Protokoll der Sitzung vom 22.06.2005

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Strempel und Herr Gerlach, ich denke, es geht hier gar nicht darum, Ihnen zu widersprechen. Die Maßnahmen, die im Freistaat Sachsen auf gesundheitspolitischem Gebiet angeboten werden, sind in der Tat sehr beachtlich.

(Beifall der Abg. Alexander Krauß und Rolf Seidel, CDU)

Nur, wir reden ja hier über die Definition von Gesundheitszielen, und da muss ich Ihnen sagen: Als ich diesen Antrag in Ihrer Drucksache 4/1166 vor zirka zwei Monaten in den Händen hielt, habe ich mich gefragt, was das soll. Sie definieren nicht die Gesundheitsziele selbst – diese soll die Staatsregierung vorstellen –; in der Begründung stellen Sie auf die Reform der sozialen Sicherungssysteme, auf die finanzielle Sicherung und auf die Eigenverantwortung bei der Gestaltung einer gesunden Lebensweise ab – im Grunde immer wieder dasselbe Lied, das die CDU schon seit Jahren gesungen hat.

Meine Damen und Herren von der CDU- und der SPDFraktion: Im Koalitionsvertrag waren Sie hier weiter. Diesen Mangel versuchte die Staatsregierung nun mit ihrer Stellungnahme auszugleichen – immerhin. Ich konstatiere: Die CDU-Fraktion ist nun auch bereit, endlich auf gesundheitspolitischem Gebiet nach Gesundheitszielen

zu arbeiten. Eine solche Forderung stellte die PDS-Fraktion schon seit mehreren Jahren. Die PDS reflektierte hierbei auf zahlreiche Zielprogramme, wie sie vorhin auch schon erwähnt worden sind und die im Zeitraum der letzten 20 Jahre im In- und Ausland mit der Absicht entwickelt wurden, neben der Diskussion um ökonomische Notwendigkeiten deutlich die Gesundheit der Bevölkerung in den Vordergrund der Gesundheitspolitik zu stellen.

Herr Gerlach, Sie werden sich bestimmt bestens daran erinnern, denn Sie waren oftmals auch der Partner der PDS-Fraktion. Gesundheitsziele sind ein wichtiges Instrument; sie sind im engeren Sinne auf die Verbesserung der Gesundheit gerichtet und im Weiteren auf die Qualitätssicherung im Gesundheitswesen, also auf die Verbesserung von Strukturen, die den Gesundheitszustand oder die Krankenversorgung beeinflussen. Hierzu hat Frau Strempel Beispiele unterbreitet.

In den Grundrichtungen – also bessere Gesundheit, gesundheitlich förderliche Lebensweise, eine gesunde Umwelt, eine bedarfsgerechte Versorgung und darauf bezogene Entwicklungsstrategien – unterbreitet nun die Staatsregierung Vorschläge für Gesundheitsziele. Wir erfahren im Wesentlichen nichts Neues – sie sind aus den Bundesprogrammen bekannt –, und Herr Gerlach, Sie sprechen da einen ganz wichtigen Punkt an: Wir brauchen hier das sächsische Gepräge. Da ist Ihr Einfluss bisher noch nicht ausreichend gewesen.

Meine Damen und Herren, ich möchte aber im Weiteren gar keine Wertung weiter abgeben; wichtig ist: Der Freistaat Sachsen beginnt nach Gesundheitszielen zu arbeiten – der Antrag ist also ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ich möchte jedoch anregen – Frau Strempel, bei allen guten Ansätzen –, sozial benachteiligte Gruppen stärker als bisher in die gesundheitswissenschaftlichen Forschungen einzubeziehen und insoweit spezifische Gesundheitsziele abzuleiten, denn Erkrankungen wie Depressionen, psychosomatisch bedingte Herzoder Magen-Darm-Erkrankungen, Kopfschmerzen und Wirbelsäulensyndrome resultieren oftmals aus der unverschuldet erlebten Arbeitslosigkeit. Die plötzlich eingetretene Perspektivlosigkeit macht krank. Über den Zusammenhang der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse und die Gesundheit der Einzelnen wird in Zukunft noch zu diskutieren sein.

