Protokoll der Sitzung vom 14.07.2005

Die Nichtanerkennung Zyperns und die völkerrechtswidrige Besetzung Nordzyperns durch die Türkei lassen bereits heute berechtigte Zweifel aufkommen, dass die Europäische Union nach einer Vollmitgliedschaft der Türkei noch eine handlungsfähige politische Einheit bliebe. Es besteht schon jetzt die Gefahr der Überdehnung der EU und eines Verlustes an Integrationsfähigkeit.

(Jürgen Gansel, NPD: Das ist eben gesagt worden!)

Die zusätzlichen Auswirkungen einer Erweiterung um die Türkei, die in absehbarer Zeit das bevölkerungsreichste Mitgliedsland würde und die als EU-Mitglied einen erheblichen Teil der zur Verfügung stehenden europäischen Fördermittel beanspruchen würde, sind kaum kalkulierbar.

Meine Damen und Herren! Die Türkei ist ein bedeutender und verlässlicher Partner des Westens, ein wichtiges und verantwortungsbewusstes Mitglied der Nato und bereits eng mit der Europäischen Union verbunden. Gleichzeitig ist sie eine wichtige Brücke zur islamischen Welt und zum Nahen und Mittleren Osten, wobei sie diese Funktion besser wahrzunehmen vermag, wenn sie nicht als Vollmitglied vollständig in die EU-Solidarität eingebunden und mit dieser identifiziert werden würde.

Wir sind der Meinung, anstelle einer problematischen und, weil nicht mehrheitsfähigen, vielleicht auf Jahrzehnte aussichtslosen Kandidatur auf Vollmitgliedschaft

in der Europäischen Gemeinschaft sollte der Türkei eine privilegierte Partnerschaft angeboten werden. Durch die Privilegierung einer moslemischen Gesellschaft als Partner der EU könnte dem Mythos von der Unvereinbarkeit westlich-demokratischer Regierungsformen und islamischer Religion und Kultur entgegengewirkt werden. Dies wäre ein wichtiger Erfolg in der Vermeidung eines Zusammenstoßes von Westen und Islam als drohendem Grundkonflikt des 21. Jahrhunderts.

Meine Damen und Herren! Wir sehen keinen Handlungsbedarf der Staatsregierung im Sinne dieses Antrages und lehnen ihn deshalb ab.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Die PDS-Fraktion, bitte. – Sie will nicht. Wirklich nicht? – Gut. Dann die SPD-Fraktion. Gibt es da noch einen Redner? – Ja, eine Rednerin. Bitte, Frau Abg. Weihnert.

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wenn man nicht wüsste, dass es die einen hier ernst meinen, glaubte man, man sei im billigen Schmierenkabarett, in einem Kabarett, das viel zu ernst und zu tief ist in den Dingen und Inhalten, die hier benannt werden. Die Türkei hat bereits eine privilegierte Partnerschaft mit Europa, so wie sie eingebunden ist in viele unterschiedliche Gremien und wie sie auch mitwirkt. Viele Verbände, auch Amnesty International, warnen davor, dass die Beitrittsverhandlungen nicht aufgenommen werden, damit der Prozess der Reformierung in der Türkei nicht behindert und nicht zurückgeworfen wird. Ja, dort ist sicherlich noch viel zu tun. Aber wer exakt nachgeschaut hat, nach welchen Kriterien diese Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden würden, hat bemerkt, dass gerade im letzten Jahr sehr viel in der Türkei getan wurde.

Aber bei der wahnhaften Ausländerfeindlichkeit der NPD, die immer wieder nach vorn gebracht wird, kann ich natürlich nachvollziehen, dass ein solcher Antrag kommen musste: vorn bieder, hinten das wahre Gesicht.

(Holger Apfel, NPD: Brauchen Sie ein Taschentuch?)

Sie warnen doch nicht nur vor der Türkei. Sie haben genauso vor Polen und Tschechien gewarnt und haben auch das gleiche Vokabular benutzt.

Ein kleines Zitat aus dem aktuellen Sächsischen Verfassungsschutzbericht, meine Herren und Damen:

(Jürgen Gansel, NPD: Das ist ja eine erstklassige Quelle!)

„Die NPD lehnt alles Fremde ab, um ihre Art zu erhalten.“

(Zuruf des Abg. Holger Apfel, NPD)

„Ihre Ausländerfeindlichkeit basiert auf der Überzeugung, dass die deutsche Volkssubstanz durch eine unter

stellte gezielte Ansiedlung von Ausländern ausgelöscht werden soll.“

Gott sei Dank, meine Damen und Herren, hat die SPDFraktion 32 Kinder und Sie nur zehn.

Recht vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Die FDP-Fraktion. Herr Dr. Martens, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben überlegt, ob ich zu diesem Beitrag des Herrn Apfel überhaupt etwas sagen sollte. Aber ich glaube, es ist geboten. Wir können es uns im Sächsischen Landtag nicht gefallen lassen, dass in dieser Art und Weise über Themen gesprochen wird, dass wir, obwohl wir es schon bis zur Ermüdung gewohnt sind, Hasstiraden über uns ergehen lassen. Wir werden das nicht hinnehmen. Wir werden uns nicht daran gewöhnen, wie schlicht und ergreifend Hetze betrieben wird, Hetze der übelsten Sorte,

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Hetze gegen die hier in Deutschland lebenden, hier arbeitenden Türken, die auch in die Beitragssysteme einzahlen, Hetze gegen die Türkei,

(Jürgen Gansel, NPD, steht am Mikrofon. – Holger Apfel, NPD: Hätten Sie doch mal zugehört!)

