Protokoll der Sitzung vom 20.05.2005

Der Vorschlag der EU-Kommission, diese vom so genannten statistischen Effekt betroffenen Regionen lediglich als Fördergebiete nach Artikel 87 Abs. 3 einzustufen, gestattet künftig, weder Betriebsbeihilfen noch die bei horizontalen Beihilfen zulässigen regionalen Zuschläge zu gewähren.

Zusätzlich führt die vorgesehene degressive Fördermöglichkeit des Kommissionsvorschlages ab dem Jahre 2010 bis 2012 vor allem bei größeren Investitionen, etwa bei Investitionen der Kraftfahrzeugindustrie, zu Subventionswerten von lediglich noch 4,5 bis 7 %. Damit lassen sich aber die in Ostdeutschland fortbestehenden Nachteile unserer Meinung nach nicht ausgleichen.

Meine Damen und Herren! Wie lässt sich der weitere Status als originäres Konvergenzgebiet für ganz Deutschland über das Jahr 2007 hinaus begründen?

Zunächst fällt auf, dass die sächsischen Gebiete Leipzig und Dresden sehr dicht an bzw. auf der 75 %-Schwelle liegen. Dabei hat es 2002/2003 eine flutbedingte Sonderkonjunktur gegeben, die auf keinen Fall als Berechnungsgrundlage dienen sollte.

Des Weiteren hat die EU-Kommission in ihrem 3. Kohäsionsbericht dargelegt, dass die Maßeinheit BIP in Kaufkraftstandards auch Schwächen aufweist. Eine dieser Schwächen besteht darin, dass die innerstaatlichen Transferleistungen nicht quantifiziert in die Berechnun

gen einbezogen worden sind. Darüber hinaus spiegeln die BIP-Zahlen nicht die tatsächliche Wirtschaftskraft der ostdeutschen Regionen wider, da Transferleistungen von außen, zum Beispiel in die Sozialsysteme, die Rechnung verfälschen. Das tatsächliche, auf eigener Kraft begründete Wirtschaftspotenzial beträgt daher in den Jahren 2001 bis 2003 in den betroffenen ostdeutschen Gebieten nur 67 %, wenn man diese Korrekturen anfügt, und zwar des Durchschnitts des BIP der 25 EU-Mitgliedsstaaten.

Eine rechtliche Lösung wäre die Verankerung des originären Ziel-1-Status für die vom statistischen Effekt betroffenen Gebiete im Artikel 5 Abs. 1.

Meine Damen und Herren! Der Solidarpakt II hat eine Perspektive bis 2019. Die Perspektive des Nachteilsausgleichs für die ostdeutsche Wirtschaft geht ebenso weit über 2019 hinaus wie die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West. Das Einfachste ist natürlich die Behauptung: Aufbau Ost ist zu Ende! Damit tun wir uns aber keinen Gefallen.

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Damit erklärt man trotz der Riesenfortschritte Ostdeutschland auf Dauer zu einer abgehängten Region. Ich will das auf keinen Fall.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Heinz Lehmann, CDU: Es geht doch! – Dr. Martin Gillo, CDU: Unser Mann!)

Für die PDS spricht jetzt der Abg. Hilker.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen ist von hohem symbolischem Wert. Zum einen dadurch, dass man nicht bereit ist, ihn in den entsprechenden Ausschüssen zu behandeln, zum anderen durch seine Formulierungen. Dazu nur drei Beispiele. Der Antrag, der uns vorgelegt wurde, zielt auf vier Ebenen. Der Landtag, die erste Ebene, soll die Staatsregierung, die zweite Ebene, auffordern, gegenüber der dritten Ebene, der Bundesregierung, tätig zu werden, damit diese sich bei der vierten Ebene, der EU-Kommission, einsetzt, unsere Interessen umzusetzen.

Wie genau das gemacht werden soll, auf welchem Wege, das wird nicht dargelegt.

Die zweite symbolische Aktion ist, darüber zu diskutieren, dass wir weiterhin Ziel-1-Förderung wollen, aber man gar nicht sagt, wie konkret die Förderung in den nächsten Jahren aussehen soll. Es gab keine Evaluierung der Förderprogramme, sondern man sagt einfach, man will weiter Ziel-1-Fördergebiet sein.

