Protokoll der Sitzung vom 22.06.2005

Ich möchte einige Beispiele benennen, auch wenn es ein Jahresendbericht sein soll, an den wir hier appellieren. Ich erlaube mir, ein wenig in meiner Funktion als Präsidentin der Sächsischen Landesvereinigung der Gesundheitsförderung zu sprechen.

Sie erinnern sich vielleicht – am 20. Mai dieses Jahres nannte ich unter anderem, dass in diesem Jahr wieder Gesundheitswochen stattgefunden haben. Sie waren sehr erfolgreich. Vielleicht kann die Beteiligung auch noch ein wenig besser werden. Im Jahre 2004 standen diese unter dem Motto „Gesundheitsförderung in der Familie“. Weil sie so erfolgreich waren und das Thema so wichtig ist, wurde 2005 das Thema „Gesundheit von Kindern in prekären Lebensverhältnissen“ gewählt. Die beteiligten Partner setzten sich zusammen aus Krankenkassen, Vereinen, Bildungsträgern, Ärzten, Apotheken, Reha-Einrichtungen, Schulen, Kindereinrichtungen und vielen anderen.

Es wurden Themen angenommen, sehr gut angenommen, die wirklich zur Umsetzung von Gesundheitszielen dienen, Themen wie:

„Lass dich impfen!“,

„Gut essen, gut abnehmen!“,

„Kommunikation in Familie, Gewalt in Familie!“,

„Umgang mit Essstörungen in der Familie!“,

„Familiensportfest – aktiv und gesund!“.

Auch kann jeder Teilnehmer seinen Blutdruck messen lassen, Cholesterin- und Blutzuckermessung vornehmen lassen, er kann aber auch seine Rücken- und Bauchmuskulatur überprüfen lassen und vielleicht auch sehen, wie weit er Stressbelastung aussetzbar ist oder nicht.

Ein weiteres unwahrscheinlich gutes Beispiel ist die Messe „aktiv vital 2005“ in Dresden gewesen. Die Messe hat sich zum Ziel gesetzt, umfassend zu Fragen der körperlichen, geistig-seelischen und vor allem auch sozialen Gesundheit zu informieren und auch zu einer gesundheitsbewussten Lebensweise zu motivieren, denn viele unserer so genannten Zivilisationskrankheiten hängen von unserem Lebensstil ab.

Besonders im Mittelpunkt der Fürsorge des Staates steht das gesunde Aufwachsen unserer Kinder. Der richtige Umgang mit Stress, die richtige Ernährung und ausreichende Bewegung sind wichtige Faktoren.

Eine weitere sehr gute Aktion war das Symposium „Rauchen in Sachsen, Nichtrauchen in Sachsen“. Es sprach vor allem Zielgruppen der Übungsleiter, Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen, Lehrer und andere Entscheidungsträger an. Dabei ging es vor allem um die Bestandsaufnahme der Prävalenz des Rauchens in Sachsen. Die Bedeutung des Ausmaßes des Rauchens in verschiedenen sächsischen Populationen wie Schwangeren, Fitnesssportlern, aber auch Schülern wurde dargestellt. Ziel war es, Ansätze der Therapie und Prävention des Rauchens zu bilden.

Eine wesentliche Aktion, die international gestartet wurde und die eine Riesen-Resonanz erfahren hat, ist die „Be smart, don't start!“, die Aktion gegen Rauchen in den Schulen. Der Erfolg, dass sich immer mehr Schüler daran beteiligen, weil ja auch gewisse Zielprämien winken – machen wir uns nichts vor –, ist zu verzeichnen. Aber letztendlich bleibt immer etwas hängen, auch bei den jungen Menschen und gerade bei den jungen Menschen.

Wir haben Programme wie „Schule braucht Eltern“, „Netzwerk gesundheitsfördernde Schulen“, „Netzwerk gesundheitsfördernde Kindereinrichtungen“, die dazu dienen, die gemeinsame Verantwortung der Einrichtungen und der Eltern und der in den Einrichtungen befindlichen Schüler und Kinder für eine Gesundheitsförderung zu entwickeln.

Lassen Sie mich zuletzt etwas erwähnen, was vielleicht vielen nicht bekannt ist. Die Lehrpläne in Sachsen wurden verändert. Besonders in der Klassenstufe 7 in Biologie gibt es jetzt vielfältige Möglichkeiten der Gesundheitsförderung im Unterricht. Die Gesunderhaltung von Skelett und Muskulatur, Herz und Kreislauf und der Haut werden im Wahlpflichtfachbereich festgeschrieben. Der Lehrplan gibt unter anderem Impulse:

zur Vermeidung von Suchtmitteln (Suchtmittel sind Alkohol, Nikotin und andere Drogen)

zur Vermeidung von Infektionskrankheiten,

zur Bedeutung des Impfkalenders,

zur Einschätzung der eigenen Lebensweise,

zur Frage der Körperhaltung,

zur Frage des Übergewichtes oder auch zu so genannten Schönheitsidealen.

