Protokoll der Sitzung vom 22.06.2005

(Beifall bei der PDS)

Bei den Ausgaben hat es in den letzten Jahren eine erhebliche Verschiebung zuungunsten der Kommunen gegeben.

Das Dritte: Ja, wir meinen, zwar ist ein Ausführungsgesetz zu Hartz IV einfach sachlich geboten, aber dass sie sozusagen eine lange Baustelle, nämlich Landeswohlfahrtsverband, hier gleich noch mit anhängen, das enttäuscht uns. Wir hätten uns gewünscht – das hat nichts mit Verzögerung zu tun –, dass es ein eigenes überarbeitetes Gesetz zum überörtlichen Sozialhilfeträger gegeben hätte. Das erfolgt nicht. Nebenbei erledigen Sie die Baustelle Landeswohlfahrtsverband noch mit.

Das Vierte: Das hat etwas mit dem vorherigen Punkt zu tun. Ja, Herr Prof. Schneider, auch Sie haben heute kein einziges stichhaltiges Argument gebracht, weshalb der Landeswohlfahrtsverband umbenannt werden sollte. Hier vermute ich eben, dass Sie ihn nur deshalb umbenennen wollen, um damit symbolisch auszudrücken, dass sich der Freistaat immer mehr aus der öffentlichen sozialen Daseinsvorsorge finanziell zurückziehen will. Das ist der ganze Grund; denn Ihr Hilfsargument, das Sie gebracht haben, dass das lediglich dann die Unterschiede zu den Wohlfahrtsverbänden deutlicher machen würde, trifft zumindest insoweit nicht zu, weil sie eine neue Verwechselungsbarriere aufbauen, denn wir wissen ja, es gibt auch in Sachsen einen Sozialverband. Damit ist die Verwechselung weiterhin gegeben. Das will ich deutlich machen.

Wir werden selbstverständlich uns auch weiterhin in der heutigen Debatte gegen eine Umbenennung wehren. Sie haben auch Unrecht, denn in der Anhörung wurde das

kritisiert und von den Vertretern keine Notwendigkeit der Umbenennung gesehen.

Das Fünfte: Wir möchten im gewissen Sinne noch auf ein Defizit aufmerksam machen. Es wird damit unsere Forderung, die wir immer wieder erhoben haben, sozusagen beerdigt, nämlich ein Nachfolgegesetz zum Landeswohlfahrtspflegegesetz zu verabschieden. Sie wollen das Problem hier mit lösen. Aber es geht beim wachsenden Pflegebedarf nicht an, dass sich der Freistaat aus einer Pflegebedarfsplanung zurückzieht. Das kann man nicht allein den Kommunen überlassen. Sie sind damit auch überfordert.

Schließlich möchte ich deutlich machen, dass ich diesem Gesetz keine lange Lebensdauer voraussage. Wir werden in absehbarer Zeit erneut zu diesen Dingen zu beraten haben, weil sich das Gesetz einfach nicht bewährt.

Ich habe – das hat mit dem Land nicht so sehr viel zu tun – immer noch die Hoffnung, dass Hartz IV wieder zurückgenommen werden wird, denn Hartz IV hat wesentlich zum Scheitern und zum Bankrott der gegenwärtig amtierenden Bundesregierung beigetragen. Auch die nachfolgende – ganz gleich, wie sie aussehen wird – wird damit wenig glücklich werden.

(Beifall bei der PDS)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Herr Gerlach, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich besteht dieses heute zu behandelnde Gesetz aus zwei großen Teilen und kleineren Anpassungsanhängen, einmal, wie schon bemerkt, die Umsetzung und Ausgestaltung der so genannten Hartz-Gesetze – also SGB II, Grundsicherung für die Arbeitssuchenden – besser bekannt als Arbeitslosengeld II – und SGB XII, Sozialhilfe auf Landesebene, und zweitens eines Landeswohlfahrtsgesetzes, das jetzt Gesetz über den kommunalen Sozialverband Sachsen heißt. Herr Dr. Pellmann hat ja fast mit dem Namen geschlossen. Man hätte beide Verfahren natürlich voneinander trennen können, zumal sie gesetzestechnisch auch nicht vollkommen getrennt wurden. Dem lässt sich aber entgegenhalten, dass der Umsetzung der beiden neuen Sozialgesetzbücher auf Landesebene auch wichtige Anpassungen für den LWV folgen mussten. So sind wir als Koalition dem von der Staatsregierung vorgegebenen Weg gefolgt.

