Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Reformen auf dem Arbeitsmarkt entscheiden über den Erfolg der Agenda 2010. Das betrifft auch die Arbeitsmarktreform Hartz IV als einen Teil der Agenda 2010. Ich hatte manchmal den Eindruck, Sie von der PDS wissen gar nicht, wovon Sie sprechen.
Gerade hier ist es für eine Bilanz nach – ich betone das – zwei Monaten seit Einführung von Hartz IV zu früh. Die Staatsregierung engagiert sich in einem Landesbeirat und auch in der Monitoringgruppe beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit für eine erfolgreiche Umsetzung des SGB II. Wenn verlässliche Erfahrungen vorliegen, müssen daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen werden. Das werden wir tun. Darauf können Sie sich hier im Hohen Haus verlassen. Den Praxistest müssen auch die Gesetzesänderungen zur Flexibilität des Arbeitsmarktes bestehen, für deren Einführung sich vor allem die Union stark gemacht hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Positive Wirkungen werden von anderen Reformvorhaben ausgehen. Für die, die es vergessen haben: Die Agenda 2010 ist ein umfassendes Konzept, bei dem Arbeitsmarktreformen eben nur ein Element sind. Es sind vor allem höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung, welche die Zukunftsfähigkeit Deutschlands sichern müssen. Wir müssen mehr für die forschungsintensive Produktion tun. Im Vergleich zu anderen Ländern wurde allzu lange zu wenig für Bildung, Wissenschaft und Forschung ausgegeben. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und
Herren, legt die Agenda 2010 einen besonderen Schwerpunkt auf das Thema Bildung. In bundesweit zehntausend neuen Ganztagsschulen werden wir die Begabungen unserer Kinder individueller und intensiver fördern können. Unsere Kinder sind die Unternehmer und Beschäftigten von morgen. Dass wir auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern, sei hier nur erwähnt. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus Redezeitgründen komme ich zum Schluss. All die Reformen, die die Agenda 2010 verbindet, müssen ineinander greifen, wenn wir Arbeitslosigkeit und Wachstumsschwäche wirksam und nachhaltig bekämp
fen wollen. Sie müssen als Bündel von einzelnen Maßnahmen begriffen werden, die dazu beitragen werden, dass Deutschland wieder auf Wachstumskurs und zu mehr Beschäftigung kommt.
Meine Damen und Herren! Damit ist die 1. Aktuelle Debatte, beantragt von der Fraktion der PDS zum Thema „Zwei Jahre Agenda 2010 – Auswirkungen im Freistaat Sachsen“, beendet.
Zuerst wird die Fraktion der SPD sprechen, danach CDU, PDS, NPD, FDP, GRÜNE; Staatsregierung, wenn gewünscht. Die Debatte ist eröffnet. Herr Dulig, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Demokratie ist die lausigste Regierungsform, die es gibt, aber die beste, die ich kenne“ – so lautet eine Übersetzung des Zitats von Churchill, das wahrscheinlich das trifft, was viele mit Demokratie verbinden. Da sind Dinge, die kritisch zu sehen sind, es geht aber auch um die Alternativlosigkeit von Demokratie. Unsere Erfahrungen, 15 Jahre in Demokratie gelebt und vor 15 Jahren eine friedliche Revolution erlebt und gestaltet zu haben, zeigen, dass Demokratie kein Automatismus ist, dass der Wert von Demokratie nicht selbstverständlich implementiert ist. Es muss eine tägliche Aufgabe von uns sein, dafür zu sorgen, dass Demokratie als Wert anerkannt wird, dass Demokratie sich durchsetzt und lebendig ist.
Lebendige Demokratie ist nicht nur Parlamentarismus, sondern entsteht vor allem dort, wo Menschen sich engagieren, dort, wo sie sich in Vereinen und Verbänden beteiligen, dort, wo sie das Gefühl haben, am Ergebnis beteiligt zu sein und etwas konkret bewirken zu können. Das ist lebendige Demokratie. Demokratie ist stark, wenn Menschen so etwas erfahren können.
Wir haben das Problem, dass inzwischen rechtsextreme und rassistische Einstellungen in die Mitte der Gesellschaft gerückt sind, dass diese Einstellungen inzwischen fast normal sind. Das ist die eigentliche Gefahr, denn das löst den Kitt auf, der diese Gesellschaft zusammenhält. Rechtsextreme Einstellungen, wie die menschenverachtende Einteilung in lebenswertes und nicht lebenswertes Leben, wie Geschichtsrevisionismus, wie Autoritäts- und Führerprinzip, höhlen unsere demokratischen Prinzipien aus.
Ich selbst habe 1998 ein Projekt mit initiiert, mit dem wir in Schulen gehen und dort Projekttage durchführen. Wenn man mit den jungen Menschen redet, dann spürt man eine große Unwissenheit, da spürt man aber auch, was zu Hause am Abendbrottisch diskutiert wird. Das macht deutlich, dass das kein Jugendproblem ist und wir es darauf nicht reduzieren dürfen.
Wenn ich zum Beispiel gefragt habe, wie hoch der Ausländeranteil in Sachsen ist, dann lagen die Schätzungen in den Klassen zwischen 30 und 50 %. Das war keine Ausnahme.
