Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. – Nicht gewünscht. Die SPD-Fraktion? – Nicht gewünscht. FDP-Fraktion? – Nicht gewünscht. Die GRÜNEN? – Herr Lichdi, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Die Anhörung im Rechtsausschuss am 26. September 2005 hatte ein eindeutiges Ergebnis: Das deutsche Zustimmungsgesetz zum Verfassungsvertrag der Europäischen Union ist selbstverständlich grundgesetzkonform. Dies war die Meinung aller Staatsrechtslehrer. Allein Prof. Schachtschneider, der sich nicht
Prof. Schachtschneider vertritt die Ansicht, dass das deutsche Zustimmungsgesetz die „existenzielle Staatlichkeit“ der Bundesrepublik Deutschland, wie er es nennt, aufgebe. Das Zustimmungsgesetz verstoße gegen Artikel 20 und 79 Abs. 3 des Grundgesetzes. Diese Vorschriften regeln die Verfassung Deutschlands als demokratischer, rechtsstaatlicher und sozialer Bundesstaat. Von einer Aufgabe der „existenziellen Staatlichkeit“ Deutschlands kann nicht die Rede sein. Die Argumentation verkennt die historisch bisher einzigartige Idee und Entwicklung einer supranationalen Integration, wie sie die EU seit 60 Jahren verfolgt. Die Mitgliedsstaaten lösen sich eben durch die Integration gerade nicht auf, sondern geben manche Politikbereiche zur gemeinsamen Ausübung auf die europäische Ebene. Zugleich anerkennen sie Akte der EU auf ihrem Hoheitsgebiet. Im Einzelnen:
1. Aus der Tatsache eines Abschlusses eines so genannten Verfassungsvertrages folgt mitnichten die Gründung eines europäischen Bundesstaates. Der Verfassungsvertrag ist vielmehr im Kern eine grundsätzliche Zusammenfassung des bisher erreichten Integrationsstandes.
2. Kompetenzen der Mitgliedsstaaten werden grundsätzlich nicht endgültig übertragen, sondern nur deren Ausübung. Auch der Vorrang der Anwendung europäischen Rechts vor mitgliedsstaatlichem Recht ist lediglich eine notwendige Spielregel der Funktionsfähigkeit einer supranationalen Integration.
3. Das Bundesverfassungsgericht hat im wegweisenden Urteil zum Vertrag von Maastricht festgestellt, dass die Kompetenzen des Bundestages nicht „substanziell entleert“ werden dürften. Dies ist aber durch die Einführung der Währungsunion nicht der Fall gewesen, und seitdem hat sich auch nichts Wesentliches an der Kompetenzordnung geändert.
4. Nötig ist ein „hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau“ der Ausübung der europäischen Hoheitsakte. Diese Legitimation gewährleistet nach herrschender Lehre die Zustimmungsgesetze der Mitgliedsstaaten sowie die Mitwirkung der Regierung und des Parlaments an der EU-Gesetzgebung.
5. Die EU hat seit langem Grundrechte aus der europäischen Verfassungstradition abgeleitet und anerkannt. Der Verfassungsvertrag schafft nun nichts weiter als einen kodifizierten und verbindlichen Grundrechtskatalog. Trotzdem behält sich das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die Kontrolle der Einhaltung der Grundrechte vor.
Die Wahrheit ist, dass der Verfassungsvertrag das Fundament einer supranationalen Demokratie schafft. Wir hätten uns auch eine gesamteuropäische Volksabstimmung über den Verfassungsvertrag gewünscht. Dies hätte einen europaweiten gemeinsamen Diskussionsprozess ermöglicht, der vielleicht unabhängiger von den jeweili
gen innenpolitischen Querelen hätte ablaufen können. In dem Prozess hätten die Anfänge einer europäischen Öffentlichkeit gestärkt werden können und der Verfassungsvertrag hätte eine unbestreitbare demokratische Legitimation erhalten. Der Ausweg ist aber nicht die Ablehnung des Vertrages oder die Verweigerung weiterer Integration, sondern das konsequente Fortschreiten auf dem eingeschlagenen Weg zu einer vollen Demokratisierung der Gesetzgebungsrechte der EU.
Die NPD spielt sich hier als Hüter der deutschen Demokratie und des deutschen Sozialstaatsmodells auf. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, dies ist eine lächerliche und zutiefst verlogene Vorstellung.
Herr Gansel und Herr Richter von der braunen Fraktion haben uns im Mai in einem Anfall von Größenwahn und unter Missbrauch des Namens unserer schönen Stadt Dresden mit einem Grundsatzpapier ihrer so genannten „Dresdner Schule“ beglückt. Neben völkisch-rassistischen Versatzstücken und autoritär faschistischem Gedankenmüll der konservativen Revolution der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts findet sich dort eine ausdrückliche Kampfansage an das „egalitäre Menschenbild“ und die so genannte „Menschenrechtslüge“ – Zitat: „Objektive Menschenrechte gibt es nicht. Vielmehr sind die so genannten Menschenrechte ein ideologisches Konstrukt, das in der Folge der Französischen Revolution formuliert wurde. Sowohl von ihrem Menschenbild her als auch unter Souveränitätsgesichtspunkten lehnt die Dresdner Schule die Fiktion der so genannten Menschenrechte vehement ab.“
Meine Damen und Herren! Hier genau liegt der Hund auch dieser Debatte begraben: Die NPD ist gegen den Verfassungsvertrag, weil er ihrem völkisch-rassistischen Denken widerspricht. Ihr Reden von einer Abstammungsgemeinschaft fantasiert eine Ursprünglichkeit und Reinheit des Volkes, die es historisch nie gegeben hat und die politisch zwangsläufig zu Unfreiheit und Diktatur führen muss.
