Herr Krauß, ist es Ihnen möglich, noch das eine oder andere Kriterium zu benennen, anhand dessen Sie den sozialen Status einer Familie bewerten?
(Zurufe von der Linksfraktion – Alexander Delle, NPD: Männlein und Weiblein sind die Grundvoraussetzung!)
Lassen Sie mich auf das eingehen, was wirklich wichtig ist. Das sind die Änderungsanträge, die wir als Koalition mit auf den Weg gebracht haben. Wir haben eine Veränderung dahin gehend vorgenommen, dass wir sagen, es soll nicht die Untersuchungen von U3 bis U7a betreffen, sondern nur von U4 bis U8. Das war eine Anregung, die wir aus der Anhörung aufgenommen haben, denn je später die Untersuchung durchgeführt wird, desto ungünstiger ist die Beteiligungsquote.
Lassen sich mich in diesem Zusammenhang kurz auf den Änderungsantrag der Linken eingehen. Sie will bis zur U9 gehen. Wir halten das für nicht notwendig, weil im vierten Lebensjahr die Untersuchungen im Kindergarten einsetzen und wir somit diese Untersuchung durch das öffentliche System abgedeckt haben. Wir halten die U8Untersuchung für ausreichend.
Wir haben eine weitere Änderung aufgenommen. Wir haben gesagt, dass bei Kindern, die nicht krankenversichert sind, der Freistaat einspringt und die Kosten für die Untersuchung übernimmt. Es geht auch darum, den Eltern nahezulegen, dass sie wieder Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung werden, wie es ihr Recht und ihr Anspruch ist.
Wir haben auch die Argumente des Sächsischen Datenschutzbeauftragten aufgenommen und mit ihm nach einem Kompromiss gesucht. Wir haben versucht, auf seine Bedenken einzugehen. Ich glaube, dass ist uns gelungen. Kollegin Gisela Schwarz wird darauf noch näher eingehen. Deshalb glauben wir auch, dass uns der Änderungsantrag zur Tagesordnung, den DIE LINKE heute früh eingebracht haben, nicht weiterbringt. Es ging lediglich darum, ein Gesetz zu verhindern. Wir hatten Zeit zur Diskussion. Das Gesetz ist im Januar eingebracht worden. Das sind schon einige Monate, in denen man sich damit befassen konnte.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass das Gesetz eine runde Sache ist. Es ist ein gutes Gesetz, das auf den Weg gebracht wird. Wir bitten Sie um Ihre Zustimmung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Herr Krauß, wir haben unseren Änderungsantrag nicht zurückgezogen, weil wir uns nicht um U8 oder U9 streiten, sondern weil wir der Meinung sind, dass er dieses Gesetz nicht besser macht. Wir sind nicht der Meinung, dass dieses Gesetz nicht gut ist.
Die Staatsregierung hat in Windeseile einen Gesetzentwurf gestrickt – wir hatten nicht genügend Zeit, die Förderung der Teilnahme von Kindern an Früherkennungsuntersuchungen zu diskutieren – und diesen Gesetzentwurf durch die Ausschüsse gepeitscht.
Herr Krauß, nun bin ich durchaus gewillt, solch eine Gesetzesinitiative zu unterstützen, und ich möchte hier nicht die Rechte und Pflichten der Eltern gegen das Wohl und den Schutz der Kinder aufwiegen. Aber auf diese Art und Weise kann kein guter Gesetzestext entstehen.
Wir hatten zu diesem Gesetzentwurf eine sehr interessante Anhörung. Mehrere Sachverständige haben mit kritischen Vorschlägen und Empfehlungen bereits auf drängende Korrekturen hingewiesen. Einen davon haben Sie angenommen; das ist jedoch nicht ausreichend.
Der Bericht des Datenschutzbeauftragten war sehr aufschlussreich und sollte schon Beachtung finden. Ein Stückwerk an Änderungsanträgen tut das auf keinen Fall.
Der Freistaat Sachsen hat laut Artikel 70 Grundgesetz die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung dieser Früherkennungsuntersuchungen. Wir sollten dies sehr kompetent umsetzen. Ein Schnellschuss ist nicht das, was wir brauchen.
Gemäß Artikel 1 § 1 des Gesetzentwurfes sollen alle Kinder mit Wohnsitz in Sachsen an diesen Untersuchungen teilnehmen. Circa 90 % der Eltern kommen diesen Verpflichtungen im Interesse der gesundheitlichen Versorgung bereits nach. Wir sprechen also von circa 10 % aller Kinder, und das ist auch notwendig.
Der präventive Gesundheitsschutz unserer Kinder ist dringend erforderlich. Deshalb setzen wir uns seit Jahren für ein Präventionsgesetz ein. Das Schutzinteresse der Kinder ist grundsätzlich höher einzustufen als die Interessen der Eltern, ihre Kinder nicht zu einer Früherkennungsuntersuchung vorzustellen. Das erkennt auch der Datenschutzbeauftragte.
Sehr geehrte Abgeordneten! Wie hat sich nun die Arbeit in den Jugendämtern entwickelt? Herr Krauß ist kurz darauf eingegangen. Im Rahmen des sächsischen Handlungskonzeptes für einen präventiven Kinder- und Ju
gendschutz wurden in den Landkreisen Stellen geschaffen. Es arbeiten lokale Netzwerke. Das ist gut. Die Staatsregierung schätzt diese Maßnahmen als erfolgreich ein.
