Protokoll der Sitzung vom 14.07.2005

(Lachen des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

Was Niederlassungsfreiheit für 90 Millionen Türken in ganz Europa heißt, liegt auf der Hand und zeigt sich heute bei der Osterweiterung der Europäischen Union. Meine Damen und Herren, Ihnen allen ist bekannt, dass ein gnadenloser Niedriglohnwettbewerb und die Überflutung Deutschlands mit einem Heer von Billiglohnarbeitern stattfinden. Eine ungehemmte Völkerwanderung wird vor allem nach Deutschland aufbrechen, haben doch drei Millionen Türken hierzulande schon eine einheimische Umgebung vorbereitet. Ein EU-Beitritt der Türkei

(Mario Pecher, SPD: Alle in Sachsen!)

würde endgültig alle Dimensionen sprengen. So hat der ehemalige türkische Präsident Demirel gegenüber Altkanzler Helmut Schmidt von der Notwendigkeit des Exports von 15 Millionen Türken gesprochen. Türkische Experten gehen ebenfalls von der Abwanderungsbereitschaft von 15 bis 18 Millionen Türken aus. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre der Zusammenbruch der deutschen Sozialsysteme endgültig besiegelt.

Ferner ist unvorstellbar, dass die 90 Millionen Muslime, die die Türkei 2012 zählen wird und die das unverzichtbare, historisch gewachsene Identitätsbewusstsein Europas nicht teilen, jemals in irgendein politisches Europakonzept integrierbar sein könnten, das mehr darstellt als die Schaffung einer Freihandelszone vom Atlantik bis nach Wladiwostok.

Schon nach der Aufnahme von zehn neuen Mitgliedsstaaten im letzten Jahr zeichnete sich eine extreme Belastung aller europäischen Ressourcen ab. Dass die EUBürokraten trotz der imperialen Überdehnung durch den Beitritt der osteuropäischen Staaten nun auch noch ein Land des Nahen Osten aufnehmen wollen, ist Ausdruck

politischen Wahnsinns. Anders kann man es nicht bezeichnen.

(Beifall bei der NPD)

Natürlich ist der harte Kampf der türkischen Regierung um eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union verständlich. Schließlich sollte jedes Volk erwarten können, dass seine Volksvertreter zuallererst die Interessen des eigenen Volkes im Auge haben. Das ist eine Einstellung, die sich viele Vertreter von CDU, SPD, PDS, FDP und den GRÜNEN endlich einmal zu Herzen nehmen sollten!

Fakt ist, dass die Türkei ökonomisch wegen ihrer Probleme dringend auf die europäische Wirtschafts- und Finanzkraft angewiesen ist, nachdem die Milliarden des Internationalen Währungsfonds immer wieder spurlos versickert sind. Die türkische Wirtschaft erreicht nicht einmal 20 % des durchschnittlichen europäischen Sozialprodukts, und jahrelang hatte sie mit einer Inflationsrate von bis zu 40 % zu kämpfen. Ökonomisch bleibt die Türkei auf absehbare Zeit ein Fass ohne Boden.

Erstaunlicherweise wurde aus der öffentlichen Debatte bisher ausgeblendet, dass der EU bei einem Beitritt der Türkei Außengrenzen mit dem Irak, dem Iran, Syrien, Armenien und Georgien drohen würden, ganz zu schweigen vom Kurdenproblem, das durch die türkische Aggressivität ständig zu mobilisieren ist. Auffallend selten wird hierzulande auch diskutiert, dass in der Türkei zum zweiten Mal eine islamistische Protestpartei gegen die Partei der laizistischen Republik gewonnen hat.

Ungeachtet der angeblichen Demokratiefortschritte, die selbst von Beitrittsfanatikern heute noch als unzureichend kritisiert werden, sollte sich jeder bewusst sein, dass die Türkei von einem Ministerpräsidenten Erdogan geführt wird, der zwar offiziell Kreide gefressen hat, sich aber als glühender Anhänger des islamistischen Hardliners und ehemaligen Ministerpräsidenten Erbakan versteht, der als erste außenpolitische Amtshandlung nichts Besseres zu tun hatte, als einen Antrittsbesuch in Teheran zu machen. Das ist jener Erdogan, der sich als Anhänger der Scharia bezeichnet, die drakonische Strafen wie die Steinigung vorsieht. Jener Erdogan, der als Oberbürgermeister von Istanbul die Nutzung der 1945 zum Museum umgewandelten Hagia Sophia als Moschee oder die Beförderung von Jungen und Mädchen in getrennten Schulbussen durchsetzen wollte.