Zum Lastenausgleich, speziell zur Wohngeldproblematik, hat mein Kollege Schneider ausreichend berichtet. Während bei der Umsetzung und Ausgestaltung viele formale Dinge angepasst werden müssen, geht es beim LWV – noch heißt er ja so – um grundlegende Weichenstellungen. Ausgangspunkt waren in den letzten Jahren umfangreiche Diskussionen, die wir auch hier im Landtag ausgestritten haben.

Nachdem die finanziellen Engpässe des Landeswohlfahrtsverbandes kaum noch in den Griff zu bekommen waren, wurde 2003 ein Gutachten in Auftrag gegeben, dessen wesentliches Ergebnis eine dreistufige Kommunalisierung des LWV vorsah. Wir waren da von Anfang an

sehr skeptisch und sehen auch heute noch Risiken. Recht schnell äußerte sich die damalige Regierung, dass sie den beiden ersten Stufen aufgeschlossen gegenüberstehe, die Gesamtkommunalisierung auch der 18- bis 65-Jährigen allerdings nicht wolle. Die Gutachter erhoffen sich von der Verlagerung der Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe auf örtliche Träger bezüglich einmal der Verantwortung und Fallsteuerung für die bis 18-Jährigen und die Verantwortung für die über 65-Jährigen positive Effekte sowohl bei den Finanzen als auch bei den Leistungen. Das große Ziel lautet: Zusammenführung von Aufgaben- und Finanzverantwortung.

Weshalb stimmen wir diesem Gesetz zu? Das Gesetz räumt im § 13 des ersten Artikels ausdrücklich die Möglichkeit ein, dass auf Antrag auch der örtliche Träger Verhandlungspartner für die Leistungshöhen für die unter 18- und über 65-Jährigen wird. Das muss nicht automatisch negativ sein, so wie es hier dargestellt wurde, denn die Landkreise und Kreisfreien Städte werden sich der Verantwortung ihrer behinderten Mitbürger gegenüber nicht einfach entledigen. Ich kann mir das nicht vorstellen. Es gibt natürlich erste Signale, denen zufolge sich Landkreise plötzlich nicht mehr erinnern wollen, dass sie noch vor kurzem Sozialprojekte planten. Vielleicht haben sie Angst davor, dass sie auf möglichen Kosten sitzen bleiben würden.

Eines ist klar: Sozialpolitik nach Kassenlage, wie wir es im Jugendbereich und in anderen Bereichen der Freiwilligkeit bereits manchmal vorfinden, darf es nicht geben.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Noch einen Satz, dann können Sie fragen. Wir als Koalitionspartner werden ein waches Auge auf die Entwicklung in den nächsten Jahren werfen.

Herr Dr. Pellmann, bitte schön.

Herr Gerlach, schönen Dank. – Sie haben gerade über die Auswirkungen auf die kommunale Seite gesprochen. Halten Sie es aus heutiger Sicht für gut und richtig, dass durch einen Geschäftsordnungstrick, der von der Koalition ausging, dem Innenausschuss die Beratung des Gesetzes verweigert oder verwehrt wurde? Johannes Gerlach, SPD: Ich halte das nicht für einen Geschäftsordnungstrick, sondern es ist hier ganz legal nach Geschäftsordnung vorgegangen worden.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Der Sozialausschuss war für dieses Gesetz verantwortlich. Der Innenausschuss hatte zum damaligen Zeitpunkt, also Donnerstag vor zwei Wochen, als wir getagt haben, noch keine Stellungnahme abgegeben. Wir haben darüber diskutiert – Sie haben auch mit dabei gegessen – und haben nach Abwägung des Pro und Kontra entschieden, uns dafür auszusprechen, dass wir heute schon dieses Gesetz behandeln können, das heißt abschließende Behandlung im Sozialausschuss. Wenn wir es anders gemacht hätten, wäre das Gesetz erst einen Monat spä

ter, also frühestens im Juli, gekommen. Aus meiner Sicht war das kein Geschäftsordnungstrick. Das weise ich zurück.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsministerin Helma Orosz)

Gestatten Sie eine weitere Frage?

Ja, natürlich.

Herr Pellmann, bitte.

Herr Gerlach, hätten wir das Problem nicht durch eine von den Koalitionsfraktionen beantragte kurzfristig anberaumte Sondersitzung lösen können, so dass wir heute auch zur Behandlung des Gesetzes gekommen wären?

