Wir stehen deswegen für die Öffnung des europäischen Marktes für die Dienstleistungen. Angesichts der genannten Zahlen würde diese Öffnung die Absatzchancen unserer sächsischen Unternehmen deutlich steigern.
Die andere Seite der Medaille ist natürlich, dass die Liberalisierung Wettbewerbern den Zutritt zum deutschen Markt noch mehr erleichtern würde, als es jetzt schon der Fall ist. Hier müssen wir einem möglichen Sozialund Umweltdumping sowie einer Nivellierung von Qualitätsstandards durch wirksame Ausnahmen und ausreichenden Schutz nationaler Sicherheitsniveaus einen Riegel vorschieben. Insbesondere für Dienstleister mit niedrigen Qualifikationen würden ansonsten keine fairen Wettbewerbsbedingungen mehr bestehen.
Deutschland hat gemäß dem Modell der sozialen Marktwirtschaft Grundregeln für die Erbringung von Dienstleistungen aufgestellt. Bei der Liberalisierung muss diesen Grundsätzen Rechnung getragen werden.
Leider hat es die Bundesregierung bis heute nicht geschafft, substanziellen Einfluss auf die laufenden Verhandlungen zu nehmen, obwohl der Richtlinienvorschlag seit einem Jahr auf dem Kabinettstisch liegt. Zudem ist die Meinung der Bundesregierung zur Dienstleistungsrichtlinie bisher durchaus unklar. Sie ist aufgefordert, die existenziellen Interessen Deutschlands nicht zu verschlafen. Das haben wir schon bei der Dienstleistungsfreiheit gegenüber den neuen Beitrittsstaaten erlebt, die nur für den Bau- und Reinigungssektor gilt. Da keine flächendeckenden Schutzregelungen ausgehandelt wurden, bekommen alle Dienstleister die Konkurrenz aus Osteuropa unmittelbar zu spüren.
Damit auch bei der Dienstleistungsrichtlinie solche eklatanten Versäumnisse vermieden werden, muss man jetzt handeln. Medienwirksam inszenierte Appelle an EUKommissionspräsident Barroso bringen nichts, solange es keine abgestimmte Linie der Bundesregierung gegenüber dem Europaparlament gibt. Wir möchten die Bundesregierung daher auffordern, unser Änderungspaket, welches Ihnen mit unserem Antrag vorliegt, im Interesse Deutschlands und des Freistaates Sachsen auf europäischer Ebene durchzusetzen.
Die Kritikpunkte kulminieren im so genannten Herkunftslandsprinzip. Demnach unterliegt der Dienstleister nur den Rechtsvorschriften des Landes, in dem er sich auch niedergelassen hat. Wird dieser auch im EU-Ausland aktiv, muss er keine zusätzlichen Regelungen beachten. Die EU-Kommission hat bereits 23 Ausnahmen vom Herkunftslandsprinzip aufgelistet, wie zum Beispiel Postdienste und Gas- und Wasserversorgung. Die Entsenderichtlinie bleibt ebenfalls unangetastet. Sie beschränkt sich jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur
auf das Baugewerbe. Weitere Ausnahmen bestehen zum Beispiel bei Berufsqualifikation und Arbeitsschutz. Diese Ausnahmen sind richtig, gehen uns aber noch nicht weit genug.
Das Herkunftslandsprinzip wird von uns prinzipiell erst einmal befürwortet, da dadurch viele bürokratische Hürden für deutsche Unternehmen im Ausland wegfallen sollen. Dennoch sehen wir Korrekturbedarf in konkreten Handlungsfeldern der Richtlinie. Insbesondere muss darauf gedrängt werden, dass die Kontrolle der Dienstleistungen der ausländischen Unternehmen den lokalen Behörden unterliegen. Es wäre realitätsfremd zu glauben, dass die Behörden des Herkunftslandes in der Lage oder motiviert wären, die eigenen Dienstleister im Ausland zu überwachen. Auch muss explizit dargestellt werden, dass die Dienstleistungsrichtlinie die Mitgliedsstaaten nicht zur Privatisierung von Dienstleistungen der Daseinsfürsorge zwingt. Um auch andere sensible nationale Bereiche zu schützen, muss durch eine abschließende Positivliste der Anwendungsbereich des Herkunftslandes genau präzisiert und eingeschränkt werden. Für andere Bereiche gilt das Recht des Bestimmungslandes, eine gegenseitige Anerkennung mit Mindeststandards oder des harmonisierten europäischen Rechts. So wird gewährleistet, dass das Herkunftslandsprinzip einerseits nicht zur Aushöhlung nationaler Standards in sensiblen Bereichen führt, andererseits aber bei weniger problematischen zur Anwendung kommen kann. Ziel muss es sein, Risiken zu minimieren und Chancen zu maximieren. Dies kann und muss durch eine ausgewogene Einflussnahme und nicht durch hektischen Aktionismus erfolgen. Welch dringender Handlungsbedarf hier besteht, zeigt nicht nur die oben genannte Koalition gegen die Dienstleistungsrichtlinie, sondern