Protokoll der Sitzung vom 12.03.2009

Ich erteile der Fraktion GRÜNE das Wort. Herr Weichert, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wirtschaftskrise macht sich

immer stärker auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Deutschlands Unternehmen haben für 1,5 Millionen Beschäftigte vorläufige Anträge auf Kurzarbeit gestellt. Der Grund hierfür ist, dass sie ihre Produktion aus konjunkturellen Gründen zurückfahren müssen. Auch in den kommenden Monaten dürfte sich die Lage kaum entspannen.

Die Medienberichterstattung der vergangenen Tage und Wochen macht deutlich, wie gegenwärtig die Kurzarbeit in den kleinen, mittelständischen und großen Unternehmen ist:

2. März, MDR: Die Robert Bosch Elektrowerkzeuge GmbH in Sebnitz hat Kurzarbeit beantragt.

3. März, „Sächsische Zeitung“: Die Lange Uhren GmbH in Glashütte hat für ein halbes Jahr Kurzarbeit beantragt.

7. März, „Welt am Sonntag“: Siemens bekommt die Wirtschaftskrise immer deutlicher zu spüren und muss deshalb die Kurzarbeit möglicherweise deutlich ausweiten.

Dies ließe sich fortsetzen. Neuerdings kündigen auch Handelskonzerne wie Metro oder die Baumarktkette Praktiker, die zum Teil auch wegen der eigenen Rabattpolitik unter Druck geraten sind, Kurzarbeit an.

Meine Damen und Herren, daran sieht man, dass Kurzarbeit nicht das Wundermittel ist, als das es die Bundesregierung gern verkauft. Die Krise ist zum Beispiel im Handel überhaupt noch nicht angekommen. Was wir hier beobachten, sind Mitnahmeeffekte, die den Steuerzahler belasten.

Damit wären wir bei der Frage angelangt, was Kurzarbeit nun tatsächlich ist und was sie zu leisten vermag. Kurzarbeit ist – erstens – eine Feuerwehrmaßnahme zum Löschen der am deutlichsten sichtbaren negativen beschäftigungspolitischen Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie kann den Arbeitsmarkt zwar kurzfristig von Arbeitslosigkeit entlasten, jedoch wenig zur tatsächlichen und längerfristigen Stabilisierung der Beschäftigung beitragen. Kurzarbeit ist nicht nur eine Auffangmaßnahme für Arbeitnehmer, sondern sie ist vor allem eine Subvention und Stützung von Unternehmen. Arbeitnehmer und Gesellschaft bezahlen hier für eine Krise, die sie eigentlich nicht verursacht haben.

Zweitens. Es ist ja auch viel bequemer, Kurzarbeit zu beantragen, als endlich in den strukturellen und innovativen Wandel der Produkte zu investieren. Ich erinnere nur an die Modellpflege der Automobilbranche im Kontext mit Klimawandel und Ölpreisentwicklung.

Meine Damen und Herren, hier muss endlich ein Umdenken stattfinden, und zwar in den Betrieben, in der Gesellschaft und in der Politik. So reicht es eben nicht, die Abwrackprämie an all jene zu zahlen, die einfach ein neues Auto kaufen möchten. Hier gehört beispielsweise die Kopplung an einen niedrigen CO2-Austoß zwingend dazu. Der Staat vergibt sich die Möglichkeit, Einfluss auf die Wirtschaft zu nehmen, die er mit Steuermilliarden

wiederbeleben will – Milliarden, die von den nachfolgenden Generationen refinanziert werden müssen, meine Damen und Herren.

In den Konjunkturpaketen der Bundesregierung stecken neben etlichen guten Ideen leider jede Menge solcher verpassten Chancen. Der Versuch der Regierung, den komatösen deutschen Michel bis nach den Wahlen mit ein paar Trostpflastern zu sedieren, wird nach hinten losgehen. Die bisherigen Maßnahmen greifen zu kurz. Angesichts der dramatischen Entwicklung in der gesamten deutschen Exportindustrie reicht die Verlängerung des Kurzarbeitsgeldes nicht hinten und nicht vorn, um die Beschäftigten vor den Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise zu schützen.

Von der Entwicklung am Arbeitsmarkt hängt es ab, ob die Verbraucher wieder mehr sparen oder weiter Geld ausgeben werden. Die Arbeitsmarktdaten vom Februar geben bereits einen deutlichen Hinweis. Das wurde hier schon gesagt.

Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wann kommt endlich ein umfassendes Maßnahmenpaket für Beschäftigung, ein Schirm für die Mitarbeiter in den Unternehmen? Wer Hunderte Milliarden Euro in die Bankenrettung fließen lässt, aber für den Arbeitsmarkt nur einen Bruchteil dieser Summe übrig hat, erschüttert das Vertrauen in den Sozialstaat, verschlechtert die Lage der Betroffenen und verschärft die Krise.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie der Abg. Dr. André Hahn und Caren Lay, Linksfraktion)

Einen Vorschlag für ein besseres Krisenmanagement mache ich im zweiten Teil.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort; Herr Lehmann noch einmal.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben als Politiker von unseren Wählern eine Verantwortung übertragen bekommen. Unser Auftrag ist es, die vorhandenen Ressourcen möglichst nutzbringend für die Menschen einzusetzen. Daneben müssen wir den Menschen gerade in unübersichtlichen Zeiten Mut machen und bei ihnen Zuversicht stiften. Herr Zais, das würde auch der Linksfraktion gut zu Gesicht stehen. Denn die Tatkraft der Menschen ist die wichtigste aller Ressourcen. Um das leisten zu können, dürfen wir die Situation weder schwarzmalen noch durch die rosarote Brille betrachten.

Natürlich ist auch die sächsische Wirtschaft von der Nachfrageschwäche auf den Weltmärkten betroffen – zum Glück längst nicht alle Firmen, wenigstens bis jetzt nicht. Was uns allen fehlt, ist die lang erprobte, mit Sicherheit wirkende Medizin gegen Störungen dieser Art. Darum ist vieles, was wir heute tun, „trial and error“. Mit dem Bankenschirm, mit der Abwrackprämie, mit den Kurzarbeits- und Qualifizierungsregeln haben wir einen ersten

Versuch gewagt. Die bisherige Nachfrage nach diesen Angeboten zeigt aber, dass wir so falsch nicht liegen können.

Zur Verantwortung der Politik gehört es aber auch, meine Damen und Herren, dass wir diese Hilfen nicht sofort wieder kleinreden. Für uns gilt: Der Staat soll auf keinen Fall Unternehmer werden. Der Staat und die Gemeinschaft der Staaten im globalen Kontext müssen die Rechtsrahmen für die wirtschaftliche Tätigkeit bestimmen und diese überwachen. Der Staat soll sich aber in keinem Falle selbst wirtschaftlich betätigen. Grundsätzlich unterscheiden auch wir zwischen Fürsorge und Aktionismus. Fürsorge überlegt erst und beschließt dann auf der Basis gewonnener Erkenntnisse. Das kann auch schnell gehen. Aktionismus dagegen orientiert sich eher an Wunschdenken als an der Realität.

Die Politik muss immer daran denken, dass finanzielle Unterstützung durch den Staat stets mit der Ausgabe von gegenwärtigen und zukünftigen Steuermitteln verbunden ist.

Wir haben gegen das Phänomen des Vertrauensverlustes anzukämpfen. Nach den Banken ist zwischen den Firmen das Vertrauen in die gegenseitige Leistungsfähigkeit im Schwinden – zum Teil begründet, besonders in der Autobranche. Die weiß, dass Fehler gemacht wurden und ein Ausleseprozess bevorsteht. Bei den oft beträchtlich langen Zulieferketten in diesem Bereich geht die Angst um, dass eventuell ein wichtiger Zulieferer wegbricht und damit die eigene Lieferfähigkeit gefährdet. Darum holen die Firmen gegenwärtig Parallelangebote ein. Langfristig abgeschlossene Verträge sind nicht mehr ohne Weiteres belastbar. Das Fahren auf Sicht ist angesagt.

Fahren auf Sicht bedeutet aber, die Volatilität zu verstärken. Der Staat soll für die Begrenzung der daraus erwachsenden höheren Risiken zur Verfügung stehen. Verbesserte Kurzarbeiterregelungen wie auch Qualifizierungsangebote für die gegenwärtig nicht benötigten Mitarbeiter sind dafür wirklich geeignete Mittel.

Noch ein Wort an die FDP, eher eine Reaktion auf die Rede des Vorsitzenden von gestern. Herr Morlok hat sich heute gut geschlagen und sehr staatstragend geredet.

(He-he-Rufe von der Linksfraktion)

Mir scheint, Herr Zastrow, Ihre Partei hat sich in den letzten Jahren von der Partei der Besserverdienenden zur Partei der Besserwisser auf Bundes- wie auf Landesebene entwickelt. Das kommt natürlich in Talkshows gelegentlich ganz gut rüber, bringt aber keinen wirklichen praktischen Nutzen.

(Lachen des Abg. Michael Weichert, GRÜNE)

Wenn es brennt, hat es wirklich keinen Sinn, über den pHWert des Wassers oder über die Nitratbelastung zu reden. Dann muss gespritzt werden, und zwar schnell.

Die Chefvolkswirte, wenigstens die deutschen, haben nach dem Ausbruch der Finanzkrise zumindest für eine kurze Zeit nachgedacht und die Klappe gehalten. Mögli

cherweise haben sie erkannt, dass ihre zuvor mit Pathos vorgetragenen Prognosen und Empfehlungen nicht das Papier wert waren, auf dem sie standen. Die FDP ficht das wohl nicht an. Sie ist da etwas anderes.

