Protokoll der Sitzung vom 24.06.2009

(Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Abg. Colditz, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der Linksfraktion meint einen Widerspruch zwischen der Sächsischen Verfassung und dem Sächsischen Schulgesetz aufheben zu müssen. Dies soll durch die Übertragung der Schülerbeförderungskosten auf den Freistaat, die Freistellung aller Lernmittel und Schulveranstaltungen sowie eine Aufstockung der im Haushalt ausgewiesenen Lernmittelergänzungspauschale in den Jahren 2009/2010 um insgesamt 63 Millionen Euro erreicht werden.

Meine Damen und Herren! Abgesehen davon, dass es diesen konstruierten Widerspruch von Verfassung und Schulgesetz unseres Erachtens so nicht gibt, da die Verfassung auf eine Konkretisierung der Lernmittelfreiheit im Schulgesetz abstellt, ist die geplante Mittelerhöhung außerhalb des Haushaltes ziemlich abenteuerlich und wenig seriös.

Aber auch eine sachliche Betrachtung des Gesetzentwurfes ermöglicht eine Zustimmung unsererseits nicht. Die Koalition hat mit der Einführung der Lernmittelergänzungspauschale im aktuell wirksamen Haushalt die Grundlage dafür gelegt, Eltern bei der Finanzierung von Schulbedarfen zu entlasten. Dabei geht es uns zumindest nicht um eine völlige Freistellung. Wenn Sie aktuell sichtbar Bildung als ein herausragendes gesellschaftliches Bedürfnis anerkennen – das wird ja in der öffentlichen Diskussion zurzeit so getan –, dann setzt dies durchaus eine angemessene, im Übrigen sehr kleine finanzielle Beteiligung jedes Einzelnen voraus.

Meine Damen und Herren! Keiner erhebt ernsthaft den Anspruch oder die Forderung, dass sich der Staat umfänglich an der Finanzierung eines privaten Autos oder eines Eigenheimes beteiligen soll. Warum soll aber genau dieser Bezug, wenn es um den persönlichen Beitrag zum Bildungserwerb geht, dann herangezogen werden? Warum eine so undifferenzierte Auslegung oder Forderung, wie dies im Gesetzentwurf geschieht?

Das Argument der im Einzelfall sozialen Benachteiligung ist ein völlig ungeeignetes für diese Diskussion. Dem wird nämlich durch die geltenden Regelungen des SGB II

und des SGB XII wirksam entgegengewirkt, meine Damen und Herren. Absicht der von uns eingeführten und im Haushalt dotierten Lernmittelergänzungspauschale war es nicht, Bedarfe künstlich zu erzeugen, so wie dies die Summen im vorliegenden Gesetzentwurf tun. Mit verantwortlichen Entscheidungen der Schulen und der Schulträger vor Ort lassen sich verträgliche und bedarfsgerechte Entscheidungen für den Lernmitteleinsatz finden.

Lassen Sie mich dies einmal exemplarisch am Beispiel des Einsatzes von Taschenrechnern verdeutlichen. Im sächsischen Lehrplan für Mathematik an Gymnasien vom Jahr 2004 ist ein grafikfähiger Taschenrechner gefordert – wohlgemerkt, kein besonderes Modell; es gibt bereits für den Unterricht taugliche Taschenrechner für etwa 40 Euro –; optional ein CAS-Taschenrechner. CAS steht für Computer-Algebra-Systeme. Im Lehrplan wird bei einigen Unterrichtseinheiten ein solcher Taschenrechner sicherlich gefordert; diese Lehrplaneinheiten können aber auch durch speziell bereitgestellte Software des Kultusministeriums oder durch Leihgeräte ohne Zusatzkosten für die Schüler abgedeckt werden. Die Entscheidung darüber, welcher Taschenrechner zu verwenden ist und wie die einzelnen Unterrichtseinheiten didaktisch zu vermitteln sind, trifft die Mathematikfachschaft bzw. der Fachlehrer vor Ort an der Schule.

