Protokoll der Sitzung vom 15.05.2009

Ab diesem Jahr gibt es in unterversorgten Regionen moderne Gemeindeschwestern. Die Schwestern erbringen den Arzt entlastende Dienste in den Dörfern, wobei sie über Internet mit dem Hausarzt verbunden sind. Hier schließt sich wieder der Kreis. Für diese Internetkommunikation mit dem Arzt braucht man natürlich auch schnelle Internetverbindungen im ländlichen Raum.

Solche unkonventionellen Lösungen werden wir angesichts der demografischen Entwicklung noch mehr benö

tigen. 2020 wird sich die Bevölkerungszahl im Freistaat Sachsen gegenüber 1990 um ein Viertel verringert haben. Wir wissen auch, dass der ländliche Raum davon besonders betroffen sein wird. Daher brauchen wir jetzt und zukünftig vor allem Pragmatismus und Realismus für vernünftige Lösungen. Künftige Investitionen in die Infrastruktur müssen maßgeschneidert an die Entwicklung der Einwohnerzahlen angepasst werden.

So hat die Staatsregierung beispielsweise die Förderung der Abwasserinfrastruktur flexibler gestaltet. Je nach Einwohnerzahl können zentrale oder dezentrale Anlagen gefördert werden. Schließlich sollen diese auch noch in Jahrzehnten für den Bürger bezahlbar sein.

Eine andere vernünftige Lösung, um auf die demografische Entwicklung zu reagieren, ist, das ehrenamtliche Netz auszubauen. Auch wenn die Bürger nicht alles übernehmen können und sollen, sind viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens schon jetzt ohne ehrenamtliches Engagement undenkbar. Ehrenamtlich engagierte Bürger pflegen Wiesen, verleihen Bücher in Bibliotheken, unterhalten Heimatstuben, kümmern sich zum Beispiel um Kinder in Sportvereinen oder schützen bei der Freiwilligen Feuerwehr Menschenleben und materielle Werte.

Warum wollen wir eine solche ehrenamtliche Arbeit und solche ehrenamtliche Aufgaben nicht weiter ausbauen, auf andere Bereiche des Lebens ausdehnen und den Menschen in den Dörfern helfen?

Warum können unsere oft noch rüstigen Rentner nicht jungen Familien bei der Kinderbetreuung unter die Arme greifen?

Warum kann der bis vor Kurzem noch im Berufsleben stehende 65-Jährige nicht mehrmals wöchentlich mit dem Dorftaxi die Bevölkerung in die Stadt fahren?

Warum soll der pensionierte Lehrer nicht noch die eine oder andere Nachhilfestunde geben?

(Zurufe von der Linksfraktion)

Die Staatsregierung unterstützt diejenigen, die sich für andere im Ehrenamt einsetzen. So versichert der Freistaat ehrenamtliches Engagement seit dem 1. Januar 2007 über eine Landessammelversicherung im Bereich Unfall und Haftpflicht. Das ist etwas, das den Ehrenamtlichen nicht nur nützt, sondern auch hilft.

Über die Förderrichtlinie „Wir für Sachsen“ zahlt die Staatsregierung eine Aufwandsentschädigung an ehrenamtlich Engagierte für Projekte, die der Allgemeinheit zugute kommen, ehrt sie aber auch durch Auszeichnungen wie den Umweltpreis des Staatsministeriums für Umwelt und Landwirtschaft sowie die Unterstützung für Naturschutzhelfer. Dadurch wird ehrenamtliches Engagement finanziell, aber auch ideell anerkannt. Über dieses Engagement verwurzeln die Menschen auch mit ihrem eigenen Lebensumfeld und bleiben ihren Dörfern als wichtige Stütze erhalten.

Meine Damen und Herren! Einkaufszentren, Nahverkehr sowie ein breites Angebot verschiedenster Bildungsein

richtungen sind in der Stadt selbstverständlich. Wenn man es einmal rein wirtschaftlich betrachtet, sind derartige Einrichtungen in wirtschaftlich weniger besiedelten Gebieten oft ein Minusgeschäft. Gleichwohl haben aber auch die Menschen in den ländlichen Regionen einen Anspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Das ist das Ziel der Sächsischen Staatsregierung.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Gleichwertig heißt aber nicht identisch. Schließlich haben Stadt und Land ihre eigenen Stärken und Vorteile. Aber gleichwertig bedeutet, eine soziale und materielle Grundversorgung der ländlichen Gebiete zu erhalten. Dazu gehören für mich Einkaufsmöglichkeiten. Dazu gehört für mich medizinische Betreuung. Dazu gehören für mich Nahverkehr, aber auch gutes Trinkwasser. Das heißt für die Staatsregierung: Infrastruktur erhalten und zukunftsfähig ausbauen, das heißt für die Landkreise: Ideen koordinieren, und das heißt für die Gemeinden: zusammenarbeiten.