Meine Damen und Herren, Gesundheit ist gewiss nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Insoweit wird die Fraktion der PDS dem hier in Rede stehenden Antrag – auch wenn er dürftig erscheint – zustimmen. Die Fraktion der PDS wird ihrem Grundsatz treu bleiben, sich bei der weiteren Gestaltung der Gesundheitspolitik würdig einzubringen. Ich wünsche uns allen dazu beste Gesundheit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort. Frau Schütz, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bestmögliche Gesundheit

der Bevölkerung ist das Anliegen jeglicher Gesundheitspolitik. Die Vereinbarung von Gesundheitszielen ist ein Instrument, um dieses Anliegen greifbar zu machen und gemeinsam mit allen Beteiligten schrittweise zu erreichen. Die gemeinsame Initiative zur Entwicklung von Gesundheitszielen ist Ausdruck eines Arbeitsbündnisses aller Beteiligten. In Deutschland hat sich vor allem Nordrhein-Westfalen mit dem Projekt „Zehn vorrangige Gesundheitsziele für Nordrhein-Westfalen bis zum Jahr 2005“ neben Niedersachsen in einem Netzwerk der WHO „Regionen für Gesundheit“ und am Programm „Gesundheit für alle“ beteiligt.

Ich frage die Staatsregierung, inwieweit die in der ersten Beantwortung des Antrags genannten Ziele – „Für die Staatsregierung stehen in nächster Zeit folgende Gesundheitsziele im Vordergrund …“ – mit den Akteuren im Gesundheitswesen abgestimmt sind. Die Nummerierung der dort genannten Gesundheitsziele sehen wir – sicherlich richtig – als Aufzählung, nicht als Rangfolge der Gesundheitsziele in Sachsen.

Dabei fehlt aber unserer Meinung nach ein weiteres wichtiges und unbedingt aufzunehmendes Ziel: die Bekämpfung des Ärztemangels im Freistaat, um die Gesundheitsversorgung zu gewährleisten und die Multiplikatorfunktion im präventiven Bereich sicherstellen zu können.

In weiteren Zielen sollten die gesunde Ernährung in Kindertageseinrichtungen und Schulen, die Stärkung des Sportunterrichts und des Sports im Freizeitbereich Jugendlicher verankert werden.

Im Übrigen sei noch einmal darauf verwiesen, dass auf kommunaler und auf Landkreisebene Kürzungen im präventiven Bereich, vor allem im Freizeitbereich, vorgenommen wurden. Auf Landesebene sind die Streichungen im Bereich der Prävention nur mit Mühe und nur zum Teil zurückgenommen worden.

Die FDP-Fraktion unterstützt den Antrag und erwartet die Unterrichtung zur Konkretisierung der einzelnen, in der ersten Beantwortung bereits genannten Vorhaben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Ich erteile der Fraktion GRÜNE das Wort. Frau Herrmann, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich Sie einladen, die Seite www.gesundheitsziele.de zu besuchen; aber das hat Herr Gerlach schon getan. Deshalb verzichte ich an dieser Stelle darauf und werde zu einem anderen Punkt, den ich Ihnen zu so später Stunde eigentlich nicht mehr zumuten wollte, ausführlicher Stellung nehmen. Den Antrag der Koalitionsfraktionen zu den Gesundheitszielen begrüßen wir. Nach unserem Verständnis allerdings ergänzen nicht die Gesundheitsziele bestehende Instrumente der Gesundheitspolitik, wie die Staatsregierung in ihrer Stellungnahme schreibt, sondern die Instrumente der Gesundheitspolitik sollten eingesetzt werden, um diese Ziele zu erreichen. Nichtsdestotrotz ist

jetzt in Sachsen ein Anfang gemacht worden. Das ist erfreulich.

Die fünf in der Stellungnahme der Staatsregierung gelisteten Gesundheitsziele finden sich auf der genannten Internetseite. Obendrein sind dort Ziele hinsichtlich der Bekämpfung von Herzinfarkt, Depressionen und chronischen Rückenschmerzen zu finden. Das können auch wir uns für die Zukunft noch vornehmen.

