burgstädt nimmt in großer Feierlaune den entsprechenden Juso-Antrag an, Sachsen möge im Bundesrat gegen den Gesetzentwurf stimmen.
Wie sich unsere verehrten Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Landtagsfraktion bzw. der jetzt nicht anwesende Herr Staatsminister Jurk auf diesem Parteitag artikuliert und im Stimmgang positioniert haben, wissen wir nicht. Vielleicht erfahren wir das heute auch.
Jedenfalls kam die sächsische SPD mit dieser durchaus beachtlichen Eigenständigkeit bundesweit in die Schlagzeilen. Wir neideten es Ihnen, Herr Kollege Dulig, und Ihrer Mannschaft nicht, dass Sie jetzt plötzlich zu den Verhinderern, zum Zünglein an der Waage der von Ihren eigenen Sicherheitspolitikern auf Bundesebene so beförderten Gesetzesregelung avancierten. Es gab eine Titelzeile in der „taz“: „Sachsens Jusos retten Bürgerrechte“. Die „Frankfurter Rundschau“ titelte: „Die sächsische SPD
Aber der aufrechte Gang dauerte eben nur eine Woche. Am 04.12.2008 titelte wiederum die „Frankfurter Rundschau“: „Kurzer Ausflug ins Land der Bürgerrechte“,
Keine zwei Wochen nach dem gefeierten Parteitagsbeschluss von Burgstädt erklärt Thomas Jurk als Chef der Sachsen-SPD in den „Dresdner Neuesten Nachrichten“ am 04.12.2008 unter der Überschrift „Jurk gibt Widerstand gegen das BKA-Gesetz auf“ wörtlich – das ist der Spruch des Monats –: „Mit der auf unsere Initiative hin erzielten Einigung bleiben die bürgerlichen Freiheitsrechte gewahrt.“
Herr Vizepremier, hier haben Sie sich auf ein Terrain vorgewagt, das offensichtlich nicht unbedingt das Ihre ist.
Die Frontalität des Unsinns dieser Aussage ist kaum zu übertreffen und wird Ihrer Partei noch allerhand Schaden zufügen.
Ganz gleich, wie man zu bestimmten Verfahrensweisen steht, mit denen das Gesetz zustande gekommen ist, und dazu, welche Rechtfertigung es geben mag – aber zu behaupten, dass mit der erzielten Einigung die bürgerlichen Freiheitsrechte gewahrt werden, ist wirklich um Kilometer neben der Spur.
Lediglich zwei von den dringend notwendigen Nachbesserungen kamen ins BKA-Gesetz hinein. Zwei Regelungen, in der Rechtfertigungsnot hoch gepriesen, wurden im Rahmen der sogenannten Verständigung der Koalitionsfraktionen – Bundesjustizministerin Zypries auf der einen und Bundesinnenminister Schäuble auf der anderen Seite – mit den Vertretern der Länder – wie es hieß – neu ausverhandelt. Erstens entfällt die Eilfallkompetenz des BKA-Präsidenten für die Anordnung der Onlinedurchsuchung.
Zweitens wird die Löschung von erhobenen Daten, die den Kernbereich der privaten Lebensführung betreffen, unter die Maßnahmenanordnung eines Gerichts gestellt.
Das sind die beiden einzigen Nachbesserungen, die im Wesentlichen erreicht worden sind. Daneben erfolgte
lediglich noch eine Klarstellung, was die Zuständigkeit des BKA zur Verhütung bestimmter schwerer Straftaten betrifft, nämlich, dass sie bei länderübergreifenden Gefahren, bei unklarer Länderzuständigkeit oder auf Bitten eines Landes gegeben ist. Das sind die drei einzigen Dinge, die zustande kamen.
Jetzt kommentiere ich einfach mit Heribert Prantl, Chef des Innenressorts der „Süddeutschen Zeitung“ und – wie Sie wissen – viele Jahre Oberstaatsanwalt und einer der größten Kenner der Auseinandersetzung zwischen Freiheitsrechten, Bürgerrechten auf der einen und Tendenzen zum Überwachungsstaat auf der anderen Seite. Er stellt in der „Süddeutschen Zeitung“ am 04.12.2008 fest – Zitat –: „Dieser Kompromiss ist kein Kompromiss, sondern ein Witz. Witze sollte man aber nicht machen, wenn es um die Balance von Freiheit und Sicherheit geht.“
Prantl räumt mit Ihren Legenden und Ihrem Rechtfertigungsgeschwätz gründlich auf, indem er feststellt: „Von den zwölf schweren Bedenken gegen das BKA-Gesetz“ – gemeint sind die, die in der Expertenanhörung im Bundestag vielfach artikuliert worden sind – „hat die BundLänder-Arbeitsgruppe angeblich drei, in Wahrheit ist es nur eines, ausgeräumt. Auch in Eilfällen soll nur der Richter die Onlinedurchsuchung genehmigen können. Das ist mehr als nichts,“ – so Prantl – „genügt aber hinten und vorn nicht. Die beiden anderen angeblichen Kompromisspunkte sind nur Varianten der bisherigen Unzulänglichkeit.“
Das sehen wir keinen Deut anders. Nichts ändert sich zum Ersten an der Tatsache, dass das BKA-Änderungsgesetz den ersten entscheidenden Pflock in die Bresche schlägt, die die Einführung der Ziffer 9a in den Artikel 73 des Grundgesetzes unter dem Vorwand der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus geschaffen hat. Das BKA wird damit endgültig zu einer Behörde ausgebaut, unter deren Dach sich die Kompetenzen von Geheimdiensten und Polizei vereinen. Geschaffen hat die Bresche die Föderalismusreform, in deren Zuge sich der Bund mit dieser Regelung nach Artikel 73 Abs. 1 Nr. 9a des Grundgesetzes die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zur Abwehr von Gefahren durch den internationalen Terrorismus durch das BKA zuordnen ließ. Das dürfte auch der endgültige Bruch mit dem Trennungsgebot am Ende eines langen Weges des Abschieds von einem der ehernsten sicherheits- und demokratiepolitischen Grundsätze dieser Bundesrepublik Deutschland gewesen sein.
