Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

Dieses Tabu hat die Staatsregierung gebrochen und damit einen Weg eingeleitet, der aus meiner Sicht durchaus die Gefahr birgt, eine Abkehr von den Grundsätzen einer soliden Finanz- und Haushaltspolitik zu sein. Herr Metz, wir als FDP können diesen Weg nicht mitgehen.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt warnende Vorbilder. Schauen wir in die Geschichte, dann wissen wir, was aus solchen Anfängen werden kann. Ich erinnere daran, dass im Jahr 2002 die Bundesrepublik Deutschland erstmals die so genannten Maastricht-Kriterien gerissen hatte. Es waren damals schlappe 0,7 %, die wir an den Kriterien vorbeigeschrammt sind. Das war nicht viel. Alle haben damals gesagt: Verzeihung, es passiert nicht wieder, es kommt nicht wieder vor!

Damals wurden diese Kriterien übrigens nicht von irgendjemandem gerissen, sondern von der Bundesrepublik Deutschland, und zwar von dem Erfinder der Stabilitätskriterien, vom blühenden Vorbild, von Deutschland, vom Klassenbesten unter den europäischen Ländern, genauso wie Sachsen jetzt der Klassenbeste unter den ostdeutschen Ländern sein will.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Das stimmt doch!)

Da haben Sie Recht, Herr Hähle.

Was ist seitdem passiert? Jahr für Jahr verschieben wir weiter eine Erfüllung der Stabilitätskriterien. Wir haben

uns daran gewöhnt, wir haben uns damit abgefunden, dass wir in Europa nicht mehr Klassenbester sind, sondern jemand, der Nachhilfeunterricht braucht und nachsitzt.

Wir haben jetzt von den Koalitionären in Berlin gehört, dass für 2007 erstmals wieder anvisiert wird, die Stabilitätskriterien einzuhalten. Das ist ein Prozess, der ein mahnendes Vorbild auch für Sachsen sein sollte.

Wie gesagt, 152 Millionen Euro sind kein Weltuntergang. Die Frage ist schlichtweg, welche Konsequenzen die Staatsregierung aus diesem Patzer ziehen will und was man in nächster Zeit vorhat. Wenn ich sehe, dass das Strickmuster in Sachsen heißt, Schuld haben nur die anderen, schuld sind die äußeren Rahmenbedingungen, dann glaube ich schlichtweg, dass die Weichen und die Lehren aus diesem Patzer noch nicht gezogen wurden. Auf das Weitere werde ich im zweiten Teil meiner Rede eingehen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der Fraktion der GRÜNEN das Wort. – Frau Hermenau, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wenn man ein bisschen genauer in die Sache hineinschaut, wird man sehr schnell zu der etwas verschmitzten Feststellung kommen, dass im Jahre 2004 die Fehlverwendungsbeträge vor allem deswegen zustande gekommen sind, dass es einen Koalitionsvertrag in Sachsen gibt und dass dieser auch Geld kostet.

Wir können gern im Detail darüber diskutieren. Ich finde es relativ amüsant; denn es gibt eine Automatik mit der Verschuldungsgrenze und den SoBEZs. Darüber können wir gern im Detail diskutieren. Ich lasse es jetzt, weil wir uns über bestimmte Fakten unterhalten wollen, die Kollege Albrecht zum Teil in die Diskussion eingebracht hat.

Herr Ministerpräsident, Sie haben Anfang Oktober gefordert, ein Sanktionssystem zu entwickeln, wenn es zu Fehlverwendungen im Solidarpakt II kommt. Das halte ich für richtig. Das habe nicht nur ich allein, sondern das haben auch andere GRÜNE auf Bundesebene seit längerem gefordert. Auch wir sind der Meinung, dass es notwendig ist, zu einem Sanktionssystem zu kommen. Ansonsten muss man davon ausgehen, dass schleichend die Solidarpaktmittel erodierend anders und fehlverwendet werden. Das betrifft vor allem andere Bundesländer. Wir werden sehen, ob Sachsen die Kraft hat, in diesem Jahr zu korrigieren, was der Koalitionsvertrag eingebrockt hat. Ich kann das mit Spannung abwarten.

Für mich wird entscheidend sein, ob es gelingt – ich stimme Ihnen, Kollege Albrecht von der CDU, darin zu –, wirklich notwendige Handlungsfreiheit herzustellen. So, wie der Solidarpakt gestrickt ist, ist sie nicht wirklich vorhanden.

Es wird die Schwäche der kommunalen Finanzkraft nach dem Gießkannenprinzip ausgeglichen. Wir haben gleichzeitig einen demografischen Wandel in diesem Land. Man kann nicht weiter mit der Gießkanne jedes Dorf infrastrukturell mit Finanzen besprühen in der Hoffnung, dass trotzdem keiner abwandert, wenn die Realitäten anders sind.