Zutreffend heißt es in der Stellungnahme der Staatsregierung, dass Gesundheitsziele „nicht als einmalige und endgültige Festlegungen zu verstehen [sind], sondern als Bestandteile von Prozessen, die regelmäßig evaluiert und angepasst werden müssen“. Darauf können wir gespannt sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Medizin der Gegenwart verfügt über ein neues Paradigma. Das Auftreten von Krankheiten wird nicht mehr nur schädigenden Einflüssen von außen – wie Viren, Bakterien und Umweltgiften – und von innen – Stress, traumatische Ereignisse – zugeschrieben; vielmehr interessiert heute neu die Frage, warum beispielsweise bei einer Grippeepidemie nur 10 bis 15 % der nichtgeimpften Bevölkerung erkranken. Man erhofft sich von diesem Ansatz neue Erkenntnisse und davon wiederum nicht nur ökonomische Vorteile, sondern auch Einsichten in die Bedingungen für Lebensfreude, Zuversicht und Hoffnung, gerade auch in schwierigen Zeiten.

Ich möchte Ihnen kurz das von Aron Antonovsky entwickelte Konzept der Salutogenese vorstellen. Salutogenese – Entstehung von Gesundheit – ist offenbar eng mit Gesundheitsförderung verknüpft. Im Kern dieses Konzeptes steht für Aron Antonovsky das so genannte Kohärenzgefühl. Darunter versteht er das Empfinden des Zusammenhangs mit der Welt. Drei Punkte sind in diesem Zusammenhang wichtig:

Verstehbarkeit, das heißt, Lebensereignisse und die eigene Biografie sind sinnvoll geordnet und nachvollziehbar.

Handhabbarkeit, das heißt, das Leben und seine Erfordernisse werden als bewältigbar erlebt.

Bedeutsamkeit betrifft die Motivation einer Person und drückt aus, dass das eigene Leben als wertvoll und sinnvoll empfunden und bewertet wird.

Die Frage der Gesundheitsförderung steht also in einem viel größeren Zusammenhang: im Zusammenhang mit lebenslangem Lernen, mit Bildung, mit der sozialen Herkunft, mit Partnerschaft. Ich könnte noch viel mehr aufzählen. Wir sollten uns diesen Zusammenhang ab und zu vor Augen führen.

Grundsätzlich ist ein Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen erforderlich, und zwar hin zu Prävention und zur Gesundheitsförderung als prioritärer Aufgabe. Vorbeugen ist besser als Heilen. In einer besseren Prävention liegen die größten Wirtschaftlichkeitsreserven innerhalb unseres Gesundheitswesens.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Bedeutung des Präventionsgesetzes hinweisen. Das Gesetz – es liegt im Vermittlungsausschuss – ist eben nicht nur und nicht einmal vorrangig ein Finanzierungsgesetz. Seine besondere Bedeutung besteht darin, dass es der Prävention einen festen Platz in unserem Gesundheitssystem

verschafft. Besonders wichtig dafür ist die vorgesehene Gründung einer Stiftung. Prävention und Gesundheitsförderung erhalten damit ein Zentrum, von dem aus ihre konzeptionelle und qualitative Weiterentwicklung erfolgen kann und die verschiedenen Akteure vernetzt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! In anderen Bundesländern werden Gesundheitsziele bereits konkreter benannt. Teilweise werden prozentuale Zielvorgaben gemacht, zum Beispiel den Anteil übergewichtiger Kinder um soundsoviele Prozentpunkte zu verringern. Die allgemeinen Formulierungen in der Stellungnahme der Staatsregierung zeigen, dass wir auch hier erst am Anfang stehen.

Damit möchte ich allerdings nicht behaupten, dass es nicht entsprechende Maßnahmen und Programme in Sachsen gibt. Sie sind allerdings bisher noch nicht in einen übergeordneten Zusammenhang gestellt worden.

Ich möchte noch einige Gesundheitsziele aufgreifen. Zum Thema „Brustkrebs“ lautet das Ziel: Einführung eines flächendeckenden Mammografiescreenings.

Wie oft ist Mammografie sinnvoll? Ab welchem Alter? Bis zu welchem Alter? In welchen Abständen? Oder ist Mammografie überhaupt sinnvoll? Welche Frau hat nicht schon über diese Fragen nachgedacht!