Hetze gegen die Europäische Union, gegen die Überlegungen, die Europäische Union zu erweitern, egal übrigens, um wen es dabei geht. Jedes Mal, wenn die EU erweitert werden soll, hören wir das gleiche Vokabular. Frau Weihnert hat es eben schon gesagt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage. – Herr Schowtka hat das notwendige Sachliche gesagt, die Probleme genannt, die im Zusammenhang mit einem möglichen Beitritt der Türkei vorhanden sind, der übrigens gar nicht unmittelbar bevorsteht, sondern es geht um die Frage der Aufnahme von Verhandlungen am 03.10. und nachfolgend um einen sehr langen Verhandlungsgang, innerhalb dessen sich die Türkei nach den Kriterien von Kopenhagen verändern muss, wenn sie beitreten will, und sich, wie es aussieht, auch verändern wird. Das alles braucht sehr viel Zeit. Es gibt viele Probleme. Wenn man sie sachlich behandeln wollte, könnte man das tun. Sie wollen das nicht. Sie haben überhaupt kein Interesse an der Europäischen Union, an irgendwelchen Problemen in diesem Zusammenhang. Ihnen geht es darum, Angst zu verbreiten, Angst bei Menschen, die Angst um ihre Arbeitsplätze haben,

(Jürgen Gansel, NPD, steht am Mikrofon)

Angst bei Menschen, die auf soziale Sicherungssysteme angewiesen sind. Diese Menschen sollen Angst kriegen

vor der bevorstehenden Schwemme von Türken, die hierher kommen, um ihnen ihre Arbeitsplätze wegzunehmen. Sie sprechen vom Untergang des christlichen Abendlandes.

(Matthias Paul, NPD: Sie werden es noch erleben!)

Meine Damen und Herren, eine weiter übersteigerte Form kann ich mir eigentlich kaum noch vorstellen.

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte immer noch keine Zwischenfrage. – Da wird Prinz Eugen bemüht, gerade so, als ob die Türken mal wieder vor Wien stehen würden,

(Jürgen Gansel, NPD: Die sind schon in Wien und in Berlin! Fahren Sie mal nach Berlin!)

was vor 300 Jahren der Fall war. Bunt zitiert, wird hier alles durcheinander gebracht. Meine Damen und Herren, zu den Verhandlungen mit der Türkei über einen möglichen Beitritt habe ich jetzt gesagt: Bis dahin haben wir viel zu tun, auch das Verhältnis innerhalb der EU, zwischen den Staaten in der Europäischen Union, das Verhältnis der Bürger zur Union, das Verhältnis nach außen zu klären. Bis dahin müssen wir auch eines tun: das gute Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei bewahren. Da bin ich bei einem Punkt, der viel wichtiger ist als das dumme Zeug, das Sie gerade hier im Sächsischen Landtag von sich gegeben haben. Sie können mit Ihrer Politik, sofern Sie sie so fortsetzen, zu einer ernsten Belastung für das Verhältnis der Deutschen und Türken in Deutschland werden

(Jürgen Gansel, NPD: Ursache und Wirkung klasse vertauscht!)

und auch für das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei. Aber das ist wahrscheinlich von Ihnen sogar beabsichtigt in Ihrer Politik, der wir mit Argumenten und ganz entschieden entgegenzutreten versuchen. Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Die Fraktion der GRÜNEN. Bitte, Frau Abg. Hermenau.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Apfel, bisher haben sich historisch nur die deutschen Rassisten versündigt. Über Leute, die Multikulturalität für gut halten, habe ich das bisher historisch nicht nachlesen können.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD – Jürgen Gansel, NPD: Ex-Sowjetunion! Ex-Jugoslawien!)

Einerseits verlangt die NPD in diesem Landtag immer wieder, dass Deutschland aus der EU austreten soll, an

dererseits – so heute zum Beispiel – will die NPD, dass Deutschland bestimmt, wer in die Union hinein darf. Beide Anträge sind wirklich absurd und das werden wir heute auch noch einmal gründlich besprechen.

Herr Gansel gefällt sich in der letzten Zeit aufgrund der Londoner Ereignisse der letzten Woche, die traurig genug sind, darin, gegen die angebliche Islamisierung Europas zu wettern. Er beleidigt damit friedliebende Muslime, auch viele Türken, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern leben. Dadurch gewinnen natürlich hier und dort Islamisten auch wieder Zulauf. Die Recherchen der britischen Polizei in den letzten Tagen haben ja einiges deutlich gemacht.

Deswegen sage ich: Verantwortliche Politik in Europa muss diesen perfiden Mechanismus durchbrechen. Die Modernisierung der Gesellschaft, auch der türkischen Gesellschaft, kommt von innen. Das heißt, man muss die Türken dafür gewinnen, sich verändern zu wollen.