Ich kann Ihnen etwas zum beabsichtigten Verfahren sagen. Das Innenministerium wird zunächst die bisherige Demonstrationsgeschichte im Freistaat Sachsen auswerten und sehen, welche Orte potenziell gefährdet sein könnten. Dann bedarf es einer Abstimmung zwischen Innen- und Justizministerium und vor allem dem Wissenschaftsministerium. An der Meinung der Gedenkstättenstiftung in dieser Frage ist uns gelegen. Dann wird die Sache über eine Kabinettsvorlage gegebenenfalls ins Parlament getragen und Ihnen dort über die Ausschüsse vorgelegt. Das Verfahren wird also noch geraume Zeit dauern. Ich kann Ihnen allerdings zusagen, dass wir es mit der gebotenen Beschleunigung durchführen werden.
Die befürwortende Haltung der Staatsregierung beruht ohnehin vor allem auf einer Gesamtbewertung der versammlungsrechtlichen Eingriffsmöglichkeiten. In ihrem Antrag geht die PDS-Fraktion auf die weitere, für die Vollzugsbehörden bedeutende Änderung des StGB kaum ein. Dies scheint mir aber wichtig zu sein. Infolge der Erweiterung des Straftatbestandes der Volksverhetzung haben die zuständigen Behörden nunmehr die Möglichkeit, Versammlungen auf der Grundlage von § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz zu verbieten, wenn und soweit zu besorgen ist, dass bei ihrer Durchführung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt werden soll. Diese Erweiterung der Eingriffsbefugnis hat unabhängig von der Festsetzung der möglichen Gedenkstätten für den Freistaat eine, wie ich glaube, große praktische Bedeutung.
Wenn die PDS-Fraktion in ihrer Antragsbegründung zu der Annahme gelangt, dass die Ergänzung des Gesetzes als Beschränkung der bisherigen Reaktionsmöglichkeiten, als „Einfallstor für ein flexibles Reagieren der neonazistischen Kräfte“ missverstanden werden könne, so teile ich diese Einschätzung nicht. Dass der neue Abs. 2 des § 15 Versammlungsgesetz die Befugnisse der zuständigen Behörden erweitert, kommt in seinem Wortlaut eindeutig zum Ausdruck. Durch das Wort „insbesondere“ wird klargestellt, dass wie bisher auch Versammlungen an anderen Orten verboten oder mit Auflagen beschränkt werden können.
Die PDS-Fraktion darf ich noch einmal an den Anlass der Gesetzesänderung und insbesondere die Debatte im Bundestag sowie die Ergebnisse der verschiedenen Anhörungen erinnern. Das Gesetzgebungsverfahren wurde stets im Kontext einer Verschärfung des bestehenden Versammlungsrechtes diskutiert. Auch die Bürgerinnen und Bürger haben ohne jeden Zweifel verstanden, dass
diese Neuregelung einen Beitrag zu einer effektiveren Bekämpfung neonationalsozialistischer Umtriebe leisten soll. Abgesehen von möglichen Differenzen bei den unbestimmten Rechtsbegriffen sehe ich uns vielleicht nicht im Verfahren, aber in der Sache einig und erkenne mit einer Ausnahme kaum parteipolitisches Streitpotenzial im Hohen Hause. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU, der PDS, der SPD und der FDP)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Schiemann, Respekt für die klaren Worte, für die klare Schilderung der Singularität, der Einmaligkeit der Verbrechen, die im Namen des deutschen Faschismus begangen worden sind. Ich teile mit Ihnen nicht ganz die Auffassung, Ihre sich dann anschließende Meinung, es müsse ein Grundkonsens sein, der nicht in der Verfassung angelegt ist, dass sich – ich übersetze frei; sinngemäß habe ich es so verstanden – die Menschen im Freistaat Sachsen in ihrer Verantwortung vor der Geschichte aktiv dafür einsetzen, dass das nie wieder geschieht und dass Gedanken, die das verniedlichen, die das wiederkehrbar machen, zumindest moralisch geächtet sind. Hier sind wir der Auffassung, dass es auch einen verfassungsmäßigen Konsens gibt. Dieser ergibt sich unserer Meinung nach zumindest partiell und nachwirkend aus Artikel 139 des Grundgesetzes, der nach wie vor geltendes Verfassungsrecht ist und dessen Überschrift „Befreiungsgesetze“ lautet: „Die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.