Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, greifen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein wichtiges und ernstes Thema, das Thema der sogenannten Teilleistungsschwächen, auf. Aber es gibt wenigstens zwei weitere Teilleistungsschwächen, wenn auch nicht so offensichtlich abgrenzbare: die Hyperaktivität und die Konzentrationsschwäche. Und was ist mit den Stotterern? Darauf hat eine Gutachterin in der Anhörung hingewiesen.
Es gibt ein Missverständnis. Sie wollen mit dem Gesetzentwurf keine Teilleistungsschwächen regulieren, sondern nur die echten Behinderungen Legasthenie und Dyskalkulie. Wo aber liegt die Grenze zwischen Schwäche und Behinderung? Die Schwäche wäre nur zeitweise und therapierbar, die Behinderung ist manifest. Erschwerend kommt hinzu, dass wir nicht genug wissen, um Legasthenie oder Dyskalkulie als nicht therapierbar einzustufen. Eine therapierbare Störung wird besonders dann manifest, wenn sie nicht oder falsch therapiert wird. Die dann manifeste Behinderung braucht auch keine Therapie mehr, sondern „nur“ noch den Nachteilsausgleich.
Ihr Gesetz bringt neue Probleme, die mit dem vorliegenden Entwurf nicht lösbar sind. Wir können keiner Regelung zustimmen, die nur ab einer hohen Schwelle greift, nämlich der festgestellten Behinderung. Wir brauchen vielmehr Regelungen unterschwelliger Art, für die der § 35a unseres Schulgesetzes als Rahmen ausreichend ist.
Aus unserer Sicht ist das Anliegen des Gesetzentwurfs unbedingt zu unterstützen, auch wenn der Entwurf selbst sehr problematisch ist. Wir sollten ihn zum Anlass nehmen, unsere Schule aus der Sicht der Teilleistungsschwächen zu betrachten und zu erkennen, dass wir dringend Handlungsbedarf hinsichtlich der Veränderung der dominierenden Lernkultur haben. Was wir also wirklich brauchen, ist erstens eine individuell fördernde Lernkultur, zweitens eine Qualifizierungsoffensive hinsichtlich Diagnose, Förderung und Umgang bei/mit Teilleistungsschwächen oder -störungen und drittens die Überarbeitung und Anpassung der dem Schulgesetz nachgeordneten Rechtsvorschriften – das ist schon angeklungen – sowohl mit Blick auf die Teilleistungsschwächen oder -störungen als auch generell die individualisierende Lernkultur.
Dem Gesetzentwurf selbst können wir nicht zustimmen, da er wie dargestellt Abhilfe nur in wenigen Einzelfällen leisten wird, das Problem aber nicht lösen kann. Die Einzelfälle sollten nach der heutigen Debatte und mit dem nötigen Nachdruck seitens des Parlaments auch ohne Gesetzesänderung lösbar sein, denn das Schulgesetz eröffnet längst den Rahmen hierzu.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die GRÜNEN haben mit dem Gesetzentwurf ein wichtiges Thema angesprochen, und ich glaube, die Ausschussanhörung im Landtag hat gezeigt, dass die Förderung und Unterstützung von Kindern mit Teilleistungsschwächen nicht optimal verläuft. Das Problem beginnt oft mit der Erkennung und auch der Feststellung der Teilleistungsschwächen durch den schulpsychologischen Dienst. Wenn wir uns da in Sachsen umschauen und sehen, dass es gerade einmal 40 Stellen für Schulpsychologen gibt, dann lässt sich nur feststellen: Das ist deutlich zu wenig und hier muss dringend aufgestockt werden.
Ein zweites Problem ist der Nachteilsausgleich für die betroffenen Kinder. Es gibt kein klares Verfahren für die Diagnostik der Dyskalkulie. Hinzu kommt: Nicht einmal die vorhandenen Möglichkeiten bei Legasthenie – Stichwort Notenschutz – werden zugunsten der betroffenen Kinder ausgeschöpft. Wir haben viele Reaktionen von Eltern, die sich an uns wenden. Ich glaube, sie machen das nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sie ernsthaft vor der Problematik stehen und keinen Lösungsweg sehen.
Klar ist, dass die Kinder unter dem falschen Umgang mit den Teilleistungsschwächen leiden. Sie rutschen oft in der Leistung ab, werden auffällig, und das liegt eben nicht an der Teilleistungsstörung, sondern am Umgang damit.
