Protokoll der Sitzung vom 07.09.2005

Gesetz gebunden. Das wird zumindest ab und zu behauptet. Dazu gehört auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Parlament darf sich sehr wohl darüber unterhalten, ob die Staatsanwaltschaft bei der Wahl bestimmter Ermittlungsmethoden und Ermittlungseingriffe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet hat. Das ist das Recht des Parlaments und dies muss wahrgenommen werden!

(Beifall bei der FDP)

Zu den Voraussetzungen des § 100g Strafprozessordnung kurz folgende Überlegungen: Bereits die Auskunft über Daten, wer mit wem wann telefoniert hat – unabhängig von der Frage des Gesprächsinhalts –, ist als Telefonüberwachung anzusehen. Zitat – dies kann ich Ihnen gern senden, Herr Minister –: Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 27.07.2005 zum niedersächsischen Polizeigesetz und der dort verankerten präventiven Gesprächsüberwachung. Es gibt die so genannte Echtzeitüberwachung. Das ist das Mithören, das laufende Band. Es gibt die Datenüberwachung selbst, die Verbindungsdaten nach § 100g und 100h Strafprozessordnung. Auch dies sind Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung, von denen der Minister vorhin gesagt hat, dass mitnichten so etwas im Raum gestanden hätte. Nein, das ist falsch. Es geht hier um Telekommunikationsüberwachung und um nichts anderes.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt müssen wir uns fragen: Unter welchen Voraussetzungen ist sie zulässig? Da gibt es eine Variante. Diese hat sogar Kollege Schiemann angezogen. Er hat gesagt: Sie wäre hier einschlägig. Das ist die Variante, wenn etwas mit Endgeräten begangen worden sein soll. Dass dies hier einschlägig ist, Herr Schiemann, zu dem Ergebnis kommt man nur, wenn man juristisch nicht über ausreichende Kenntnisse verfügt. Dieser Fall ist nur dann gegeben, wenn wir wissen, dass etwas mit Endgeräten begangen worden ist: Abs. 1, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht belegen und nicht, wenn wir herausbekommen wollen, ob jemand mit jemandem telefoniert hat. Die bloße Vermutung ist eben gerade keine bestimmte Tatsache. Wir wissen nicht, ob sie telefoniert haben, und deshalb darf man diese Abfrage auch nicht machen. Diese sagt vor allen Dingen nichts über den Gesprächsinhalt und ob damit eine Straftat begangen worden ist. Das sagt überhaupt nichts aus. Das wäre bei kurzem Nachdenken auch zu erkennen gewesen.

(Lachen bei der FDP)

Das andere betrifft die Frage der Verhältnismäßigkeit nämlich und dabei die Straftat von erheblicher Bedeutung. Dazu wird zunächst auf § 100h Strafprozessordnung verwiesen, die so genannten Katalogtaten: Hochverrat, Mord, Totschlag, gemeingefährliche Straftaten und anderes. Eine solche Katalogtat ist der Verrat von Amtsgeheimnissen nicht, meine Damen und Herren. Aber wenn wir wissen wollen, was Straftaten von erheblicher Bedeutung sind, so jedenfalls das Bundesverfassungsgericht, dann sollte man sich daran orientieren. Hierbei kann ich mitnichten erkennen, dass

eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt – in diesem Einzelfall nicht.

(Heinz Eggert, CDU: Aber der Richter hat es so gesehen!)