Das Dritte ist, wenn man es sich genau anschaut, dass die Staatsregierung, die ja immer Sachsen als die dynamischste Region Deutschlands darstellt – die CDU vertritt ja auch diese These und mittlerweile scheint sich die SPD dem angeschlossen zu haben –, gleichzeitig fordert, dass Sachsen Ziel-1-Fördergebiet bleibt, weil wir die rückständigste Region sind. Das ist ein Widerspruch, der sich mir nicht erschließt. Sie müssen sich endlich einmal

entscheiden: Sind wir eine der dynamischsten Regionen in Europa, in Deutschland, oder sind wir eine der rückständigsten Regionen und brauchen deshalb Höchstfördersätze?

(Dr. Martin Gillo, CDU: Sowohl als auch!)

Die Wege, die Sie aufzeigen, sind nicht bis zu Ende gedacht. Wenn Sie sich ansehen, was die EU vorgeschlagen hat, geht es erst einmal um die Diskussion der weiteren Förderung. Da wird vorgeschlagen, was mit den so genannten früheren 75 %-Gebieten passieren soll. Dafür sind sogar Mittel eingestellt. Über die Art und Weise, wie Sie sich das vorstellen können, und welche Vorteile vielleicht Sachsen durch diese Förderung hätte, diskutieren Sie nicht.

Was bedeutet es denn, wenn Sie sagen, die 75 %-Grenze soll nicht mehr gelten; wahrscheinlich so wie das 3 %-Kriterium beim Maastrichtvertrag. Das bedeutet, dass dies natürlich auch für andere Länder gilt. Wenn andere Länder ebenfalls verstärkt darauf zugreifen, heißt das: Für alle bleibt weniger Geld. Oder Sie setzen die Grenze herauf, zum Beispiel auf 80 %. Das bedeutet: Der Bund muss mehr Geld in die Europäische Union zahlen.

Da verwundert es mich schon, dass Sie nicht den Vorschlag von Bundesminister Stolpe aufgreifen. Jetzt zitiere ich: „Die Bundesregierung wird nicht zulassen, dass in den nächsten Jahren ein Gebiet in den neuen Ländern schlechtere Chancen hat als heute. Gibt es Kürzungen bei den EU-Mitteln, müssen wir zumindest eine Regelung erreichen, die es uns erlaubt,“ – jetzt betone ich – „Defizite durch nationale Zahlungen auszugleichen.“

Das ist doch ein Angebot des Bundes. Mir sind viele Beschwerden aus der CDU-Fraktion immer wieder bekannt geworden, dass die EU zu langsam entscheidet. Nehmen Sie das Angebot von Bundesverkehrsminister Stolpe an, die entsprechenden Mittel direkt vom Bund zu erhalten! Damit schalten Sie zumindest eine Ebene aus.

Warum, so ist zu fragen, wollen Sie, dass Sachsen weiterhin Ziel-1-Fördergebiet bleibt? Sie reden von einem Höchstfördersatz. Die Unternehmen sollen weiterhin die höchste Förderung erhalten.

Herr Hilker, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte.

Werter Kollege, Sie haben vor wenigen Minuten gesagt, es gäbe einen Widerspruch zwischen Dynamik auf der einen Seite und Rückständigkeit auf der anderen Seite. Sind Ihnen vielleicht Volkswirtschaften bekannt, die einerseits sehr dynamisch sind, weil sie sich von einem ganz niedrigen Niveau aus entwickeln müssen, aber andererseits im Vergleich zu anderen noch sehr rückständig sind? Sehen Sie darin einen Widerspruch?

Nein. Mir sind solche Volkswirtschaften bekannt, aber in Sachsen gibt es eine andere

Dynamik. Wenn Sie die Zahlen mit anderen EU-Ländern vergleichen, können wir feststellen, dass das relative Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zur EU 15 in Sachsen immer weiter sinkt. Vor zwei, drei Jahren lag es noch bei 77 %, jetzt sind wir schon bei unter 75 %. Man kann alles so oder so sehen. Zumindest im Vergleich mit anderen können wir feststellen, dass wir nicht besser und nicht dynamischer sind. Aber lassen Sie mich zurückkommen zum Höchstfördersatz. Natürlich kann man fordern, dass unsere Unternehmen weiterhin den Höchstfördersatz erhalten sollen. Aber wir haben gemeinsam im Haushalts- und Finanzausschuss und im Wirtschaftsausschuss eine Veränderung der GA-Förderung vorgenommen. Wir haben festgestellt: Wir haben nicht ausreichend Mittel, um alle Anträge mit der Höchstförderung zu bescheiden. Deshalb haben wir die Höchstfördersätze reduziert. Also kann dies kein Grund sein, weiterhin die Ziel-1-Förderung zu fordern.

