Protokoll der Sitzung vom 20.05.2005

Vielen Dank.

Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag liegt Ihnen vor. Ich frage zunächst, ob es dazu noch Stellungnahmen bzw. Standpunkte der Fraktionen gibt. – Wenn das nicht der Fall ist, können wir zur Abstimmung kommen. Wenn Sie diesem Änderungsantrag zustimmen, dann bitte ich um Ihr Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei einigen Stimmenthaltungen und Stimmen dafür ist dieser Änderungsantrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Wir kommen zur Abstimmung des ursprünglichen Antrages der CDU- und der SPD-Fraktion in der Drucksache 4/1548. Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei einer Reihe von Stimmenthaltungen und ohne Gegenstimmen ist diesem Antrag mehrheitlich zugestimmt worden.

Damit können wir den Tagesordnungspunkt 5 abschließen.

Fortsetzung Tagesordnungspunkt 3

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor wir in den nächsten Tagesordnungspunkt eintreten, möchte ich noch einmal zur Aktuellen Stunde vom heutigen Vormittag zurückkommen. Ich hatte Ihnen gesagt, dass ich von meinem Recht Gebrauch machen werde, das das Präsidium auf einer Tagung im Januar eingeräumt hat. Ich habe mir noch einmal die Wortprotokolle hergenommen und möchte im Nachhinein Herrn Leichsenring für seine Bemerkungen gegenüber der Abg. Kerstin Köditz einen Ordnungsruf aussprechen.

(Beifall bei der PDS – Uwe Leichsenring, NPD: Vielen Dank, das ist ein Kompliment aus Ihrem Mund!)

Ich möchte allerdings auch dem Abg. Klaus Bartl wegen seiner nicht ganz salonfähigen Ausdrucksweise im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit dem

Staatsminister de Maizière einen Ordnungsruf aussprechen.

(Beifall bei der CDU)

Ich tue dies in der Hoffnung, dass in diesem Hause eine Auseinandersetzung künftig von allen in einer Art und Weise geachtet wird, die die Würde der hier anwesenden Abgeordneten auch entsprechend berücksichtigt und wertschätzt.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und vereinzelt bei der PDS)

Damit möchte ich diesen Tagungsordnungspunkt für heute endgültig schließen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 6

Unverzügliche Überarbeitung des Lehrplans Geschichte für die Mittelschulen

Drucksache 4/0397, Antrag der Fraktion der PDS, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Die Fraktionen können dazu Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: PDS als Einreicherin, CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile der PDS-Fraktion das Wort. Frau Abg. Bonk, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hoffe noch auf Herrn Staatsminister, weil wir natürlich auch, was dieses Thema angeht, einmal zu einer inhaltlichen Debatte im Schulwesen übergehen können. Ich hoffe, dass er auch anwesend ist, wenn wir in die Qualitätsdiskussion einsteigen. – Herr Flath, ich begrüße Sie besonders herzlich.

Meine Damen und Herren! Dass nach langen Jahren des Wartens endlich eine neue Lehrplangeneration eingeführt wurde, begrüßen wir sehr. Auch an den Mittelschulen haben wir mit den neuen Profilen und den damit verbundenen Veränderungen der Stundentafeln Veränderungen zur Kenntnis genommen. Nun könnte man über diese Profile allein in gesonderter Form umfänglich diskutieren. Aber mit dem Antrag, den wir heute einbringen, konzentrieren wir uns auf einen inhaltlichen Punkt, nämlich die Wahlfreiheit zwischen Geografie und Geschichte in der 10. Klasse der Mittelschule.

Ich möchte hier nicht falsch verstanden sein. Grundsätzlich mehr Freiräume für neigungsbezogenes Lernen für Schülerinnen und Schüler halte ich für einen effektiven Lernprozess für unabdingbar, denn die treibendste Motivation in einem Lernprozess ist keine Note und kein Lehrplan, sondern, meine Damen und Herren, das Interesse. Das interessenbezogene Lernen kann und soll grundlegend in den Lernablauf eingebunden sein durch zum Beispiel offenen Unterricht, freie Arbeitsphasen, durchaus auch einmal freie Themenwahl in den Arbeitsphasen. Was aber nicht geht, ist, ein sonst auf Reglementierung und Druck basierendes System an nur einer Stelle zu öffnen. Das ist inkonsequentes Stückwerk, Herr Staatsminister, und erreicht das Gegenteil dieses eigentlich positiven Ansatzes. Denn was dann passiert, ist völlig klar: Die ansonsten überladenen und überlasteten Schülerinnen und Schüler reagieren mit Druck und Lastenabwehr, denn sie bekommen gar nicht den inneren Freiraum, mit dem äußeren Freiraum, der ihnen in dieser einen Frage gegeben wird, umzugehen.