“ Damit wir Klarheit haben, meine Damen und Herren rechts: § 139 gilt! Er gilt auch für die Reichweite Ihres Handelns und auch für die Begrenzungen der Meinungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit und der Koalitionsfreiheit durch das Grundgesetz und die Sächsische Verfassung. Der Artikel 20 zum Beispiel unserer eigenen Verfassung normiert in Übereinstimmung mit der analogen Bestimmung im Grundgesetz die Meinungsfreiheit tatsächlich mit der Formulierung: „Jede Person hat das Recht, ihre Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern, zu verbreiten und sich aus allen allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten.“ Aber der Abs. 3 sagt: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ Das sind drei Voraussetzungen, die Ihre neonazistischen Aktivitäten definitiv unter dem Abs. 3 gesehen schon im Bereich der Meinungsfreiheit angreifbar machen. Ich verzichte darauf, aus dem § 24 oder aus anderen Bestimmungen weiter zu zitieren. Herr Kollege Bräunig, Sie haben gesagt, Sie überlassen es der Staatsregierung und warten darauf mit Freude. Das ist mein Problem. Wir sind als Gesetzgeber dafür zuständig, ob wir die entsprechende Ermächtigung im Bundesgesetz ausfüllen oder nicht. Sich eine Meinung zu bilden,
ob wir es tun sollten in Abwägung des Für und Wider – mich hat die Position des Herrn Staatsministers sowie meines Kollegen Dr. Martens oder von Herrn Kollegen Lichdi durchaus überzeugt –, darüber muss man tatsächlich streiten. Ich sage vorab, ich habe der Position der Staatsregierung entnommen, dass hierüber gründlich nachgedacht wird und dass man von dieser Regelung in jedem Fall nicht extensiv Gebrauch machen will, sondern unter dem Aspekt, dass letzten Endes das Gesetzesanliegen erfolgen muss.
Letzte Bemerkung: Herr Apfel, es wäre viel zu Ihnen zu sagen; einen Teil hat Kollege Martens bereits gesagt. Wie weit Ihre Demagogie geht, erkennt man daran: Dieses Holocaust-Mahnmal, von
dem Sie sagen, das interessiert uns nicht, dort wollen wir nicht hin, hat Ihr Parteivorsitzender einmal mit den Worten bedacht, dass aus dem Beton dieses Denkmals für die Juden Europas das Fundament der neuen deutschen Reichskanzlei entstehen wird. So viel zu Ihrer Lauterkeit und Ihrem wirklichen Charakter.
Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 4/1060 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Bei Stimmenthaltungen und Stimmen dafür ist der Antrag der Fraktion der PDS mehrheitlich abgelehnt worden und der Tagesordnungspunkt ist beendet.
EU-Dienstleistungsrichtlinie: Information zum Verhandlungsstand; Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit
Die Reihenfolge der Diskussion in der ersten Runde lautet: NPD, CDU, SPD, PDS, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie sich streiten wollen, dann bitte lieber draußen. Es ist schon so viel Unruhe hier im Saal.
Ich habe den Wechsel bemerkt. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Zweck unseres Antrages ist die Manifestation des Willens dieses Landtags, sich als kritischer und gut informierter Beobachter in das Entscheidungsprocedere der EU-Organe mit einzubringen.
Dass wir als Abgeordnete eines Landtags keinen direkten Einfluss auf das Verfahren haben, ist hinreichend bekannt. Aber als Volksvertreter von vier Millionen betroffenen Sachsen sollten wir uns schon über den Stand der Entscheidungsfindung in Brüssel möglichst detailliert informieren lassen und das Verfahren konsequent und zeitnah begleiten. So viel zum grundsätzlichen Anliegen unseres Antrages.
Wir halten es eben nicht für ausreichend, hier lediglich irgendwelche grundsätzlichen Erklärungen in die Wüste
zu rufen, etwa des Inhalts, dass rechtliche Standards für Dienstleistungen, die in unserem Staat angeboten werden, auch der Kontrolle unseres Staates, unserer demokratisch legitimierten Organe unterliegen sollten. Mit dieser Forderung der CDU und der SPD sind wir soweit einverstanden bis auf das Wörtchen „auch“. Wir fordern vielmehr, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für Dienstleistungen, die hier angeboten werden, ausschließlich hier definiert werden, und zwar unter Wahrung des Demokratieprinzips, des Grundgesetzes und der Sächsischen Verfassung.
