Protokoll der Sitzung vom 15.07.2005

Für die CDU-Fraktion spricht Herr Abg. Schmidt – oder sprechen Sie sogar für die Koalition? – Gut; bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mir sicherlich vorstellen, dass sich so kurz vor den Ferien nicht jeder noch für die Produktion und Verarbeitung von Zuckerrüben interessiert.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Wir machen Urlaub auf dem Bauernhof!)

Trotzdem möchte ich Sie von der Brisanz dieses Themas überzeugen – ich sehe, ich habe dazu noch 80 Minuten Redezeit.

(Heiterkeit – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Sie können von uns noch welche bekommen!)

Zum Thema. Die Europäische Kommission hat am 22. Juni 2005 weit reichende Reformvorschläge zur gemeinsamen Marktorganisation für Zucker vorgelegt. Es wird bezweckt, die Wettbewerbsfähigkeit und die Marktorientierung des Zuckersektors in der Europäischen Union zu erhöhen, seine Zukunftsperspektiven zu sichern und die Verhandlungsposition der EU bei der derzeitigen Runde der Welthandelsgespräche zu stärken.

Im Rahmen der reformorientierten Marktorganisation wird den Entwicklungsländern weiterhin ein Präferenzzugang zum europäischen Zuckermarkt zu einem attraktiven Preis deutlich oberhalb des Weltmarktniveaus gegeben. Die Länder Afrikas, der Karibik und des Pazifiks mit traditionellen Zuckerexporten werden dabei Unterstützung erfahren.

Die Reformvorschläge der Kommission sehen unter anderem eine Senkung des Preises für Weißzucker um zirka 40 % in zwei Stufen vor. Dabei erhalten die Landwirte für 60 % der Preissenkung einen Ausgleich in Form einer produktionsentkoppelten Zahlung, die an die Einhaltung von hohen Standards für Umweltschutz und Bodenbewirtschaftung gebunden ist und in die einheitliche Betriebsprämie einbezogen wird.

Ferner soll eine freiwillige Umstrukturierungsregelung mit einer Laufzeit von vier Jahren den wettbewerbsschwächeren Erzeugern beim Ausscheiden aus dem Zuckersektor helfen, während der bisherige Interventionsmechanismus abgeschafft wird. Die Kommission hofft nun, dass über die Reformvorschläge für die Zucker

marktordnung auf der Ratstagung der Landwirtschaftsminister im November dieses Jahres eine politische Einigung erzielt wird.

So weit die Theorie.

Völlig ungenügend werden bei der Reform der Zuckermarktordnung die Interessen des ländlichen Raumes berücksichtigt. Von der Zuckerproduktion in Deutschland hängen zirka 50 000 Landwirtschaftsbetriebe und 10 000 Arbeitsplätze in den Zuckerfabriken sowie in vorund nachgelagerten Bereichen ab.

In Sachsen gibt es zwar keine Zuckerfabriken, traditionell aber einen Zuckerrübenanbau in weiten Teilen unseres Freistaates. Die Landwirte und die landwirtschaftlichen Dienstleistungsbetriebe haben Millionen in modernste Technik investiert. Wir produzieren nach den weltweit höchsten Qualitätsstandards. All diese Investitionen und Arbeitsplätze werden infrage gestellt.

Ich möchte jedoch ganz klar sagen: Bei dieser Frage geht es nicht nur direkt um die Zuckerproduzenten; denn diese müssen unter dem entstehenden Druck die Belastungen weitergeben. Über die Einnahmenseite ist das nicht möglich. Also wird es über die Ausgabenseite geschehen. Das heißt, Investitionen oder notwendige Instandhaltungen werden zurückgestellt. Die geplante Halle wird eben nicht gebaut, der Baubetrieb vor Ort erhält den Auftrag nicht, der geplante Technikkauf wird zurückgestellt, der Hof wird nicht neu gepflastert, die Dachrinne nicht repariert. Gerade in den strukturschwachen Gebieten fehlen Aufträge. Ich möchte es ganz klar sagen: Wir, die Fraktionen von CDU und SPD, setzen uns für den Erhalt der Arbeitsplätze gerade in den strukturschwachen Gebieten ein.

(Beifall bei der CDU)

Unverständlich ist auch, dass die von den Entwicklungsländern selbst vorgeschlagene Steuerung der Importe nicht aufgegriffen wurde. Das ist entwicklungspolitisch ein Fehler und läuft den Bemühungen, eine nachhaltige Zuckerwirtschaft in Europa zu halten, völlig entgegen.

Deshalb ist es unumgänglich, dass nach den GAP-Reformen von 2003 und 2004, die bereits zu erheblichen Einnahmeeinbußen geführt haben, von der Bundesregierung ein zusätzlicher Ausgleich der Verluste durch die Zuckermarktreform erfolgt, der der Wettbewerbsfähigkeit der Zuckerindustrie angemessen Rechnung trägt und für ein nachhaltiges Marktgleichgewicht entsprechend den von der EU eingegangenen internationalen Verpflichtungen sorgt.