Wir können uns ansehen, was die EU macht. Es ist eine Verteilung der Mittel vorgeschlagen auf die Ziel-1-Gebiete von 83 % der zur Verfügung stehenden Mittel auf die so genannten Face-in-Gebiete von 8 %. Man könnte auch dafür kämpfen, dass es dort eine andere Verteilung gibt.

Jetzt komme ich zu der Frage: Was ist denn in Sachsen in den letzten fünfzehn Jahren passiert, nachdem man jahrelang die Höchstförderung erhalten hat? Ich habe es vorhin schon auf die Zwischenfrage von Karl Nolle angesprochen. Das durchschnittliche Bruttoinlandsproduktwachstum je Einwohner sinkt seit Jahren. Wir sind mittlerweile Vorletzter in Ostdeutschland. Das relative Bruttoinlandsprodukt je Einwohner im Vergleich zu den EU 15 sinkt auch seit 15 Jahren.

Wir müssen uns doch fragen: Was passiert mit dieser Förderpolitik, die wir machen? Warum erreichen wir keine nachhaltigen Effekte? Ich sage Ihnen: Wer seit Jahren tote Investitionen in Straßen tätigt, die weitere tote Investitionen nach sich ziehen, anstatt verstärkt auf Wissenschaft, Forschung und Entwicklung zu setzen, braucht sich nicht zu wundern, wenn man gegenüber den anderen dynamischen Regionen immer weiter in Rückstand gerät.

Wenn Sie eine tiefgründige Behandlung dieses Antrages wollen, wenn Sie wollen, dass wir einmütig gegenüber der Europäischen Kommission auftreten, dann überweisen Sie diesen Antrag an den Ausschuss. Wenn Sie wollen, dass wir sachlich gegenüber der Europäischen Kommission auftreten, dann stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu.

Herr Nolle, Ihrem Redebeitrag habe ich entnommen, dass Sie faktisch vielen der in unserem Änderungsantrag aufgestellten Forderungen zustimmen.

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Sie möchten, dass die statistischen Daten der letzten Jahre einbezogen werden und nicht mit dem Jahre 2003 enden. Sie möchten, dass Prognosen einbezogen werden. Sie möchten, dass die Sondereffekte des Hochwassers einbezogen werden. Sie möchten auch, dass die Bundesregierung mit in die Verantwortung genommen wird.

Stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu. Ich glaube, so kommen wir zu einem sachlichen Vorschlag gegenüber der Europäischen Kommission.

(Beifall bei der PDS)

Als Nächster hat für die NPD-Fraktion Herr Petzold das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Endlich befasst sich der Sächsische Landtag mit der an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretenden Möglichkeit des Herausfallens einer oder mehrerer sächsischer Bezirke aus der Ziel-1Förderung der Europäischen Union. Dabei sind diese insbesondere für die Haushaltssituation des Freistaates Sachsen dramatischen Konsequenzen schon seit längerem bekannt. Mit dem zweiten Kohäsionsbericht der Europäischen Kommission zum wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt der Europäischen Union, vorgelegt von Kommissar Barnier schon vor sage und schreibe vier Jahren, also im Januar 2001, wurde die Debatte um die Zukunft der Strukturförderung nach der Erweiterung der Union eingeleitet.