Damit wir uns richtig verstehen, meine Damen und Herren: Das Demokratieprinzip ist auch dann gewahrt, wenn über die rechtlichen Bedingungen für das Anbieten von Dienstleistungen zwischenstaatliche Vereinbarungen getroffen werden, die abgrenzbar, aber auch kündbar sind. Es ist aber nicht mehr gewahrt, wenn über die Köpfe der Betroffenen hinweg eine allumfassende Regelung zustande kommt, deren Geltungsbereich nicht klar erkennbar ist, die zu einem verheerenden Verdrängungswettbewerb gegen den Mittelstand und zu einer weitestgehenden Verdrängung unserer nationalen, demokratisch verabschiedeten Schutzvorschriften führt, und vor allem, sehr verehrte Zuhörer, eine Regelung, die eben nicht kündbar ist. Das ist für uns das Problem.
Wir Nationaldemokraten sind keineswegs gegen eine vernünftige Verkehrsgemeinschaft mit unseren Nachbarvölkern. Aber wir lehnen es ab, die Modalitäten dieser Gemeinschaft von oben diktiert zu bekommen. Wir werden eine Brüsseler Zwangsverwaltung zu ihrer Einhaltung nicht anerkennen.
Zurück zum Zweck unseres Anliegens. Dazu muss ich noch einmal auf den derzeitigen Stand in Sachen Dienstleistungsrichtlinie eingehen. Wie Sie alle wissen, liegt der so genannte Bolkestein-Entwurf einer europäischen Dienstleistungsrichtlinie bereits seit Januar 2004 vor, also über ein Jahr ist das her.
Obwohl nach derzeitiger Erkenntnis die Realisierung dieses Entwurfs dem Sozialdumping Tür und Tor öffnet und die nationalen Schutzvorschriften weitestgehend verdrängen würde und obwohl nach Feststellung des Bundesrates bereits vor einem Jahr der genaue Geltungsbereich nicht einmal erkennbar ist, hielten es der französische Präsident und auch unser Bundeskanzler bis vor Kurzem für angebracht, den Entwurf zu unterstützen. Das ist jetzt etwas anders geworden. Die Wahl in NRW steht bevor; die Abstimmung über die Europäische Verfassung in Frankreich ebenso. Aber auf alle Fälle möchte ich ganz klar feststellen, dass es aus meiner Sicht eben nicht akzeptabel ist, wie das Ganze gelaufen ist.
Es gibt nur ein Herumeiern der Politiker, das lediglich dazu dient, auf die so genannten Befindlichkeiten der Menschen einzugehen. Das sieht dann manchmal so aus, als hielte man die Wähler für nicht ganz zurechnungsfähig, für unreife Kinder, denen man mit psychologischer Raffinesse das ohnehin Unvermeidbare beibringen müsse. So weit – so schlecht.
Nun hatte man Ende März durch die öffentliche Berichterstattung durchaus den Eindruck, der Ministerrat in der Zusammensetzung der Wirtschaftsminister hätte unter dem Einfluss der Deutschen und Franzosen in irgendeiner Form Stellung genommen und dies wäre irgendwo nachlesbar. So wurde die Situation in praktisch allen Nachrichten und Kommentaren in Deutschland dargestellt. Und es wird immer noch dieser Eindruck vermittelt, die Bundesregierung hätte sich der Skepsis der Deutschen gegenüber der Dienstleistungsrichtlinie gebeugt, gewissermaßen einen Kurswechsel vollzogen, und nun der EU-Kommission eine milde Absage erteilt. Nichts könnte falscher sein, meine Damen und Herren, als dieser Eindruck.
„In Wirklichkeit hat der Ministerrat den seit Januar vergangenen Jahres vorliegenden Richtlinienentwurf nur extrem oberflächlich diskutiert.“ Das ist ein Zitat eines Kommissionsreferenten, mit dem wir telefoniert haben. Es wurde in Brüssel nur extrem oberflächlich diskutiert.
Er kann es auch gar nicht anders tun, weil es in diesem angewandten Verfahren der Mitentscheidung nach § 251 EG-Vertrag erst nach Vorliegen der Stellungnahme des EU-Parlaments möglich ist. Diese wird aber erst Ende des Jahres erwartet.