Dies, meine Damen und Herren, zeigt allzu deutlich, wie weit die Mehrheit der Türken davon entfernt ist, einen europäischen Wertehorizont zu teilen. Und warum sollten sie dies auch? Die penetranten Versuche der Europäischen Union, der Türkei als Voraussetzung für einen Beitritt zur Europäischen Union ein Bekenntnis zur so genannten westlichen Wertegemeinschaft abzuringen, sind nur ein Beispiel von vielen für einen völlig deplatzierten Kulturimperialismus der EU.

(Martin Dulig, SPD: Sie sind ein Rassist!)

Unklar sind hingegen die Vorteile, die den Europäern durch den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union entstehen sollen.

Die Reformfähigkeit der Türkei ist bereits infrage gestellt. So ist auch die Hilfskrücke von der privilegierten Partnerschaft nicht begründbar.

Das gelegentlich vorgetragene Argument, mit einer Einverleibung in die EU wäre die Befriedung im Nahen Osten leichter, zeugt jedoch von einer erschreckenden Unkenntnis der Historie dieser Region. Schließlich, meine Damen und Herren, haben die arabischen Länder lange unter der türkischen Knechtschaft leiden müssen. Dass die Türkei auch ein islamistischer Staat ist, zählt dabei herzlich wenig. Im Gegenteil würde durch den Beitritt der US-hörigen Türkei den arabischen Ländern Europa als geachteter Verbündeter und eine anerkannte Alternative zur US-amerikanischen Hegemonialmacht entfallen.

In diesem Zusammenhang sei auch angemerkt, dass gerade die Deutschen in ihrer Geschichte stets ein freundschaftliches Verhältnis zur arabischen Welt gepflegt haben. Doch die US-Hörigkeit der deutschen Regierungen und die millionenfache Aufnahme von Muslimen haben dieser traditionell guten Beziehung nicht gut getan. Und eines sei auch gesagt: Die Multikulti-Fanatiker versündigen sich daher auch nicht nur an nachkommenden Generationen in Deutschland – nein, sie gefährden auch die unabdingbare Freundschaft von Morgen- und Abendland!

Vielleicht ist aber auch gerade dieser Effekt von den Beitrittsbefürwortern gewünscht. Sie könnten sich damit als Hilfskräfte der USA bloßstellen, die seit langem die Europäische Union zu einer Aufnahme der Türkei drängen. Die NATO wäre dann noch effektiver die Aufpassermacht über die Europäische Union, und die Kriegsfront gegen die arabischen Staaten wäre wieder geschlossen.

Es liegt auf der Hand, dass vor allem die USA ein Interesse an einem möglichst raschen Beitritt der Türkei haben. Den US-Strategen ist bewusst, dass die millionenfache Zuwanderung von Türken in Europa zu wirtschaftlichen Krisen, zum Zusammenbruch der Sozialsysteme und zu ethnischen Konflikten führen würde.

(Zurufe von der PDS, der SPD und der FDP)

Wie ich bereits darstellte, würden mit einem Beitritt der Türkei die Kurdenkonflikte europäisiert und Pulverfässer des Nahen Ostens, Kaukasiens und Mittelasiens noch stärker nach Europa verlagert. Europa, meine Damen und Herren, soll destabilisiert werden, damit es handlungsunfähig wird, denn alles, was Europa schwächt, stärkt die Weltherrschaftsbestrebungen der Vereinigten Staaten von Amerika!

(Peter Schowtka, CDU: So ein Schwachsinn!)