Dieser Gesetzentwurf ist also nur ein Teil eines umfassenden Frühwarnsystems in Sachsen. Genau dieses Teilchen muss im Gesamtsystem funktionieren und darf nicht vorm Verfassungsgericht enden.
Andererseits waren die in der Öffentlichkeit bekannten Fälle von Kindesvernachlässigung den zuständigen Jugendämtern fast immer bekannt. Ob Erinnerung zur Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen in diesen Fällen eine zusätzliche Erkenntnis oder die Vermeidung von Vernachlässigung gebracht hätte, bleibt offen. Wir sollten jedoch jede Chance nutzen, unsere Kinder zu schützen.
Die Abstimmung zu solch einem Gesetzentwurf zum jetzigen Zeitpunkt ist für uns jedoch außerordentlich bedenklich. Die vorgelegten Änderungsanträge reichen einfach nicht aus, um im Interesse unserer Kinder ein gutes Gesetz auf den Weg zu bringen. Wir sehen nicht die Notwendigkeit einer schnellen und überstürzten Gesetzgebung. Gerade zu diesem Thema brauchen wir eine gute Handlungsgrundlage für die Arbeit an der Basis.
Deshalb möchte ich meine Aufforderung von heute Morgen wiederholen: Nehmen Sie den Gesetzentwurf zurück und überweisen Sie ihn noch einmal an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach anfänglicher Skepsis bin ich froh, dass wir einen interessanten Diskussionsprozess heute zu einem vorläufigen Ende bringen bzw. am Freitag in der 3. Lesung – Ihnen liegt ja noch ein Änderungsantrag vor.
Ich kann die Meinung überhaupt nicht verstehen, dass wir einen Gesetzentwurf durchgepeitscht hätten.
Es hat Befassungen im Plenum und im Ausschuss sowie eine sehr gute Anhörung dazu gegeben. Es gab auch Veränderungen am ursprünglichen Gesetzentwurf. Ich bin froh, dass wir den Gesetzentwurf der Staatsregierung gemeinsam mit unserem Koalitionspartner in für uns ganz wichtigen Punkten ändern konnten.
Frau Kollegin, Sie haben gesagt, wir hatten lange genug Zeit. Hatte der mitberatende Innenausschuss nach der Anhörung Zeit, im regulären Verfahren über das Gesetz zu beraten?
Sie wissen, dass wir in diesem Fall im federführenden Ausschuss nach der Geschäftsordnung korrekt verfahren sind.
Unser Anliegen ist: Bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist und dies medienwirksam mit Forderungen an die Politik thematisiert wird, wollen wir Vorsorge und Frühförderung gesetzlich begleiten. Es wurde schon gesagt, dass die Inanspruchnahme der angebotenen Untersuchungen bisher nicht zufriedenstellend ist. Liegt die Inanspruchnahme bei U1 und U2 bei annähernd 100 %, liegt sie bei U8 bei kaum noch 80 %. Wir wollen, dass mehr Kinder an den Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen – deshalb das verbindliche Einladungswesen.
Es ist keine Pflicht und wird nicht als Ordnungswidrigkeit geahndet. Dies sei noch einmal gesagt, um das den Skeptikern deutlich zu machen. In der Diskussion zum vorliegenden Gesetzentwurf wurde von einigen Fraktionen, die den Gesetzentwurf ablehnen, immer wieder betont, das sei wenig geeignet, um Kindesvernachlässigung vorzubeugen. Aber dies ist doch nicht der alleinige Gesetzeszweck.
Welchen Hintergrund haben die Früherkennungsuntersuchungen? In erster Linie werden diese Untersuchungen durchgeführt, um Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen. Ich mache das an einem Beispiel fest, um es zu verdeutlichen: Werden beispielsweise schon in der U7a – und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt – Sehschwierigkeiten bei Kindern festgestellt, dann kann sofort mit einer entsprechenden Behandlung begonnen werden. Nehmen Kinder an einer solchen Untersuchung nicht teil, erfolgen notwendige Behandlungen vielleicht zu spät.
Ganz entscheidend ist die gesundheitliche Vorsorge mit dem Nebeneffekt, auf Hinweise zur Kindeswohlgefährdung eben doch frühzeitig reagieren zu können. Die Beispiele und Erfahrungen, die Kollege Krauß beschrieben hat, teile ich.
Vereinzelt besteht die Befürchtung, dass der Gesetzentwurf unverhältnismäßig sei, weil er die Datenübermittlung an das Jugendamt anordnet, ohne dass gewichtige Gründe für die Gefährdung des Kindeswohls vorliegen. Diese Bedenken haben wir aus meiner Sicht durch unseren Änderungsantrag ausgeräumt. Im § 2 Abs. 5 in der Fassung des Änderungsantrages ist normiert, dass nur, wenn dem Gesundheitsamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls des Kindes vorliegen, dies dem Jugendamt unverzüglich mitgeteilt werden soll. Gewich
Hinter dieser kompliziert anmutenden Formulierung – wegen der gewollten Missverständnisse möchte ich das noch ausführen – steckt ein doppelter Schutz vor ungerechtfertigten Verdächtigungen: Erstens werden nur Daten weitergegeben, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung vorliegen. Zweitens erfolgt die endgültige Abschätzung über eine vorliegende Gefährdung durch die Experten des Jugendamtes. Entscheidend ist, dass durch die Nichtteilnahme an einer Früherkennungsuntersuchung nicht sofort auf eine Kindeswohlgefährdung zu schließen ist.