Ziel soll es sein, dass Schülerinnen und Schüler ihren Tagesablauf durchdacht gestalten und sich mit ihrem gestärkten Selbstbewusstsein und einem besseren Selbstwertgefühl einer gesunden Lebensweise stärker nähern.

Sehr geehrte Abgeordnete! Meine Ausführungen zur Erreichung der Gesundheitsziele in Sachsen ließen sich fortsetzen. Fakt ist aber, ohne die Bereitschaft eines jeden lässt sich nichts, oder aber nur schwer umsetzen. Der Freistaat hat die Ziele genannt und nur die Gemeinschaft kann daran arbeiten.

Dieser Antrag, der hier gestellt wurde, dient dazu, einmal ausführlich den Freistaat berichten zu lassen, wie er die genannten Ziele am Ende des Jahres umgesetzt sieht und ob die Möglichkeit besteht, auch weitere Ziele anzugehen. Die Weltgesundheitsorganisation hat uns viele Ziele aufgegeben, aber die Umsetzung kann immer nur vor Ort gemacht werden.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung für diesen Antrag.

(Beifall bei der CDU, der PDS und der SPD)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Herr Gerlach, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Gesundheitsziele – das ist schon genannt worden – ist das Thema. Ich will mir

die nochmalige Definition ersparen. Was sind bisher bundesweit formulierte Gesundheitsziele: – Tabakkonsum reduzieren,

gesund aufwachsen: Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung,

gesundheitliche Kompetenz erhöhen: Patientensouveränität stärken,

Brustkrebs,

Depressionen,

chronischer Rückenschmerz,

Herzinfarkt. 1979 verabschiedete die WHO ihr erstes weltweites Zielprogramm „Health For All“ mit 38 Gesundheitszielen für eine bessere Gesundheit, eine gesundheitlich förderliche Lebensweise, eine gesunde Umwelt und eine bedarfsgerechte Versorgung. Diese 38 Ziele wurden 1991 überarbeitet und 1998 als „Health 21“, ein neues Zielprogramm für das 21. Jahrhundert, verabschiedet. Von der WHO stammt auch die ganzheitliche Gesundheitsdefinition, nach der Gesundheit „der Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“ ist. Der utopisch hohe Gehalt dieses Gesundheitsbegriffes hat aber auch zu Problemen speziell in unserer Gesellschaft geführt, auf die ich später noch eingehen möchte.

Nordrhein-Westfalen war mit „zehn vorrangigen Gesundheitszielen für NRW bis zum Jahr 2005“ Vorreiter in Deutschland, was die Gesundheitsziele betrifft. Andere Bundesländer folgten bzw. sind wie Sachsen dabei, regionale Gesundheitsziele zu erarbeiten. Der Durchbruch kam mit der Gesundheitsministerkonferenz 1999 in Trier. Seit 1997 befasst sich ein Ausschuss der GVG – das ist die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und Gestaltung e.V.; er heißt: „Medizinische Orientierung im Gesundheitswesen“ – mit Gesundheitszielen. In diesem Ausschuss arbeiten Vertreter von Krankenversicherungen, Leistungserbringern und Ministerien sowie weitere sozialpolitische Akteure zusammen.

Aufbauend darauf wurde in Kooperation mit dem Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung ein eigenes Forum „Gesundheitsziele Deutschland“ gegründet, das natürlich auch ein Internetportal hat. Die ersten fünf Themen wurden der Bundesministerin 2003 übergeben. Die Vorteile solcher Ziele sind offensichtlich: Feststellung gemeinsamer Werte und Prioritäten, Teilnahme und Selbstverpflichtung, aber auch Selbstbeschränkung der Beteiligten – ich lege darauf großen Wert –, Transparenz von Strukturen und Verfahren zur Zielerreichung, zielorientierte Verbesserung bestehender Strukturen durch gemeinsames zielorientiertes Handeln und ein an umfassenden Konzepten orientiertes Handeln.

Gesundheitsziele für Sachsen zu entwickeln ist jedoch weit mehr, als die bereits deutschlandweit erarbeiteten Gesundheitsziele abzuschreiben und hier für verbindlich zu erklären. Es gilt, sie an unsere Besonderheiten anzupassen. Ich erinnere stellvertretend an die Hinterlassenschaften der Wismut und an die besonderen RadonProbleme im Erzgebirge. Außerdem müssen wir der Versuchung widerstehen, nur dort Gesundheitsziele zu defi

nieren, wo wir Kosteneinsparungen erhoffen. Aus meiner Sicht sollte zum Beispiel den gesundheitlichen Auswirkungen von Alkoholkonsum genauso Beachtung geschenkt werden wie dem Tabakkonsum, auch wenn der Alkohol eine feste kulturelle Tradition bei uns hat. Sie werden einwenden, dass Alkohol nicht sofort süchtig macht, und da sind wir schon mitten in der Diskussion, wenn wir sie führen wollten. Wir können das heute im Plenum nicht vertiefen. Diese Diskussion ist aber wichtig.

