Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der von unserer Fraktion heute eingebracht worden ist, ist kurz und überschaubar und bedarf zu seiner Begründung nicht allzu vieler Worte. Hier hat im besten Sinne des Wortes der Sächsische Verfassungsgerichtshof mit seinem Urteil vom 25. November 2005 im Wahlprüfungsbeschwerdeverfahren des Herrn Wolfgang Denecke die Begründung geliefert und damit letztlich den Landtag als Gesetzgeber in Zugzwang gebracht, das Sächsische Landeswahlgesetz in den von uns zur Änderung vorgeschlagenen Regelungen wieder mit der eigenen Verfassung in Übereinstimmung zu bringen.
Erinnern wir uns: Der Beschwerdeführer Wolfgang Denecke war im Frühjahr 2004 von der PDS entsprechend den wahlrechtlichen Bestimmungen als Direktkandidat für den Wahlkreis 31, Leipzig 7, gewählt worden. Der auf ihn lautende Kreiswahlvorschlag wurde dann vom Kreiswahlausschuss Leipzig für die Wahlkreise 25 bis 31 zur Landtagswahl zurückgewiesen, weil Wolfgang Denecke bzw. die ihn nominierende Partei durch ein reines Organisationsversehen verpasst hatten, rechtzeitig die jetzt noch nach dem Wortlaut des § 15 Nr. 3 des Sächsischen Wahlgesetzes abzugebende Erklärung zur MfS-Problematik bis zum 66. Tag vor der Wahl beim Landeswahlleiter einzureichen. § 15 Nr. 3 in seiner jetzigen Fassung schreibt jedem Bewerber um ein Landtagsmandat im Freistaat Sachsen vor, eine schriftliche Erklärung folgenden Inhalts abzugeben:
„Gemäß Artikel 118 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen kann der Landtag beim Verfassungsgerichtshof ein Verfahren mit dem Ziel der Aberkennung des Mandats von Mitgliedern beantragen, die vor ihrer Wahl a) gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben, insbesondere die im internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 gewährleisteten Menschenrechte oder die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 enthaltenen Grundrechte verletzt haben oder b) für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der DDR tätig
Mir ist bekannt, dass mir das Mandat aberkannt werden kann, wenn diese Voraussetzungen auf mich zutreffen.“
So § 15 Abs. 1 Satz 1 des Sächsischen Wahlgesetzes derzeit. Und Satz 2 des § 15 lautet: „Diese Erklärung ist zu unterschreiben und mit Ortsangabe und Datum zu versehen.“
Ihnen ist bekannt – jedenfalls allen unter uns, die schon länger in diesem Hause als Abgeordnete sitzen –, dass unsere Fraktion stets die Berechtigung, die Funktionalität und Verfassungskonformität dieser Bestimmung bestritten und ihre Aufhebung gefordert hat. Dies einfach deshalb, weil zum einen die Verfassung des Freistaates keine Ermächtigung für präventive Eingriffe in das passive Wahlrecht als Grundrecht exklusiv in Sachen Staatssicherheit zulässt, zum anderen, weil es abstrus ist, den Bewerbern um ein Landtagsmandat, bei denen man gemeinhin ein bestimmtes Level an politischem Grundwissen und Verstand voraussetzen darf, abzuverlangen, dass sie in schriftlicher Form gegenüber dem zuständigen Wahlleiter bekunden, den Wortlaut eines Artikels der Sächsischen Verfassung zu kennen. Wenn schon ein Briefing auf Verfassungskenntnisse für Kandidaten des Landtages oder für Kandidaten für die Landtagswahlen notwendig wäre, dann gäbe es nach unserer Überzeugung wesentlich wichtigere Artikel, wie zum Beispiel die zu den Grundrechten oder die zur Bindung an Recht und Gesetz für Regierung und Parlament.
Schließlich haben wir den § 15 Nr. 3 abgelehnt, weil selbiger Erklärung jede Funktionalität fehlt, da hieran keine rechtlichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Artikels 118 der Verfassung geknüpft sind.