Ein weiterer Grund liegt für die USA natürlich darin begründet, dass sich auf türkischem Territorium wichtige US-Stützpunkte im Nahen und Mittleren Osten befinden. Und so scheint die Aufnahme der Türkei schon deshalb beschlossene Sache der US-Strategen und ihrer willfährigen Handlanger in Europa zu sein, damit sich die USA der strategisch günstigen Lage der Türkei zur Sicherung ihrer Erdölansprüche im Nahen Osten gewiss sein können.

Im Gegenzug würde die Mitgliedschaft dem bettelarmen Land den Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt und zu den Brüsseler Subventionstöpfen sichern. Millionen Türken strebten in die Bundesrepublik und ließen sich dauerhaft nieder – für die meisten Türken eine grandiose Perspektive, für die Amerikaner nichts als skrupellose Berechnung, die sie nichts kostet. Der kranke Mann am Bosporus soll an die dampfenden EU-Fleischtöpfe getrieben werden,

(Lachen bei der FDP)

um entweder durch Subventionen zu genesen oder die EU-Staaten vollends in den Ruin zu treiben.

Nachdem offensichtlich wird, meine Damen und Herren, dass trotz größter Verrenkungen keinerlei Vorteile aus einem Beitritt der Türkei erwachsen, bleibt als letzter Erklärungsansatz für die fanatischen Aufnahmebestrebungen langwieriger Beitrittsverhandlungen eigentlich nur, dass es sich hierbei um ein großes politisches Ablenkungsmanöver handelt. Schließlich gilt es, auf europäischer Ebene von den immensen Kosten der gerade erst durchgeprügelten EU-Osterweiterung abzulenken, die noch vor uns stehen. Wer den Blick auf die Türkei lenkt, hofft anscheinend darauf, dass die dramatischen Probleme vor allem beim Schutz des heimischen Arbeitsmarktes vor ausländischen Billiglohndrückern aus den Augen geraten. Gleichzeitig soll wohl auch vor den grauenhaften Fehlentwicklungen bei den deutschen Finanz- und Sozialsystemen abgelenkt werden.

Meine Damen und Herren, wer bei der Einleitung der notwendigsten Reformschritte so eklatant versagt und sich für die billigste Hinhaltetaktik bis zum nächsten Wahlsonntag nicht zu schade ist, dem ist auch außenpolitisch alles zuzutrauen, sogar eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union!

Deshalb fordere ich auch alle vertretenen Abgeordneten in diesem Haus und die Staatsregierung auf, alles, aber auch wirklich alles Erdenkliche an politischem Widerstand gegen diese mutwillige Zerstörung der Grundlagen des europäischen Zusammenlebens zu leisten. Wenn Sie den Untergang des christlichen Abendlandes

(Lachen bei der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

nicht willfährig aufs Spiel setzen und sich zu aktiven Handlangern der Verantwortlichen in Brüssel und Berlin degradieren lassen wollen, dann können Sie dem Antrag der Nationaldemokraten nur zustimmen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Die CDU-Fraktion. Herr Abg. Schowtka.

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Es fällt mir schwer, nach diesen Hasstiraden, Lügen und Halbwahrheiten des kranken Mannes von Dresden mit westdeutschem Dialekt zum Thema zurückzukommen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, nachdem die NPD-Fraktion vor vier Wochen in diesem Hohen Hause noch lauthals gefordert hatte „Los von Brüssel – Nein zu dieser EU!“, probiert sie mit dem vorliegenden Antrag eine neue Masche. Sie macht sich Sorgen um die Zukunft der Europäischen Union, heißt es doch in ihrer Antragsbegründung scheinheilig – ich zitiere –: „Die Europaidee in all ihren verschiedenen denkbaren Ausprägungen würde mit dem Beitritt der Türkei zur EU begraben und auf unabsehbare Zeit irreversibel beschädigt. Deshalb muss die Sächsische Staatsregierung alles in ihrer Macht Stehende tun, um dieses über Europa schwebende Damoklesschwert abzuwenden und den Beitritt der Türkei zur EU zu verhindern.“

(Beifall des Abg. Matthias Paul, NPD)

Welch eine Heuchelei in Reinkultur! Seien Sie doch ehrlich: Ob mit oder ohne Türkei, Sie wollen doch überhaupt kein vereinigtes Europa! Das haben Sie doch oft genug hier und woanders hinausposaunt!