Wir brauchen ein Denken über das eigene Ortseingangsschild hinaus. Mit gemeinsamen Prioritäten lassen sich die Stärken und Nachteile einzelner Dörfer besser ausgleichen. Genau diesen Ansatz unterstützt der Freistaat seit 2007 mit dem Prozess der integrierten ländlichen Entwicklung.

Wir haben im Freistaat Sachsen 12 LEADER- und 23 ILE-Gebiete. In diesen Regionen koordinieren und entwickeln regionale Akteure genau die Projekte, die ihre Dörfer voranbringen. Genau das ist die Stärke der „Integrierten ländlichen Entwicklung“.

Die Projekte werden nicht in Dresden entworfen und vorgegeben, sondern vor Ort. Die Akteure, die nahe an den Aufgaben sind, entscheiden selbst. Die Erfahrungen und der Blick in andere Bundesländer zeigen, dass nur dann diese Projekte nachhaltig wirken.

Besonders positiv für Stadt und Land wirkt sich aus, wenn beide zusammen Projekte entwickeln. Beispielsweise arbeiten das Regionalmanagement der ILE-Region Sächsisches Zweistromland und die Städte Oschatz, Strehla, Mügeln und Dahlen sehr intensiv an Aktivitäten im Bereich des Stadtmarketings.

Über die „Richtlinie zur Förderung der Integrierten ländlichen Entwicklung“ stehen zwischen 2007 und 2013 rund 422 Millionen Euro an EU-Mitteln zur Verfügung.

Das möchte ich an dieser Stelle auch sagen, weil der Finanzminister im nächsten Tagesordnungspunkt an der Reihe ist und uns bestimmt berichten wird, wie es künftig mit der finanziellen Ausstattung aussieht: Sie wird nicht so rosig sein wie in den letzten Jahren.

Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich feststellen: Das sind Mittel der Europäischen Union. Wir haben in den vergangenen Jahren immer versuchet, Mittel, die wir woanders her bekommen – egal ob vom Bund oder von der EU –, kozufinanzieren und damit im Freistaat Sachsen

wirksam zu machen. Das möchte ich trotz der schwierigen Haushaltslage auch in den kommenden Jahren.

(Beifall bei der CDU)

Neben der eigentlichen Förderung der ILE- und der LEADER-Gebiete genießen bereits jetzt Projekte aus diesen Gebieten Vorfahrt in mehr als 15 anderen Förderrichtlinien der Staatsregierung. Also nicht nur die ILEFörderung selbst, sondern auch andere Förderrichtlinien greifen in den ILE- und LEADER-Gebieten. Dadurch profitieren auch die Städte und ihre zugehörigen Ortsteile maßgeblich vom ILE-Prozess, selbst wenn sie aufgrund ihrer Größe oder Struktur keine investiven Maßnahmen aus der ILE-Richtlinie erhalten können.

So werden zum Beispiel die Sanierung der Grundschutz in Gröditz und der Neubau einer Einfeldsporthalle in Frauenstein über die Förderrichtlinie Schulhausbau bzw. die Richtlinie zur Sportförderung vorrangig bezuschusst.

Schließlich ist es für die gesamte Staatsregierung Aufgabe, unseren ländlichen Raum, unsere ländliche Heimat jetzt und für kommende Generationen attraktiv zu gestalten. Dazu dient auch das Konjunkturpaket. Es greift ebenso den Kommunen in den ländlichen Regionen unter die Arme. So können dort Schulen, Kindertageseinrichtungen, Krankenhäuser, Sportstätten, Maßnahmen zum Klima- und Bodenschutz, aber auch das Feuerwehrwesen gefördert werden.

Dieses Ziel, meine Damen und Herren, möchte ich mit Taten untersetzen. Ich habe mich deshalb entschlossen, die ländliche Entwicklung finanziell noch mehr zu stärken. Unser Vorschlag wurde dem Sächsischen Landtag in dieser Woche zugeleitet.

So werden wir erstens die Erweiterung der Gebietskulisse zur ILE-Richtlinie von 2 000 auf 5 000 Einwohner bei der Europäischen Union beantragen.