(Beifall bei der PDS)

Deshalb suchen sie sich an der Stelle dann leider den einfachsten Weg, wenn man das so inkonsequent macht. Im Fall der Möglichkeit der Abwahl von Geografie oder Geschichte ist das absehbar. Viele werden sich für Geografie entscheiden, da es im Ruf steht, einfacher zu sein bzw. weniger Aufwand zu erzeugen. Das heißt aber, meine Damen und Herren, dass diese Schülerinnen und Schüler – –

Herr Eggert, Ihr Platz ist hier, auch um an der Debatte teilzunehmen.

(Heinz Eggert, CDU: Aber nur angestrengt!)

Hoffentlich auch mit Erfolg. Ich möchte auch Sie dazu begrüßen.

Meine Damen und Herren! Wenn Schülerinnen und Schüler Geschichte abwählen, hat das schwer wiegende Konsequenzen. Denn das heißt, dass sie sich gegen das für die Gegenwart so wichtige Fach Geschichte entscheiden. In der 10. Klasse sollen wichtige Fragen der deutschen Geschichte noch einmal tiefgründiger behandelt werden. Zwar sollte der Epochendurchlauf bis zur 9. Klasse einmal abgeschlossen sein, doch schaffen zum einen die meisten Klassen dies wegen der Dichte an Stoff oder des Unterrichtsausfalls gar nicht. Zum anderen ist es eine ganz andere Frage, ob der Nationalsozialismus, andere Totalitarismen und die weitere deutsche Geschichte überblicksmäßig in der 8. Klasse besprochen oder in der 10. Klasse tiefergehend behandelt werden. Die Auseinandersetzung mit der Verfolgung und Vernichtung von Minderheiten, die Ausschaltung der Demokratie und die Ideologie des Nationalsozialismus, die dahinter steht, ist und bleibt unabdingbares Grundwissen zur Bewertung der Geschichte und der Gegenwart.

(Beifall bei der PDS – Volker Bandmann, CDU: Vergessen Sie nicht die DDR!)

Wie können Sie, Herr Staatsminister Flath – der Lehrplan und die Stundentafel basieren lediglich auf einer Verfügung des Kultusministeriums –, staatlich organisieren, dass junge Menschen ohne dieses geschichtliche Grundgerüst auf die Gesellschaft sehen – ein Grundgerüst an Faktenwissen und Analysefähigkeit –, das sie davor schützen kann, einem Opfermythos der Rechten zum Beispiel und den historischen Lügen eines Apfel oder Gansel zum Opfer zu fallen?

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Geschichtsunterricht vermittelt zu einem großen Teil die Fähigkeit, die Gesetzmäßigkeiten gesellschaftlicher Abläufe zu verstehen. Diese Fähigkeiten brauchen Demokratie bejahende mündige junge Bürgerinnen und Bürger. Darum brauchen sie guten Geschichtsunterricht. Das gehört meiner Auffassung nach nämlich, wie auch immer organisiert, zum Kernteil einer Ausbildung und sollte nicht der Beliebigkeit geopfert werden.

Das sollte eigentlich klar sein, denkt man sich. Darum stellt sich die Frage, wie es zu solch einer Regelung wie der in den neuen Stundentafeln und dem neuen Lehrplan überhaupt kommen kann. Entweder ist es einfach gedankenloses und unabgestimmtes Herumwürfeln an den Stundentafeln. Aber das möchte ich den Damen und Herren vom Comenius-Institut eigentlich nicht unterstel

len. Vielmehr drängt sich die Befürchtung auf, dass es sich hier um planvolles Vorgehen handeln könnte, von der politischen Ebene der Kultusverwaltung durchaus gewünscht. Denn was bedeutet es denn, wenn ich praktisch bei allen 10. Klassen der Mittelschulen in Sachsen ein ganzes Fach einspare, nämlich entweder Geografie oder Geschichte? Diese Stunden müssen nicht gehalten werden. Das sind 92 Lehrerstunden pro Jahr in allen 10. Klassen, und die werden eingespart.

Herr Flath, was Sie hier betreiben, ist Stellenabbau durch die Hintertür. Wir werden das so beim Namen nennen und auch gegenüber allen Mittelschulen in Sachsen bekannt machen, denn genau dagegen müssen wir uns verwahren: gegen Kürzungen an den Stundentafeln, die auf Kosten der Schülerinnen und Schüler und dann aber zugunsten des Finanzministeriums gehen. Was am Ende passiert, ist die Einsparung von Lehrerstellen. Da setzt sich Ihr Kurs fort. Sie sparen die Schulqualität in Grund und Boden, statt neue aufzubauen, und machen jetzt aber bei dieser Maßnahme noch nicht einmal mehr vor dem Grundangebot an Fächern halt. Das ist das eigentlich Dramatische bei dieser Regelung: dass wir sehen können, dass jetzt sogar in das Grundangebot eingegriffen wird.