(Zuruf des Abg. Holger Apfel, NPD)

Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, zugegeben, die EU ist in schweres Fahrwasser geraten. Die Ablehnung des Verfassungsvertrages in Frankreich und in den Niederlanden und das Scheitern des Haushaltsgipfels waren keine Sternstunden des europäischen Einigungsprozesses. Laut Umfrageergebnissen meinen die Neinsager zum Verfassungsvertrag in erster Linie gar nicht diesen. Neben innenpolitischen Gründen war es vielmehr der Protest gegen Bürgerferne, Intransparenz, Bürokratie und Zentralismus und vor allem gegen einen Automatismus des Erweiterungsprozesses, der auch auf den EU-Beitritt der Türkei zielt.

Nach der Erweiterung durch zehn neue Mitglieder benötigt die EU jetzt vor allem eine kulturelle Vertiefung und institutionelle Festigung ihrer demokratischen Strukturen, aber auch nach klaren Kriterien sauber definierte Außengrenzen, innerhalb derer sich wohl Rumänien, Bulgarien und Kroatien befinden dürften, nicht aber die Türkei. Mit Ausnahme von Ostthrakien liegt die Türkei nämlich überwiegend in Vorderasien.

Mit einer Bevölkerung von mehr als 70 Millionen wird die Türkei bei einem Bevölkerungswachstum von jährlich 2 % in zehn Jahren mehr Einwohner als jedes EULand haben. Trotz achtjähriger Schulpflicht seit 1997 sind immer noch 15 % der Türken Analphabeten. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf liegt im Vergleich zu Deutschland bei 10 %. Das Land kämpft mit einer andauernd hohen Inflation, die organisierte Kriminalität ist überaus einflussreich.

Im Hinblick auf den von der türkischen Regierung gewünschten EU-Beitritt wurde vor vier Jahren eine Reihe von Verfassungsvorschriften modifiziert. Dennoch ist die Türkei nicht bereit, den Kurden, die 20 % der Bevölkerung ausmachen, den Status einer nationalen Minderheit einzuräumen. Bei einem Besuch des Europaausschusses des Sächsischen Landtages unter dem Vorsitz des Kolle

gen Peter Adler im Oktober 2001 in der Türkei wurde uns im Außenministerium in Ankara offiziell erklärt, dass es in der Türkei keine nationalen Minderheiten gebe.

Meine Damen und Herren, die Europäische Kommission hat in ihrem Bericht an den Europäischen Rat vom 6. Oktober vergangenen Jahres über die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien trotz bemerkenswerter Zweifel empfohlen, am 3. Oktober dieses Jahres Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Insbesondere hat die Kommission die weitere Festigung und Ausdehnung von Gesetzgebungs- und Umsetzungsmaßnahmen angemahnt, vor allem bei der Bekämpfung von Folter und Misshandlung, bei den Menschen- und Minderheitenrechten und bei den Grundfreiheiten. Sie hat periodische Überprüfungen der türkischen Reformanstrengungen vorgeschlagen und darauf hingewiesen, dass sich die Unumkehrbarkeit des Reformprozesses über einen langen Zeitraum bestätigen muss.

Wir sind der Meinung, dass der bisherige Automatismus, nach dem die Aufnahme von Verhandlungen de facto einer Beitrittszusage gleichkam, im Falle der Türkei nicht aufrechterhalten werden kann. Unbeschadet der Frage, ob die Türkei von sich aus die Kopenhagener Kriterien erfüllt hat, muss die Frage eines Beitritts der Türkei zur Europäischen Union ebenfalls im Zusammenhang mit der politischen Identität Europas gesehen werden, einer Identität, die den Wertvorstellungen der Menschen in jetzt 25 Mitgliedsländern entsprechen muss. Insbesondere muss sich die EU als handlungsfähige politische Einheit Klarheit über ihre Grenzen verschaffen und darüber, ob Länder, die nur teilweise zu Europa gehören, uneingeschränkt Mitglied werden können.