Bis Mitte der neunziger Jahre standen wir mit diesem Standpunkt allein auf weiter Flur. Dann schlug sich überraschend und von uns mit Freude gefeiert die Staatsregierung auf unsere Seite und brachte mit dem Entwurf des Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes für die Wahlen zum Sächsischen Landtag – das war die seinerzeitige Drucksache 3/8277 – am 3. April 2003 einen Gesetzesvorschlag ein, der vorsah, § 15 Nr. 3 zu streichen, und zwar ausdrücklich mit dem Hinweis und der Begründung, dass die Erklärung nach § 15 Nr. 3 in keinem inneren Zusammenhang mit der Überprüfung der materiellen Voraussetzungen für die Wählbarkeit steht, die eben erst
Es sei daher – so 2003 die Staatsregierung – „nicht sachgerecht und unverhältnismäßig, die Zulassung eines Wahlbewerbers vom rechtzeitigen Eingang dieser Erklärung abhängig zu machen“.
Ich habe mich sehr für die Staatsregierung gefreut. Um es weihnachtlich auszudrücken: Unsere vorzeitige Freude über dieses Zeichen von Vernunft war verfrühte Vorfreude.
In der Beratung des Verfassungs- und Rechtsausschusses am 30. Juni 2003, in der die Beschlussempfehlung zum genannten Gesetzentwurf der Staatsregierung – auch Änderungen anderer wahlrechtlicher Bestimmungen betreffend – vorgesehen war, traten dann in verlässlichem Fundamentalismus unsere verehrten Kollegen der CDUFraktion auf die Tagesordnung und beschlossen in gewohnter Beratungsresistenz mit machtvoller Mehrheit, dass dem allzu liberalen Begehren der Staatsregierung in dieser Frage nicht nachgegeben wird. § 15 Nr. 3 bleibt im Sächsischen Wahlgesetz – basta!
Voraus ging der Abstimmung – aus dem Sitzungsprotokoll zu entnehmen – ein bemerkenswerter Akt politischer Willensbildung. Im Protokoll lesen wir zu exakt dieser Bestimmung: „MdL Schimpff, CDU, bemerkt, er bedauere die vorgesehene Änderung.“
Nach einer von der CDU beantragten zehnminütigen Auszeit bringt MdL Schiemann mündlich einen Änderungsantrag zu Artikel 1 Ziffer 11 ein. Danach wurde abgestimmt. Damit war die Staatsregierung in die Schranken verwiesen und die verfassungswidrige Konstellation blieb. Was in geheimer Kameralistik in der Auszeit beraten wurde, wurde uns nicht kund- und zu wissen gegeben. So funktioniert Demokratie.
So blieb es denn beim verfassungswidrigen Status quo mit der Konsequenz, dass Wolfgang Denecke und im Übrigen ein weiterer von der PDS in Leipzig als Direktkandidat nominierter Wahlbewerber, Siegfried Schlegel, bereits über drei Wahlperioden Stadtrat in Leipzig, damit mindestens dreimal „gegauckt“ und „gebirthlert“, aus dem gleichen Grund der nicht rechtzeitigen Einreichung der Erklärung von der Wahl ausgeschlossen wurden. Nachdem die Beschwerde beider vom Landeswahlleiter abgewiesen war, wurde vom Stadtwahlleiter – nebenbei bemerkt – stringent angewiesen, die schon hängenden Personalplakate beider Kandidaten sofort aus dem Stadtbild zu entfernen, was mit Widerstand geschehen ist, weil
Unverzüglich nach der Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses für beide Wahlkreise reichten die beiden ausgeschlossenen Bewerber Denecke und Schlegel die Wahlprüfungsbeschwerde ein.
Kollege Schiemann, der Verfassungsgerichtshof hat nicht über die Liederlichkeit, sondern über die Verfassungswidrigkeit entschieden.
Gemäß der Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses dieses Hauses vom 1. April 2005 wies der Sächsische Landtag den Einspruch beider um ihr passives Wahlrecht gebrachten „liederlichen“ Beschwerdeführer mit Beschluss vom 21. April 2005 zurück.
Der Verfassungsgerichtshof hat dann mit dem eingangs erwähnten Urteil vom 25.11.2005, also mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, festgestellt, dass § 15 Nr. 3 mit Artikel 41 Abs. 2 Satz 1 der Sächsischen Verfassung, der die Allgemeinheit der Wahl regelt, unvereinbar und damit nichtig ist.