(Beifall bei der CDU)

Folglich kommen künftig auch größere Kommunen in den Genuss der investiven Förderung. Das betrifft, meine Damen und Herren, zusätzlich 500 000 Menschen im Freistaat Sachsen, 500 000 Einwohner, die die Fördermöglichkeiten der integrierten ländlichen Entwicklung voll und ganz nutzen können.

Wir werden zweitens die Fördersätze in der ILERichtlinie erhöhen. Davon profitieren zum Beispiel kleine und kleinste Unternehmen. Sie erhalten für die Umnutzung von Gebäuden und zur Ausstattung über die Richtlinie zur integrierten ländlichen Entwicklung 5 % mehr Förderung. Möchte beispielsweise ein Unternehmen expandieren und nutzt dafür ein leer stehendes ehemals landwirtschaftlich genutztes Gebäude, erhält es jetzt 45 % und nach der Neuregelung einen Zuschuss von 50 %. Damit hält die Staatsregierung weiter Kurs auf mehr Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, dafür um Ihre Unterstützung.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Drittens unterstützen wir auch die Straßeninfrastruktur. In diesem Jahr werden weitere 20 Millionen Euro für das Schwarzdeckenprogramm bereitgestellt. Weitere zusätzliche Maßnahmen der kommunalen Infrastruktur im ländlichen Raum können über das Konjunkturprogramm umgesetzt werden.

Meine Damen und Herren, all diese Maßnahmen kommen den Menschen im ländlichen Raum zugute. All diese Maßnahmen sollen helfen, ihnen in ihrem Zuhause, eine Perspektive zu geben. Denn je globaler eine Gesellschaft ist, desto mehr wächst die Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Heimat. Ein Schweizer Bundespräsident hat einmal gesagt: „Heimat entsteht nicht durch Abgrenzung, sondern durch Verbundenheit, durch Anteilnahme und durch Mitwirkung.“

(Beifall des Abg. Heiner Sandig, CDU)

Genauso wollen wir, Staatsregierung und Landtag, den ländlichen Raum weiter entwickeln, weiter begleiten, verbunden durch unsere Anteilnahme und Aufmerksamkeit, verbunden durch unsere Unterstützung und Mitwirkung.

Meine Damen und Herren, herzlichen Dank für Ihre bisherige Begleitung. Bleiben Sie dem ländlichen Raum weiterhin verbunden!

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der SPD sowie der Abg. Gitta Schüßler, NPD)

Ich danke dem Herrn Staatsminister für seine Fachregierungserklärung. Wir kommen damit zur Aussprache. Die Redezeiten für die Fraktionen wurden wie folgt festgelegt: CDU 50 Minuten, Linksfraktion 35 Minuten, SPD 15 Minuten, NPD, FDP, GRÜNE je 13 Minuten. Die Reihenfolge: Linksfraktion, CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE. Die Staatsregierung hat jederzeit das Recht, in die Debatte einzugreifen, wenn gewünscht.

Ich erteile das Wort der Linksfraktion. Frau Altmann, schön, dass Sie wieder da sind.

(Beifall bei der Linksfraktion und vereinzelt bei der CDU sowie des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatsminister Kupfer, für mich ist es absolut unverständlich, dass Sie als Umwelt- und Landwirtschaftsminister in einer Fachregierungserklärung zum ländlichen Raum die Land- und Forstwirte nur mit wenigen Sätzen erwähnen, indem Sie diese noch dazu in erster Linie als Kulturlandschaftspfleger bezeichnen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Kein Wort dazu, dass die Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft immer noch zu den Niedriglohnbereichen gehört. Die hier beschäftigten etwa 100 000 Menschen haben immer noch ein im Durchschnitt um ein Drittel geringeres Einkommen als die Menschen in anderen Wirtschaftsbereichen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Statt zum Beispiel auf die dramatische Situation der sächsischen Milchbauern einzugehen, nur ganze drei Worte zum Milchpreisverfall!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Auch Umwelt-, Natur- und Klimaschutz konnte ich nicht als Schwerpunkte, sondern nur mit wenigen Sätzen bedacht erkennen. Das und auch der Titel der eben gehörten Fachregierungserklärung zeigt deutlich, wie unterschiedlich wir die Bedeutung von ländlichen Räumen und die Bedeutung der hier lebenden und arbeitenden Menschen für die Zukunft einschätzen. DIE LINKE sagt ganz deutlich: Land hat nicht nur Zukunft, Land, ländliche Räume sind unsere Zukunft.

(Beifall bei der Linksfraktion)