Genauso wichtig ist die Diskussion darüber, was wir den Menschen mit unserer Gesundheitsdefinition anbieten, versprechen oder gar verheißen. Deshalb – jetzt darf ich noch einmal in besonderer Weise Ihre Aufmerksamkeit erbitten – ist aus meiner Sicht ein kleiner Ausflug in die Sozialethik notwendig. Ich bitte Sie, mir in diese Gedankenwelt zu folgen, weil sie für unser Politikverständnis, für die Richtung, in die wir uns bewegen müssen, entscheidend ist. Ich nehme mir eine Anleihe bei den Theologieprofessoren Kürtner und Eibach und dem Kulturkritiker Ivan Illich. Gesundheit hatte schon immer einen religiösen Bezug, der sich kulturell ganz unterschiedlich ausgeprägt hat – besonders im Verhältnis Krankheit und Gesundheit als vermeintliche Gegensätze. Ich nenne als Beispiel den Ausschluss der Leprakranken aus der Gesellschaft, weil sie, wie man damals sagte, unrein und damit eine Gefährdung seien.

Der Fortschrittsoptimismus von heute, der die WHO-Definition einseitig auslegt, unterstellt, dass Heil und Heilung säuberlich voneinander zu trennen seien. Medizin sei für Gesundheit und Heilung und die Theologie für das Heil und die Erlösung zuständig. Genau dieser Fortschrittsoptimismus vermittelt damit noch eine ganz andere Gefahr: Er unterstellt, dass den Menschen ein Zustand völliger Vollkommenheit vergönnt wäre, wenn, ja wenn nur das Gesundheitswesen richtig und für alle funktioniere.

Illich formuliert das so, ich zitiere: „Die moderne kosmopolitische Zivilisation ist auf das Ziel hin geplant und organisiert, den Schmerz zu beseitigen, die Krankheit auszutilgen und den Tod zu bekämpfen. Das sind neue Ziele und Ziele, die nie zuvor Leitlinien sozialen Lebens waren.“ Damit – und das ist wichtig – wird jede Beeinträchtigung dieses laut WHO-Definition vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens als Verhinderung des Glücks, Einschränkung sinnhaften Lebens und somit ausschließlich negativ gesehen. So wird zu einer Anspruchshaltung verleitet, derzufolge Gesundheit in einem umfassenden Sinne nicht etwa eine Gnade oder Glück, sondern ein Recht sei.

Nach Kürtner steht dem eine christlich geprägte Sicht von Gesundheit gegenüber, wonach diese nicht einfach gleichbedeutend mit einem Zustand unbeeinträchtigten Wohlbefindens ist; Gesundheit meint vielmehr die Fähigkeit zum Leben, welche die Fähigkeit zum Leiden einschließt. „Gesundheit ist dann nicht mehr die Abwesenheit von Störungen biologischer, psychischer und sozialer Art, sondern die Fähigkeit und Kraft der Person, solche Störungen anzugehen, abzuwehren oder mit ihnen so zu leben, dass der Mensch dadurch nicht daran gehindert wird, Sinn im Leben zu erfahren und sein Menschsein zu verwirklichen.“ – So Eibach.

In Gesprächen mit Hausärzten wird immer wieder deutlich, dass sich diese einem Erwartungsdruck ausgesetzt sehen, weil es in Deutschland eigentlich für alles eine Medizin gibt: sowohl gegen Schlaflosigkeit als auch gegen Schläfrigkeit, gegen Aufgeregtheit als auch gegen Trägheit usw. usf. Wir haben inzwischen für alles eine Pille. Die Bereitschaft, auch nur die kleinsten Belastungen auszuhalten, hat in unserer modernen Gesellschaft rapide abgenommen.

Mit der zuletzt genannten Gesundheitsdefinition nähmen wir alle Menschen, mit und ohne Behinderungen, in unsere Gesundheitsbetrachtungen mit hinein und unterlägen nicht mehr der Versuchung, den Menschen etwas zu versprechen, was nicht zu halten ist, nämlich ein Leben ohne Schmerzen, Leiden und Einschränkungen.

Ich kann nicht erwarten, dass sich hier alle im Hause diese Gesundheitsdefinition zu Eigen machen, aber zu denken sollte sie uns schon geben. Mir geht es auch nicht darum, mit diesem „Hintertürchen“ einen billigen Vorwand zu liefern, bei der Entwicklung von Gesundheitszielen eine Billigvariante zu finden, in der einfach gelitten werden muss. Nein, im Gegenteil: Hier – und das gehört auch zu den Gesundheitszielen – ist eine Wertediskussion und Wahrhaftigkeit gefordert, die den Menschen ein Optimum an Gesundheit, aber nicht die Grenzen- oder gar Verantwortungslosigkeit gegen sich selbst verspricht. Solche Heilsprediger haben wir schon genug in unserem Land.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Ich erteile der Fraktion der PDS das Wort; Herr Wehner, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Strempel und Herr Gerlach, ich denke, es geht hier gar nicht darum, Ihnen zu widersprechen. Die Maßnahmen, die im Freistaat Sachsen auf gesundheitspolitischem Gebiet angeboten werden, sind in der Tat sehr beachtlich.