Deswegen haben wir ernsthafte Zweifel daran, dass im konkreten Fall diese Maßnahme tatsächlich zulässig gewesen ist. Sie war – das ist unsere Einschätzung – nicht verhältnismäßig, meine Damen und Herren. Straftaten müssen verfolgt werden, ja, aber dabei müssen auch die rechtsstaatlichen Barrieren berücksichtigt werden. Was hier passiert ist, ist genau das Gegenteil. Hier ist etwas passiert, um es mit den Worten eines Ihrer Parteifreunde zu sagen: Das lässt sich bezeichnen als brutalstmögliche Aufklärung. Es geht auch anders in Sachsen. Das hat zum Beispiel der Fall von Strafanzeigen gegen hochrangige Beamte im Innenministerium im Jahre 2004 gezeigt. Am 15. März 2004 ist eine Strafanzeige mit dem Vermerk "Verschlusssache" von der Ermittlungseinheit an die Staatsanwaltschaft, die INES, gegangen. Am 16. März 2004, morgens, konnte man in sächsischen Zeitungen Einzelheiten über den Inhalt dieser Anzeigen nachlesen. Die Betroffenen hatten bis dahin noch keine Kenntnis von der Anzeige selbst. Hier muss schlicht und ergreifend irgendjemand nicht dichtgehalten haben, und zwar in den Ämtern. Das ist zwingend. Die Staatsregierung kann bis heute nicht erkennen, dass hierbei irgendein Bruch von Amtsgeheimnissen passiert wäre. Es ist auch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Es gibt also sehr wohl Unterschiede, je nachdem, wen es betrifft: auf der einen Seite möglicherweise Journalisten, die einem ehemaligen Mitglied der Staatsregierung zu nahe gekommen sind, und auf der anderen Seite Beamte, die möglicherweise missliebig aufgefallen sind. Dagegen wehren wir uns. Wir wehren uns dagegen, dass mit zweierlei Maß gemessen wird. Wir sind gegen eine Instrumentalisierung auch von Strafverfolgung.

(Beifall bei der FDP)

Zu dieser politischen Bewertung, meine Damen und Herren, muss man auch eines sagen: Was wir hier erleben, ist das Musterbeispiel einer gesetzlichen Regelung, die falsch angewendet wird. Sie ist im Jahre 2001 vor dem Hintergrund des Terrorismus geschaffen worden.

(Ministerpräsident Prof. Dr. Georg Milbradt: Falsch!)

Das war die Begründung des Staatssekretärs in der Bundestagsdebatte am 30. November 2001, dass diese Normen notwendig seien, um den internationalen Terrorismus bekämpfen zu können.

(Ministerpräsident Prof. Dr. Georg Milbradt: Der Vorschlag war früher!)

Der Vorschlag war früher, aber es ist damit begründet worden. Wieder einmal wurde die Puppe des internationalen Terrorismus herausgezogen, um eine erneute prozessuale Verschärfung der Ermittlungsmöglichkeiten einzuführen. Hinterher wundert sich das staunende Publikum, bei wie

vielen verschiedenen Gelegenheiten dieses dann Anwendung findet.

(Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren! Das ist ein Beispiel dafür, wie Normen eingeführt werden, hinterher aber nicht zweckentsprechend angewendet werden. Deswegen kann ich die Verwunderung bei der SPD nur in Maßen verstehen und bei den GRÜNEN erst recht nicht, denn die GRÜNEN haben an dieser Norm als Mittäter nicht nur mitgewirkt, sondern – –

(Zurufe der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Obwohl es die Mittäter im strafrechtlichen Sinne eigentlich nicht richtig trifft, denn der Mittäter müsste das Geschehen in der Hand halten. Bei den GRÜNEN würde man strafrechtlich korrekt eher von Gehilfen sprechen.

(Lachen bei der FDP – Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Zum konkreten Antrag, meine Damen und Herren, lassen Sie mich eines sagen:

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Das Einzige, was wir aus dem PDS-Antrag mittragen können, ist der Punkt 2, die Ergänzung der Regelung in § 100g für Journalisten, das heißt der Hinweis auf § 53 Abs. 1 Nummer 5 der Strafprozessordnung mit der Erweiterung der Zeugnisverweigerungsrechte. Alles andere ist nun wirklich nicht konkret genug. Aber ich sage es noch einmal: Diesen einen Punkt hätte man wirklich eine Woche später bringen können. Das hätte uns allen viel Zeit und viel Arbeit erspart. Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wir haben Sie in flagranti ertappt!)