Die verschiedenen Hersteller haben zudem Sonderprogramme für Schüler, deren Eltern die Taschenrechner nicht selbst finanzieren können. Eine Firma stellt zum Beispiel bei einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch die Schule Geräte unentgeltlich zur Verfügung. Ein anderer Produzent vergibt bei Gruppenbestellungen auf eine entsprechende Anfrage sogenannte Freigeräte zur unentgeltlichen Weitergabe an Schüler.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, es gibt in der Praxis viele Gestaltungsmöglichkeiten, um sowohl kosten- als auch sozialverträglich aktiv zu werden. Es sollte vielleicht noch mehr als bislang erwogen werden, die Schulen noch einmal über die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten – vielleicht auch durch das Kultusministerium – zu informieren.

Schließlich noch eine Anmerkung zur Schülerbeförderung. Der Städte- und Gemeindetag hat im Rahmen der Anhörung völlig zu Recht darauf verwiesen, dass die Organisation der Schülerbeförderung am besten dezentral und individuell durch die Aufgabenträger vor Ort den jeweiligen Bedürfnissen angepasst werden kann. Wir teilen diese Auffassung und werden vor diesem Hintergrund den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Die SPD-Fraktion; Herr Dulig, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gehört zur Wahrheit dazu, dass wir tatsächlich keine kostenfreie Schule haben. Nach

wie vor bezahlen Eltern für ihre Kinder – für Kopien, für Arbeitsmaterialien. Deshalb geht es nicht darum, dem Anliegen Ihres Gesetzentwurfes zu widersprechen, sondern den Weg, den Sie beschreiten wollen, kritisch zu hinterfragen.

Wir wollen eine kostenfreie Schule, wir wollen eine Lernmittelfreiheit. Deshalb ist das Anliegen unterstützenswert. Wir haben auch mit unserer Umfrage, die wir gemeinsam mit dem Landeselternrat durchgeführt haben, herausgestellt, dass tatsächlich eine große Belastung für Eltern vorhanden ist, deren Kinder zur Schule gehen. Ich sage ganz klar: Es gab so manchen Antrag oder Gesetzentwurf, den man aus Koalitionsdisziplin abgelehnt hat, aber bei diesem Gesetzentwurf mache ich das aus inhaltlicher Überzeugung. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab.

Mich wundert sogar, dass Sie diesen Gesetzentwurf auch mit dieser Begründung eingebracht haben; denn er widerspricht Ihren bildungspolitischen Forderungen. Sie widersprechen sich selbst, denn das, was Sie machen, ist lediglich eine Verschiebung derjenigen, die zu bezahlen haben. Es geht Ihnen darum, dass nicht die Eltern belastet werden, sondern dass diese Kosten der Freistaat übernimmt. Es geht nur um eine Verschiebung der Kosten. Kurz: Sie wollen die alte Schule festschreiben. Es geht überhaupt nicht um eine Veränderung von Schule.

(Cornelia Falken, Linksfraktion: Wir reden jetzt über Lernmittelfreiheit!)

Moment, natürlich hat Lernmittelfreiheit etwas mit Schulkultur und Lernkultur zu tun. Also Entschuldigung, das haben Sie doch selbst gesagt.

Zum Zweiten. Kollege Colditz hat darauf hingewiesen: Wenn wir nur diesen Weg gehen würden, wäre die Konsequenz, dass die verschiedenen Verlage eine große Kreativität entfalten werden, um zusätzliche Arbeitsmaterialien, Arbeitshefte, Erläuterungen, Erklärungen, Kopiervorlagen usw. zu entwickeln. Ihre Antwort darauf ist eine abschließende Lehrmittelliste. Das ist aber auch eine typische Antwort von Ihrer Seite; Sie wollen alles regeln. Aber wollten wir nicht eine verantwortliche Schule? Wollen wir nicht die pädagogische Freiheit vor Ort haben?