Wenn man als Bürger konkret nachfragt – das haben wir, wie gesagt, in Brüssel getan –, um die genaue Position der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Richtlinienentwurf zu erfahren, dann erfährt man gar nichts.
Es wird wieder so sein, dass erst vollendete Tatsachen geschaffen werden. Da wird es so sein wie in der Vergangenheit: Man erfährt erst etwas, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Meine Damen und Herren! Wir als Abgeordnete des Sächsischen Landtags sollten zeigen, dass wir trotz fehlender formeller Kompetenz im eigentlichen EU-Entscheidungsverfahren entschlossen sind, die Verantwortung für über vier Millionen Menschen in Sachsen wahrzunehmen.
Das können wir tun, indem wir die Staatsregierung bitten, exakte Informationen zu beschaffen und weiterzuleiten, indem wir die Staatsregierung ersuchen, die Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Dienstleistungsrichtlinie sorgfältig prüfen zu lassen, und drittens, indem sich der Landtag regelmäßig mit diesen Informationen im Plenum beschäftigt.
Wir sollten uns zuständig fühlen, auch wenn wir formal nicht zuständig sind. Aber wir haben die Verantwortung für über vier Millionen Sachsen. Das ist nicht nur unser Recht, sondern das ist meiner Meinung nach auch unsere Pflicht. Denn es handelt sich bei der Dienstleistungsrichtlinie um Entscheidungen, die wahrscheinlich viel folgenschwerer sein werden als die, über die wir in den letzten Tagen gesprochen haben. Aus diesem Grunde bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selten zuvor gab es in Deutschland eine solch große Koalition gegen eine Maßnahme der Europäischen Union. Viele stehen in einer Phalanx gegen die vorgeschlagenen Regelungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Dabei reicht die Kritik von fundamental bis gemäßigtkonstruktiv. Es sind durchaus positive Ansätze zu erkennen, die eine Fundamentalopposition gegen die EURichtlinie verbieten. Wir sollten die Diskussion versachlichen. Einen fairen Wettbewerb ohne unnötige Einschränkungen braucht das sächsische Dienstleistungsgewerbe nicht zu scheuen.
Lassen Sie mich zu Beginn auf einige sehr interessante Zahlen aus dem Dienstleistungsbereich hinweisen. Insgesamt werden heute 74 % des Bruttoinlandsproduktes im Dienstleistungsbereich erwirtschaftet. Zwei Drittel der Erwerbstätigen sind hier beschäftigt. Die Zahl der Arbeitsplätze ist um 15 % gestiegen. Der Dienstleistungssektor ist also in Deutschland in jeder Beziehung ein Wachstumssektor. Diejenigen, die das erarbeiten, sind vorrangig mittelständische Unternehmen.
Im krassen Gegensatz dazu steht aber, dass der gegenwärtige Anteil der Dienstleistungen am deutschen Export nur 12,3 % beträgt.
Gerade wir hier in Sachsen haben im Dienstleistungsbereich ein enormes Exportpotenzial, das derzeit nicht annähernd ausgeschöpft wird. Er wächst in sich und nimmt ständig zu. Trotzdem werden in ganz Deutschland Dienstleistungen im Wert von 47 Milliarden Euro mehr eingeführt als ausgeführt. Um diesen Negativsaldo abzubauen, hat die EU-Dienstleistungsrichtlinie durchaus Vorteile.
Sie soll Dienstleister in der EU vor Diskriminierung der Nationalstaaten speziell in administrativer Hinsicht schützen. Im internationalen Vergleich ist festzustellen, dass es in Deutschland aufgrund eines sehr liberalen Gewerberechtes kaum Beschränkungen für ausländische Dienstleistungsanbieter gibt. Für deutsche Unternehmer und Anbieter im Ausland bestehen jedoch hohe bürokratische Hemmnisse, wie zum Beispiel das Vorlegen eines behördlichen Nachweises zum Beweis der Solvenz oder die zwingende Anmeldung von Kraftfahrzeugen im Anbieterland.
Wir stehen deswegen für die Öffnung des europäischen Marktes für die Dienstleistungen. Angesichts der genannten Zahlen würde diese Öffnung die Absatzchancen unserer sächsischen Unternehmen deutlich steigern.