Ich erteile der Fraktion der GRÜNEN das Wort. Herr Abg. Lichdi, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es widerstrebt meiner Fraktion grundsätzlich, eine endgültige politische Bewertung über Sachverhalte abzugeben, deren Sachverhalt alles andere als klar ist. Wir haben heute früh in unseren Fächern eine 14-seitige Stellungnahme des Sächsischen Datenschutzbeauftragten gefunden, der erstmals für die Öffentlichkeit erkennbar den Sachverhalt, wie es mit den Anordnungen abgelaufen ist, wie das mit den Gerichten ging, gegen wen die Anordnungen gerichtet waren und in welchen Zeitabläufen das passiert ist, dargestellt hat. Offensichtlich weiß Kollege Bartl Bescheid. Ich weiß nicht, vielleicht ist er mandatiert. Den Ausführungen des Kollegen Schiemann habe ich entnommen, dass er auch wesentlich mehr weiß als das Haus. Das ist wahrscheinlich sein Recht als Koalitionsfraktionär. Aber dieses Haus und auch wir als Oppositionsfraktion haben eben noch keine Kenntnis. Deswegen kann ich meinen Vor

rednern insoweit zustimmen, dass diese Sondersitzung zeitlich verfrüht ist.

(Volker Bandmann, CDU: Herr Lichdi, Sie waren doch in der Sitzung dabei!)

Wir hätten uns gewünscht, dass der Staatsminister im Ausschuss tatsächlich zur Aufklärung beigetragen hätte und nicht um 14:00 Uhr panisch eine Pressekonferenz einberuft, in der er im Grunde nichts beiträgt, sondern das Fass erst richtig zum Überlaufen bringt. Aus diesem Grunde haben wir die Sondersitzung einberufen und sie ist durch Ihre heutigen Ausführungen nicht überflüssig geworden, Herr Staatsminister.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Jetzt nicht! – Unseres Erachtens sind folgende Fragen zu klären: Erstens, wie kommt die Staatsanwaltschaft Chemnitz auf die Idee, Anträge gegen mindestens 29 Mitarbeiter von INES zu stellen? Sollten die Mitarbeiter von INES etwa eingeschüchtert werden, weil sie bei Korruptionsverdacht entschlossen gegen einflussreiche Mitglieder der CDU vorgingen?

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Zweitens, sollte das Vorgehen gegen Mitarbeiter von INES allen Behördenangehörigen in Sachsen mit dem Holzhammer verdeutlichen, welches Risiko es bedeutet, Kontakte zur Presse zu unterhalten? Drittens, ist dieses massive Vorgehen bei dem Verdacht auf Verrat von Dienstgeheimnissen in Sachsen üblich? Wohl kaum. Dieses Vorgehen nährt aber den Verdacht auf parteipolitische Einflussnahme.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Viertens, ich habe Sie, Herr Mackenroth, heute so verstanden, dass die Anordnung an den Journalisten unmittelbar ergangen ist, offensichtlich als Nachrichtenmittler, wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahre 2003 auch bearbeitet hatte. Ich habe dazu am 31. August mehrere Kleine Anfragen, insgesamt 18, an die Staatsregierung gestellt. Ich hoffe, dass diese auch noch solide beantwortet werden. Im Übrigen, dass hier noch Aufklärungsbedarf besteht, Herr Staatsminister, zeigt Ihr Ausweichen auf meine Anfrage. Sie haben mich immer vertröstet und haben die Frage am Schluss doch nicht zugelassen. Mich wundert schon, wie das Staatsministerium der Justiz eine Rechtsprüfung der Anträge aus Chemnitz durchführen kann, ohne die Aktenlage zur Kenntnis zu nehmen. Dazu frage ich: Auf welcher Grundlage haben Sie entschieden?