Wir bringen den Antrag jetzt ein, damit er im Zuge der Vorbereitung des nächsten Schuljahres wirksam und dieser Bildungsraub an den sächsischen Mittelschulen verhindert werden kann.

Meine Damen und Herren von der SPD, ich kann Sie nur ermuntern: Lassen Sie nicht alles mit sich machen. In der Koalitionsvereinbarung haben Sie mit Blick auf die anstehenden Änderungen auf der Festschreibung der besonderen Bedeutung des Geschichtsunterrichts bestanden.

(Jürgen Schön, NPD, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Abgeordnete?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage von dieser Seite.

In der Koalitionsvereinbarung haben Sie auf dieser Festschreibung bestanden, jetzt wird die Kultusbürokratie wieder an Ihnen vorbei in stiller Konsequenz Tatsachen schaffen. Aber wenn Sie in dieser Koalition ein Gesicht und einen Platz haben wollen, dann können Sie nicht permanent in Ihre eigene Niederlage einwilligen. Sagen Sie einfach mal: Nein, wir wollen es anders! Unser Antrag bietet Ihnen heute die Möglichkeit dazu.

Meine Damen und Herren! Keine Zukunft ohne Vergangenheit, keine Zukunft ohne junge Menschen. Das gehört nun mal in Dreifaltigkeit zusammen.

(Zurufe von der CDU)

Darum bitte ich um Zustimmung für die Absicherung des Geschichtsunterrichtes in Sachsen. Schön, dass Sie

jetzt wieder dabei sind, meine Damen und Herren von der CDU!

(Beifall bei der PDS – Heinz Eggert, CDU: Drei Falten machen noch keine Dreifaltigkeit! – Heiterkeit – Katja Kipping, PDS: Ganz schönes Geplapper, was Sie hier machen, Herr Eggert!)

Die CDU-Fraktion, bitte. Für die Koalition Herr Dulig, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal fragt man sich, was der eigentliche Anlass oder Auslöser für einen Antrag ist. So ging es mir bei dem vorliegenden, denn wenn wir die Durchlässigkeit erhöhen wollen, dann müssen wir doch alle Lehrpläne angleichen, wo es nur geht. Wenn wir den zeitlichen Umfang eines Faches verändern wollen, dann müssen wir doch die Stundentafeln ändern und nicht den Lehrplan. Nun hat die FDP mit ihrem Änderungsantrag interpretiert, worum es wohl eigentlich geht. Das scheint auf den ersten Blick ganz plausibel. In Wirklichkeit folgen beide Anträge gewissen Illusionen, die wir nicht teilen. Dem Anliegen des Antrages, mehr für die sozialhistorische Bildung unserer jungen Menschen zu machen, stimmen wir voll zu. Die mit dem Antrag intendierten Mittel sind dafür relativ untauglich. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS, teilen nach wie vor die Illusion der deutschen Schule, dass die Bildung vor allem im Unterricht und im Fach stattfindet. Und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, teilen eine zweite Illusion des traditionellen deutschen Bildungsverständnisses: dass Bildung die Vermittlung von Wissen und Theorie ist. Sie wissen, wenn Sie unser Schulreformkonzept zur Kenntnis genommen haben, dass wir diese Illusionen nicht teilen.

Was bringt es denn, junge Menschen mit historischen Zusammenhängen und Analysen zu bedrängen, für die sie weder Interesse noch einen Bezug haben? Ein Jahr mehr oder weniger bleibt bei all denen bestenfalls wirkungslos, die sich dafür überhaupt nicht interessieren. Im Gegenteil: Es kann die Beschäftigung mit Geschichte gänzlich verleiden oder im Kontext allgemeinen schulischen Frustes sogar das Gegenteil bewirken, nämlich eine Umbewertung der Geschichte, wie wir sie gerade nicht vermitteln wollen.

Es ist doch nicht so, dass Geschichte in Klasse 10 von nationalsozialistischer Indoktrination immunisieren würde. Es ist doch nicht allein fehlendes Wissen, was junge Leute in die Arme rechtsextremer Rattenfänger treibt. Sozialhistorische Kompetenz wird doch nicht nur im Geschichtsunterricht vermittelt, sondern bildet sich in vielen Fächern und vor allem indirekt aus. Was nützt denn Wissen über historische Hintergründe der nationalsozialistischen Diktatur, wenn man zum Beispiel nicht in Literatur ein Gefühl für die Lebenssituation in dieser Diktatur und Betroffenheit erzeugt?

Wenn es also mit dem Antrag um die Vermittlung lebendiger Lehren aus der Geschichte geht, dann greift er viel zu kurz und verkennt die wahren Ursachen für die Anfälligkeit von Menschen für politischen Extremismus und

Rassismus. Wenn der Antrag auf mehr Durchlässigkeit zwischen Mittelschule und Gymnasium zielt, dann greift er viel zu kurz, wenn man lediglich ein Fach herausgreift, und deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.