Nichtsdestotrotz zeigt die heutige Debatte, dass es zu einer abgestimmten Aktion zwischen Wirtschaft, Banken, Arbeitsverwaltung und Politik keine vernünftige Alternative gibt. Die Krise wird die sächsischen Firmen zwar schütteln, aber sie wird sie mit unserer Hilfe nicht umwerfen. Das sollte die Botschaft der heutigen Debatte sein.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort; Herr Pecher.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die aktuellen Arbeitsmarktzahlen zeigen, dass die Unternehmen in diesem Bereich verantwortlich handeln, indem sie Kurzarbeit nutzen, um Entlassungen zu vermeiden.

Gestatten Sie mir, Herr Weichert, dazu ein Wort. Auch wenn die Zahl der Entlassungen aufgrund der aktuellen Finanzkrise spürbar ist, haben wir viele starke und leistungsfähige Firmen in Sachsen. Die haben investiert und investieren weiter in neue Produkte, Innovationen – ich brauche das Stichwort erneuerbare Energien hier gar nicht zu erwähnen –, aber auch in der Automobilbranche. Es ist nicht so, denke ich, dass zurzeit in diesem Bereich nichts investiert wird. Es ist so in der Vergangenheit gewesen, sonst wären wir nicht da, wo wir sind; und es passiert auch in der Zukunft.

Gestatten Sie mir auch noch einen kleinen Exkurs in das Thema Staatsbeteiligung. Ich finde es teilweise wirklich absurd, wenn eine Staatsbeteiligung insbesondere von denen verteufelt wird, die den Marktradikalismus gepredigt haben und die teilweise mit ihren politischen Anschauungen verantwortlich für das sind, was wir heute haben.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Richtig – Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei der NPD)

Wenn Sie Geld in eine Firma geben und sich an einer Firma beteiligen, dann wollen Sie diese Firma doch auch nicht leiten. Es ist doch absurd, immer zu behaupten, der Staat sei nicht der bessere Wirtschafter. Jede Bank, die sich ein Grundstück sichert und im Grundbuch einträgt, will doch dieses Grundstück nicht bewirtschaften. Das geht doch praktisch an der Diskussion vorbei. Ich halte es für richtig, wenn der Staat Stützungen gibt, dann soll er das auch besichern und sich beteiligen, damit er die Gewähr hat, dass mit dem Geld etwas Vernünftiges passiert, damit er perspektivisch wieder hinausgehen kann, und wenn es geht, mit einer entsprechenden Rendite. Jeder Private denkt doch so.

(Beifall bei der SPD und des Staatsministers Thomas Jurk)

Ich glaube, unsere Firmen gehen mit diesem Thema Personalabbau in der jetzigen Krise – und das ist kein Herbeireden der Krise; die Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen, machen wir doch nicht, weil wir glauben, dass eine Krise kommt, in bestimmten Bereichen ist es sehr deutlich und nicht wegzudiskutieren, dass wir in einer Krise stecken – sehr bewusst um und qualifizieren ihre Fachkräfte. Sie haben natürlich auch die Möglichkeiten, sich mit dem Instrument Kurzarbeit, sagen wir einmal, in ihrer Belegschaft diese Freiräume zu schaffen, damit Qualifizierung möglich ist, weil sie selbst einteilen können, inwieweit noch eine Arbeitsbelastung stattfindet.

Mir ist natürlich bewusst, dass Kurzarbeit kein Allheilmittel ist. Sie ist und bleibt eine Überbrückungsmaßnahme. Deshalb müssen wir – wie bereits erwähnt – gezielt in Qualifizierung und Weiterbildung investieren, damit auch diese Firmen weiter wettbewerbsfähig bleiben.

Auf zwei Neuerungen will ich noch hinweisen. Die Neuregelung der Kurzarbeit setzt vor allem auf Qualifizierung. Deshalb haben wir erreicht, dass die Zeit der Kurzarbeit nicht primär für Freizeit, sondern für berufliche Qualifizierung genutzt werden kann.

Insbesondere die Beschäftigten im gering qualifizierten Bereich können durch die Weiterbildung, durch die Qualifizierung ihren Anspruch, am Arbeitsleben besser teilnehmen zu können, erhöhen. Dabei ist es wichtig, dass versucht wird, mit Weiterbildungsangeboten verwertbare Abschlüsse herzustellen bzw. weitere Abschlüsse sicherzustellen. Warum soll nicht ein Elektromonteur in einer Firma zusätzlich einen Schweißerpass ablegen, der ihn am Markt wettbewerbsfähiger macht?

Wir haben erstmals – das möchte ich auch ansprechen – die Leih- und Zeitarbeiter in den Bereich Kurzarbeitergeld hineingebracht. „Das ist ein gutes Signal für die Branche“, sagte der Adecco-Deutschland-Chef Uwe Beyer. „Damit werden unsere Beschäftigten mit der Stammbelegschaft endlich in einem zentralen Punkt gleichgestellt.“ Ich glaube, das ist wichtig.

Damit möchte ich abschließen. Unser Motto heißt ganz klar „Qualifizieren statt entlassen“.

(Beifall bei der SPD und des Staatsministers Thomas Jurk)