Was ich von einer Regierung und erst recht von einer großen Koalition erwarte, wäre ein gewisser Masterplan, aus dem hervorgeht, wie mit den Mitteln, die wir bis 2019 noch erhalten werden und die natürlich degressiv, das heißt rückläufig, verlaufen, verfahren wird, um mit der kommunalen Finanzkraft und deren Schwäche umzugehen. Ich habe noch nichts dazu gehört. Das wäre aber etwas, was bei mir auf höchstes Interesse stoßen würde.

Nicht jede Investition in Infrastruktur ist ein Wachstumsbeitrag. Es hängt auch von der Investitionsart ab. Es gibt auch kulturelle und soziale Investitionen. Ich will das nicht wegdiskutieren. Das ist klar. Aber nicht jede infrastrukturelle Investition ist ein wirklicher Wachstumsbeitrag. Es hängt auch von der Dimensionierung der Infrastrukturmaßnahmen ab, was wir aus den neunziger Jahren schmerzlich gelernt haben, als zum Beispiel Strukturmaßnahmen im Bereich Abwasserbehandlung viel zu groß ausgelegt worden sind.

Was wir vorschlagen, um mehr Bewegungs- und Handlungsfreiheit zu bekommen, ist, dass wir uns etwas für den Bereich Forschung und Entwicklung einfallen lassen müssen. Da werden wir wahrscheinlich Wachstumspotenziale heben können, wenn es sich um betriebliche Forschung und Entwicklung handelt.

Nun ist die Frage: Kann man vielleicht eine Neudefinition zulässiger Verwendungszwecke im Solidarpakt II erreichen und trotzdem die Forderung aufrechterhalten, dass man ein Sanktionssystem bekommt, wenn es Fehlverwendungen gibt? Bisher sind die Mittel für Forschung und Entwicklung immer sanktioniert worden. Wenn Sie sie dafür ausgeben, kann man sie nicht nutzen, weil es eigentlich konsumtive Ausgaben sind. Das heißt, wenn wir mehr Geld aus dem Solidarpakt in die Forschung und Entwicklung geben wollten, würden wir nach unserem eigenen Vorschlag, dass man ein Sanktionssystem haben muss, betraft werden.

Das ist ein Problem, das wir lösen müssen. Deswegen muss man zu einer Neudefinition in diesem Bereich kommen. Ich kann mir das nur so vorstellen, dass man durch Verhandlungen erreicht, dass es temporär begrenzt wird. Denn auf der einen Seite werden auch die Mittel, die wir bekommen, auslaufen. Auf der anderen Seite haben wir damit natürlich eine gute Möglichkeit, andere Vorschläge aus der Finanzwissenschaft, zum Beispiel einen Teil der Mittel aus dem Solidarpakt, in Sanierungsbundesergänzungszuweisungen umzuwandeln und wegzudrücken.

Ich halte überhaupt nichts davon, dass man den schwierigen Haushaltslagen der ostdeutschen Länder entgegenkommt, indem man einen Teil der Solidarpaktmittel in

Sanierungsbundesergänzungszuweisungen umwandelt wie im Saarland und in Bremen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Dort ist das jahrelang geschehen. Es hat nichts genützt: Die Länder haben ihre Lage nicht wirklich ändern können. Deswegen glaube ich nicht, dass es sinnvoll ist, in diese Debatte einzusteigen. Wer trotzdem eine produktive Debatte führen will – ich bin da bei den Kollegen der Union und der SPD –, von dem erwarte ich, dass tragfähige Vorschläge für die Bereiche Forschung und Entwicklung gemacht werden. Da liegt die Zukunft auch eines Bundeslandes wie Sachsen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Wird es gewünscht? – Bitte schön, Herr Dr. Rößler.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Fortschrittsbericht zum Aufbau Ost ist wie eine Diagnose, und der Patient heißt Sachsen. Frau Mattern, er leidet natürlich nach wie vor an den 40 Jahren Auszehrung und wirtschaftlichen Niedergangs.

Unser Problem ist aber, dass wir nach 1990 den Geburtenrückgang, die Abwanderung, die Alterung der Gesellschaft überhaupt nicht stoppen konnten. Im Gegenteil. Das hat sich eher beschleunigt. Die Gesellschaft schrumpft. Solidarpakt I und II hatten ein Ziel: Sachsen soll wie andere Bundesländer auch endlich wieder auf eigenen Beinen stehen. Die Abhängigkeit von Transfers aus dem Westen unseres Landes muss mittelfristig abgebaut werden. Dazu ist – jetzt verwende ich durchaus einen Begriff der GRÜNEN – eine nachhaltige Politik nötig, eine Investition in die Zukunft.