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Wir wollen Chancengleichheit für alle!)

Soll dann, wenn in der einen Schule eine Veränderung stattfindet, erst eine Änderung des Gesetzes hier im Sächsischen Landtag verhandelt werden? Damit widersprechen Sie Ihren pädagogischen Ansätzen aber kolossal.

(Beifall des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Dulig?

Bitte.

Herr Dulig, trauen Sie den Lehrerinnen und Lehrern an den Schulen im Freistaat Sachsen nicht zu, verantwortungsvoll, wenn sie mehr Geld zur Verfügung haben, zu entscheiden, welche Lehr- und Lernmittel sie wirklich verwenden? Sie haben gerade von der Eigenverantwortung der Schule gesprochen. Ich habe bei Ihrem Redebeitrag das Gefühl, dass Sie es den Lehrerinnen und Lehrern gar nicht zutrauen, dass sie Eigenverantwortung tragen.

Nein, Entschuldigung, das ist umgekehrt: Sie trauen der Schule nichts zu, sonst hätten Sie in Ihren Gesetzentwurf nicht eine abschließende Lehrmittelliste hineingeschrieben. So ist es doch, also ganz vorsichtig; ich komme doch schon dazu.

(Unruhe bei der Linksfraktion)

Wir wollen eine andere Schul- und Lernkultur, da brauchen wir natürlich auch den Umgang mit den Lehrmitteln. Sie wollen aber die alte Schule behalten, wollen eine abschließende Lehrmittelliste, und Sie wollen auch die Engführung auf Unterricht. Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf Ihre Unterrichtsschule fest, die Sie doch selbst abschaffen wollen. Was denn nun?

(Caren Lay, Linksfraktion: Besser erst einmal den einen Schritt als gar nichts! – Weitere Zurufe von der Linksfraktion)

Wir schlagen zwei Wege vor, um dieses Ziel zu erreichen. Der eine Weg ist das Schulbudget, das heißt, den Schulen tatsächlich Geld in die Hand zu geben. Wir haben Vertrauen in die Schulen. Wir müssen ihnen die Freiheit geben, mit dieser Verantwortung umzugehen. Das kostet auch Geld. Wir haben einen ersten Schritt gemacht, indem wir in den Doppelhaushalt 10 Millionen Euro eingestellt haben. Das reicht nicht aus, das weiß ich auch. Es ist der erste Schritt. Aber wir wollten genau das erreichen: dass Schulbudgets eingerichtet werden, um verantwortlich damit umzugehen.

Das Zweite ist, das Effizienzpotenzial zu heben. Denn wir dürfen nicht nur die Kostenseite betrachten, sondern tatsächlich auch die Lernmittelseite als solche. Wir sehen also echtes Effizienzpotenzial:

erstens hinsichtlich der Ausstattung mit Schulbüchern, indem diese in Arbeitsbibliotheken bedarfsgerecht vorgehalten werden und nicht mehr jeder Lernende damit ausgestattet wird;

zweitens hinsichtlich der Arbeitshefte und Arbeitsblätter, indem der Lernprozess praktischer, projektorientierter und selbstbestimmter gestaltet wird, was die Verwendung dieser Lernmittel über weite Strecken erübrigt;

zum Dritten hinsichtlich der Ausstattung mit Taschenrechnern und der Nutzung neuer Medien, indem die ITTechnik weniger in Kabinetten exklusiv verschlossen als vielmehr in den Arbeitsräumen allgemein zugänglich und verwendbar stationiert und entsprechend ausgerüstet wird.