Wie Frau Günther-Schmidt richtig hingewiesen hat, sind Dyskalkulie und Legasthenie kein Zeichen für mangelnde Intelligenz von Kindern. Sie sagen überhaupt nichts darüber aus. Diese Kinder sind in anderen Bereichen oftmals intelligenter und können bessere Leistungen vollbringen als vielleicht mancher Alterskamerad.
Wir brauchen wirksame Verbesserungen in diesem Bereich. Allerdings glauben wir, dass mit dem Gesetzentwurf diese Verbesserungen nicht eintreten. Es gab eine ganze Reihe von Kritikpunkten auch in der Anhörung. Wenn wir uns bei der Diagnostik umschauen, wurde bei dem starren Diagnoseverfahren befürchtet, dass es zu längeren Zeiten bis zur Anerkennung kommt. Das ist am Ende kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt.
Deshalb sind wir der Auffassung, dass der Gesetzentwurf eine ganze Reihe von guten Anregungen enthält, Anregungen, die aus unserer Sicht in der neuen Legislaturperiode auch aufgegriffen werden sollten. Wir müssen uns um bessere Lösungsmöglichkeiten bemühen. Im Moment werden wir uns zu dem Gesetzentwurf aber enthalten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Seidel, es wirkt ja selten besonders souverän, wenn man auf Zwischenfragen nicht eingeht. Meiner Einschätzung nach haben Sie hier wieder einmal einen besonderen sächsischen Weg beschritten, der direkt und unmittelbar in die Sackgasse führt.
Es kann doch nicht sein, dass Sie LRS-Klassen als Ersatz für die Behandlung von Legasthenie einschätzen. Sie müssen es doch wissen, in der Anhörung hat die Sachverständige, die die CDU bestellt hat, erstens gesagt: Na ja, ich spreche jetzt hier mal zu LRS-Klassen, zu Legasthenie und Dyskalkulie weiß ich leider nichts. – Dafür kann ich ja nichts, die haben Sie ja bestellt.
Aber sie musste zugeben, dass überall in der Bundesrepublik und weltweit Legasthenie und Dyskalkulie als Behinderung anerkannt sind, nur in Sachsen nicht. Da beschränkt man sich auf LRS, die eben therapierbar ist, ein vorübergehendes Phänomen. Sie können doch auch einen Einbeinigen nicht zwingen, im Hürdenlauf Erster zu werden. Das geht doch einfach nicht. So müssen Sie auch mit Dyskalkulikern und Legasthenikern umgehen. Sie müssen an der Behinderung ansetzen und danach das Umfeld Schule ausrichten. Sich zu verstecken hinter solchen Phrasen, was die LRS-Klassen anbelangt, halte ich wirklich für verwerflich auch im Umgang mit den Betroffenen.
Ich habe Ihnen im Ausschuss von einer Familie erzählt, welches Spiel die auf sich nehmen mussten, welchen Marsch durch die Instanzen und wie das Kind dabei kaputt gespielt wurde. So etwas sollten Sie sich einmal anhören. Das ist die Konsequenz Ihrer Ignoranz.
Zur Frage der Dyskalkulie: Es muss sich niemand dafür rechtfertigen, dass er eine Behinderung hat. Es ist auch nicht nötig zu sagen, woher diese kommt. Wenn jemand eine Behinderung hat – die WHO klassifiziert die Dyskalkulie als Behinderung –, ist der Staat verpflichtet, entsprechende Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen auch im schulischen Bereich zu gewähren. Das müssen Sie einfach sicherstellen. Wenn Sie dies nicht tun und sich zurückziehen, weil Sie es nicht wissen – ich meine, da dürfte viel in diesem Land nicht passieren, nur weil Sie es nicht wissen –, und das dann einfach verweigern, das geht nicht. Ich empfehle Ihnen, das Anhörungsprotokoll noch einmal durchzulesen.
Unsere Sachverständige hat auf Gerichtsurteile Bezug genommen. Dann könnte es Ihnen aufgehen. Wenn wir hier keinen Gesetzentwurf zu diesem Thema in Sachsen zustande bringen, wird jeder, der vor Gericht zieht, dort seine Rechte zugestanden bekommen. Es kann doch aber nicht das Ziel sein, dass man jahrelang Kraft und Stärke verwendet, nur um seine Kinder vor irgendwelchen
Lassen Sie sich das bitte noch einmal durch den Kopf gehen. Das, was Sie hier vorgeben, ist wirklich ein Irrweg.
Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann Herr Minister.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jede Schule in Sachsen hat die Aufgabe, ihre Schüler optimal und individuell zu fördern. Diese Forderung ist im Schulgesetz hinreichend geregelt. Dieses Gesetz hebt die Teilleistungsstörungen besonders hervor.
Kinder mit Teilleistungsstörungen werden vor allem im regulären Unterricht gefördert. Sie haben aber auch die Möglichkeit, Förderunterricht und ergänzende Angebote wahrzunehmen. In der Stundentafel der jeweiligen Schulart sind für den Förderunterricht entsprechende Stunden ausgewiesen.
Die Förderung besteht vor allem aus differenzierten Lernangeboten. Zusätzlich können an öffentlichen Schulen Fachberater für den Bereich Lese-RechtschreibSchwäche eingesetzt werden. Die Schulordnungen der einzelnen Schularten enthalten Regelungen zu Fördermaßnahmen bei Teilleistungsschwächen und zur Berücksichtigung der Beeinträchtigung bei der Leistungsbewertung.
Schüler mit festgestellter Lese-Rechtschreib-Schwäche erhalten also bereits eine angemessene individuelle Förderung, die auch ergänzend zum Regelunterricht der Klasse stattfinden kann. Sie bezieht sich vor allem – –
Sie bezieht sich vor allem auf die Fächer Deutsch und Fremdsprachen. Im Grundschulbereich können Schüler mit festgestellter Lese-Rechtschreib-Schwäche in Klassen unterrichtet werden, die mit eigens für sie konzipierten Stundentafeln und in der Regel speziell ausgebildeten Lehrern in besonderer Weise auf die notwendigen Förderungen ausgerichtet sind.
Mit der im Gesetz geforderten Aufhebung – und Herr Kollege Seidel hat darauf hingewiesen – des § 13a
SOGS würde die Rechtsgrundlage zur Führung solcher Klassen entfallen. Derzeit werden aber 2 331 Schüler in insgesamt 184 LRS-Klassen unterrichtet, in denen sie optimal gefördert werden.
In Bezug auf die Rechenschwierigkeiten – das veröffentlichte mein Haus – wurden zu Beginn des Schuljahres 2007/2008 „Empfehlungen zur Förderung von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Erlernen des Rechnens“ gegeben. Sie informieren unter anderem über die schulischen Möglichkeiten, von Rechenschwäche betroffene Schüler dabei zu unterstützen, ihre Fähigkeiten beim Erlernen des Rechnens zu stärken.
Hier können sich auch Eltern darüber informieren, welche weitergehenden Förderunterstützungsmöglichkeiten es für ihre Kinder gibt. So wird verstärkt an die diagnostische Kompetenz der Lehrkräfte angeknüpft, Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Fach Mathematik durch geeignete Maßnahmen, Methoden und gegebenenfalls spezielle Angebote zu helfen.
Die Empfehlungen beinhalten auch unterstützende Informationen zur Feststellung und Dokumentation von Rechenschwierigkeiten.
Mit diesen rechtlichen Regelungen und den ergänzenden Materialien erfüllt Sachsen die von der Kultusministerkonferenz beschlossenen „Grundsätze zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten beim Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen“ vom 04.12.2003 in der Fassung vom 15. November 2007 in vollem Umfang.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt unterstreichen. Der Gesetzentwurf sieht eine Gleichstellung von LeseRechtschreib-Schwäche und Rechenstörungen vor. Diese Gleichstellung kann mein Haus nicht unterstützen. Denn Ursache, Entstehung und Ausprägung von Rechenstörungen sind noch nicht hinreichend erforscht und abgesichert. Ich bin dankbar, dass der Kollege Gerlach hier auf diesen Punkt besonders hingewiesen hat.
Einen Notenschutz im Fach Mathematik im Fall einer Rechenstörung – wie im Antrag gefordert – ließe keine sinnvolle Notengebung mehr zu. Zudem bestünde die Gefahr, dass der Grundsatz der gleichen Leistungsbewertung verletzt würde.