Nun gibt es Fortschritte. Wir haben die Investitionsquote gehalten. Die Infrastrukturlücke ist kleiner geworden. Sachsen ist durchaus Musterschüler bei den Solidarpakten. Aber, meine Damen und Herren, es gibt den Sündenfall von 2004. Herr Zastrow, den reden wir überhaupt nicht weg. Ich weiß nicht, wo Sie eine Fankurve sehen. Wir wollen darüber diskutieren. Uns kann es auch nicht ausreichen, dass wir unter den Blinden als Einäugiger der König sind. Wir wollen auf beiden Augen sehen.

Kollege Pecher ist auf die Demografie eingegangen. Wir werden uns hier in diesem Raum 2020 unterhalten, wie wir mit elf Milliarden auskommen, nicht mit 15.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Richtig!)

Wenn man das Theater in den so genannten Fachgruppen bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin sieht, dann hat unser Ministerpräsident vollkommen Recht: Ein Großteil der Abgeordneten unserer Fraktion im Bundestag ist noch nicht in der Realität angekommen. Ich hoffe, dass das hier bei uns ganz anders ist.

Aber der Patient Sachsen braucht natürlich eine Therapie. Wie stellen wir diesen stolzen Freistaat bis 2020, wenn auch auf wacklige, so doch auf eigene Beine?

Wir müssen die Neuverschuldung nicht nur zurückführen. Das bedeutet, der Schuldenberg wächst langsamer. Wir müssen die Neuverschuldung eigentlich vollkommen beenden und zur Schuldentilgung kommen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der FDP)

Da stimme ich Herrn Pecher durchaus zu. Der Schuldenberg, der auf immer weniger unserer Nachkommen lastet, muss kleiner werden, und zwar auch auf jedem Einzelnen. Ziel ist natürlich die Konsolidierung der Ausgaben. Da geht es um den Schuldenabbau. Aber wir müssen auch ran an die Personalausgaben. Wer weiß, was das bedeutet – ich habe das lange genug erlebt –, der kann sich vorstellen, was das für ein Kraftakt wird, bis 2010 auf 80 000 Stellen in unserem Landeshaushalt zu kommen. Es wird zu einer Alterung und einer dramatischen Schrumpfung der Personalkörper kommen. Es gibt faktisch keine Neueinstellung von jungen Leuten mehr, wo wir doch wissen, dass 50 % der Hochschulabsolventen in Deutschland in den öffentlichen Dienst gegangen sind; muss man sagen.

Wir brauchen eigentlich, um junge Menschen zu motivieren, Leistungsträger im Land zu halten, auch einen Einstellungskorridor in den öffentlichen Dienst. Wir müssen der Demotivierung entgegenwirken und junge Menschen im Land halten. Das wird für uns noch viel Fantasie bedeuten.

Vor allen Dingen braucht dieses Land Visionen. Nur mit Schrumpfen und der Aussicht auf Sparen und Einschnitte können Sie natürlich niemanden gewinnen und für den Aufbau begeistern. Wir brauchen einen erweiterten Investitionsbegriff.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Ja!)

Natürlich ist es gut, wenn wir möglichst schnell auf eigene Beine kommen. Wenn wir in Beton, wenn wir in Straßen, wenn wir in Infrastruktur investieren. Aber wir müssen auch von einer klassischen Investitionsförderung zu einer Innovationsförderung kommen. Das ist nicht nur einfach „Geld in Forschung“ stecken. Wir müssen den gesamten Innovationszyklus im Blick haben: Forschung, Entwicklung und vor allem Produktüberführung.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Wir wollen ja, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse, die in Sachsen erzielt werden, bei uns in Produkte und Arbeitsplätze umgesetzt werden.

(Beifall bei der CDU, der FDP und vereinzelt bei der SPD – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das haben Sie ja als Minister verhindert!)

Das ist mehr als nur die Subventionierung von universitärer und außeruniversitärer Forschung.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns doch unsere Stärken stärken. Lassen Sie uns diskutieren, wie wir die Wachstumsbereiche, in denen selbsttragender Aufschwung stattfindet, wie die Mikroelektronik, der Automobilbau, in Zukunft die Biotechnologie, stärken und andere Regionen an diese Wachstumsbereiche anbinden, damit sie vom Aufschwung profitieren. Darüber müssen wir uns in Zukunft Gedanken machen.

Ich glaube, wenn die anderen Fraktionen in diesem Land an der Diskussion mitwirken wollen, dann sind SPD und CDU, dann sind die Koalitionäre hoch zufrieden. Wir machen uns dazu unsere Gedanken und laden Sie alle ganz herzlich zur Diskussion ein.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: „Einig Vaterland!“)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Herr Pecher, bitte.