In § 19 ist das nebenbei bemerkt auch der Fall, soweit er auf § 15 Abs. 3 Bezug nimmt. Der Beschluss des Sächsischen Landtages vom 21. April wurde aufgehoben und es wurde entschieden, dass eine Wiederholungswahl in dem entsprechenden Wahlkreis Leipzig 7 durchzuführen ist. Des Weiteren erkannte der Verfassungsgerichtshof darauf, dass das von Herrn Kollegen Rolf Seidel von der CDUFraktion errungene Mandat damit nichtig ist. Am selben Tag verlor Rolf Seidel sein Mandat. Also auch er ist der Geschädigte dieser Borniertheit im Verfahrensgang des Landtages.
Dass die Wahlungültigkeit nicht auch im Falle von Siegfried Schlegel folgte, dass im Wahlkreis 28, Leipzig 4, nicht auch neu gewählt werden muss, hat einfach damit zu tun, dass Schlegel vergessen hatte, die Zustimmungserklärung handschriftlich zu unterzeichnen. Deshalb ging das nicht auf. Es geschieht ihm recht, dass er nicht durchkam; denn so viel Schluderei kann man sich allenfalls leisten, nachdem man Abgeordneter geworden ist, aber nicht schon vorher.
Dass wir heute, keine zwei Wochen nach Verkündung dieses Urteils des Verfassungsgerichtshofes, bereits diese Gesetzesvorlage einbringen, resultiert daraus, dass am 22. Januar laut Festsetzung der Landeswahlleiterin die Wahlen im Wahlkreis 7 in Leipzig nachzuholen sind und wir der Auffassung sind, dass es eine Frage der Autorität des Verfassungsgerichtshofes und des Respekts vor dem Souverän ist, dass wir zu diesen Wahlen dem geneigten Wähler eine verfassungskonforme Fassung des Landeswahlgesetzes zur Grundlage geben können.
Wir bitten entgegen dem Vorschlag des Präsidiums um Überweisung an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss – federführend – und an die anderen Ausschüsse mitberatend. Begründen wird das mein Kollege Hahn.
Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Überweisung an die Ausschüsse. Es gab den Vorschlag, entgegen dem Beschluss des Präsidiums, an den Innenausschuss – federführend – zu überweisen, an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss zu überweisen. Dazu gibt es Wortmeldungen. Am Mikrofon 1 Herr Abg. Hahn.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben eben festgestellt, dass Grundlage dieses Gesetzentwurfes ein Urteil des Landesverfassungsgerichtshofes ist. Der Verfassungsgerichtshof hat festgestellt, dass ein Passus im geltenden Gesetz verfassungswidrig ist. Des Weiteren hat Kollege Bartl eben aus der Sitzung des damaligen Verfassungs- und Rechtsausschusses zitiert, dessen Vorsitzender Herr Schimpff gewesen ist.
Damals ist die entscheidende Abstimmung, die die Entwurfsfassung der Staatsregierung verändert hat, im Verfassungs- und Rechtsausschuss erfolgt. Wir sind der Auffassung, dass die Frage, ob ein Gesetz verfassungskonform ist – und hier war es nicht verfassungskonform –, federführend im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss behandelt werden sollte. Natürlich ist der Innenausschuss betroffen, wenn es um Wahlen geht. Selbstverständlich. Im konkreten Fall geht es aber um einen Eingriff ins Mandat, geht es um das passive Wahlrecht vor einer Wahl. Dabei ist der Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss in erster Linie gefragt. Deshalb bitten wir, die Federführung entsprechend zu ändern.
Frau Präsidentin! Wir halten die durch das Präsidium vorgeschlagene Federführung für sachlich richtig. Wir wissen alle, dass Wahlrechtsfragen bisher immer im Innenausschuss behandelt wurden und dass das so seine Richtigkeit hat. Wir werden deshalb der Veränderung der Federführung nicht zustimmen.
Frau Präsidentin! Ich möchte nur sagen, dass uns die Argumentation der Linksfraktion.PDS durchaus schlüssig und richtig erscheint. Deswegen denken wir, es muss in den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss.
Meine Damen und Herren! Uns bleibt nichts weiter übrig, als über diesen Änderungsvorschlag abzustimmen. Es gibt den Vorschlag, diesen Gesetzentwurf federführend – –