Die Antworten sind eben nicht einfach; denn darum ist schon vor Jahrzehnten ein oft emotional geführter Wissenschaftsstreit entbrannt, dem man nur mit konsequenter weiterer Forschung und der Auswertung aller vorhandenen wissenschaftlichen Daten entgegentreten kann. Internationale Fachgesellschaften geben unterschiedliche Empfehlungen. Das Mammografiescreening ist eine Reihenuntersuchung für Frauen ohne Krankheitssymptome. Es soll ab 2006 in Deutschland alle zwei Jahre für Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren angeboten werden. Dafür gibt es europäische Leitlinien, die so genannten EurefZertifizierungen, die der Qualitätssicherung dienen.

Sie sehen: Dieses sächsische Gesundheitsziel steht in einem größeren, bereits festgelegten Kontext. Aber noch einmal: Neben der Qualität, die ein Mammografiescreening nach europäischen Leitlinien bietet, bleibt immer noch der Fakt, dass jede Frau für sich die individuelle Entscheidung trifft, ob sie überhaupt zum Screening geht. Die Einführung des Mammografiescreenings in Sachsen sollte deshalb von einer Diskussion flankiert sein, die die Frauen befähigt, diese Entscheidung eigenverantwortlich zu treffen.

Ich habe schon von den Zusammenhängen gesprochen, in denen Gesundheitsziele stehen. Ein weiterer Zusammenhang ist der von sozialer Ungleichheit und Gesundheitszustand. Ein deutliches Ergebnis ist, dass Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status meist eine besonders hohe Mortalität und Morbidität aufweisen. Man könnte das auch viel plakativer ausdrücken: Armut macht krank. Hier sehen wir Handlungsbedarf und auch eine Priorität innerhalb der gelisteten Ziele.

Damit bin ich bei meinem letzten Punkt, der Stärkung der Gesundheitsberichterstattung zur Qualitätssicherung als Rahmenziel. Herr Dr. Pellmann hat im März dieses Jahres eine Kleine Anfrage zum Stand der kommunalen Gesundheitsberichterstattung in Sachsen gestellt. Hier ist

noch Handlungsbedarf, da sich die Berichte im Hinblick auf Regelmäßigkeit, Schwerpunktsetzung, Differenzierungsgrad und Datenqualität unterscheiden. Uns ist wichtig, dass künftig in diesem Zusammenhang flächendeckend auch Faktoren wie soziale Lage und soziale Benachteiligung erhoben werden.

Im Koalitionsvertrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD, wurde vereinbart, dass der Bericht zur sozialen Lage im Freistaat Sachsen zu einem umfassenden Lebenslagebericht erweitert wird. Für den 7. Juli 2005 sind die Mitglieder des Sozialausschusses dazu zu einem Fachgespräch in das Sozialministerium eingeladen worden. Wir sind gespannt. Aus unserer Sicht könnte dies ein Anknüpfungspunkt sein, Gesundheits- und Sozialdaten zu verbinden. Durch eine Verbindung dieser Daten ist es möglich, sozialräumliche bzw. stadtteilbezogene Auswertungen vorzunehmen und Stadtteile oder Sozialräume mit besonderem Handlungsbedarf zu identifizieren. Das ist die Grundlage, fundierte Ziele zu formulieren und angemessen politisch zu handeln.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Frau Staatsministerin Orosz, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Hypokrates hat einmal gesagt: „Wenn wir jedem Individuum das richtige Maß an Nahrung und Bewegung zukommen lassen könnten, hätten wir bereits den sichersten Weg zur Gesundheit gefunden.“ Ganz so einfach ist es nicht. Ich gehe davon aus, dass die Meisten von Ihnen diesem Ausspruch sicher zustimmen. Aber leider ist es heute viel schwieriger, dieses so genannte richtige Maß zu finden, und leider stehen wir heute vor ganz anderen Problemen als die Zeitgenossen von Hypokrates. Meine Damen und Herren! Es ist uns, glaube ich, inzwischen allen klar, dass gerade in dem Bereich der Gesundheit, der gesunden Lebensweise und der Prävention dringend umgedacht werden muss. Unser Gesundheitssystem darf nicht mehr vorrangig nur Krankheit behandeln. Es muss präventiv Gesundheit fördern. Das bringt einen klaren Gewinn.

(Einzelbeifall bei den GRÜNEN)

Das war ein Gesundheitsbewusster! – Es ist ein klarer Gewinn für jeden Einzelnen. Es stärkt die Eigenverantwortung und entlastet die Gemeinschaft und die Kassen.