(Beifall bei den GRÜNEN – Staatsminister Geert Mackenroth: Auf der Grundlage der Berichte!)

Bei aller Kritik möchte ich aber doch klarstellen, Herr Kollege Weiss – er ist leider nicht anwesend: Wir halten es, anders als Sie, im Grundsatz für wichtig, dass die Staatsanwaltschaft versucht, das Informationsleck zu stopfen. Der Verrat von

Dienstgeheimnissen nach § 353b und der Tatverdacht der Bestechlichkeit sind durchaus schwere Straftaten. Auch wir sind der Meinung, dass es mit dem Schutz der Privatsphäre von Personen, gegen die staatsanwaltschaftliche Ermittlungen geführt werden, nicht vereinbar ist, wenn die Presse die Gelegenheit erhält, sie im Schlafanzug abzufotografieren. Dies gilt auch für Herrn Schommer.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dennoch gibt es nach vorläufiger Kenntnislage trotz Ihrer Gesundbeterei erhebliche Anhaltspunkte, dass die Staatsanwaltschaft in unverhältnismäßiger Weise über das Ziel hinausgeschossen und die Pressefreiheit das Ziel der zwischen Staatsanwaltschaft, Generalstaatsanwaltschaft und Justizminister abgestimmten Attacke gewesen ist. So muss auffallen, dass diese nicht weniger als 29 Anträge auf Erhebung der Telekommunikationsverbindungsdaten gestellt haben. Dies zeigt eindeutig: Konkrete Verdachtsmomente gegen bestimmte Mitarbeiter von INES lagen offenbar gerade nicht vor; denn sonst hätten die Anträge sofort auf bestimmte Mitarbeiter beschränkt werden können. Die hohe Anzahl der Anträge ist nur mit der Absicht zu erklären, auch ohne bestimmte Verdachtstatsachen, wie es das Gesetz aber fordert, alle Mitarbeiter über einen Kamm zu scheren und auszuforschen. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hat also mit der Keule im Nebel herumgefuchtelt und gehofft, zufällig den Richtigen zu treffen.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Dieses Vorgehen zeigt eine Mentalität der Strafverfolger und auch von Ihrem Hause, Herr Staatsminister, die die nötige Sensibilität für erhebliche Grundrechtseingriffe vermissen lässt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun kann man sagen: Der Rechtsstaat hat funktioniert, weil zwei Gerichte diese Anordnungen zu Recht abgelehnt haben. Wir haben hier aber zur Kenntnis zu nehmen und zu bewerten, dass der Generalstaatsanwalt und der Justizminister diese Vorgehensweise im Vorhinein gebilligt hatten. Offenbar sind ihnen die Maßstäbe der Verhältnismäßigkeit ganz erheblich durcheinander geraten. Zumindest hier haben Sie, Herr Mackenroth, und Ihr Generalstaatsanwalt versagt. Wie konnte es dazu kommen? Im Vorfeld war in der CDU eine Stimmung zu beobachten, die der Staatsanwaltschaft Chemnitz und dem Justizminister Rückendeckung für ein scharfes Vorgehen signalisierten, die einer Aufforderung dazu geradezu gleichkam. Es fällt schon auf, dass sich kein Geringerer als Herr Hähle kurz vor Antragstellung sehr eindeutig geäußert hat. Am 27. Mai veröffentlichte der CDU-Fraktionsvorsitzende eine Pressemitteilung, die es in sich hat. Herr Dr. Hähle fragt öffentlich, „ob es INES wirklich um seriöse Aufklärung oder vielmehr um eine skandalträchtige politische Hexenjagd“ gehe.

(Zurufe von der CDU)

Sachsen dürfe nicht „durch derart danebenliegende Einzelfallaktionen in ein Klima der Vorverurtei

lung“ und – man höre – „des respektlosen Umgangs mit verdienstvollen Persönlichkeiten kommen und damit in Verruf geraten.“

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Feudalismus!)