Deshalb sieht unser Antrag vor, dass den betroffenen Landwirten ein finanzieller Ausgleich für die Verluste durch die Reform gezahlt wird. Dadurch soll die Wirtschaftlichkeit der Zucker produzierenden Landwirtschaftsbetriebe erhalten und der Standort ländlicher Raum auch außerhalb der Landwirtschaft gesichert werden.

Nun zu den Anträgen der NPD! Der ursprüngliche Antrag der NPD – das ist schon gesagt worden – nützt bei der Lösung der angesprochenen Probleme sicher nicht sehr viel. Sie stellen an die Staatsregierung ein paar Fragen. Herr Paul, Sie als Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt und Landwirtschaft sollten, auch ohne die

Staatsregierung gefragt zu haben, wissen, dass es in Sachsen keine Zuckerfabriken gibt.

(Matthias Paul, NPD: Warum gibt es die nicht mehr?)

Das hat jetzt aber nichts mit der Zuckermarktreform zu tun. Auch die Änderungsanträge der NPD sind, wie so oft, rein populistisch und realitätsfern.

(Beifall der Abg. Dr. Cornelia Ernst, PDS)

Ich bin jedoch überzeugt, dass diese Änderungsanträge nur in dem Wissen gestellt werden, dass sie sowohl aus fachlicher als auch aus rechtlicher Sicht nicht umsetzbar sind und damit einfach abgelehnt werden müssen. So viel zu Ihrer konstruktiven Mitarbeit im Parlament! Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie: Stimmen Sie für die Erhaltung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum und damit für unseren Antrag! Danke.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Danke schön. – Er hat seine Zeit nicht ausgenutzt; wir danken ihm. Für die PDS-Fraktion spricht Frau Altmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf dem Welternährungsgipfel in Rom im Jahre 1996 ist das Recht einer jeden Nation verkündet worden, die eigenen Möglichkeiten zur Nahrungsgütererzeugung zu entwickeln. Zu diesem Recht bekennt sich die PDSFraktion eindeutig.

(Beifall bei der PDS)

Von diesem Recht leiten wir auch unsere Überlegungen zur anstehenden Reform der europäischen Zuckermarktordnung ab. Wir halten es darum für eine Pflicht der europäischen Agrarpolitik, alles zu unterlassen, was dieses Recht für die Menschen, insbesondere für diejenigen in den ärmsten Ländern der Welt, einschränkt. Das schließt für uns aber auch die Pflicht der reichen Länder ein, sich mehr als bisher an tatsächlich wirkungsvoller Entwicklungshilfe zu beteiligen, die es den ärmsten Ländern überhaupt erst ermöglicht, das Recht auf Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln durchzusetzen. In diesem Kontext sehen wir die Reform der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik und den Vorschlag zur Reform der Zuckermarktordnung äußerst kritisch. Beides wird zur weiteren Beschleunigung des Strukturwandels und zur verstärkten Aufgabe der Landwirtschaft in Gebieten mit ungünstigeren natürlichen Bedingungen sowie zum Ausbluten ländlicher Räume führen. Eine wirkliche Alternative wäre eine Reform, die das Recht auf regionale Produktion für die Versorgung der eigenen Bevölkerung in Europa und in allen Teilen der Welt sicherstellt und den Ruin lokaler Produkte verhindert.

(Beifall bei der PDS)

Dabei geht es uns nicht um primäre Autarkie, sondern um das Primat der Regionalisierung. Exporte der EU

sollten sich auf veredelte Agrarerzeugnisse beschränken und Importe einem qualifizierten, das heißt differenzierten Außenschutz unterliegen. Ohne diese Voraussetzung ist es in der EU dauerhaft nicht möglich, flächendekkende und multifunktionale Landwirtschaft zu verwirklichen.

Ausgehend von dieser grundsätzlichen Position vertreten wir in der aktuellen Diskussion um die Reform der EUZuckermarktordnung folgenden Standpunkt: Für uns ist es untragbar, dass die EU, obwohl die Zuckererzeugung aus Zuckerrüben deutlich teurer ist als die Erzeugung aus Zuckerrohr, ständig Überschüsse produziert und diese auf dem Weltmarkt zu massiv gestützten Preisen absetzt. Das ist für die Produzenten in Entwicklungsländern zerstörerisch und wird vom europäischen Steuerzahler teuer bezahlt. Deshalb ist eine Reform, mit der künftig strukturelle Überschüsse verhindert, aber zugleich Arbeitsplätze in der europäischen Landwirtschaft und Zuckerindustrie gesichert werden, dringend notwendig.