Kurz und gut, Sie widersprechen mit Ihrem Gesetzentwurf Ihrer eigentlichen, hier immer vorgetragenen bildungspolitischen Leitlinie. Auf der anderen Seite setzen Sie aber konsequent Ihr Ansinnen fort, alles regulieren zu wollen. Das widerspricht aber genau der Freiheit, die wir in den Schulen brauchen. Das Anliegen ist richtig, der Weg jedoch falsch. Aber weil Sie mit diesem Gesetzentwurf danebenliegen, ist klar, dass wir ihn ablehnen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Dr. André Hahn, Linksfraktion: Na gut, dann machen wir es im November!)

Die NPDFraktion, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich ist der vorliegende Gesetzentwurf ein Produkt für den anstehenden Landtagswahlkampf. DIE LINKE möchte damit zeigen, wie sehr sie sich für die Lernmittelfreiheit an Sachsens Schulen einsetzt.

(Caren Lay, Linksfraktion: Und was machen Sie hier?)

Deshalb wurde der Gesetzentwurf vom 4. März 2009 extrem schnell über die parlamentarischen Hürden gebracht. Aber egal, das Anliegen, eine gesetzliche Grundlage für die Lernmittelfreiheit in ganz Sachsen zu schaffen, also an allen Schulen gleichmäßig, unterstützen wir. Wir werden deshalb diesem Gesetzentwurf zustimmen.

Die Beratungen zum Thema – es gab bekanntlich sogar zwei Anhörungen, eine in diesem, eine im letzten Jahr – haben für uns Nationaldemokraten eindeutig ergeben, dass hier Handlungsbedarf besteht. Es ist ein Unding, dass den Schulen im Freistaat, umgerechnet pro Schüler, völlig unterschiedliche Finanzmittel zur Verfügung stehen. Wenn man die Antwort des damaligen Kultusministers Steffen Flath auf eine Anfrage von Herrn Dulig zur Grundlage nimmt, dann waren es im Schuljahr 2007/2008 zwischen circa 10 und 1 000 Euro; Frau Falken hat das vorhin schon angesprochen.

Die CDU und die CDU-dominierten kommunalen Spitzenverbände – der Landkreistag und der Städte- und Gemeindetag – wollen uns diese extreme Ungleichheit dann auch noch als Ausdruck der Selbstbestimmung der einzelnen Schulen und Schulträger verkaufen. In Wahrheit geht es ihnen doch nur darum, Geld im Landeshaushalt zu sparen und die finanziellen Lasten den Städten, Gemeinden und Kreisen aufzubürden, die ohnehin schon kaum noch wissen, wie sie wichtige Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge überhaupt noch bezahlen sollen.

Wir brauchen also eine einheitliche Regelung in ganz Sachsen. Es muss überall klar sein, welche Beträge den Schulen landesweit zur Verfügung stehen. Ich betrachte es als Skandal, dass das Kultusministerium bis heute der

Meinung ist, dass es keiner einheitlichen Richtwerte oder wenigstens Empfehlungen bedürfe.

Mit den einheitlichen Regelungen könnte auch der immer wieder in den Anhörungen kritisierten Tendenz entgegengewirkt werden, dass Schulen von den Eltern die Anschaffung von sehr teuren Taschenrechnern verlangen, obwohl diese gar nicht für den Unterricht mit dieser technischen Ausstattung benötigt werden. Wenn ich mich richtig erinnere, sah hier bei den Beratungen sogar die CDU Handlungsbedarf. Ich bin gespannt, welche Taten hier nach der Landtagswahl von Ihnen folgen werden.

Zu den Ausgaben für Taschenrechner, Arbeitshefte, dauerhaft benötigte Bücher usw. kommen noch die Kosten der Schülerbeförderung hinzu. Durch die zahllosen Schulschließungen, die Sie, meine Damen und Herren vor allem von der CDU, in den letzten Jahren betrieben haben, müssen immer mehr Schüler zum Teil ziemlich weite Strecken zurücklegen. Auch für dieses Problem scheint uns eine sachseneinheitliche Regelung wesentlich besser zu sein als die regional oft sehr unterschiedlichen Lösungen in den Kreisen.