das zeigen auch die Reaktionen der EU-Verantwortlichen selbst. EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy kündigte in der letzten Woche Nachbesserungen an. Dieser Druck, den der Binnenkommissar von den Mitgliedsstaaten verspürt, muss aufrechterhalten werden. Schließlich hat bei dieser Richtlinie der Rat der EU entscheidendes Mitspracherecht. Oberstes Prinzip muss dabei sein, Lohndumping und unfairen Wettbewerb von Anfang an zu verhindern. Darüber hinaus muss die Gefahr gebannt werden, dass einheimische Standards ausgehebelt werden. Sehr geehrte Damen und Herren! Mit unseren Vorschlägen haben wir praktikable Vorschläge vorgelegt, die einerseits die Liberalisierung von Dienstleistungen voranbringen und andererseits Sozialabbau und unlauteren Wettbewerb verhindern. Danke. (Beifall bei der CDU und der SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zwei Anmerkungen zum Antrag der NPD: Erstens. Der vorliegende Antrag hat sich mittlerweile von der Zeit überholen lassen. Wir sind mittlerweile
Zweitens. Sie haben es in der Begründung gehört, aber auch nachlesen können: Auch hier wird wieder der Versuch unternommen, ausländerfeindliche Parolen breitzutreten und mit Deutschtümelei etwas gegen die europäische Integration und vor allem gegen die Europäische Union anzuführen.
Aufgrund der berechtigten Kritik, vor allem der rot-grünen Bundesregierung, wird der erste Entwurf der – –
Gestatte ich nicht. EU-Dienstleistungsrichtlinie durch den Ministerrat und das Europäische Parlament seit Ende März grundlegend überarbeitet und verändert.
Im laufenden Gesetzgebungsverfahren geht es darum, vor allem einen sinnvollen Praktikabilitätsausgleich zwischen dem Schutz der Beschäftigten vor Sozialdumping und vor allem der Freiheit des europäischen Dienstleistungsmarktes herzustellen. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie – das wissen Sie – ist Teil der Lissabon-Strategie, die vorsieht, die EU zu einem der wettbewerbsfähigsten und vor allem auch der wissensbasiertesten Wirtschaftssysteme der Welt zu machen.
Ein Teil dieser Lissabon-Strategie ist das Binnenmarktkonzept, das durch eine Liberalisierung des Dienstleistungssektors erhebliche Beschäftigungspotenziale sieht. Diese Wachstums- und Innovationspotenziale will die EU-Kommission ausschöpfen, indem sie den Binnenmarkt auch für Dienstleistungen vollendet und ihn vor allem von jeglichen Hindernissen befreit.
Dieses Ziel, meine Damen und Herren, ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn es sich dabei um bürokratische Hindernisse handelt. Rund 70 % der EU-Wirtschaftsleistung werden inzwischen durch Dienstleistungen erbracht. Daher erscheint es sinnvoll, bürokratische Hemmnisse zu beseitigen, die sich vor allem für Klein- und mittlere Unternehmen negativ auswirken. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass der EU-Binnenmarkt klare Regulierungen benötigt, um den sozialen Standards der EU Rechnung zu tragen. Genau diese Standards wurden in dem bisherigen Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie nahezu völlig ignoriert, meine Damen und Herren.
Dem reinen Wettbewerb und dem Vorhaben, das freie Spiel der Kräfte im Dienstleistungsbereich zuzulassen und damit bestehende Sozial-, Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte auszuhebeln, muss aus Sicht der SPDLandtagsfraktion entschieden begegnet werden.
Wenn Großunternehmen Milliardengewinne einstreichen und damit dazu beitragen, dass Deutschland Exportweltmeister ist, sich aber aus der gesamtgesellschaftlichen
Verantwortung stehlen, dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass Dumpinglöhne die Binnennachfrage schwächen und bei Klein- und mittelständischen Betrieben auch in Sachsen zwangsläufig Arbeitsplätze gefährden.
Nach wie vor gilt: Autos kaufen keine Autos, meine Damen und Herren. Deshalb ist eine grundlegende Veränderung der vorgelegten Dienstleistungsrichtlinie, vor allem wegen der unkalkulierbaren Folgen auf das Sozialgefüge und für die Verbraucherrechte und für die Arbeitnehmerrechte in Europa, unverzichtbar. Insbesondere das geplante Herkunftslandsprinzip, das vorsah, dass Dienstleister bei grenzüberschreitenden Angeboten lediglich an die Vorschriften ihres Heimatlandes gebunden sein sollten, ist nicht akzeptabel und wird auch von der SPD-Fraktion abgelehnt. Dies würde zu einem Sozialund Lohndumping von nie gekanntem Ausmaß führen.