Entgegen der EU-Kommission stellt die PDS in den Mittelpunkt der Reform nicht den Abbau der Erzeugerpreisstützung für die Zuckerrüben, sondern eine Mengenregulierung, mit der ein hoher Eigenversorgungsgrad mit Zucker gesichert und zugleich ein schrittweise breiterer Zugang der Zuckerexportländer auf den EU-Markt ermöglicht wird. Das setzt vor allem ein schnelles Auslaufen der direkten und indirekten Exportsubventionen, den Ausbau der Produktion von Bioethanol aus Zucker und die Unterstützung weiterer alternativer Verwertungsmöglichkeiten für Zuckerrüben, aber auch den Anbau alternativer Kulturen voraus. Nur so lassen sich die Überschüsse der EU reduzieren, ohne massiv Arbeitsplätze zu gefährden.

Auch aufgrund der allgemein unterdurchschnittlichen Einkommenssituation, die es in der Landwirtschaft auch hier in Sachsen immer noch gibt, ist nicht nur die beabsichtigte Höhe der Preissenkung für uns inakzeptabel, sondern auch, dass durch die vorgesehene Zuckerbeihilfe lediglich 60 % der Preiskürzung ausgeglichen werden sollen. Um Anpassungsprobleme zu minimieren, muss unbedingt ein höherer Ausgleich, der dann aber – abhängig von der tatsächlichen Einkommensentwicklung – degressiv gestaltet wird, möglich sein.

Gegen den Vorschlag der Kommission spricht auch, dass insbesondere die massive Preissenkung und die staatenübergreifende Handelbarkeit der Quoten dazu führen würden, dass die Zuckerrübenproduktion nur noch auf den allerbesten Standorten und durch intensiven Einsatz von Agrochemie konkurrenzfähig wäre. Ein Rückzug der Zuckerrübe würde zu einer weiteren Verarmung der Fruchtfolgen führen. Denn nur Getreide und Raps anzubauen ist einfach keine Fruchtfolge mehr. Das ist weder ökologisch, noch entspricht es dem Grundsatz der Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit. Die Beibehaltung von höheren EU-Referenzpreisen liegt dabei aber keineswegs nur im Interesse der europäischen Bauern, sondern auch der Entwicklungsländer.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Sehr richtig!)

Jede EU-Preissenkung würde die Exporterlöse der ärmsten Entwicklungsländer schmälern. Wir als PDS unter

stützen deshalb die Forderung von 49 Entwicklungsländern nach Einführung von Importquoten.

(Beifall bei der PDS)

Dabei muss unbedingt eine Regelung gefunden werden, die dem Nord-Süd-Konflikt und zugleich aber auch dem zunehmenden Süd-Süd-Konflikt Rechnung trägt.

(Zuruf von der CDU: Süd-Süd-Konflikt!)

Davon haben Sie vielleicht noch nichts gehört. Das ist der Konflikt zwischen den Entwicklungsländern. Es darf keinesfalls zu einer Monopolisierung des Zuckermarktes durch nur wenige Zuckerrohr anbauende Länder kommen. Diese liegen in der Regel ausschließlich im Süden. Dies ginge nicht nur zulasten der EU, sondern auch zulasten vieler Entwicklungsländer. Die seit Jahren forcierte Ausdehnung des Zuckerrohranbaus ist mit der Verdrängung anderer Nahrungsmittelproduktionen bis hin zur Abholzung von Regenwald und negativen Klimaauswirkungen verbunden. Gleichzeitig halten wir verbindliche Sozial- und Umweltstandards in der Zuckerproduktion für unbedingt notwendig. Zur Erreichung dieser Standards brauchen die ärmsten der Länder der Welt garantiert zugesicherte spezifische Hilfen. Das wäre für uns zum Beispiel wirkungsvolle Entwicklungshilfe, wie ich sie am Anfang angemahnt habe.

(Beifall bei der PDS)

Zum Schluss noch ganz wenige Zahlen dazu, um welche Dimensionen es sich hier in Sachsen überhaupt handelt. In Deutschland werden auf insgesamt 440 000 Hektar Zuckerrüben angebaut. Das entspricht 4 % der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. In Sachsen werden auf 17 000 Hektar Zuckerrüben angebaut. Das sind 3 % der Flächen, auf denen in Deutschland insgesamt Zuckerrüben angebaut werden. Diese Flächen entsprechen gerade einmal 2 % der sächsischen landwirtschaftlichen Nutzfläche.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Es ist wichtig, das zu wissen!)

Das ist ungefähr das Gleiche wie vor einem Monat im Plenum zu den BVVG-Flächen: Hier wird in Sachsen über ein Problem geredet, das Länder wie Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern in wesentlich größerem Umfang betrifft. Die Koalitionsfraktionen haben es zumindest schon gemerkt: Eine Zuckerindustrie gibt es in Sachsen leider lange schon nicht mehr, obwohl die PDS-Fraktion im Jahr 2003 versucht hat, noch mit einem Dringlichen Antrag die letzte sächsische Zuckerfabrik zu retten,

(Beifall bei der PDS)

was uns nicht gelungen ist. Nichtsdestoweniger konnten Sie meinem Redebeitrag entnehmen, dass wir uns durchaus für die sächsischen Landwirte einsetzen, die Zuckerrüben anbauen. Das darf aber aus unserer Sicht auf keinen Fall zulasten der Entwicklungsländer dieser Welt gehen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)