Natürlich hätten wir rein formal beschließen können – und da ziehen Sie sich wieder auf das Formale zurück –, dass wir zwei Tage nach dem Innenausschuss eine Sondersitzung des Sozialausschusses beantragen wollen und hätten all das bearbeiten können, was der Innenausschuss beschlossen hätte. Wir haben auch diese Möglichkeit in Erwägung gezogen, aber dann für uns entschieden, dass es besser ist, in den Bahnen zu bleiben, die die Geschäftsordnung vorsieht, und keine Ausnahmeregelungen zu machen. Wir hätten eine Riesendiskussion gehabt. Denken Sie daran, wie lange die Diskussion um eine Anhörung zum Kindertagesstättengesetz gedauert hat. Viele Leute sagen: An dem Tag kann ich nicht, an dem Tag kann ich nicht, aber ich möchte unbedingt dabei sein. Wir wären also in Schwierigkeiten gekommen. Wir waren der Meinung, wenn wir es in der regulären Ausschusssitzung behandeln, wo alle fristgemäß eingeladen sind, wäre es besser. So haben wir uns entschieden und das auch mit Mehrheit beschlossen. Ich komme nun zu den Möglichkeiten für die örtlichen Träger, die ich vor der Zwischenfrage angesprochen hatte. Wir sehen Chancen einer Verbesserung durch mehr Bürgernähe und verbesserte Vernetzungsmöglichkeiten. Die Meinungen bei den Verbänden halten sich die Waage. Es gibt Verbände, die sehen das eher negativ, manche eher positiv. Auf unsere Befragung hin fielen die Antworten je zur Hälfte aus. Als Gesetzgeber müssen wir darauf achten, dass wir bei möglichen Konflikten noch einmal einschreiten müssten. Davon gehe ich im Moment nicht aus. Wir wollen das jetzt so durchsetzen und nach bestem Wissen und Gewissen tun.

Wir denken, dass man vor Ort sicher individuell zugeschnittene Angebote besser verhandeln kann. Möglichkeiten wären integrierte Maßnahmen, bessere Verzahnung von Kindergarten und Schule, eine ganz normale Eingliederung von Kindern mit Behinderung in ihr soziales Umfeld, was ja heute nicht mehr die Geschwister sind, sondern die Kinder im Kindergarten usw. Ich weise auch noch einmal darauf hin, dass speziell Menschen mit Behinderung oft ganz besondere Begabungen haben, die man vor Ort in besonderer Weise fördern kann. Ich hatte letzte Woche die Möglichkeit, eine Ausstellung in Oelsnitz mit zu eröffnen, wo Behinderte aus Werkstätten für geistig behinderte Menschen Aquarelle gemalt hatten.

Es war beeindruckend, wozu sie fähig sind und was man mit vor Ort gestrickten Lösungen möglicherweise besser machen kann, als das jetzt noch der Fall ist.

Ein Ausblick: Natürlich ist mit diesem Gesetz das Problem der steigenden Fallzahlen nicht gelöst, insbesondere das Problem der alten behinderten Menschen, die pflegebedürftig werden. Das ist ein ganz neues Problem. Die Staatsregierung und wir gehen davon aus, dass etwa bis 2012 noch ein Anstieg erfolgt. Das ist auch ein Problem, was uns erhalten bleibt.

Die Kreativität der Kommunen und der Wohlfahrtsverbände bei der Umsetzung des Prinzips „ambulant vor stationär“, dass wir auch im Koalitionsvertrag haben, ist schwierig für diejenigen, die in den letzten 15 Jahren gut funktionierende stationäre Einrichtungen aufgebaut haben. Das wissen wir, aber wir wissen auch, dass wir diesen Weg gehen müssen, und streben die Zuhilfenahme des Wissens der örtlichen Träger an.

Die Finanzierung wird weiterhin ein Thema für das Land bleiben, auch wenn der Name geändert wurde. Ich gebe gern zu, dass mir die Zustimmung dazu nicht besonders leicht gefallen ist. Weiterhin müssen wir bei der Neufestsetzung der Verantwortung landesweit vergleichbare Leistungen und Bedingungen für behinderte Kinder und ihre Familien sicherstellen, damit es im Land keine großen Gewinner und Verlierer gibt. Wir haben in Sachsen traditionelle „Ballungszentren“ der Behindertenbetreuung, speziell in Ostsachsen, und es ist unsere Aufgabe, ausgleichend zu wirken.