Tatsächlich liegt der Ausländeranteil bei 2,8 %. Diese 2,8 % sind natürlich für alles verantwortlich. Die sind schuld an Arbeitslosigkeit und den Schwierigkeiten unseres Sozialsystem. Das ist die Wahrnehmung in den Schulen. Das heißt, wir haben die Verantwortung, mit unseren Kindern und Jugendlichen auch in solchen Projekten zu arbeiten. Wir wollen die Arbeit von Projekten und Initiativen unterstützen. Das wird der Schwerpunkt unseres Landesprogramms „Ein tolerantes und weltoffenes Sachsen“ sein.
Es geht um die Öffnung von Schulen, von Jugendeinrichtungen und Ausbildungsbetrieben, damit Vereine und Verbände dort wirken können. Schule selber muss natürlich aber auch stärker Verantwortung übernehmen. Schule darf nicht mehr der politikfreie Raum sein, wie es bisher war.
Wir müssen die politische Bildung stärken. Wir dürfen das hier nicht auf die Jugend reduzieren, sondern wir müssen sehen, wie wir auch mit Erwachsenen, wie wir mit Familien ins Gespräch kommen, wie wir mit ihnen über demokratische Werte diskutieren können. Das ist das beste Mittel, wenn wir nachhaltig eine demokratische Kulturarbeit machen. Wenn Demokratie erlebbar ist, dann ist sie stark, dann ist sie auch so stark, Dinge auszuhalten, mit denen wir jetzt auch im Landtag, siehe NPD, hier umgehen müssen. Wir müssen mit Selbstbewusstsein herangehen, aber wir müssen auch die unterstützen, die konkret vor Ort arbeiten, die Projekte und Initiativen. Das ist unser Ansatz in unserem Landesprogramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sachsen ist ein Land der Toleranz. Toleranz, verstanden als gegenseitige Achtung, ist tief in der Geschichte des Landes verwurzelt. Ich denke an die Zeit vor dreihundert Jahren: auf der einen Seite die katholischen Kurfürsten und Könige, auf der anderen Seite die lutherische Bevölkerung. Der Umgang war geprägt durch eine gegenseitige Achtung und Toleranz. Diese Toleranz war verquickt mit Offenheit, mit der Offenheit zum Beispiel für Glaubensflüchtlinge.
Nach der Gegenreformation in Böhmen kamen viele Exulanten nach Sachsen. Man schätzt die Zahl auf 150 000. Die Bevölkerung Sachsens wuchs um zehn bis 15 % an. Diese Glaubensflüchtlinge machten Sachsen stark. Städte wurden gegründet, zum Beispiel vor 351 Jahren die Stadt Johanngeorgenstadt. Andere Städte blühten durch die Glaubensflüchtlinge auf, zum Beispiel Annaberg, Eibenstock oder Marienberg. Kurzum, die Glaubensflüchtlinge bereicherten unser Land.
Diese jahrhundertealte sächsische Toleranz war ein Schritt auf dem Weg hin zur Demokratie in Sachsen. Wenn ich über Demokratie rede, dann denke ich zuerst an die jüngste Geschichte, dann denke ich an die friedliche Revolution, die von Sachsen ausging, dann denke ich an die Demonstrationen in Plauen, in Leipzig, in Dresden und in vielen anderen Städten hier im Freistaat. Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit kehrten 1989 in unsere Städte zurück.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Demokratie ist nicht nur eine Staatsform, sondern auch eine Lebensweise. Darauf ist Martin Dulig schon eingegangen. Demokratie ist wie die Liebe: Sie verkümmert, wenn sie nicht gepflegt wird. Deshalb lautet der Auftrag jeden Tag neu: Wir müssen Demokratie leben.
Um an diesem Haus der Demokratie zu bauen, bedarf es vieler Bausteine. Auf einen ist Martin Dulig schon eingegangen, das „Programm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit.“ Wir wollen junge Menschen ermutigen, sich in diese Gesellschaft, in diese Demokratie einzubringen.
Gestern stand in der Zeitung etwas über eine Studie der Technischen Universität Dresden. Es ging um eine Untersuchung über das Vertrauen in politische Institutionen. Eine der Politikwissenschaftlerinnen schrieb bzw. sagte: „Die Bevölkerung will keinen Streit!“.
Sollen wir nun eine Harmoniesoße zusammenrühren? Nein, das wollen wir nicht. Demokratie braucht den Wettstreit um den richtigen Weg. Demokratie braucht das Ringen um das beste Konzept für das Land.
Ich ärgere mich manchmal, wenn abschätzig von Parteipolitik die Rede ist, so als ob Parteipolitik und Sachpolitik etwas vollkommen Sinnfremdes sind, als ob Parteipolitik der Gegensatz zur Sachpolitik ist.
Wenn man nicht dieses vordemokratische Verständnis hat, dass es nur eine Wahrheit gibt, dann ist klar: Eine gute Parteipolitik ist Sachpolitik, und unterschiedliche Meinungen sind ganz normal. Nichtsdestotrotz: Ein bisschen weniger Populismus täte diesem Haus gut, ob von ganz links, ob von ganz rechts oder von der FDP, von den Freien Demokratischen Populisten.