Zurzeit erhalten die 15 EU-Mitgliedsstaaten für den Gesamtförderungszeitraum 2000 bis 2006 insgesamt 195 Milliarden Euro. Davon entfallen rund 700 Millionen Euro jährlich auf den Freistaat Sachsen. Damit existiert zunächst Bestandsschutz der Förderung vom Datum des Beitritts der osteuropäischen EU-Mitgliedsländer, der am 1. Mai 2004 vollzogen wurde, bis zum 31. Dezember 2006. Jedoch stellt sich nicht nur die Frage nach der Verwendung der EU-Fördergelder bis zum Jahre 2006, sondern darüber hinaus ist insbesondere von Interesse, wie die Strukturfondsförderung nach dem Jahre 2006 ausgestaltet sein wird und welche Auswirkungen das auf das derzeit im Ziel-1-Gebiet geförderte Mitteldeutschland hat. Ab dem Jahre 2006 ist mit einem drastischen Rückgang der Fördermittel für Sachsen zu rechnen. Das ergibt sich allein schon aus der Tatsache, dass potenziell zehn neue Staaten mit Ziel-1-Förderstatus hinzukommen und die Ausstattung der Strukturfonds nicht in einem dementsprechenden Maße steigen wird. Wenn Danuta Hübner, EU-Kommissarin für Regionalpolitik, in einem Gespräch mit der „Sächsischen Zeitung“ vom 1. Mai 2005 versichert, dass der Freistaat die höchste Förderstufe behalte, gleichzeitig aber zugibt, dass die Region Leipzig weniger Fördermittel als bisher erhalten werde, dann wird dieser Umstand verunklart. Es kommt für die Regionen in Sachsen natürlich nicht auf eine rein formale Einordnung als Ziel-1-Gebiet an, für die sich niemand etwas kaufen kann, sondern nur auf die tatsächlich fließenden Mittel. Eine Bewertung des Fördermittelrückgangs muss insbesondere vor dem Hintergrund vorgenommen werden, dass Deutschland seit Jahrzehnten stärkster Nettozahler der EU ist. Die Länder, die in den fünfziger und sechziger Jahren noch als die Armenhäuser Europas galten, wie Spanien, Irland, Portugal und Griechenland, profitierten infrastrukturell und gesamtwirtschaftlich über alle Maßen von Transferleistungen der EU, die insbesondere vom deutschen Steuer

zahler aufgebracht wurden. Sie fanden statistisch gesehen auch Anschluss an das europäische Durchschnittseinkommen.

Dass Deutschland nun bei seinem nationalen Projekt der Angleichung des wirtschaftlichen Niveaus in Mittel- und Westdeutschland auch noch die Gelder aus Brüssel entzogen bekommt, die es im Überfluss ohnehin jedes Jahr einzahlt, ist ein handfester Skandal und zeigt das völlige Scheitern der deutschen Europapolitik auf, die sich meistens im unterwürfigen Erfüllen der finanziellen Ansprüche der anderen Mitgliedsstaaten erschöpfte.

Meine Damen und Herren! Solidarität ist keine Einbahnstraße. Deutschland wäre besser beraten, die Milliarden, die es jedes Jahr als größter Nettozahler nach Brüssel überweist, für das nationale Projekt des Aufbaus Mitteldeutschland zu verwenden, um so die immer dramatischer werdenden Probleme im eigenen Land zu bewältigen. Die mitteldeutschen Regionen haben nach den jahrzehntelang von Deutschland finanzierten Subventions- und Finanztransferexzessen der EU jedes moralische Recht auf weitere volle Förderung als Ziel-1-Gebiete.

Deshalb unterstützen wir den Antrag von CDU und SPD, die Staatsregierung aufzufordern, auf allen Ebenen dafür zu wirken, dass ganz Sachsen in der Ziel-1-Förderung verbleibt.

Danke schön.

(Beifall bei der NPD)

Für die FDP-Fraktion Herr Dr. Schmalfuß, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der CDU/SPD-Koalition beinhaltet zwei zentrale Elemente, denen wir als FDP-Fraktion zustimmen können: erstens die Beibehaltung der Strukturförderung Ziel-1-Gebiet für ganz Sachsen und zweitens den Erhalt des derzeitigen Beihilfestatus für die kommende Strukturfondsperiode der Jahre 2007 bis 2013. Für das weitere Wachstum des verarbeitenden Gewerbes und der unternehmensnahen Dienstleister in Sachsen ist die Strukturförderung durch die vier Strukturfonds und insbesondere die Beibehaltung des derzeitigen Beihilfestatus von herausragender Bedeutung.

Die Fortführung der vorgenannten Förderinstrumente auf dem bisherigen Niveau eröffnet Sachsen weitere wirtschaftspolitische Handlungsspielräume, um mit dem ökonomischen Aufholprozess in Europa Schritt halten zu können.