Meine Damen und Herren! Ich bin der festen Überzeugung, dass man nicht die niedrigen Standards eines Landes als Maßstab nehmen kann, um diese dann über die gesamte EU auszubreiten. Es bleibt deshalb eindeutig festzustellen: Die sozialen Bedingungen der Menschen, die in Europa leben und arbeiten, sind nicht weniger wichtig als das Funktionieren eines Marktes.
Deshalb dürfen die Konditionen, unter denen die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen erfolgen soll, nicht dazu führen, dass eine unsoziale Unterbietungskonkurrenz quer durch Europa stattfindet. Deshalb wird es höchste Zeit, soziale Mindeststandards in einem europäischen Sozialstaat festzuschreiben.
Dazu muss es nach Auffassung der SPD-Fraktion auch einen differenzierten europäischen Mindestlohn geben.
Der jüngst bekannt gewordene Skandal in Chemnitz gibt gleichsam den Vorgeschmack darauf, was passieren kann, wenn ein schrankenloser Wettbewerb nur noch aus dem Herkunftslandsprinzip abgeleitet wird. Wie Sie wissen, gibt es seit Januar in Chemnitz die Situation, dass 50 tschechische und slowakische Schlachter zu Dumpinglöhnen von einem tschechischen Auftraggeber verpflichtet worden sind, und rund 60 Chemnitzer, die jetzt als Zerleger und Schlachter arbeitslos sind, haben hautnah spüren können, was es heißt, wenn die Dienstleistungsrichtlinie, wie sie in der Ursprungsform vorgelegt worden war, Wirklichkeit werden sollte. Der deutsche Auftraggeber wäscht seine Hände in Unschuld und verweist darauf, dass er hinsichtlich der Durchführung des Auftrages vom tschechischen Dienstleister keinerlei Auflagen verlangt habe.
Derartige Fälle würden bei einer Realisierung der EUDienstleistungsrichtlinie in der ursprünglichen Form zur täglichen Realität auf dem Arbeitsmarkt werden.
Davon wäre vor allem Sachsen wegen der unmittelbaren Grenznähe besonders betroffen. Wir brauchen daher allgemeine Standards am Arbeitsmarkt für alle in Deutsch
land Beschäftigten, die Lohndumping verhindern und damit einen fairen Wettbewerb um die Qualität angebotener Waren und Dienstleistungen ermöglichen.
Eines muss nach meiner Auffassung klar sein: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind keine x-beliebige Ware, über deren Preis zu feilschen ist. Sie bringen ihre Arbeitskraft ein, erwarten dafür aber im Gegenzug Respekt und Teilhabe an gesellschaftlichen Werten, also anständige Bezahlung und faire Arbeitsbedingungen. Arbeitnehmer sind keine Kostenstellen, sondern sie sind vor allem Leistungsträger und Konsumenten in einer modernen Wirtschaft.
Aus Sicht der SPD-Fraktion muss Lohndumping entschieden begegnet werden. Es müssen Regelungen und Standards Anwendung finden, die einen sozialen Mindeststandard absichern.
Bei der Veränderung der Dienstleistungsrichtlinie müssen aus Sicht der SPD folgende vier Punkte Berücksichtigung finden:
Zweitens. Die Dienstleistungsrichtlinie darf keinerlei Auswirkungen auf die sozial- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen sowie auf die gewerkschaftlichen Rechte haben.
Drittens. Entsendebestimmungen, Leiharbeit, Arbeitsschutz, die Definition von Scheinselbstständigkeit sowie die Überwachung und Kontrolle der einzuhaltenden Bestimmungen müssen in vollem Umfang in der Zuständigkeit des Erbringungsortes liegen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst folgende Eingangsbemerkung: Mit der Debatte zur EU-Dienstleistungsrichtlinie führen wir eine für die Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger Sachsens höchst wichtige Diskussion, da Dienstleistungen, vor allem deren Inanspruchnahme, unser aller Leben bestimmen, insbesondere, wenn man die weit greifende und unscharfe Definition des Anwendungsbereichs des bisherigen EUDienstleistungsrichtlinien-Entwurfs in Rechnung stellt.
Allerdings, meine Damen und Herren, führen wir diese Diskussion zu einem ihrer Bedeutung absolut unangemessenen Zeitpunkt: nach einer viertägigen Parlamentsdebatte, Freitag, weit nach 13:00 Uhr, als vorletzten Tagesordnungspunkt. Dafür fehlt mir dann doch das Verständnis.
Aber bemerkenswert ist immerhin, dass wir diese Debatte führen. Denn wollte man der Staatsregierung glau
ben, dann sei der Gegenstand dieser Debatte „zwischenzeitlich überholt“. So ist zumindest ihre Auffassung in ihrer Antwort auf den PDS-Antrag mit dem Titel „EUDienstleistungsrichtlinie überarbeiten“ vom 4. April 2005. Vier Tage später – man höre und staune – kam der Antrag der Koalitionsfraktionen zur EU-Dienstleistungsrichtlinie mit teilweise deckungsgleichem Inhalt. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.