Wolfgang Wieland aus der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat in der Gesetzesdebatte im Bundestag am 12. November 2008 völlig zutreffend erklärt – ich zitiere –: „Wir werden ein deutsches FBI bekommen und zugleich eine Polizei, die ihr eigener Geheimdienst ist. Zusätzlich entsteht durch die Überzent
ralisierung eine Art Monsterbehörde, ohne dass eine adäquate parlamentarische Kontrolle auch nur angedacht ist.“ Das ist das nächste Alleinstellungsmerkmal.
Man kann zum Verfassungsschutz stehen, wie man will, man kann zur Telefonüberwachung stehen, wie man will, dort haben wir aber wenigstens noch parlamentarische Gremien, die das kontrollieren.
Für das, was dem BKA an eigentlich originär geheimdienstlichen Aufgabenstellungen und Instrumentarien zugeordnet worden ist, gibt es nicht einmal ein parlamentarisches Kontrollgremium. Das ist noch nicht einmal angedacht, es ist nicht vorgesehen. Wie wollen Sie denn damit durch das Bundesverfassungsgericht kommen?
Zweitens. Die Gesetzesfassung operiert weithin mit dem Begriff „internationaler Terrorismus“ – der Begriff steht drin – als Generalschlüssel für Kompetenzen des BKA, ohne auch nur im Näheren den Versuch zu unternehmen, qua Legaldefinition vorzugeben, was nun eigentlich genau internationaler Terrorismus ist, was diesen Begriff bezeichnet. Ich muss doch „Diebstahl“ definieren, das tue ich ja. Ich muss „Raub“ definieren, das mache ich auch. Was ist denn internationaler Terrorismus? Das ist nirgendwo als Legaldefinition dargelegt. Solange aber nicht klar ist, was internationaler Terrorismus ist, können nach allen Prinzipien der Denklogik von vornherein nicht die Kompetenzen des BKA zum einen und der Länder, in deren Hoheit Polizeiaufgaben an sich stehen, zum anderen verlässlich voneinander abgegrenzt werden. Das kann ich doch überhaupt nicht, wenn ich nicht klipp und klar definiere: Das ist internationaler Terrorismus!
Der am 19. Dezember 2008 auch den Vertretern Sachsens im Bundesrat vorliegende Gesetzestext, der also dann zu beschließen sein wird, räumt dem Bundeskriminalamt ein umfassendes Spektrum geheimer Ermittlungsinstrumentarien ein, die samt und sonders in elementare Grundrechte betroffener Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Erlaubt soll es den BKA-Beamten sein, in Privatwohnungen einzudringen und heimlich Wanzen und Kameras anzubringen. Nach dem Großen Lauschangriff jetzt der große Spähangriff! Was man nicht darf, ist, Trojaner auf den Computer in der Wohnung aufzubringen. Das muss man über Leitungen machen. Aber zum großen Spähangriff darf das BKA in die Wohnung. Also, man muss sich das einmal überlegen: Der Lauschangriff war vor zehn Jahren noch nahezu undenkbar. Nun haben wir den großen Spähangriff qua Kamera in der Wohnung – und alles, ohne genau zu regeln, unter welchen Voraussetzungen das erlaubt sein soll.
Das ist nämlich der dritte verbleibende Grundmangel des Gesetzes. An vergleichbare Grundrechtseingriffe, also Online-Durchsuchungen, Lauschangriff, Spähangriff und Telefonüberwachung, sollen sehr unterschiedliche Voraussetzungen gestellt werden. Einmal muss eine „konkrete“, einmal eine „dringende“ Gefahr vorliegen. Einmal genügt als Eingriffsvoraussetzung die „Gefährdung von Sachen von besonderem Wert“. Bei einer anderen Attacke auf die Grundrechte wird der „Bestand des Staates“ als
Merkmal genommen und bei der nächsten „Grundlagen der Existenz des Menschen“ – was immer das in der Auslegung des Gesetzgebers auch ist. Was sind denn Grundlagen der Existenz des Menschen, wenn ich das als Kriterium für bestimmte Eingriffe in Grundrechte vorgebe? Das Gesetz ist auch handwerklicher Murks, das ist erkennbar.