(Beifall des Abg. Heinz Lehmann, CDU)

Abschließend möchte ich sagen, dass es für die Lösung der vor uns stehenden Aufgaben kein Vorbild gibt. Mir ist jedenfalls keins bekannt. Hier sind Kreativität und Verantwortung gefragt, denn die Aufgabe ist enorm. Eine Verschiebung um noch eine Woche oder einen Monat bringt überhaupt nichts. Wir müssen es jetzt anpacken und nach bestem Gewissen und Fachwissen tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung)

Ich rufe die NPD auf. Herr Dr. Müller, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Vorredner Kollege Gerlach hat es angesprochen: Es geht bei diesem Gesetzentwurf im Wesentlichen um zwei Dinge, zum einen um die Kommunalisierung des Landeswohlfahrtsverbandes einschließlich seiner Binnenstruktur und zum anderen um die Umsetzung der so genannten Hartz-IV-Gesetze in ein Ausführungsgesetz auf Landesebene. Wie auch bereits berichtet wurde, haben Staatsregierung und kommunale Spitzenverbände im Vorfeld heftig gerungen, denn es geht um erhebliche Geldsummen. Es ist zum Kompromiss gekommen, der uns jetzt als Gesetzentwurf vorliegt.

Nun zur Stellungnahme meiner Fraktion zu den zwei angesprochenen Punkten, zunächst zur Kommunalisierung des Landeswohlfahrtsverbandes. Es handelt sich in vielen Punkten um die Übertragung von Aufgaben der

überörtlichen Träger auf örtliche Träger. Das ist auch nichts Neues, nur dass weitere Aufgaben auf die kommunalen Träger übertragen werden sollen. Was wir heute schon erleben können, sind immense Finanzierungsprobleme auf der kommunalen Ebene, insbesondere auf der Landkreisebene. Es wird zwar immer wieder beteuert, dass die Gelder von Landes- und Bundesebene weitergereicht würden und es nicht zu Finanzierungsproblemen kommen werde. Ich kann als Kreisrat sagen, dass der Landkreis unter dieser Landeswohlfahrtsumlage finanziell erheblich zu leiden hat. Bei der zunehmenden Verschuldung der Landkreise sehen wir fatale Konsequenzen bei der Betreuung der Menschen mit Behinderung und der Existenz der Einrichtungsträger.

Diese Tendenzen, die wir hier erkennen, führen dazu, dass wir diesen Gesetzentwurf als Fraktion nicht mittragen können. Wir denken, es ist eine Landesaufgabe, dass es landesweit vergleichbare Bedingungen und Maßstäbe sowohl für die Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher wie auch für Menschen über 65 Jahre gibt. Wir sehen das erheblich gefährdet, wenn man das auf die kommunale Ebene herunterbricht. Inwieweit diese vorgesehene Namensänderung von Landeswohlfahrtsverband hin zu kommunalem Sozialverband nicht nur sprachlich-psychologisch das Land aus der Verantwortung nimmt, sondern sukzessive dazu führt, dass das Land in der finanziellen Schiene aus der Verantwortung herauskommt, wird sich zeigen. Ich möchte aber den Punkt Namensänderung nicht allzu hoch ansetzen.

Zu dem zweiten Punkt, zur Umsetzung der Hartz-IV-Gesetze: Grundsätzlich muss ich sagen, dass wir als Fraktion und als Partei weiterhin die Hartz-IV-Gesetze als unsozial und ungerecht ablehnen. Man muss natürlich dazu sagen, dass wir nicht umhinkommen, diese Gesetze in Landesrecht umzusetzen. Diese Gesetze sind vom Bund beschlossen und damit auch für das Land Sachsen gültig.

Auch hier wurde, weil es um erhebliche Geldbeträge geht, dieser Kompromiss mit den kommunalen Spitzenverbänden ausgehandelt, insbesondere was das Ausgleichs- und Zuschlagssystem betrifft. Als problematisch betrachten wir gegenwärtig die Beteiligung des Bundes an den Unterkunftskosten. Dort wurde verlautbart, dass sich der Bund etwas zurückziehen möchte. Wir sehen in diesem Punkt nur zwei Möglichkeiten, wie der Freistaat darauf reagieren kann. Die eine Möglichkeit wären Nachverhandlungen mit dem Bund, was ich als relativ schwierig ansehe, da die Bundesseite diesbezüglich sicherlich nicht sehr flexibel ist. Die andere Möglichkeit ist, dass das Land selbst die Landesmittel erhöht, wobei auch hier angesichts der Haushaltslage nicht viel zu erwarten ist.

Wir denken, als Kompromisslösung ist das Ganze gut gemeint und die kommunalen Spitzenverbände tragen es auch mit. Wir als Fraktion möchten andere Schwerpunkte setzen und tragen diesen Gesetzentwurf nicht mit. Wir werden uns artikelweise entscheiden, den Entwurf insgesamt aber ablehnen.

(Beifall bei der NPD)

Für die FDP-Fraktion spricht Frau Abg. Schütz.