Wir lassen es nicht zu, dass Sie sich als Hüter des Grundgesetzes tarnen. Sie lehnen den Verfassungsvertrag ab, weil er auf den Werten der Aufklärung und der Französischen Revolution und auch auf den besten sächsischen und deutschen Traditionen gründet, nämlich auf den Werten der Menschenrechte, der Freiheit und der Gleichheit aller Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft. Eben genau weil sich die EU zu diesem Grundrechtskatalog und diesen Grundrechten bekennt, lehnen Sie diesen EUVertrag ab. Dies ist ein schändliches Spiel. Das machen wir nicht mit!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst vielleicht einige Worte zu dem, was Herr Schiemann gesagt hat. Es ist überhaupt nicht wahr: Wo steht, dass die NPD oder die NPDFraktion, wie Sie sagen, das Grundgesetz abschaffen will?
Wir haben uns lediglich dazu bekannt, dass es im Grundgesetz einen Auftrag des Artikels 146 gibt, dass es auch die Zeit geben kann, in der sich das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung eine neue Verfassung gibt. Das ist ein Grundgesetzauftrag. Das können Sie selbst nachlesen.
Ich denke, damit ist alles zur „Abschaffung“ gesagt. Ansonsten haben wir immer wieder erklärt, dass wir zur Gesetzlichkeit dieses Landes stehen. Wir stehen zum Grundgesetz. Ich denke, das haben wir in den Debatten immer wieder deutlich gemacht.
Was haben wir zu bemängeln? Zum Beispiel haben wir zu bemängeln, dass die EU-Verfassung in Deutschland ohne wirkliche Befragung des deutschen Volkes durchgepeitscht werden soll. Dass das auch in anderen Ländern undemokratisch ist, sieht man daran, dass man darüber nachdenkt, die gescheiterten Voten in Frankreich und Holland zu wiederholen. Das sind die Probleme, die wir haben und die wir als undemokratisch ansehen.
Wir sehen es ebenso als undemokratisch an, meine Damen und Herren, dass Sie Begriffe einfach umformulieren. Fragen Sie doch den Normalbürger, was er unter „Volk“ versteht. Natürlich denkt er in erster Linie an eine Abstammungsgemeinschaft. Das ist ja auch nichts Schändliches. Wir haben nie gesagt, dass es eine völlige Reinheit der Völker geben soll.
Ein bis zwei Prozent Ausländer hat es immer gegeben. Das ist auch ganz normal. Wir wollen keine Durchmischung der Völker. Das haben wir gesagt.
(Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS, der SPD und den GRÜNEN – Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)
Ich möchte die Beugung der Begriffe ansprechen, zum Beispiel „Europa“. Wie sehen Sie Europa? Sie sehen Europa nur als reinen Wirtschaftsraum. Sie sehen Europa weder geografisch, denn da gehört die Türkei mit Sicherheit nicht dazu.
Sie sehen Europa auch nicht kulturell, denn auch da würde die Türkei mit Sicherheit nicht dazugehören. Aber es kommt noch viel schlimmer, meine Damen und Herren. Bei dieser Anhörung, in der Herr Schiemann nichts Neues gelernt haben will, habe ich zumindest eines gelernt: Was Sie unter Demokratie verstehen, versteht das normale Volk anders, nämlich die Meinung des Volkes, die Volksherrschaft.
Herr Prof. Porsch, lassen Sie mich erst einmal den Satz sagen, den Prof. Fastenrath dort gesagt hat: „In dem heutigen Sprachgebrauch versteht man unter Demokratie das Mitspracherecht der Machtunterworfenen.“ Wenn ich das höre, dann läuft mir ein Schauer über den Rücken.
Volksherrschaft ist zumindest, dass man einen Volksentscheid macht. 50 % plus x haben dann die Mehrheit, und das würde man akzeptieren. Das würde man auch bei der EU-Verfassung akzeptieren. Aber das scheuen Sie ja wie der Teufel das Weihwasser.
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Ist das nicht Bevölkerungsherrschaft? – Uwe Leichsenring, NPD: Nein, Volksherrschaft!)
Aber, um noch einmal auf den Grundkonsens zu kommen. Existenzielle Staatlichkeit soll es nach dieser EUVerfassung angeblich nicht geben. Was brauchen wir denn für eine existenzielle Staatlichkeit noch dazu, wenn man schon eine Verfassung hat, wenn eine europäische Rechtsprechung existiert, wenn eine europäische Währung existiert, wenn, wie die Linkspartei.PDS selbst beklagt, Europa sich weiter als europäischer Bundesstaat oder Staatenbund militarisiert, je nachdem wie Sie wollen? Ich denke, das wird ein Bundesstaat werden.